Nächtlicher Juckreiz? Das könnte ein Indiz für Bettwanzen sein. Gerade aus dem Urlaub werden die Blutsauger gerne eingeschleppt. Zum Glück gibt es Spürhunde, die ihre Verstecke finden.
Für Stephen King interessiert sich Indy nur kurz, an Dracula schnüffelt sie vorbei und Frank Schätzing widmet sie keines Blickes. Indy ist eine siebenjährige holländische Schäferhündin, ein echtes Muskelpaket mit dunklem Fell, spitzen Ohren und noch spitzeren Zähnen. Hat sie zum Frühstück schon einen Dackel verspeist? Man weiß es nicht. Sicher ist nur, dass ihre Nase über eine einzigartige Fähigkeit verfügt: Sie kann Bettwanzen aufspüren. Genau deshalb schnüffelt sie an diesem Morgen durchs Wohnzimmer, instruiert von ihrer Halterin Sonja Rolauf.
Bettwanzen im Bücherregal? Durchaus möglich, weiß Rolauf, denn anders als es ihr Name vermuten lässt, fühlen sich die kleinen Biester an allen möglichen Orten wohl, solange es dort warm und dunkel zugeht. „Papier mögen sie sehr“, sagt Rolauf, die seit 20 Jahren als Hundetrainerin arbeitet und sich auf die Bettwanzen-Suche spezialisiert hat. Während Indy das Bücherregal inspiziert, muss Rigo in der Küche warten, angeleint am Backofen. Rigo ist ebenfalls ein holländischer Schäferhund, und auch er wird das Wohnzimmer gleich absuchen. Doppelt hält besser. Eine weitere „Kollegin“, Rosa, wartet im Auto. Sie käme dazu, wenn das Einsatzgebiet noch größer wäre, ein ganzer Hotel-Flur zum Beispiel.
Vorm Sessel verharrt Indy etwas länger. Da ist doch nicht etwa …? Nein, nein, beruhigt Rolauf. Hier liegt nur eine zusammengefaltete Hunde-Decke, für die sich Indy interessiert. Erst am Sofa scheint sie sich wirklich sicher zu sein. Ihre Nase schnuppert an jeder Ritze, dann bleibt sie regungslos stehen. „Einfrieren“ nennt das ihre Besitzerin – auf diese Weise zeigt Indy an, dass sie Bettwanzen gefunden hat. Tatsächlich fischt Sonja Rolauf ein kleines Röhrchen zwischen den Polstern hervor, in dem sich die Schädlinge befinden – in diesem Fall nur eine Übung in der Wohnung eines Freiwilligen. Obwohl Rolauf und ihre Vierbeiner jeden Tag im Köln-Bonner Raum unterwegs sind, wollten sich keine Kunden bei einer echten Suche begleiten lassen, nicht einmal anonym.
„Das Thema ist enorm schambehaftet“
„Das Thema ist enorm schambehaftet“, sagt Rolauf. „Die Leute sind schon am Telefon froh, wenn sie endlich mal offen mit jemandem reden können. Die Nachbarn dürfen bloß nicht wissen, dass ich komme.“ Zu ihren Kundinnen und Kunden zählen sowohl Privatpersonen als auch Hoteliers. „Bettwanzen haben nichts mit Hygiene zu tun“, beteuert Rolauf. „Die kommen überall vor, vom Hostel bis zum Fünf-Sterne-Haus.“ Auch in Mietwohnungen und Einfamilienhäusern ist sie häufig zu Gast, weil Bettwanzen häufig aus dem Urlaub eingeschleppt werden. „Das geht ganz leicht“, sagt die 57-Jährige. „Je nachdem, wo Sie Ihren Koffer abstellen, suchen sich die Tiere ihr Versteck.“ Das können Polstermöbel sein, Regale oder eben das Bett.
„Ein Eindringling im privaten Rückzugsort, darauf reagieren die Leute sehr sensibel“, erzählt Rolauf. Wobei ihr wichtig ist, dass nicht jede Hautrötung gleich eine Bettwanzen-Plage bedeutet – auch Mückenstiche oder nächtliches Jucken können Spuren auf der menschlichen Haut hinterlassen. Erwachsene Bettwanzen sind ungefähr so groß wie ein Apfelkorn und sehen auch ähnlich aus. Aber wer kann das bei einem flüchtigen Blick schon erkennen? „Manche Betroffene können wegen der Unsicherheit tagelang nicht schlafen“, sagt Rolauf. Sie und ihre Vierbeiner sorgen dann für Klarheit. Liegt tatsächlich ein Befall vor, übernimmt ein Kammerjäger.
Auch in dieser Berufsgruppe sind Spürhunde schon im Einsatz. „Es gibt bei uns durchaus Betriebe, die sie nutzen“, bestätigt Steffi Klotz, Geschäftsstellenleiterin beim Deutschen Schädlingsbekämpfer-Verband (DSV). Eine genaue Zahl liege ihr nicht vor, aber die Meinungen zum Hunde-Einsatz gingen in der Branche auseinander. „Es gibt auch ausgebildete Schädlingsbekämpfer, die gerne selbst nachschauen wollen.“ Klotz bestätigt, dass viele Menschen die Plagegeister aus dem Urlaub mit nach Hause bringen. Aber nicht nur: „In Großstädten ist das das ganze Jahr über ein Thema, egal ob in Privatwohnungen, Studentenwohnheimen, Jugendherbergen oder Hotels.“ Die gute Nachricht: Eine Bekämpfung ist möglich, am besten per „Thermobehandlung“. Dabei werden Heizstrahler in den betroffenen Räumen aufgestellt – die Wanzen sterben ab.
Das Umweltbundesamt (UBA) schätzt die Gesundheitsgefahr durch Bettwanzen als gering ein. Als Krankheitsüberträger spielten sie keine Rolle, schreibt das UBA auf seiner Homepage. Viele Menschen reagierten aber mit Pusteln und Juckreiz. Zudem gebe es große Unterschiede: „Bei besonders empfindlichen Menschen treten stärkere allergische Reaktionen auf, während andere Menschen so gut wie keine Reaktionen zeigen.“ Um ein Einschleppen zu verhindern, rät das Umweltbundesamt, Koffer im Urlaub nicht in Bett-Nähe abzustellen. „Auch beim Kauf gebrauchter Matratzen, Möbel, Bilder, CDs […] sollten diese auf Wanzenspuren hin untersucht werden!“ Mögliche Indizien: Kotspuren, Häute, leere oder noch gefüllte Eier.
Ein Leckerli als Belohnung
Sonja Rolaufs Spürhunde sind inzwischen im Schlafzimmer angekommen, dem am meisten gefährdeten Bereich. „Bei einem echten Einsatz würden wir das Bett jetzt vorziehen, damit die Hunde alles besser absuchen können“, erklärt die Expertin. Doch in diesem Fall ist das nicht nötig. Indy und Rigo finden problemlos die Stelle, unter der sich das zuvor deponierte Probe-Röhrchen befindet.
Klick! Rolauf betätigt ihren Hunde-Klicker, um die Vierbeiner zu loben. „Super!“, ruft sie und verteilt ein Leckerli. Ist auch schon mal was schiefgegangen? „Bei einem Einsatz noch nicht“, versichert Rolauf. „Aber ein Labrador, den ich ausgebildet habe, hat mal das komplette Röhrchen gefressen. Danach mussten wir direkt zum Tierarzt.“ Auch Indy und Rigo schnüffeln gerne an Brötchenkrümeln oder gut duftenden Mülleimern, Profi-Suchhund hin oder her. „Natürlich interessiert die das“, sagt ihre Besitzerin, „aber ich verbiete ihnen nicht, unter jeden Pizza-Karton zu gucken. Schließlich könnten genau da die Bettwanzen stecken.“ Rund eine Stunde dauert ein Einsatz, abhängig von der Größe des Objekts. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung abzusuchen kostet bei Sonja Rolauf 320 Euro.
Über zu viel Konkurrenz kann sich die Hundetrainerin bislang nicht beklagen, im Gegenteil: Auf der Website der „Bed Bug Foundation“ finden sich für Deutschland nur im Großraum Frankfurt, Bonn und Leipzig entsprechende Einträge. Die „Bed Bug Foundation“ ist eine Organisation, die die Ausbildung der Spürhunde in Europa zertifiziert. Wer weiter im Internet recherchiert, findet einzelne Spürhund-Teams in Bayern und Norddeutschland. Auch in Österreich und der Schweiz ist das Angebot mau, zumindest abseits der Metropolregionen. „Es gibt wirklich noch viele blinde Flecken auf der Landkarte“, bestätigt Sonja Rolauf. „Ich kann gar nicht alle Anfragen bedienen.“
320 Euro für eine Stunde suchen
Bleibt die Frage, wie zuverlässig ein Bettwanzen-Spürhund die sechsbeinigen Blutsauger aufspürt. Viele wissenschaftliche Publikationen gibt es bislang nicht zu diesem Thema. Die University of Florida hat im Jahr 2008 allerdings ein Paper veröffentlicht, auf das sich entsprechende Firmen gerne beziehen. Demnach haben die untersuchten Hunde lebende Bettwanzen zu 98 Prozent korrekt angezeigt. Bei einem künstlichen Lockstoff, der dem Geruch der Bettwanzen gleicht, betrug die Erfolgsquote sogar 100 Prozent. Einzige Kehrseite: Bei dem Experiment kamen nur sieben Hunde zum Einsatz. Wirklich repräsentativ ist es nicht.
Sonja Rolauf jedenfalls ist von der Arbeitsleistung ihrer Vierbeiner überzeugt, denn bisher hätten sie immer richtig gelegen. Nach der anstrengenden Schnüffelei im fremden Schlafzimmer dürfen Rigo und Indy dann auch noch mal Hund sein. Auf dem Rückweg zum Auto traben beide Schäferhunde übers Gras, markieren Bäume und genießen den Spaziergang. An einem öffentlichen Bücherschrank hält Rolauf kurz inne. „Hier würde ich nichts mitnehmen“, sagt sie mit einem Grinsen. „Und wenn doch, dann bitte das Buch bei 60 Grad in den Backofen legen.“ Dann sterben die Bettwanzen ab.