Seit den 1920er-Jahren unterlag nicht nur die Werbung einem ständigen Wandel, sondern mit ihr auch die Darstellung von Geschlechterrollen: Von der verführerischen Unabhängigen über die fürsorgliche Mutter bis hin zur starken Hausfrau – alles war vertreten.
Die Scheinwerfer schneiden durch den dichten Nebel der Nacht, während der Porsche Macan mit geschmeidiger Präzision eine enge Kurve nimmt. Im Cockpit sitzt Dua Lipa – schwarze Lederjacke, fokussierter Blick, die Hände fest am Steuer. Der Beat einer treibenden Melodie pulsiert im Hintergrund. Plötzlich öffnet sich vor ihr eine surreal anmutende Rennstrecke, von Neonlichtern gesäumt. Sie wechselt mit einer fließenden Bewegung in den Sportmodus, beschleunigt und lässt den Asphalt unter den Reifen glühen. Jeder Schnitt verstärkt das Tempo, jeder Perspektivwechsel zeigt sie als unbestrittene Hauptfigur dieser Reise zwischen Traum und Realität.

Dua Lipa übernimmt die Kontrolle. Diese Szene ist kein Zufall, sondern das Herzstück eines Werbespots, der mehr als ein Auto verkauft. Die britische Sängerin ist hier nicht bloß ein prominentes Gesicht, das neben dem Fahrzeug posiert, sondern aktiv in die Erzählung und deren kreative Gestaltung eingebunden. Als Co-Autorin und Co-Regisseurin hat sie mit ihrer Vision die Grenzen der klassischen Autowerbung verschoben – hin zu einem künstlerischen Statement. Statt als Beifahrerin oder passive Begleiterin einer Geschichte ist sie die Heldin: eine Frau, die das Tempo vorgibt, Entscheidungen trifft und jede Szene mit Präsenz füllt.
Diese Darstellung symbolisiert einen epochalen Wandel in der Werbung und Gesellschaft. Sie zeigt, wie moderne Kampagnen mit der Tradition brechen, um neue Normen zu etablieren. Dabei ist der Weg, der zu diesem Moment führte, geprägt von gesellschaftlichen Umbrüchen, wirtschaftlichen Einflüssen und den wiederkehrenden Wechselwirkungen zwischen Konsum und Ideologie.
Die 1920er: Die „moderne Frau“ als Illusion

In den 1920er-Jahren, oft als „Goldene Zwanziger“ bezeichnet, prägten gesellschaftliche Umbrüche das Bild der Frau. Der Erste Weltkrieg hatte viele Frauen in Arbeitsbereiche gebracht, die zuvor Männern vorbehalten waren, und die Mode mit kurzen Röcken und Bubikopf spiegelte das Streben nach mehr Freiheit wider. Doch in der Werbung blieb das Bild der Frau oft klischeebehaftet. Berühmte Anzeigen wie die für „Lucky Strike“-Zigaretten propagierten die „moderne Frau“, die rauchend ihre Unabhängigkeit feierte – mit dem berühmten Slogan „Reach for a Lucky instead of a sweet“. Diese Anzeigen wurden von Stars wie Clara Bow, dem „It-Girl“ der Zeit, unterstützt, die für eine neue Weiblichkeit stand: sexy, lebendig, aber nie bedrohlich.
Männer hingegen wurde die Rolle der Abenteurer und technikaffinen Macher zuteil. Die Automobilwerbung präsentierten sie als entschlossene Lenker der neuen technischen Welt. Ein Paradebeispiel ist die Werbung für den Ford Model T, die den Mann als Herrn der Straße inszenierte. Frauen tauchten zwar auf, aber nur als bewundernde Beifahrerinnen.

Die 1930er: Rückkehr zu konservativen Rollenbildern
Die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre führte zu einer konservativen Wende. Werbung spiegelte die gesellschaftliche Unsicherheit wider, indem sie die Frau wieder stärker in die Rolle der Hausfrau drängte. Anzeigen für Haushaltsprodukte wie Seife, Waschmittel oder Küchenmaschinen dominierten das Bild. Berühmt sind Werbeanzeigen wie die für Lifebuoy Soap, die Frauen als perfekte Hausfrauen zeigten, deren Ziel es war, ihre Familien zu schützen und zu versorgen.
Ein berühmtes Gesicht dieser Zeit war Joan Crawford, die in mehreren Kampagnen für Mode und Kosmetik auftrat. Sie verkörperte die glamouröse Frau, die ihre Attraktivität für den häuslichen Erfolg nutzte. Männer wurden hingegen als Retter und Beschützer inszeniert. Werbung für Versicherungen oder Banken zeigte den Mann, der durch kluge Entscheidungen die Familie durch die Krise führte.
Die 1940er: „Rosie the Riveter“ und der Kriegseffekt
Der Zweite Weltkrieg veränderte die Werbewelt radikal. Während Männer an der Front kämpften, fungierten Frauen in der Heimat als unverzichtbare Arbeitskräfte. Die berühmte Figur der „Rosie the Riveter“, die mit hochgekrempelten Ärmeln für industrielle Stärke stand, wurde zur Ikone. Mit dem Slogan „We Can Do It!“ symbolisierte sie die neue Rolle der Frau als aktive Gestalterin der Gesellschaft.
In der Werbung für Konsumgüter wie Lebensmittel oder Kleidung wurden Frauen jedoch oft mit patriotischen Botschaften angesprochen: Sie sollten sparen, für die Soldaten sorgen und die Moral hochhalten. Männer wurden weiterhin als Helden der Nation dargestellt, etwa in der Werbung für Kriegsanleihen, die Bilder von tapferen Soldaten zeigten.
Die 1950er: Die Ära der Hausfrauenidylle

Nach dem Krieg kehrte die Werbung zu traditionellen Geschlechterrollen zurück. Das Bild der perfekten Hausfrau dominierte die Anzeigenlandschaft. Berühmt wurde die Kampagne für Kellogg’s Corn Flakes, die eine strahlende Mutter zeigte, die mit einem Schälchen Cornflakes für das Wohl ihrer Familie sorgte. „The Breakfast of Champions“ war ein Slogan, der deutlich machte, dass Mütter die moralische Verantwortung für die Gesundheit ihrer Familien trugen. Ein Star dieser Zeit war Doris Day, die in Werbespots und Filmen als Inbegriff der amerikanischen Hausfrau inszeniert wurde.
Für Männer lag der Fokus auf beruflichem Erfolg und materiellen Statussymbolen. Anzeigen für Autos, hochwertige Uhren oder Möbel betonten die Rolle des Mannes als erfolgreicher Ernährer und gesellschaftlich angesehene Persönlichkeit. Diese Konsumprodukte symbolisierten nicht nur Wohlstand, sondern auch gesellschaftliches Prestige und die Erfüllung männlicher Ziele.

Die 1960er: Revolution und neue Frauenbilder
Mit der Frauenbewegung und der kulturellen Revolution der 1960er-Jahre veränderten sich die Werbebilder. Frauen in der Werbung wurden zunehmend selbstständiger, etwa in der legendären Kampagne von Virginia Slims mit dem Slogan „You’ve come a long way, baby“. Diese Anzeigen feierten die Emanzipation der Frau – wenn auch durch das Rauchen, was ironischerweise erneut eine Kontrolle durch Konsum implizierte.
Männer wurden in der Werbung ebenfalls neu inszeniert. Die aufkommende Hippiebewegung und der Wunsch nach Individualität brachten eine neue Lässigkeit in ihre Darstellung. Stars wie Steve McQueen verkörperten diesen rebellischen Geist in Kampagnen für Marken wie Tag Heuer und Ford.
Die 1970er: Kampf um Gleichberechtigung

In den 70er-Jahren gewann die Frauenbewegung zunehmend an Einfluss, was sich auch in der Werbung widerspiegelte. Frauen wurden verstärkt als berufstätige und selbstbewusste Persönlichkeiten gezeigt. Der berühmte L’Oréal-Slogan „Because I’m worth it“ unterstrich die Bedeutung von Selbstbestimmung und individueller Schönheit. Gleichzeitig entstand jedoch ein neues Ideal: die „Superfrau“, die Karriere, Familie und Attraktivität mühelos miteinander vereinte – ein Bild, das ebenfalls Druck auf Frauen ausübte.
Auch für Männer bot die Werbung vielfältigere Darstellungen. Neben dem klassischen Versorger wurden Männer als liebevolle Väter oder sportliche Abenteurer gezeigt. Kampagnen für Outdoor-Marken oder Pflegeprodukte brachten neue Facetten männlicher Identität in den Vordergrund, während traditionelle Rollen in der Autowerbung weiterhin präsent blieben.
Die 1980er: Yuppies und Superfrauen
Die 1980er-Jahre waren die Zeit der Extreme. „Powerfrauen“ war das neue Schlagwort. Dabei ging es um einen bestimmen Typ Frau: solche, die sowohl beruflich als auch privat erfolgreich waren. Kampagnen wie die für Chanel No. 5 mit Catherine Deneuve zeigten Frauen, die Schönheit und Erfolg gleichermaßen verkörperten. Männer wurden als Yuppies dargestellt, etwa in Kampagnen für Rolex oder BMW, die den Fokus auf Status und Karriere legten.
Für Männer war Erfolg ebenfalls das dominierende Thema. Werbung für Luxusautos, Markenuhren oder hochwertige Anzüge stilisierte den urbanen Geschäftsmann als Sinnbild für Macht und Wohlstand. Gleichzeitig zeigten Familienkampagnen Männer als fürsorgliche Väter, oft humorvoll und in Abgrenzung zu den klassischen Männlichkeitsidealen dargestellt.

Die 1990er bis heute: Vielfalt und Individualität
In den 90er-Jahren begann Werbung, Geschlechterrollen diverser zu zeigen. Marken wie Nike rückten sportliche, starke Frauen ins Zentrum, während Dove und ähnliche Unternehmen begannen, mit Kampagnen gegen Schönheitsklischees aufzutreten.
Auch die Darstellung von Männern wurde facettenreicher. Neben den traditionellen Symbolen von Status und Stärke wurden Männer zunehmend als aktive Väter oder sensible Partner gezeigt. Dennoch blieben in vielen Bereichen wie der Autowerbung klassische Bilder dominant, was die Widersprüchlichkeit dieser Dekade verdeutlichte.
Heute: Fortschritt, Vielfalt und die Rückkehr zu Authentizität

Die Werbewelt der Gegenwart spiegelt eine zunehmend diversifizierte und globale Gesellschaft wider. Frauen werden nicht mehr in einheitlichen Stereotypen dargestellt, sondern in all ihrer Komplexität gezeigt. Kampagnen wie jene von Nike oder Adidas inszenieren Frauen als Athletinnen, die ihre eigenen Grenzen überwinden, während Marken wie Dove oder Billie Körperpositivität und Akzeptanz zelebrieren. Themen wie Inklusivität, Diversität und Empowerment stehen im Zentrum moderner Werbestrategien.
Die Darstellung von Männern hat sich ebenfalls stark verändert. Das Bild des unerschütterlichen Versorgers wurde durch facettenreichere Rollen ergänzt. Männer erscheinen in der Werbung zunehmend als Väter, die Windeln wechseln, als Partner, die emotionale Unterstützung bieten, oder als Menschen, die ihre Verletzlichkeit zeigen dürfen. Kampagnen wie jene von Dove Men+Care oder Pampers haben diese neue Sensibilität aufgegriffen und weiterentwickelt.
Ein bemerkenswerter Fortschritt ist die wachsende Einbeziehung von LGBTQIA+-Themen sowie die bewusste Repräsentation marginalisierter Gruppen. Moderne Kampagnen wie die von Calvin Klein oder Absolut Vodka zielen darauf ab, eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz zu fördern und Diversität als neue Norm zu etablieren.
Dennoch bleibt die Werbung oft ein Spiegel gesellschaftlicher Spannungen. Während Fortschritte in der Darstellung von Geschlechterrollen unübersehbar sind, werden auch weiterhin Idealbilder und Konsumbotschaften transportiert. Besonders in den sozialen Medien verstärken Marken oft die Diskrepanz zwischen Realität und Perfektion. Trotz der Betonung von Authentizität bleibt der kommerzielle Charakter der Werbung ein zentrales Element.