Pankow plant eine neue Unterkunft für Geflüchtete. In einem alten Baumarkt. Aber ist das mit der Menschenwürde vereinbar? Dies und viele weitere Fragen bleiben bislang offen.
Nach dem Mauerfall lockten hier einst schillernde Sonderangebote bei Toom, jetzt sollen bis zu 350 Menschen an diesem Ort eine Unterkunft finden. Auch wenn es im Sommer noch hieß, das Projekt sei dem zuständigen Sozialsenat nicht bekannt („Unserem aktuellen Kenntnisstand nach wird ein möglicher Standort im ehemaligen Baumarkt an der Idunastraße derzeit nicht weiter verfolgt“, 31. Juli 2023), nehmen die Pläne nun so langsam Gestalt an. „Das Objekt wird als Notunterkunft mit abgetrennten Bereichen für die Aufnahme von circa 250 bis 350 Personen hergerichtet. Darüber hinaus ist geplant, abgetrennte Bereiche für den gemeinsamen Aufenthalt, Catering, Beratung und Büroräume für den zukünftigen Betreibenden zu schaffen“, erklärte Staatssekretär Max Landero (SPD) nach einer Anfrage des Grünen- Abgeordneten Louis Krüger. Auf weitere Nachfragen unseres Magazins wollte der zuständige Senat nicht antworten. „Die Verhandlungen und Gespräche zu diesem Objekt laufen noch. Ich bitte um Verständnis“, heißt es in einer E-Mail.
Vom Lost Place zur Unterkunft?
Und diese Gespräche scheinen auch bitter nötig, sieht man sich allein den Zustand der Immobilie an. Denn der Baumarkt an der Heinersdorfer Idunastraße steht seit Jahren leer und sorgte zuletzt bei Lost Place-Fans für Interesse, wie zahlreiche Youtube-Videos belegen. Denn nicht nur bietet das große Gebäude eine Vielzahl an Entdeckungsmöglichkeiten, es wurde zudem auch 2008 Opfer eines Brands. Sanierungen haben seither keine stattgefunden. Doch auch auf die Frage nach den geschätzten Kosten, um all diese Schäden vor Ort zu beheben, wollte der Senat nicht antworten.
Warum gerade diese Immobilie so interessant ist, liegt dennoch auf der Hand: Ein geräumiges Gebäude müsste in Zeiten einer sich immer mehr verschärfenden Unterbringungsproblematik nicht erst erbaut werden. Es stünde also nur der Innenausbau an, Schlaf- und Essbereiche, Toiletten, Duschen und Aufenthaltsmöglichkeiten. Diese „Feinplanung“ sei aber nach Informationen der „Berliner Morgenpost“ bislang nicht erfolgt. Denn eine offizielle Anmietung der Immobilie gibt es bislang nicht. Geplant sei aber die Anmietung für zwei Jahre, in der zwar laut „Morgenpost“ eine Herrichtung für die Belegung erfolge, nicht aber eine notwendige Sanierung der teils mit Graffiti beschmierten Gebäudeteile. Ebenso lässt die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr zu wünschen übrig, ist aber gerade für Geflüchtete von besonderer Bedeutung. Auch eine Abstimmung darüber, wer hier einziehen soll, ist bislang nicht erfolgt: Familien? Alleinreisende Männer? Fragen, die erst kurzfristig final geklärt werden sollen. Sicher ist allerdings: Sollte sich die Krise bei der Versorgung von Flüchtlingen mit Wohnraum entspannen, möchten das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten und der Senat die geplante Anmietung vorzeitig auflösen können. Denn geplant ist das Gebäude nur als reine Notlösung.
Denn gerade in Pankow ist die Flüchtlingssituation am Limit. Über 5.300 Wohnplätze stehen in dem Berliner Bezirk bislang zur Verfügung – das ist mehr als in jedem anderen Bezirk der Bundeshauptstadt. Bereits im März dieses Jahres waren gerade einmal noch 50 dieser Plätze für Geflüchtete frei. Auch die Situation in den sogenannten Willkommensklassen für geflüchtete Schüler ist angespannt: Die Zahl der zu betreuenden Kinder hat sich seit 2014 auf rund 1.100 nahezu verzehnfacht. Über 300 Kinder erhielten daher zuletzt allein in Pankow keinen Unterricht.
Dass der Senat also auf die Suche nach Alternativen geht, ist klar. Dennoch ist nicht jeder glücklich mit der Baumarkt-Lösung. Louis Krüger, mehr oder minder Anstoßgeber der aktuellen Diskussion, macht sich Sorgen um eine würdige Unterbringung der teils traumatisierten Menschen. Es müssten nun schnell Maßnahmen getroffen werden, „die gute Lebensbedingungen bestmöglich gewährleisten“, fordert er. Auf Nachfrage, wie diese Anforderungen aussehen sollten, äußerte sich Krüger aber nicht. Aufgrund des „unsicheren Informationsstandes“ wolle man jetzt „erst mal selber abklären“, was Stand der Dinge ist.
Weitere Optionen umstritten
Doch nicht nur die Baumarkt-Pläne sorgen für viel Diskussion; Unterbringungsoption zwei sorgt für ähnliches Unbehagen. Geplant ist eine neue Unterkunft auf einem Grundstück an der Eldenaer Straße im Alten Schlachthof in Prenzlauer Berg. Hier soll laut Vorschlag des Berliner Senats innerhalb des S-Bahnrings ein besonders großes Heim mit maximal 600 Plätzen entstehen. Eine Größenordnung, die nicht jedem zusagt. Stadtrat Cornelius Bechtler (Grüne) spricht von einer nur „bedingten“ Eignung für die temporäre Nutzung zur Unterbringung Geflüchteter. Die Grundstücke seien zu klein, um den möglichen Neubau hinreichend vorm Verkehrslärm zu schützen. Der Standort sei insbesondere mit Blick auf gesunde Wohnverhältnisse aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zur Bahn, der Lage an einer viel befahrenen Straße sowie der angrenzenden gewerblichen Nutzungen „auf Dauer nicht geeignet“, heißt es aus Bechtlers Büro. Ob der Senat den Plan für eine Unterkunft im Alten Schlachthof wegen solcher Bedenken fallen lässt, muss sich zeigen. Das Bezirksamt Pankow jedenfalls verweist vor diesem Hintergrund auch auf die angespannte Situation bei der Schulplatzversorgung. Ein Argument, das auch Krüger im Bezug auf die Baumarkt-Unterkunft anführt: „Angesichts der bereits bestehenden hohen Anzahl von nicht beschulten Kindern und Jugendlichen habe ich große Sorge, dass auch für die Kinder und Jugendlichen in der Unterkunft in Heinersdorf kein Schulplatz zur Verfügung gestellt werden wird“, kritisiert er in einer Pressemeldung. Doch auch die Nachfrage, wie dieses Problem zu seiner Zufriedenheit gelöst werden solle, blieb unbeantwortet.
Die Betreuungssituation an Schulen ist auch einer der Gründe, warum die geplante Unterkunft am Pankower Schlosspark bislang nur für kinderlose Geflüchtete eingeplant ist. Bis zu 422 Plätze wird die Einrichtung in zwei Wohnblöcken in Höfen der Gesobau-Siedlung an der Kavalierstraße bereithalten. Doch einen Starttermin für einen möglichen Baubeginn gibt es auch hier nicht.
Bei so vielen offenen Fragen wundert es kaum, dass die Gastfreundlichkeit in Pankow langsam an ihre Grenzen stößt. Ein neues Warnschreiben im Namen von Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch (Grüne) schildert beispielsweise die drohende Überlastung der jetzigen Infrastruktur vor Ort. Koch kritisiert ein Ungleichgewicht in der Verteilung von Geldern. Ein Verteilungsschlüssel des Senats müsse sich nach der tatsächlichen Verteilung von Geflüchteten auf die Bezirke richten, fordert sie. Bislang würden bis zu acht Millionen Euro aus einem Integrationsfond gleichmäßig an alle zwölf Berliner Bezirke verteilt werden. „Der Bezirk Pankow bringt aktuell 15 Prozent der Geflüchteten im Land Berlin unter, das sind derzeit etwa 5.000 Personen. Trotz intensivster Bemühungen gelingt es nicht, diese Menschen mit Integrationsangeboten anständig zu versorgen“, heißt es im Schreiben. Auch weitere Forderungen stellt die Bürgermeisterin an den Senat, so etwa den Aufwuchs um zwölf Stellen im Bereich Soziales sowie die Verbesserung der Infrastruktur in der Umgebung von Unterkünften. Neben dem oft geforderten Ausbau von Schul- und Kitaplätzen soll aber auch die Bereitstellung von Ärzten und Psychologen vorangetrieben werden. Bislang reagierte der Berliner Senat nicht auf Kochs jüngsten Brandbrief.