Christiane Kotterer kreiert Mode und Accessoires aus alten Segeltüchern. Wie die Unikate ankommen und wofür Sailart Fashion steht, erzählt sie in einem persönlichen Gespräch.
Frau Kotterer, Sie sind seit über 20 Jahren in Sachen Upcycling-Mode unterwegs. Was hat Sie dazu bewegt?
Ursprünglich ging es erst einmal gar nicht um das Thema Upcycling. Nach dem Tod unserer Tochter wollten mein damaliger Mann und ich uns ablenken und haben beschlossen, Segeln zu lernen, was uns sehr geholfen hat, diesen Verlust zu meistern. Nachdem wir die Scheine gemacht hatten, sind wir auch recht schnell einem Verein beigetreten. Hier bin ich mit den Segeln in Kontakt gekommen, die mich sofort fasziniert haben. Was die alles aushalten können, diese Kraft, die oft die menschliche Kraft bei Weitem übersteigt. Außerdem sind sie mit den guten Energien von Wind, Sonne und Meer getränkt. Ganz zu schweigen von der angenehmen Haptik eines weichen Segels. Nähen und Gestalten ist mein Ding und so habe ich mein erstes ausrangiertes Segel erhalten und dieses auseinandergenommen.
Wie ging es los mit dem Label, was waren die ersten Entwürfe und wie war die Resonanz?
Bei mir gestaltet sich das Nähen und Design durch Learning by Doing. Schon früh habe ich mich mit Nähen beschäftigt und Kurse bei einer Schneider-Meisterin belegt. Mein gelernter Beruf ist medizinisch-technische Röntgenassistentin. Da ich etwas Neues starten wollte, habe ich im Januar 1999 ein Gewerbe angemeldet, zunächst noch ohne Namen oder Logo. Ziemlich bald bekam ich von einem Segelkamerad (Nähtechniker bei Pfaff) die erste Industriemaschine vermittelt. Umgehend entstand der erste Jackenentwurf. Die Umsetzung war damals noch ziemlich unbeholfen und voller Unstimmigkeiten. Der Anfang war gemacht. Im Verein sprach es sich schnell herum, dass da jemand ist, der alte Segel verarbeitet. So waren immer wieder Mutige da, die sich zur Verfügung stellten, so etwas anzuziehen. Am Anfang waren es einfache Jackenmodelle. Taschen kamen erst später dazu, als die Segel fester wurden. Parallel bin ich in ein Existenzgründungs-Umfeld geraten, wo anhand meines Vorhabens alle dafür notwendigen Punkte durchgespielt wurden. Der Name sollte beschreiben, worum es sich handelt: Segel-Kunst-Mode –SailArtFashion. Eine Freundin mit Druckerei entwarf die erste Visitenkarte und eine andere Freundin das Logo. Schriftzug und Bild haben sich im Laufe der Zeit verändert bis zur heutigen Form. Allen hat gefallen, was ich da mache. Ich habe immer sehr viel Unterstützung erhalten, bis heute.
Inzwischen ist Ihr Label SailArtFashion gut aufgestellt, wie entscheiden Sie über neue Produkte und was verkauft sich am besten?
Neue Produkte ergeben sich oft durch die Wünsche meiner Kunden. Eine Tasche mit den unterschiedlichsten Funktionen oder eine entsprechende Jacke, die auf den Kunden zugeschnitten ist. Einige Modelle entstehen aus sich heraus. Manchmal erträume ich auch ein neues Objekt oder Modell. Hier ist mein Unterbewusstsein ein wichtiger Mitarbeiter. Es entsteht viel in meinem Inneren. Was hiervon am besten geht, kann ich gar nicht sagen. Mal sind es Jacken, mal Taschen. Alles in allem ist es recht ausgeglichen.
Welche Teile umfasst Ihr Angebot?
Mein Angebot beinhaltet Jacken in verschiedenen Styles. Gerade ist eine neue Form dazu gekommen. Es gibt Taschen in allen Größen, für die unterschiedlichsten Bedürfnisse. Da es um UpcycÂling geht, gibt es Hussen für Möbel, Stühle und Sonstiges, für ein neues Outfit. Deko-Objekte, Indoor- und Outdoor-Sonnenschutz oder Balkonverkleidungen, Hüllen im Outdoorbereich sowie Schlüsselanhänger. Im Bereich Oldtimer gestalte ich Jacken, die das jeweilige Fahrzeug repräsentieren. Hier kommen noch andere Materialien zum Einsatz. Manchmal repariere ich auch Segel.
Kommen auch neue Kollektionen, die sich dann immer mal wieder entdecken lassen?
Grundsätzlich handelt es sich bei meinen Entwürfen um Unikate. Jedes Teil hat seine eigene Ausstrahlung. Durch ihre Zeitlosigkeit sind sie immer aktuell und lassen sich zu jedem Modetrend kombinieren. Nach Erledigung eines Kundenauftrages habe ich meist schon die nächste neue Idee und freue mich, diese so schnell wie möglich zu realisieren.
Wieso haben Sie sich für Mode aus Segeltüchern entschieden?
Ein gesegeltes Segel ist meiner Meinung nach kein totes Material von der Rolle. Es lebt, es hat etwas erlebt, war in Kontakt mit den Elementen und steckt voller Geschichten. Diese Energien stecken in jedem aus Segeltuch gefertigten Modell und übertragen sich auf die Träger und Trägerinnen. Als das am dichtesten gewebte Material hat Segeltuch meinen ganzen Respekt.
Welche Vorteile bringen die Materialien mit sich?
Segeltuch ist sehr leicht. Bei einer Tasche aus Segeltuch kann man sich voll auf deren Inhalt konzentrieren und schleppt nicht in erster Linie die Tasche. Bei den Jacken ist es ebenso. Leichtigkeit ist angesagt. Ein Segel hält den Wind ab, daher ist man in einer Jacke gut geschützt. Es lässt sich nach Kundenwunsch individualisieren und es ist pflegeleicht, einfach in der Maschine zu reinigen, es trocknet schnell.
Wie läuft die Fertigung?
Produziert wird im eigenen Atelier in Heppenheim. Aktuell wirke ich alleine. Vor Corona gab es noch eine Mitarbeiterin. Seit vielen Jahren bin ich Mitglied im Freundeskreis klassischer Yachten. Über diesen Kontakt habe ich die meisten meiner Segel erworben. Auch über meine Website erhalte ich Angebote an gesegelten Segeln, oder ein Kunde möchte aus den eigenen Tüchern etwas gefertigt bekommen, um sich so seine persönliche Geschichte zu bewahren. Manchmal legen mir die Leute das ein oder andere Stück auch einfach vor die Tür. Im Augenblick habe ich eine bestens gefüllte Schatzkammer.
„Jedes Stück ein Unikat“: Startet die Fertigung erst, wenn eine Bestellung eingeht, oder gibt es einen kleinen Stock an Produkten?
Neben meinem Atelier gibt es auch ein Ladengeschäft in Heppenheim, das immer am Wochenende geöffnet hat. Dort sind alle derzeit vorhandenen Jacken und Taschen. Alles Unikate. Da ich auch an Designer- und Kunsthandwerker-Märkten oder Messen teilnehme, ist ein gewisser Bestand immer vorhanden.
Welche Kundeninnen und Kunden bedienen Sie?
Waren es anfänglich eher Segler, hat sich meine Klientel im Laufe der Zeit erweitert. Meistens handelt es sich um Menschen, die für sich etwas Einzigartiges suchen, die sich begeistern lassen und sich freuen, etwas zu besitzen, was sie selbst als Unikat ausmacht. Wer kann schon sagen, mit am Entwurf seines Kleidungsstückes beteiligt gewesen zu sein oder die Geschichte dessen zu kennen? Dieses Vorgehen ist ein Teil des Lifestyles, den ich bediene. Erst in letzter Zeit kommen Kunden, die betont von Recycling sprechen und darauf Wert legen. Wenn ich dann erwähne, dies seit 25 Jahren zu tun, sind sie sehr erstaunt.
Wohin versenden Sie, und kann ich die schicken Teile auch vor Ort kaufen?
Wenn möglich, ziehe ich eine Begegnung vor Ort vor. Das hat etwas Lebendiges und Spannendes. Dennoch habe ich weltweit Kunden, die ich auf elektronischem Wege bediene. Auch Maßanfertigung ist so möglich.
Wie sieht es mit den Preisen aus, kann Ihre Mode jeder kaufen?
Preis-Leistung sind im grünen Bereich. Die einen bezahlen und sind der Meinung, das Produkt sei zu günstig. Die anderen sparen ein bisschen, bis es passt. Allen gemein ist die Begeisterung, ein Unikat zu tragen. Mittlerweile gibt es sogar eine Community.
Welche Zukunftspläne haben Sie für Ihre Kollektionen und Mode überhaupt? Was muss sich ändern zum Wohle der Umwelt?
In den letzten 25 Jahren bin ich bereits zweimal angesprochen worden so richtig groß zu werden: große Stückzahl, weltweite Vermarktung. Jedes Mal habe ich abgelehnt, denn es wäre dann nicht mehr das, was es ist: einzigartig und individuell. Sobald ein Muss oder Mindestzahlen zu erfüllen sind, geht die Leichtigkeit verloren. Die Sachen werden immer gewöhnlicher. Das, was ich mache, ist meine Herzensangelegenheit. Ich habe deswegen meinen eigentlichen Beruf aufgegeben, was mich damals viel Überwindung gekostet hat. Jetzt empfinde ich es jeden Tag als Geschenk, zur Arbeit gehen zu dürfen und Kundenwünsche erfüllen zu können, kreativ zu sein. Gerne möchte ich in absehbarer Zeit wieder mit jemandem zusammenarbeiten, um noch mehr Segel oder andere Materialien zu recyceln. Jetzt ist genau die richtige Zeit, Beziehung und Gefühl zum Material zu wecken. Das Bewusstsein der Menschen ist dabei, sich zu öffnen.
Es gibt inzwischen einige kleine Label, die ebenfalls auf Upcycling-Produkte wie Segeltücher setzen, wie bewerten Sie das, was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal?
Zum Glück bin ich nicht die Einzige, die Segeltücher verarbeitet. Erst die Vielfalt macht den Markt interessant, denn jeder hat seine eigene Handschrift. An den Küsten gibt es manchen Segelmacher, der, an der Quelle sitzend, nützliche Dinge aus den übrig gebliebenen Segeln herstellt. „360 Grad“ zum Beispiel haben den Fokus auf Taschen und arbeiten mit einer Justizvollzugsanstalt zusammen, soweit ich weiß. Eine Mitanbieterin von Jacken lässt in Polen produzieren. Mit ihr stehe ich in freundschaftlichem Kontakt. Manchmal vermitteln wir uns Material oder Kunden. Meine Stärke ist die Individualisierung jeden Stückes, das mein Atelier verlässt. Schnelle Reaktionszeit und die fast messbare Freude, die die Kunden mit ihrem Unikat empfinden. Freude an den Dingen ist die Grundlage.
Was passiert, wenn sich nicht mehr genug ausrangierte Materialien aus dem Segelsport finden lassen, satteln Sie dann um?
Einem kreativen Geist geht niemals die Luft aus. Materialmäßig habe ich gut vorgesorgt. Das wird mit Sicherheit nicht eintreffen.
Was möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern noch gern mit auf den Weg geben?
Achten Sie darauf, womit Sie Ihren Körper kleiden. Es sollte eine gute Energie besitzen und Ihnen Kraft für Ihr Tagewerk schenken, damit Ihre Lebensfreude eine Grundlage hat. Kleider machen Leute.