Während die Politik wieder über Forderungen nach Grenzschließungen und/oder -kontrollen streitet, zeigen junge Menschen, was sie davon halten – mit künstlerischen Mitteln. Das Ergebnis des Internationalen Jugendseminars ist sehenswert.
Der kleine Innenhof hat sich zum Open-Air-Atelier mit angeschlossener Künstlerwerkstatt verwandelt. Teilweise auseinandergebaute Sitzbänke, unzählige Farbtöpfe und -tuben, Pinsel. Hochkonzentrierte Jugendliche lassen sich von unserem Besuch kaum ablenken, erklären dann aber doch kurz, woran sie gerade zeichnen, malen, pinseln, wischen: „Also wir malen jetzt gerade die Beine, die Füße und die Schuhe. Andere haben schon die Trikots und die Gesichter gezeichnet. Wir werden das wieder zusammenbauen, dann kann man die Fußballspieler komplett sehen“, erläutert Ann-Sophie. „Wir wollten die berühmtesten Spieler von jedem Land nebeneinanderstellen, um zu zeigen, dass alle Menschen gleich sind und Fußball die Menschen zusammenbringt“. Sie hat sich bei der Alternative Neymar oder Pelé für Pelé entschieden.
Ann-Sophie kommt aus Brasilien, besucht, dort, wie sie erzählt, eine deutsche Schule, und hat bei einem Schulwettbewerb die Teilnahme an dieser internationalen Jugendbegegnung in der Europäischen Akademie in Otzenhausen gewonnen.
„Im Gespräch bleiben, über Ängste reden“
Auch wenn die Jugendliche nun an Köpfen, Trikots und Fußballschuhen akribisch genau malen, ging es für sie in dieser Woche nicht in erster Linie um Fußball. „Unsere Aufgabe war, diese Bank zu bemalen, zum Thema „Europa (un)limited“. Wir haben viel über die Grenze gesprochen“, sagt Simon Khali, dessen Eltern aus Afghanistan stammen, er selbst ist in Deutschland groß geworden. Geografische Grenzen (in Europa), aber auch Grenzen der anderen Art, persönliche Grenzen. Sind Grenzen blöd? „Nicht immer“, antwortet Yerena, „Man muss seine persönlichen Grenzen kennen, auch geografische Grenzen sind wichtig. Menschen sind alle gleich, aber es gibt verschiedene Kulturen“.
Die bunte Gruppe, die eine Woche in der Europäischen Akademie Otzenhausen (EAO) zusammen ist, ist Teil eines besonderen Projekts. Die Europäische Bewegung Deutschland in Berlin, mit der die EAO eine enge Koppoperation hat, richtet jährlich einen Europäischen Wettbewerb aus zu den Themen, die vor allem junge Menschen besonders bewegen. Nachhaltigkeit war Thema, Vielfalt, oder eben in diesem Jahr: Grenzen („Europa (un)limited“), erläutert Studienleiterin Sophia Rickert. Das zweite Besondere ist: „Ich versuche, kulturell-ästhetische Bildung mit gesellschaftlich-politischer Bildung zusammenzubringen“. So ist das Kunstprojekt entstanden mit den bemalten Bänken, die auch künftige Besucher der EAO zum Nachdenken anregen sollen. „Politische Bildung ist unser Kerngeschäft, mit dem Ziel, sich zu politischen Themen eine fundierte Meinung zu bilden und dann auch auszudrücken. Manchen Menschen fällt schwer, das dann mit Worten auszudrücken. Da bietet die Kunst ganz viele andere Möglichkeiten“.
Dass offene Grenzen in Europa gar nicht so selbstverständlich sind, hat eine Exkursion nach Schengen (Luxemburg) gezeigt. In der Zeit der Fußball-Europameisterschaften gab es Grenzkontrollen. Ansonsten beobachtet Sophia Rickert bei den Jugendlichen: „Grenzloses Europa, das ist so selbstverständlich geworden ist, dass es eigentlich gar nicht mehr in Frage gestellt wird. Das andere: Bei uns herrscht Frieden – das ist ganz plötzlich nicht mehr so. Das hat viele Jugendliche verunsichert und macht Angst – und das kommt immer wieder zur Sprache: Was heißt das für uns? Welche Zukunftsperspektive haben wir? Das macht vielen Angst“. Was kann man jungen Menschen darauf antworten? „Wenn es die eine Antwort gäbe…! Im Gespräch bleiben, über die Ängste reden, die in diesem Zusammenhang ja ganz normal sind. Und den Jugendlichen zeigen, wie wichtig eine stabile Demokratie ist, wenn sich alle miteinbezogen fühlen“, sagt Rickert, und ergänzt: „Vielleicht bin ich da ein bisschen idealistisch unterwegs“. Aber muss man das nicht in diesen Zeiten?
Inzwischen sind die jungen Leute dabei, die bemalten Bretter wieder an den Bänken anzubringen, das Mosaik aus Beinen, Trikots, Köpfen fügt sich zu einem Bild. Auf der gegenüberliegenden Bank prangen die Umrisse der EU, daneben wie ein Bekenntnis in großen Buchstaben: „THERE ARE NO LIMITS TO HUMANITY“.