Verzicht muss nicht unbedingt schlecht sein, alte Verhaltensmuster können sich ändern. Anita Habel von Psychologists For Future (Psy4F) ist Kommunikationspsychologin und Sozialwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf gesellschaftlicher Transformation – sie weiß wie.
Frau Habel, versuchen Sie gerade mehr Sprit oder Energie zu sparen als vor Beginn des Krieges?
Ich versuche schon immer sehr sparsam mit Ressourcen umzugehen, weil mir das schon von meinen Eltern mitgegeben wurde. Ich führe eine Art Wettbewerb mit mir selbst, ob ich es schaffe bei der nächsten Nebenkostenabrechnung wieder Geld zurückzubekommen. Nichtsdestotrotz mache ich mir darüber noch mehr Gedanken als vorher aufgrund der Konsequenzen, die es jetzt gibt. Denn Nebenkosten werden teurer und da ich zur Miete lebe, hab ich keinen Einfluss darauf, woher die Energie bezogen wird. Da muss ich auch schauen, wie ich noch sparsamer leben kann.
Warum musste es erst einen Krieg geben, damit Deutschland die Energiewende politisch vorantreibt?
Genau genommen ist nicht der Krieg die Ursache dafür, sondern die Konsequenzen, die sich aus dem Krieg heraus ergeben. Zum einen findet eine Verteuerung insbesondere von Gas und auch anderen Energieressourcen statt. Und zum anderen gibt es eine Verknappung. Das sind direkte Konsequenzen, die nicht irgendwo in der Zukunft liegen, sondern die absehbar sind. Und die uns damit auch unmittelbar bevorstehen und nicht mehr weggeschoben werden können. Wir wissen aus der psychologischen Verhaltensforschung, dass unmittelbare Konsequenzen und Feedback entscheidend dafür sind, ob sich Verhalten ändert. Das heißt, ich sehe, welche Auswirkungen mein Verhalten hat und ob meine Verhaltensänderung einen Unterschied macht. Und das können wir auch auf die politische Ebene skalieren. Denn da macht es natürlich schon einen Unterschied, ob wir uns unabhängiger von anderen Ländern machen. Und das ist nochmals eine andere Motivation als die Klimakrise oder andere ökologische Krisen.
Also sind die Konsequenzen für uns greifbarer?
Ja, es ist im Alltag viel greifbarer. Wenn sich etwas an meinen Kosten verändert, dann sehe ich das sofort und dann können auch alle Menschen irgendwie einordnen, was das bedeutet und was es für einen Unterschied macht, wenn sie an ihrem Verhalten oder auf politischer Ebene etwas an ihrem Vorgehen verändern. In Bezug auf die ökologischen Krisen müsste ja nicht nur in einer Sache etwas getan werden. Denn es betrifft unsere gesamten Lebens- und Wirtschaftsweisen, in denen sich etwas verändern muss, damit wir unsere Lebensgrundlage erhalten. Und das ist natürlich eine viel größere Herausforderung.
Warum konnten Politikerinnen und Politiker es vorher nicht schaffen, Menschen zum Energiesparen zu bewegen?
Ich kann hier natürlich auch nur Hypothesen abgeben, denn ich weiß nicht, was in den Köpfen der Politikerinnen und Politiker vorgeht. Aber zwei Punkte sind hier ganz entscheidend. Zum einen besteht nach wie vor der Irrglaube, dass wir im Grunde einfach so weitermachen könnten wie bisher und es nur verhältnismäßig kleine Veränderung bräuchte. Das wird auf politischer Ebene häufig so dargestellt und entspricht sogenannten „Verzögerungsdiskursen". Das tatsächliche Ausmaß der ökologischen Krisen wird kleingeredet, und damit auch die Transformationsnotwendigkeit, die dahinter steht. Der Glaube an technische Lösungen und dass das schon alles irgendwie gehen wird, verzögert tatsächliches Handeln.
Und zum anderen müssten wir uns bei solchen Einsparempfehlungen zu knappen Ressourcen ja viel mehr damit auseinandersetzen, was wir eigentlich wirklich brauchen. Das Fachwort dafür lautet Suffizienz oder Genügsamkeit. Und das wird zurzeit im großen Stil nicht mitgedacht. Suffizienz würde einen Paradigmenwechsel bedeuten, der im vollkommenen Kontrast steht zur Wachstumsmentalität, wie sie insbesondere in Deutschland und auch in anderen wachstumsorientierten Ländern vorherrscht. Genügsamkeit wird deshalb in solchen Kulturen oft mit Verzicht gleichgesetzt, was die Vorteile und Gewinne von Genügsamkeit ausblendet. Beispielsweise beginnen Landkreise und Kommunen jetzt aufzulisten, an welchen Stellen sie eigentlich Energie sparen können. Und dabei fällt auf, wo derzeit überall Gelder und damit auch Steuergelder verschwendet werden. Und es stellt sich heraus, wo wir überall keinen Verlust machen würden, wenn wir etwas verändern, sondern im Gegenteil Gewinn, weil wir damit Energieressourcen und Geld sparen würden.
Warum wird Verzicht häufig negativ bewertet?
Auch das ist unserer Kultur geschuldet, weil es im krassen Kontrast zu dem steht, was uns eigentlich seit Jahrzehnten immer wieder nahegelegt wird. Nämlich, dass Verzicht das Falsche sei und Konsum das Richtige. Tatsächlich findet auch da immer mehr ein Umdenken statt. Denn Verzicht hängt ja auch vom Kontext ab. Am Ende ist es vielleicht gar kein Verzicht, sondern bedeutet einfach nur, dass wir uns vom Überfluss befreien und eine gesunde Balance finden. Denn immer mehr Menschen stellen fest, dass Überfluss Stress erzeugt und am Ende sogar krank machen kann.
Wie kann man Menschen vermitteln, dass Verzicht nicht immer mit Verbot zu tun haben muss?
Manchmal muss man den Verzicht natürlich auch als das benennen, was er ist. Aber auch da kann man in vielen Bereichen wesentlich mehr Akzeptanz dafür schaffen, wenn besser erklärt wird, wieso überhaupt die Notwendigkeit für diesen Verzicht besteht. Und das Ganze einordnet in den Kontext, um den es gerade geht. Bei Umfragen zum ersten Corona-Lockdown konnte man sehr schön sehen, was für eine breite Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung für die Maßnahmen da war, weil sie so umfangreich und verständlich erklärt wurden und für die Menschen nachvollziehbar waren. Weiterhin nützt es natürlich auch etwas, Vorteile aufzuzeigen. Das klappt natürlich nicht immer, weshalb man damit vorsichtig sein sollte. Vor allem wenn es um Menschen mit geringem Einkommen geht, für die die derzeitige Situation existenzbedrohend sein kann. Ein weiterer Punkt ist deshalb auch die Handhabbarkeit. Das bedeutet also, ob die Verhaltensänderung auch tatsächlich umzusetzen ist. Und das sollte man so einfach wie möglich machen durch Tipps, Hilfestellungen und Wahlmöglichkeiten. Das 9-Euro-Ticket ist ein schönes Beispiel, weil man mit einem Ticket überall hinfahren kann. Dadurch ist es einfacher geworden den ÖPNV zu nutzen, weil der Preis günstiger geworden ist und man sich nicht mehr so viele Gedanken machen muss um die verschiedenen Tarife.
Können sich durch diese Situation Lernprozesse ergeben, die dann in Zukunft weitergeführt werden können?
Ja, das ist sehr gut möglich. Insbesondere zum Energiesparen gab es dazu auch schon Experimente. Da wurden Wettbewerbe in bestimmten Stadtteilen ausgerufen, wer am meisten Energie sparen kann. Dann wurde geschaut, was passiert, wenn der Wettbewerb vorbei ist. Und da hat sich gezeigt, dass der Großteil der Menschen das Energiesparverhalten beibehalten hat. Weil sie zum einen gemerkt haben, dass es auch anders geht. Und zum anderen Alternativen und Vorteile für sich selbst entdeckt haben. Und weil ein Gewohnheitseffekt eingetreten ist, denn viele unserer Verhaltensweisen sind automatisierte Abläufe. Deswegen ist es auch so schwer, etwas zu verändern.
Das heißt nicht, dass sich Menschen in Verantwortungspositionen, gerade auch in der Politik, zurücklehnen sollten. Eine weitere Form der Verzögerungsdiskurse ist die Individualisierung, das heißt dass den Individuen zugeschoben wird, Verantwortung zu übernehmen für Veränderungsprozesse, die eigentlich auf gesellschaftspolitische Ebene gehören. Studien zeigen, dass das viele Menschen immer mehr frustriert. Das löst das Gefühl von Ungerechtigkeit aus, und die kann unter anderem die Folge haben, dass sich Menschen sagen: „Wenn die nichts machen, brauche ich auch nichts zu machen."
Woran liegt es, dass manche daran glauben, als Individuum etwas verändern zu können und andere denken, das geht nur als Gruppe?
Wir Menschen sind unterschiedlich geprägt, auch durch unsere Lebenserfahrungen. Deshalb kann es manchen leichter fallen, sich auf sich zu konzentrieren und sich nicht von anderen beeinflussen zu lassen. Aber grundsätzlich ist es so, dass wir Menschen soziale Wesen sind und uns sehr stark daran orientieren, was andere Menschen machen. Gruppen sind ein wichtiges Stichwort und die Frage, was Gruppen machen, denen ich mich zugehörig fühle. Das kann etwa die Familie sein, der Freundeskreis oder der Arbeitsplatz. Die Forschung belegt ziemlich gut, dass es ein großer Motivator sein kann, wenn wir wissen, dass wir nicht alleine sind, sondern dass auch andere sich engagieren. Das nennt sich dann kollektive Wirksamkeit. Also nicht nur das Wissen, dass ich selbst wirksam sein kann, sondern, dass wir in der Gruppe wirksam sein können und ich einen Teil dazu beitrage.
Neueste Studien haben auch gezeigt, dass viele Menschen unterschätzen, wie wichtig anderen Menschen die Themen ökologische Krisen und Umwelt- und Naturschutz sind. Und wie viele andere Menschen sich anstrengen und versuchen, etwas in ihrem Rahmen zu verändern. Viele denken, sie wären damit alleine und die meisten würde es nicht interessieren. Dabei ist der Großteil der Menschen interessiert daran und auch der Meinung, dass die Politik derzeit zu wenig dafür tut.
Wenn das so ist, wie kommt es dann, dass die Wahrnehmung trotzdem eine andere ist?
Das kommt davon, dass wir viel zu wenig über diese Themen reden. Das nennt sich Schweigespirale. Wenn wir das Thema vermeiden, vermeiden es andere auch, und dann schweigt man immer mehr darüber. Auch, weil an dem Thema der ökologischen Krisen so viel mehr dranhängt. Das tangiert unsere Wertevorstellungen, unsere Überzeugungen und unsere Lebensweisen. Wenn wir uns wirklich damit auseinandersetzen, kann das emotional ganz schön anstrengend sein. Weil es überfordert, Angst macht, viel Wut erzeugen und sehr traurig machen kann. Und es kann auch im Gespräch schnell zu Konflikten führen, weil es so emotional aufgeladen ist. Und um das zu vermeiden, vermeiden auch viele das Gespräch. Aber wie soll ich wissen, wie andere darüber denken, wenn man nicht darüber spricht?
Zurzeit laufen mehrere Krisen zusammen: Der Ukraine-Krieg, die Klimakrise und die Inflation. Stichwort: Zukunftsangst. Was kann man als Hilfe zur Selbsthilfe tun?
Es kann eine große Überforderung darstellen, je mehr man sich damit auseinandersetzt und je mehr man erkennt, was da eigentlich alles dranhängt. Da reicht eigentlich schon ein Thema, wie die Inflation. Das kann sehr viele kognitive Kapazitäten im Kopf einnehmen, was es schwer macht, sich noch auf andere Dinge zu konzentrieren. Ein ganz großes Stichwort ist daher Selbstfürsorge. Was kann ich tun, um mich gut um mich zu kümmern? Das heißt Pausen machen. Pausen machen von Nachrichten, sich nicht ständig mit den Themen befassen. Bewusste Auszeiten nehmen und sich etwas Gutes tun, zum Beispiel durch einen Netflix-Sonntag oder einen Ausflug in den Wald. Die Forschung zeigt, dass sich die Natur stressmildernd und positiv auf unseren Organismus ausübt. Denn es geht darum, handlungsfähig zu bleiben. Da kann es auch helfen, sich mit anderen Menschen auszutauschen. Damit nicht alleine zu bleiben und sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Ohnmachtsfördernd ist es vor allem, wenn man nicht weiß, was man tun kann, um mit der Situation klarzukommen. Und darauf aufbauend ist es wichtig, zu schauen, was man selbst in seinem Rahmen tun kann, um etwas zu verändern. Also ins Handeln zu kommen, je nachdem was einem wichtig ist und was man gut kann – am besten mit anderen gemeinsam.