Bis 2027 sollen hierzulande alle Gewässer in einem guten Zustand sein – das ist das Ziel der Wasserrahmenrichtlinie der EU. Doch die Länder müssen beim Schutz ihrer Flüsse, Seen und Küsten an vielen Fronten kämpfen – eine davon ist die Trockenheit.
Es ist eine ernüchternde Botschaft: Alle 16 Bundesländer werden die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) verfehlen. Bis 2027 sollen alle EU-Länder umsetzen, dass sich die Binnen- und Küstengewässer sowie das Grundwasser in einem ökologisch und chemisch guten Zustand befinden. Jedoch gelten derzeit nur ein Prozent der Oberflächengewässer und 53 Prozent der Grundwasserkörper als unbelastet, heißt es auf der Webseite des Umweltbundesamtes (UBA).
Die oberste Umweltbundesbehörde stellt die Überwachungsergebnisse der Bundesländer für mehr als 10.000 Wasserkörper, darunter Flüsse, Bäche, Seen, Küstengewässer sowie Grundwasser, regelmäßig zusammen. „Die Gewässer hierzulande sind von verschiedenen Defiziten betroffen“, sagt Jens Arle, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Binnengewässer beim UBA. Zum einen sind die Binnengewässer vom Menschen über Jahrhunderte hydromorphologisch verändert worden, was bedeutet, dass man in den natürlichen, mäandrierenden Gewässerlauf eingegriffen und Flüsse für die Binnenschifffahrt und andere Zwecke wie die Landwirtschaft begradigt hat. Ein Problem dabei: „Man kommt oft nicht an die Gewässerflächen heran, um sie zu renaturieren“, sagt Jens Arle. Was wiederum daran liegt, dass viele Flächen landwirtschaftlich genutzt werden und aufgrund der Eigentumsverhältnisse bestimmten Restriktionen unterliegen. Außerdem sind die Flüsse zu stark mit Schadstoffen und Feinsedimenten belastet.
Landwirtschaft und Abwasserwirtschaft verursachen Stoffeinträge. Chemikalien, die von der Industrie eingeleitet werden, tun ein Übriges. Jens Arle beobachtet mit Sorge, wie sich die in den letzten Jahren wochenlang anhaltende Trockenheit und Dürre auf die Binnengewässer ausgewirkt hat. „Wenn ein Bach trocken fällt, ist das eine Katastrophe für die darin lebenden Fische“, sagt der Gewässerexperte. In Sachsen-Anhalt seien in den vergangenen Jahren viele kleinere Gewässer wie zum Beispiel Dorfteiche ausgetrocknet. Mit wasserwirtschaftlichen Maßnahmen gegenzusteuern, sei wiederum nur schwerlich möglich. Ein Ansatz wäre laut Jens Arle, die Auenlandschaften zu revitalisieren oder den gesamten Landschaftswasserhaushalt so umzustellen, dass genug Wasser fließen kann.
Damit die 16 Bundesländer die Ziele eines ökologisch und chemisch guten Zustands der Oberflächengewässer erreichen können, sollten dem UBA zufolge wirksame Maßnahmen ergriffen werden. Dafür muss das Abwasser besser gereinigt werden als bisher, indem in den Klärwerken zum Beispiel poly- und perfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS), Arzneimittelrückstände, Mikroplastik und die Salze Chlorid und Sulfat herausgefiltert und mit Ozon neutralisiert werden. Nährstoff- und Schadstoffeinträge könnten durch das Anlegen von Schutzkorridoren entlang von Gewässern minimiert werden. Auch müssen die diffusen, also von der Herkunft her nicht direkten Einträge aus der Landwirtschaft deutlich zurückgefahren werden. „Der Acker sollte im Idealfall nicht direkt an ein Gewässer angrenzen. Wenn das trotzdem der Fall ist, könnten Schutzstreifen zwischen den Acker- und Gewässerflächen zum Beispiel Gülleeinträge verhindern“, sagt Jens Arle.
In den Binnengewässern sollten auf lange Sicht wieder intakte Lebensgemeinschaften aus Fischen und wirbellosen Tieren wie Larven, Käfern und Krebstieren aufgebaut werden. „Die Bestände der Flussperlmuschel sind in Deutschland nahezu ausgestorben. Ähnlich sieht es aus beim Lachs, der früher ein häufig vorkommender Fisch war“, erklärt der Experte. Trotz alledem zieht er ein positives Resümee: „Unsere Gewässer sind heute in einem deutlich besseren Zustand als vor 30 Jahren.“ Viel zu tun gibt es dennoch, wie der aktuelle Stand in den Bundesländern zeigt.
Schadstoffe in den Gewässern
Das Saarland sieht sich auf einem guten Weg, die Qualität seiner Gewässer zu verbessern. Ein Viertel davon sei ökologisch in einem guten bis sehr guten Zustand, schreibt das Umweltministerium auf seiner Webseite. „Der flächendeckend gute Gewässerzustand stellt wie bei der Wasserversorgung und den Kläranlagen eine Generationenaufgabe dar“, erklärt Dr. Jens Götzinger, Leiter des Referats Wasser und Abwasser im Saar-Umweltministerium. In der WRRL sei geregelt, dass die Länder Fristen verlängern und weniger strenge Umweltziele anlegen können – davon macht auch das Saarland Gebrauch.
Für 56 Oberflächenwasserkörper wurden die Fristen verlängert, für neun Wasserkörper wurden weniger strenge Umweltziele festgelegt. Alles in allem will das kleinste Flächenland mehr als 350 Maßnahmen bis 2027 umsetzen – angefangen bei einer Aufbereitungsanlage in Camphausen, um den ökologischen Zustand des PCB-belasteten Fischbachs zu verbessern, über verringerte Nähr- und Schadstoffeinträge aus der Siedlungswasserwirtschaft und Landwirtschaft, Schutzstreifen aus neu angepflanzten Bäumen entlang von Gewässern bis hin zu Maßnahmen, die Gewässer für Fische durchgängiger machen sollen. An 55 von 113 Wasserkörpern seien hydromorphologische Umbauten vorgesehen, um unter anderem die Flüsse und Bäche in einen naturnahen Zustand zurückzuversetzen.
Zum ökologischen Zustand der Gewässer an der Saar teilt die Fachbehörde mit: 13 Gewässern attestiert sie einen guten ökologischen Wert bezüglich der vorkommenden Fische, 26 schneiden in diesem Punkt schlechter ab. An Imsbach und Bos, die größtenteils durch Wald fließen, wird die Qualitätskomponente Makrozoobenthos – also die am Gewässerboden lebenden wirbellosen Tiere – mit „sehr gut“ bewertet. Dort leben zudem etliche seltene Stein-, Köcher- und Eintagsfliegen.
Vom Südwesten Deutschlands zu dem ganz im Norden gelegenen Land Schleswig-Holstein: Die Ziele der WRRL werde man hier bis 2027 nicht flächendeckend für alle Gewässerkategorien erreichen können, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums. Vor allem verfehle man die Ziele, weil die schleswig-holsteinischen Gewässer durch deren massiven Ausbau im vergangenen Jahrhundert stark beeinträchtigt seien. In Zukunft hält das Land wegen Querbauwerken, die das Fischwandern einschränken, intensive Umbauten für notwendig. Anders sieht die Lage aus bei den Grundwasserkörpern, die sich alle in einem guten Zustand befinden. Zu den Küstengewässern zieht das Bundesland eine eher nüchterne Bilanz: Dort seien die Nährstoffeinträge „aktuell noch zu hoch“, hieß es. Zukünftig könnten jedoch verschiedene Maßnahmen dafür sorgen, dass an den Fließgewässern im Binnenland Nährstoffe zurückgehalten werden. Auch die Flüsse Eider, Trave und das Küstengewässer Schlei sind laut Ministerium mit „zu hohen Nährstoffgehalten“ belastet.
Trockenheit setzt Flüssen zu
Das Land Brandenburg musste im vorigen Jahr beim Gewässerschutz – zumindest in Teilen – einen herben Rückschlag hinnehmen. „In welchem Umfang das Fischesterben in der Oder sowie die Schädigungen der Bestände von Großmuscheln und Schnecken mittel- bis langfristig Auswirkungen auf den Gewässerzustand haben, ist derzeit noch unklar und wird davon abhängen, wie schnell sich die Bestände wieder erholen, und ob die auf polnischer Seite eingeleiteten Salzfrachten, die die Algenblüte mit ermöglicht haben, reduziert werden, um künftig das Ökosystem nicht weiter zu schädigen“, teilte ein Sprecher des Umweltministeriums auf Anfrage mit. Querbauwerke hinderten vor allem wandernde Fischarten daran, zu ihren Laichgebieten zu gelangen. In Elbe und Oder stellten die Querbauwerke hin zu den Nebengewässern und den Flussoberläufen das größte Hindernis dar. Fischwanderhilfen wie etwa Fischaufstiegsanlagen sollten hier Abhilfe schaffen.
In Nordrhein-Westfalen erreichen aktuell knapp neun Prozent der Fließgewässer den guten Zustand oder das gute ökologische Potenzial, heißt es im Bewirtschaftungsplan von NRW. Blickt man auf die reine Anzahl der Wasserkörper, erreichen 13 Prozent die geforderten Ziele. Etwa 20 Prozent der stehenden Gewässer kommen hier auf das ökologisch gute Potenzial, allerdings sind die beiden natürlichen Seen (Altrheine) weiterhin in einem schlechten Öko-Zustand. Den guten chemischen Zustand erreichen drei Viertel der Wasserkörper, die als Fließgewässer bewertet wurden, sowie alle bewerteten stehenden Gewässer, wenn die ubiquitär verbreiteten Stoffe wie Quecksilber und bromierte Diphenylether (die als Flammschutzmittel verwendet werden) außer Acht gelassen werden.
Circa 65 Prozent der Grundwasserkörper erreichen den chemisch guten Zustand. Zwar sei immer noch gut ein Viertel der Landesfläche durch Nitrat belastet, doch gegenüber den Befunden des vorherigen Bewirtschaftungsplans stelle man einen deutlichen Rückgang fest. Rund zehn Prozent der Grundwasserkörperflächen seien mit Ammonium belastet, ferner fänden sich in knapp drei Prozent der Grundwasserkörper Pestizide. Der mengenmäßige Zustand sei in 31 Grundwasserkörpern in NRW signifikant beeinträchtigt. Fast ausschließlich betreffe das die Wasserkörper in Gebieten des Braunkohleabbaus und im Wuppertaler Massenkalk.
Eine „doppelte Herausforderung“
Auch die im Zuge des Klimawandels länger anhaltende Trockenheit macht den Flüssen und Seen zu schaffen. Dadurch verringert sich der bisherige Wasserüberschuss im Wasserhaushalt, sodass aus der Fläche weniger Wasser in Flüsse und Seen abfließt. Selbst der Rhein, hierzulande der wasserreichste Fluss, ist seit 2018 von der Trockenheit betroffen. Infolge des niedrigen Pegelstands musste die Schifffahrt stark eingeschränkt werden. Zudem setzte er den Organismen des Stroms zu. „Trockenheit, Temperaturanstieg und schlechtere Wasserqualität sind Stressfaktoren für Fische und die wirbellosen Tiere“, berichtet Martin Pusch, Gewässerökologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Fische, wirbellose Tiere und Wasserpflanzen sind infolge der Trockenperiode stark geschädigt worden.
Schon vorher waren bereits nur neun Prozent der deutschen Gewässer in einem ökologisch guten Zustand, somit verfehlten 91 Prozent die gesetzlichen Ziele, gibt der Gewässerexperte an. „Schon vorher gab es ein Umsetzungsdefizit der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die seit 20 Jahren einen guten ökologischen Zustand sichern soll. Jetzt kommt die Herausforderung des Klimawandels hinzu“, sagt Martin Pusch: Eine „doppelte Herausforderung“.
Bleibt also abzuwarten, ob die Länder in den kommenden Jahren dranbleiben, wenn es darum geht, den Zustand ihrer Gewässer zu verbessern.