Bauernproteste stoppten Biodiversitätsprojekte auf Brachen, obwohl Wildblumen Insekten schützen und Nahrungsketten sichern. Die Rieger-Hofmann GmbH bietet Wildsamen für Flächen unter Solarpanels an, wo auch Schafe zur Artenvielfalt und Energiewende beitragen.
Herr Rieger, wie kommt eine „Solarparkmischung“ in Ihr Sortiment aus artenreichen Wildkräutern und -gräsern?
Unsere Mischung „Solarpark“ kann man unter und neben Photovoltaikanlagen auf Freiflächen ansäen. Der Naturschutz befürwortet, Wildblumen zu säen, wenn Solarpanels auf Ackerflächen stehen. Und die Landwirte sind weniger stark verärgert, wenn sie wegen der Ökostromnutzung nicht noch Ausgleichsflächen zukaufen müssen. Die Naturschutzbehörde zieht da meistens mit.
Bei Solarpanels denkt man an Dächer und Balkone. Sie ans Mähen. Wie kommt das?
Bei Solarparks auf Ackerfreiflächen bieten sich Wiesenansaaten an. Deren Mahd beziehungsweise Beweidung erledigen teilweise Schafe. So werden die Flächen auch gleich bewirtschaftet, was oft ebenfalls verlangt wird. Wenn man im Sommer und Herbst zufüttert, kann man zehn Schafe auf einem Hektar halten. Wenn man nicht zufüttern will, und es ist ein normales Jahr, dann gibt man nur fünf Schafe auf einen Hektar. Zusätzlich mäht man die Hälfte der Solarfläche Ende Mai oder Anfang Juni ab. Aus dem Grün macht man Heu oder Silage, also Silofutter für Wiederkäuer. Und dann wachsen Kräuter und Gräser wieder hoch. So passt es für die Schafe bis zum Ende der Weidezeit.
Also werden Wildblumenwiesen – mit und ohne Solarpanels – nur einmal pro Saison und nur zur Hälfte gemäht, wenn Schafe darauf weiden?
Ja, und im Jahr darauf ist die andere Hälfte an der Reihe. Der Rest wird jeweils beweidet. Beweidung ist das Beste für Blumenwiesen. Da wird immer ein bisschen getreten, gefressen und es blüht immer noch was. Andere großflächige Grünlandareale werden in Deutschland inzwischen in drei Tagen vollständig abgemäht – ein Totalverlust ihres Lebensraumes für alle Wiesenlebewesen. Doch mit Hilfe der Schafe können die Käfer, die Insekten, die ganze Natur, das ganze Jahr gedeihen. Das ist optimal für Insekten und für den Naturschutz.
Wächst die Nachfrage nach Ihren artenreichen Samenmischungen, weil den Menschen Umwelt- und Klimaschutz wichtiger werden?
Bei Photovoltaik, ja. Deshalb gehen wir auch auf Technik-Messen zu Erneuerbaren Energien. Allerdings hat die Politik die Blühflächen runtergefahren. Dadurch haben wir einen heftigen Einbruch erlitten. Das Saatgut wäre da, aber gerade wird es wieder weniger abgerufen.
Waren die Blühflächen nicht ursprünglich hochgefahren worden? Beispielsweise mit dem Programm zur Förderung von Blühflächen und Biodiversitätspfaden in den Jahren 2020 bis 2023 in Baden-Württemberg? Und will der Bund nicht das Anlegen von Blühstreifen mit etwa 800 Euro pro Hektar und Jahr bis 2026 weiter fördern, um den Lebensraum von Insekten und die Biodiversität zu stärken?
In Baden-Württemberg haben wir vorvorletztes Jahr noch 18 Tonnen mehrjähriges Saatgut in die Landwirtschaft verkauft, im letzten Jahr zwei Tonnen.
Vorletztes Jahr hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die „Brachenpflicht“ ausgesetzt und dies mit dem Getreidebedarf nach dem russischen Angriff auf die Ukraine begründet. 2024 protestierten Bauern und Landwirtschaftsverbände so laut, dass die Artenvielfalt weiter hintangestellt wird. Wie reagierten Sie auf das zweite Jahr, das Blühflächenansaaten ausbremst – mit der Folge sinkender Getreidepreise?
Wir mussten die Anbauer, die uns Saatgut liefern, runterfahren. Ganz „einfach“. Die ganze Produktion reduzieren, bis sich wieder eine neue politische Konstellation entwickelt. Das ist schlimm. Für alle. Am schlimmsten für die Artenvielfalt.
Nun haben die Politiker entschieden, dass sie an Flusslandschaften und Mooren wieder Gas geben wollen. Aber wann die Renaturierungen bei uns als Nachfrage nach gebietseigenem Regiosaatgut ankommen, wissen wir nicht.
Die EU-Biodiversitätsstrategie ist ein Kern des European Green Deal. Das EU-Renaturierungsgesetz zur Wiederherstellung natürlicher Lebensräume trat im August in Kraft, nachdem es der EU-Umweltministerrat verabschiedet hatte. Das ist doch für Sie positiv?
Theoretisch ja, ich weiß nur nicht, wann es zum Tragen kommt, wann es hier umgesetzt wird. Ich weiß nur, dass wir mit der Nachfrage nach unseren Wildblüten-Samen runtergefahren worden sind.
Was machen Sie mit dem vielen Saatgut? Taugt das noch länger?
Das hält etwa fünf Jahre. Aber wir können nicht von heute auf morgen die Erntemengen vervielfachen. Das dauert dann zwei, drei Jahre. Wir arbeiten mit der Natur, wir arbeiten nicht politisch.
Wie sieht das Umfeld aus, in dem Sie seit über vierzig Jahren Pflanzensamen anbauen und anbauen lassen?
Bei Agrarumweltmaßnahmen hat jedes Bundesland andere Mischungen. In manchen Bundesländern, so wie in Sachsen-Anhalt und in Niedersachsen, darf man in der Landwirtschaft nur Blühmischungen aussähen, die reine Wildformen enthalten. In Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sind circa 30 Prozent Wildarten und 70 Prozent Kulturformen aus aller Welt in den zugelassenen Mischungen enthalten. Das ist auch nicht so optimal.
Es wäre so viel Geld von der EU da, in der zweiten Säule (Die Gemeinsame Agrarpolitik beinhaltet auch den Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, die sogenannte „zweite Säule“, Anm. d. Red.). Man könnte überall nur heimische Arten ansäen. Aber manche Menschen in Industrie und Politik wollen das nicht.
Warum ist die Konzentration auf heimische Arten teils unerwünscht?
Es klingt widersinnig. Aber Öl, Dünger und hoher Maschinen- und Pflanzenschutzmitteleinsatz sind bei rein heimischen Arten eigentlich unnötig. Für die ist kein gewinnbringender Verbrauch da, wenn sich die Natur fast von allein in Schuss hält.
Würden nur heimische Arten gesät, wäre das also bequem und umweltfreundlich. Oder müsste der Landwirt dann mehr Hand anlegen?
Nein. Nur, wenn jetzt zum Beispiel Disteln, Ampfer oder Melde außer Rand und Band geraten, muss man diese Teilflächen abmulchen, damit der Friede im Dorf erhalten bleibt. Aber ansonsten läuft das. Noch viel besser wäre es natürlich, geeignetes Ackerland, zum Beispiel in Auen, Hanglagen oder auf wenig ertragreichen Böden, mit gebietseigenem Saatgut in extensiv genutztes Grünland umzuwandeln. Und die Flächen zu beweiden und naturnah zu bewirtschaften, ohne Stickstoff. Dann entstünden Wiesen mit hoher Artenvielfalt, die zudem Kohlenstoff einlagern. Also hätte man da ein Riesenpotenzial. Aber zugunsten von Klima und Biodiversität zu handeln, würde bedeuten, große Flächen mit relativ geringem Aufwand zu betreiben. Und extensive Nutzung ist in unserer Welt nicht so gewollt.
Was wünschen Sie sich zu Beginn des Jahres von der Politik?
Wenn es den Politikern Ernst ist mit Insekten, dann müssen sie beschließen, dass die Landwirte wieder Wildblumen ansäen dürfen. Und sie müssen den Landwirten – aus der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU – entsprechend Geld zuschießen. Dafür, dass sie artenvielfältig ansäen, müssen die Landwirte genug Geld bekommen, damit die Insekten fliegen, die Nahrungskette funktioniert und die Wirtschaft floriert. Freiwillig stellt das kein Landwirt um. Auch wenn die Fleisch- und die Milchpreise im Moment nicht ganz so schlecht sind: Freiwillig macht es der Landwirt dennoch nicht, denn er ist Unternehmer. An Weihnachten wurde geschaut: „Was ist der Umsatz? Was habe ich für eine Entlohnung?“ Und diese Förderung der Biodiversität, die das weitere dramatische Artensterben verhindern soll, ist eigentlich Sache des Staates, der Allgemeinheit. Denn sie dient ja auch der Allgemeinheit.
Und zugleich lässt sich noch klimafreundlicher Strom erzeugen?
In einem Satz ausgedrückt: Man kann Naturschutz, Landwirtschaft und Photovoltaik auf einer Fläche unter einen Hut bringen. Die „Solarpark“-Mischung ist so vielfältig, dass sowohl Arten dabei sind, die Feuchtigkeit und Schatten vertragen, als auch welche, die dort, wo viel Sonne auf den Boden trifft, Trockenheit aushalten. So schaffen wir es, zusätzlich zur Photovoltaik, auf Freiflächen auch noch die Artenvielfalt zu erhöhen.