Michael Fassbender, Filmstar mit deutsch-irischen Wurzeln, meldet sich zurück. In „The Killer“ gelingt ihm als eiskalter Hitman ein glanzvolles Comeback. Zu Recht gilt er längst als einer der besten Darsteller seiner Generation.
Kein Blick aus seinen laserblauen Augen. Kein strahlendes Lächeln, wenn er schlank und geschmeidig über den roten Teppich geht. Keine Autogramme für seine zahlreichen Fans. Auf den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig fehlte Michael Fassbender nämlich zur Weltpremiere von „The Killer“ (bei Netflix). Fassbender zeigte so seine Solidarität mit dem Schauspielerstreik in Hollywood. Regisseur David Fincher („Seven“, „Gone Girl“) musste also ohne seinen charismatischen Hauptdarsteller feiern. Und begann sofort von ihm zu schwärmen: „Ich erzählte Michael, dass ich vorhabe, einen Thriller in der Art von ‚Der eiskalte Engel‘ zu drehen. Mit ihm in einer ähnlichen Rolle, wie sie damals Alain Delon gespielt hat. Natürlich schickte ich ihm auch postwendend das Drehbuch zu. Er hat es in drei Stunden gelesen, mich angerufen und gesagt: ‚Ich bin dabei!‘ Das war eine große Erleichterung für mich, denn Michael ist ohne Frage die Idealbesetzung für diesen asketischen und absolut tödlichen Auftragskiller, der trotz allem einen stark ausgeprägten Moralkodex hat.“
Mit Bierwerbung über Wasser gehalten
Das Wort „Idealbesetzung“ dürfte der heute 46-jährige Ausnahmeschauspieler in den letzten Jahren öfter gehört haben. Seit er in Quentin Tarantinos fantastischer Kriegs-Farce „Inglourious Basterds“ (2009) im Kellergewölbe einer französischen Taverne als britischer Lieutenant und Nazi-Jäger am legendären Shoot-Out teilnahm, steht er ganz oben auf der Besetzungsliste namhafter Regisseure wie David Cronenberg, Steven Soderbergh, Terrence Malick und immer wieder Ridley Scott. Allerdings war Fassbender zum Zeitpunkt seines internationalen Durchbruchs schon zehn Jahre als Schauspieler unterwegs. Was hatte er denn plötzlich anders gemacht als zuvor?
„Das ist ja das Verrückte: nichts!“, lacht Fassbender. „Der einzige Unterschied war, dass auf einmal eine Handvoll Regisseure an mich glaubten. Plötzlich haben sie in mir etwas gesehen, das sie für ihre Filme gebrauchen konnten. Als Schauspieler bist du immer sehr davon abhängig, dass dir jemand die Chance gibt, zu zeigen, was du kannst. So einfach ist das. Durch Werbespots für Mastercard oder Guinness-Bier – die ich ja damals auch gemacht habe – hatte ich anscheinend wenig Eindruck hinterlassen.“
So schleppte sich Fassbender zu Beginn des neuen Millenniums von einem Vorsprechen zum nächsten. Manchmal kam er bei kleineren Produktionen unter. Oft ging er leer aus. Wenn gar nichts mehr ging, arbeitete er in Restaurantküchen oder als Barmann in Londoner Clubs. 2008 besetzte ihn der britische Regisseur Steve McQueen dann als Hauptdarsteller in dem Spielfilm-Drama „Hunger“. Für das Porträt des IRA-Häftlings und Freiheitskämpfers Bobby Sands, der sich in einem englischen Gefängnis zu Tode hungerte, nahm Fassbender ganze 16 Kilo ab, bis er – bei 1,83 Metern – nur noch 59 Kilo wog. Doch nicht durch seine Tour-de-Force-Hungerkur, sondern durch sein furchtloses, intensives Spiel beeindruckte er Zuschauer und Kritiker. Und einen gewissen Quentin Tarantino.
Richtig durchgestartet ist Fassbender dann in den 2010er-Jahren mit so unterschiedlichen Filmen wie dem Comic-Abenteuer „X-Men: First Class“, David Cronenbergs Psychodrama „A Dangerous Method“, der wunderbaren Neuverfilmung von Charlotte Brontës „Jane Eyre“ und vor allem mit „Shame“, in dem er als sexsüchtiger New Yorker Geschäftsmann die meiste Zeit nackt zu sehen war. „Nach diesem Lauf bekam ich endlich Drehbücher von einer Qualität zugeschickt, die ich früher nicht einmal von Weitem gesehen habe. Das war schon eine große Befriedigung“, meint er mit breiten Grinsen, wird aber gleich wieder ernst: „Gleichzeitig war das aber auch eine große Herausforderung. Denn natürlich wolle ich den neuen Rollen hundertprozentig gerecht werden.“
Enorme Wandlungsfähigkeit
Wie kaum ein anderer Schauspieler seiner Generation zeichnet sich Michael Fassbender durch eine chamäleonartige Wandlungsfähigkeit aus. Sein Credo: „Als Schauspieler muss ich bereit sein, mich mit Haut und Haar auf meine Rolle einzulassen. Denn nur so kommt dabei dann vielleicht etwas heraus, das sich anzuschauen lohnt. Alles andere ist pure Zeitverschwendung.“ Diese Intensität spürt man auch im Interview: Smalltalk ist überhaupt nicht sein Ding. Er redet gern Tacheles. Er fixiert sein Gegenüber mit seinen blaugrünen Augen. Sein Blick ist eine Mischung aus Strahlen, Starren und Lasern. Dabei wirkt er nie unfreundlich oder distanziert, sondern stets offen und neugierig.
Während des Gesprächs fährt sich Fassbender des Öfteren gedankenverloren mit dem rechten Daumen über die Narbe an seiner Oberlippe. Danach gefragt, woher er sie hat, erzählt er lachend die Geschichte einer Schlägerei mit einem schottischen Türsteher, der ihn vor Jahren mit Fäusten daran gehindert hat, Zutritt zu einen Nachtclub in Edinburgh zu bekommen. Großen Wert legt er aber auf die Feststellung, dass Prügeleien für ihn die absolute Ausnahme sind. Konflikte versucht er entweder mit Worten zu regeln – oder mit Wegrennen!
Michael Fassbender wurde 1977 in Heidelberg geboren und ist der Sohn eines deutschen Vaters und einer irischen Mutter. Als er zwei Jahre alt war, zog die Familie in das nordirische Dorf Killarney, wo sie ein Restaurant eröffnete. Auf seine Wurzeln angesprochen, ist er sich ziemlich sicher, dass „die deutsche Seite in mir immer alles unter Kontrolle halten will, und die irische gern alles über den Haufen wirft. Mein Vater sagte immer, wenn ich mal wieder nur 85 Prozent von meinen schulischen Leistungen abgerufen hatte: Junge, wo sind die anderen 15 Prozent?“ Von seiner Mutter hat er die ausgeprägte Lebensfreude mitbekommen und „die Fähigkeit, lange und intensiv zu feiern.“
Ursprünglich wollte Michael Fassbender übrigens Musiker werden. Er spielte Gitarre und sang sogar eine Zeit lang in einer Rockband. Er erinnert sich: „Leider war ich nicht besonders gut. Das war überhaupt die Crux meiner Jugend. Ich war nie bei irgendetwas so richtig gut. Weder in der Schule, noch beim Sport, noch als Musiker. Erst als ich in der Schule die Drama- und Comedy-Klassen besuchte, und es langsam mit der Schauspielerei versuchte, hatte ich das Gefühl, dass sich das richtig anfühlte. Langsam habe ich mir dann genügend Selbstvertrauen aufgebaut und schließlich versucht, daraus tatsächlich einen Beruf zu machen.“ Dieses Selbstvertrauen hat ihm in den letzten Jahren sicherlich dabei geholfen den künstlerischen Spagat zwischen Blockbuster-Movies und Arthouse-Filmen zu meistern. So überzeugte er im „X-Men“-Science-Fiction-Franchise als Mutant Magneto ebenso wie als brutaler Plantagenbesitzer in „12 Years a Slave“ – eine Rolle, für die er 2014 als Bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert wurde. Danach verkörperte er unter anderem Steve Jobs, Macbeth, gleich zweimal einen Androiden und dann einen Leuchtturmwärter in „The Light Between Oceans“. Dort lernte er 2014 die schwedische Schauspielerin Alicia Vikander kennen – und lieben. Seit 2017 sind die beiden verheiratet und wurden 2021 zum ersten Mal Eltern eines Sohns. Fassbenders „glückliches Familienleben“, wie er betont, war wohl auch der Grund dafür, seine bisherige Lebensweise „auf der Überholspur“ zu überdenken.
Kindheitstraum: Autorennen fahren
Seit einiger Zeit lebt er mit Frau und Kind abseits vom Hollywood-Trubel überwiegend in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon. Rückblickend meint er: „Zu Beginn der Karriere versucht man doch, bei jeder Performance mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Es ist aber eine verdammt harte Wand, gegen die man da prallt. Und es ist eine ziemlich einsame Angelegenheit. Das wurde mir vor allem in den letzten Jahren bewusst, als ich nicht mehr pausenlos gearbeitet habe. Früher war mein Leben sehr eingeengt. Ich lief wie mit Scheuklappen herum. Ich habe mich fast nur auf mich selbst konzentriert und auf die Rollen vorbereitet, die ich zu spielen hatte. Mit der Zeit und natürlich auch durch den Erfolg wurde ich weniger engstirnig, sondern viel offener und freier. Seitdem kann ich mein Leben viel mehr genießen.“
Die Auszeit von Hollywood nützte Fassbender auch dafür, einen Kindheitstraum zu erfüllen: die Teilnahme am 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Letztes Jahr schaffte er in einem Porsche 911 tatsächlich die volle Distanz und belegte den 51. Platz in der Gesamtwertung. Dieses Jahr lief es nicht so glatt: Nach sechs Stunden Le Mans krachte er gegen die Streckenbegrenzung. Fassbender blieb unverletzt. Der Wagen hatte Totalschaden. Was Alicia Vikander zu diesen lebensgefährlichen Eskapaden sagt, ist leider nicht bekannt. Die Rennleidenschaft ist keine Überraschung: Fassbender ist passionierter Motorradfahrer, der sich zwischen Dreharbeiten immer Zeit für lange Touren nahm. So fuhr er zusammen mit seinem Vater schon quer durch Europa. „Wir waren in Holland, Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien, Bosnien, Montenegro und Italien. Wir haben es auf gut 7.000 Kilometer gebracht. Dann bin ich noch allein durch Spanien und Frankreich getourt. Außerdem habe ich auch schon eine Motorrad-Tour durch Marokko gemacht. So ein Trip hat jedes Mal eine sehr kathartische Wirkung auf mich. Da kriege ich den Kopf frei.“
Zu der Lust, intensiv zu leben, bekennt sich Michael Fassbender nach wie vor: „Ich will gute Filme machen, guten Sex haben und tiefe, innige Freundschaften. Ich will neue Länder und interessante Menschen kennenlernen. Und natürlich will ich vor allem ein guter Ehemann und Vater sein!“ Nach einer kurzen Pause meint er noch: „Und ich will natürlich Bestätigung und Anerkennung für meine Arbeit. Und zwar von den richtigen Leuten. Also von Kollegen, die ich selbst sehr schätze. Das gibt mir Selbstvertrauen und Kraft.“ Für die Rolle in seinem neuen Film „The Killer“ dürfte ihm diese Anerkennung wieder sicher sein.