Den Namen Christiane Schenderlein hatte kaum jemand auf dem Zettel, als es um die Besetzung des neuen Staatsministerpostens für Sport ging. Die CDU-Politikerin muss sich nicht nur gegen Skepsis behaupten – sie steht auch vor großen sportpolitischen Baustellen.

Vehement hatte sich der deutsche Spitzensport bei der neuen Bundesregierung für eine eigene Stimme im Kanzleramt eingesetzt. Mit der Schaffung des neuen Staatsministerpostens für Sport und Ehrenamt wurde diesem Wunsch entsprochen – der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) begrüßten die Entscheidung grundsätzlich. Für Überraschung sorgte allerdings die Personalie: Christiane Schenderlein übernimmt das Amt und soll fortan im Kanzleramt als „Stimme des Sports“ agieren.
Die 43-jährige promovierte Politikwissenschaftlerin war bislang kulturpolitisch aktiv – sie leitete während der Koalitionsverhandlungen die Arbeitsgruppe für Kultur und Medien. Sportpolitische Erfahrungen oder öffentlich dokumentiertes privates Interesse am Sport? Fehlanzeige. Entsprechend groß ist die Skepsis ihr gegenüber.
Insgeheim hatten sich etablierte Sportpolitiker wie Stephan Mayer (CSU) oder Sepp Müller (CDU) Hoffnungen gemacht. Beide verfügen über ein umfangreiches Netzwerk in der Sportlandschaft. Doch Bundeskanzler Friedrich Merz entschied sich anders. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentierte, es sei „eher eine (personal-)strategische als eine inhaltliche Wahl“. Trotzdem hoffen DOSB und DFB auf Schub für die Sportförderung, die Infrastruktur und die geplante Olympia-Bewerbung. „Wir sind froh, dass Kanzler Merz eine zentrale Forderung erfüllt hat“, erklärte DOSB-Präsident Thomas Weikert. Nun gehe es darum, die neue Struktur mit Leben zu füllen und die Koordination sportpolitischer Aktivitäten auf Bundesebene umzusetzen.
Infrastruktur

„Der Bedarf an ehrenamtlichem Engagement und eine zunehmend marode Sportinfrastruktur bereiten den Sportvereinen in Deutschland große Sorgen“, fasst der DOSB den aktuellen Sportentwicklungsbericht der Deutschen Sporthochschule Köln (2023–2025) zusammen. Jeder sechste der rund 86.000 Sportvereine sieht sich demnach in seiner Existenz bedroht. Gründe: fehlende Ehrenamtliche, mangelnde politische Unterstützung, veraltete Sportstätten. Laut DOSB beläuft sich der Sanierungsbedarf auf mindestens 31 Milliarden Euro. Schwimmbäder, Hallen und Sportplätze sind vielerorts in marodem Zustand. Die KfW prognostiziert: Ohne zusätzliche Investitionen müssen in den nächsten drei Jahren 16 Prozent der Freibäder, 15 Prozent der Eissporthallen und 14 Prozent der Hallenbäder schließen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund spricht von einer „dramatischen“ Entwicklung. Dabei ist das Interesse am Vereinssport so groß wie nie: Über 28 Millionen Mitglieder sind registriert – ein historischer Höchststand. Viele Vereine können dem Zulauf aber nicht mehr gerecht werden.
„Es mangelt an engagierten Menschen und modernen Sportstätten“, sagt DOSB-Präsident Weikert. Sportvereine seien Orte gesellschaftlichen Zusammenhalts, die unbedingt gestärkt werden müssten. DOSB-Vorständin Michaela Röhrbein fordert daher gezielte Investitionen in Infrastruktur, Personal und eine Entlastung des Ehrenamts. Im Koalitionsvertrag wurde zwar eine Milliarde Euro für die Sportinfrastruktur vorgesehen – allerdings fehlt das entscheidende Wort „jährlich“. Geplant ist zudem, bürokratische Hürden für das Ehrenamt abzubauen und die Trainerausbildung zu stärken.

Sportfördergesetz
Das von der Vorgängerregierung initiierte Gesetz zur Reform der Spitzensportförderung – gedacht als Schritt zu mehr Transparenz, Entbürokratisierung und Effektivität – liegt derzeit auf Eis. Auch die Einrichtung einer unabhängigen Agentur zur Steuerung der Fördermittel ist ungewiss. Die Idee: weniger Bürokratie für Athleten und flexiblere Mittelvergabe durch Experten. Der DOSB sah darin jedoch einen drohenden Machtverlust. Schenderlein äußerte sich im Spiegel offen: „Ich finde, die Einrichtung einer externen Stelle ist ein kluger Gedanke, den ich weiterverfolgen möchte.“ In ihrer Antrittsrede forderte sie eine „deutlich unbürokratischere und flexiblere“ Sportförderung.
Olympia-Bewerbung
Ende Mai reichten Berlin, Hamburg, München und die Region Rhein-Ruhr ihre Grobkonzepte für eine Olympiabewerbung ein. Die Staatsministerin gibt sich neutral: „Ich gehe davon aus, dass jede Bewerbung ihre Stärken haben wird.“ Favorisiert wird eine Bewerbung für das Jahr 2040. Schon die Bewerbung selbst könnte infrastrukturelle Investitionen auslösen. Eine erfolgreiche Vergabe hätte laut Experten „massive positive Auswirkungen“ auf den gesamten Sport in Deutschland. Die Bundesregierung unterstützt das Projekt. Schenderlein nennt es eine „Zukunftsaufgabe – für den Sport und die Gesellschaft“.
Leistungssport

Bei den Sommerspielen 2024 in Paris holte das deutsche Team nur 33 Medaillen – das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung. Robert Harting warnte bereits: „2028 wird uns das größte Debakel noch bevorstehen.“ Schenderlein sieht dennoch: „Medaillen geben dem Sport eine Bühne und motivieren die nächste Generation.“ Leistungssport brauche verlässliche Förderung, klare Strukturen und weniger Bürokratie. Röhrbein mahnt: „Schöne Worte reichen nicht. Es muss auch investiert werden.“
Für Schenderlein bedeutet das: mehr als nur Symbolpolitik. „Wenn wir an die Olympischen Spiele 2040 denken, dann sind unsere Athleten heute in der Kita“, sagt sie. „Wir müssen gemeinsam mit Ländern, Kommunen und Vereinen Deutschland als Sportnation wieder wettbewerbsfähig machen.“
Fazit
Das Aufgabenfeld der ersten Sport-Staatsministerin ist breit und komplex. Politische Erfahrung bringt Christiane Schenderlein mit – sportpolitisch hingegen ist sie bislang ein unbeschriebenes Blatt. Die Skepsis aus der Szene ist ihr bewusst. Doch sie will mit Ergebnissen überzeugen.