Helmut Eisel, „der Mann mit der sprechenden Klarinette“, wird 70. Im Interview spricht der Saarbrücker über die Besonderheiten des Instruments, das ihn seit seiner Kindheit begleitet, sowie über sein Jubiläumsprogramm „Projekt 70“.
Herr Eisel, am 2. Juni feiern Sie Ihren 70. Geburtstag. Wie blicken Sie auf Ihr bisheriges Leben zurück?
Ehrlich gesagt, schaue ich lieber nach vorne als zurück. Ich habe noch viel vor – mein Ziel ist es, auch die nächsten 20 Jahre auf der Bühne zu stehen. Natürlich nur, solange es die Gesundheit zulässt. Aber die Freude am Musizieren ist ungebrochen. Wenn ich nicht mehr spielen würde, hätte meine Frau vermutlich bald keine große Freude mehr an mir. So sehr ich das Zusammensein mit ihr genieße, würde mir doch etwas ganz Zentrales fehlen.
Ihr Leben ist von beeindruckender Kontinuität geprägt – sowohl in Ihrer jahrzehntelangen Ehe als auch in Ihrer langjährigen Treue zur Klarinette. Was macht gerade dieses Instrument für Sie so besonders?
Die Klarinette hat mich von Anfang an fasziniert. Ihre Ausdrucksmöglichkeiten sind enorm – sie reicht in ihrer Tonlage von tiefen, warmen Klängen bis hin zu leichten, fast schwebenden Höhen. Sie ist einem menschlichen Gesang sehr nah und kann sowohl männliche als auch weibliche Stimmfarben annehmen. Außerdem ist sie unglaublich vielseitig: Man kann mit ihr präzise, taktgenau spielen, wie es auf dem Notenblatt steht – aber eben auch Zwischentöne erzeugen, modulieren, flüstern, singen, schimpfen oder trösten. Mit der Klarinette kann ich Geschichten erzählen. Sie ist für mich ein Sprachrohr – ein Mittel der emotionalen Kommunikation.
Sie gelten als „der Mann mit der sprechenden Klarinette“. Ein schöner Titel – fühlen Sie sich damit gut beschrieben?
Absolut. Die Klarinette ist mein wichtigstes Ausdrucksmittel. Über sie trete ich in Dialog – mit dem Publikum, aber auch mit meinen Bühnenpartnern. Es geht nicht nur um Technik oder Klangschönheit, sondern darum, mit der Musik etwas mitzuteilen, zu bewegen.
Im Jubiläumsprogramm „Projekt 70“ treten Sie mit Ihrer Formation „Helmut Eisel & JEM“ auf.
Wer begleitet Sie bei diesem besonderen Anlass?
Ich freue mich sehr, dass beim „Projekt 70“ eine Art „Best-of“-Ensemble dabei ist – Musiker, mit denen mich viel verbindet: mein Trio mit Stefan Engelmann am Kontrabass und Juan Pablo González Tobón an der Gitarre, dazu Sebastian Voltz am Klavier und Nino Deda, der nicht nur das Akkordeon spielt, sondern auch als Sänger zu hören ist. Clara Wigger, eine junge, unglaublich gute Klarinettistin, die mich seit ein paar Jahren bei Workshops, aber auch bei so wichtigen Projekten wie „Meet Klezmer“ und meinem Festival „Clarinet & Friends“ unterstützt, wird bei zwei Konzerten ebenfalls dabei sein. Diese Besetzung ermöglicht uns eine Fülle von Klangfarben und ein sehr emotionales Konzert. Im Programm sind viele Stücke, die das Publikum und uns selbst über die Jahre besonders berührt haben. Gleichzeitig gibt es auch neue Kompositionen, zum Beispiel ein Werk, das aus einer sehr persönlichen Erfahrung entstanden ist.

Sie sprechen den Diebstahl Ihrer Instrumente an – was genau ist passiert?
Das war ein Schock. Im März 2024 wurden mir kurz vor einem Stummfilm-Konzert im Filmmuseum Potsdam meine beiden wichtigsten Klarinetten aus dem Auto gestohlen. Die plötzliche Leere, dieses Gefühl des Verlusts – das war schwer zu ertragen. Doch dann passierte etwas Wunderbares: Die Menschen um mich herum reagierten so wohlwollend, dass ich das Konzert mit den mir verbliebenen Instrumenten Bassklarinette und Tarogato spielen konnte. Die gesamte Musikszene zeigte große Solidarität. Ich bekam hochwertige Leihinstrumente zur Verfügung gestellt, und drei Monate später, als meine gestohlenen Klarinetten online zum Verkauf angeboten wurden, wurde ich binnen weniger Minuten informiert. Dank schneller Reaktion der Polizei kamen sie tatsächlich zurück zu mir – etwas ramponiert, sie mussten erst in die Werkstatt. Aber als ich sie wieder in den Händen hielt, wurde mir klar, wie tief meine Verbindung zu diesen Instrumenten ist. Aus dieser intensiven Erfahrung ist ein dreiteiliges Musikstück entstanden, das wir im Rahmen von „Projekt 70“ aufführen werden.
Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit der Klarinette?
Sehr gut sogar. Mein Großvater spielte Klarinette, und schon als Kind hat mich das tief beeindruckt. Ich wusste sofort: So wie er spielen konnte – mit Freude, mit Seele –, das will ich auch. Er war mein erster Lehrer und hat mir nicht nur die technischen Grundlagen beigebracht, sondern auch gezeigt, wie viel Gefühl, wie viel Farbe und Tiefe dieses Instrument ausdrücken kann.
Wie lässt sich diese Begeisterung an junge Menschen weitergeben – in Zeiten, in denen klassische Instrumente es oft schwer haben?
Ich glaube, der Schlüssel liegt in der emotionalen Verbindung. Mein Großvater hat mich mit seinem Spiel berührt, das war entscheidend. Natürlich erfordert das Erlernen eines Instruments Geduld und Übung – aber sobald man die ersten Hürden überwunden hat und in die Welt der Improvisation eintaucht, beginnt der wahre Zauber. Dann wird das Musizieren zum Abenteuer, zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit.
Sie haben eine beeindruckende Karriere hinter sich – als Solist, Ensembleleiter, Komponist und Dozent. Sie haben unzählige Konzerte auf der ganzen Welt gegeben, Notenhefte und CDs veröffentlicht, Festivals etabliert, gelten als Klezmer-Experte, haben aber auch mit Jazz, Gipsy, Swing und Kammermusik große Erfolge gefeiert, spielten den „Tod“ im Jedermann – fast ausschließlich auf der Klarinette. Was steht bei Ihnen in den nächsten Monaten an?
Da gibt es noch einiges! Im Juli wird es ein großes Open-Air-Konzert mit dem „Projekt 70“ in Neunkirchen geben. Außerdem trete ich mit dem Programm „Klezmer goes Balkan“ bei „Sonntags ans Schloss“ in Saarbrücken auf. Zusammen mit Sebastian Voltz spiele ich mehrere Konzerte im Rahmen der Reihe „KulturVorOrt“ im Regionalverband. Und auch für den Herbst sind bereits viele Termine geplant. Anfang des Jahres haben wir eine neue CD eingespielt, die demnächst erscheint. Ihr Titel: „Talking Clarinet is back“ – eine Anspielung auf die Rückkehr meiner gestohlenen Instrumente. Es bleibt also lebendig, und ich freue mich auf all das, was noch kommt.