Seit nunmehr 25 Jahren steht die charismatische Designerin Lola Paltinger für aufwendig verarbeitete Couture-Dirndl aus edlen Materialien, die ihre ganz eigene Handschrift tragen. Ein Interview über ihre Interpretation von Tracht, persönliche Vorlieben bei Dirndln, No-Gos und ihr neues Leben am Tegernsee.
Frau Paltinger, Sie wurden in Mannheim geboren und sind Wahl-Münchenerin. Wann und wie genau entstand Ihre Leidenschaft für Tracht und Dirndl?
Nach meinem Abitur in Mannheim besuchte ich die Internationale Modeschule ESMOD in München. Ich erinnere mich noch, als ich – ganz neu in München – den Trachtenumzug live angesehen habe und die Trachten, deren Details und Stickereien so besonders fand und immer gerne sehr abgewandelt in meine schulischen Entwürfe einfließen ließ. Im Abschlussschuljahr entschied ich mich dann, meine Kollektion von der Tracht inspiriert auf meine eigene Weise umzusetzen, nannte diese Lollipop & Alpenrock, wurde dafür sogar von einer hochkarätigen, internationalen Jury ausgezeichnet und machte Praktika im Ausland bei Vivienne Westwood und H&M unter der damaligen Chefdesignerin Margareta van den Bosch. Direkt danach machte ich mich im Januar 1999 selbstständig mit meiner Mutter, Brigitte Paltinger, die als gelernte Couture-Schneiderin und Designerin alles von der Pike an mit mir aufbauen konnte. Dies wäre mir alleine, direkt nach der Modeschule, in dieser Hochwertigkeit nie gelungen. Wir begannen wirklich aus unserem Wohnzimmer heraus, Kunden zu bedienen.
Nach 26 Jahren in München leben wir seit drei Jahren am Tegernsee, wo auch ich noch sehr viel über wahre Tradition und deren Erhalt lerne.
Seit vielen Jahren begeistern sich auch immer mehr junge Leute außerhalb von Bayern für Dirndl, Trachtenmode und Oktoberfeste. Was macht für Sie die Faszination dafür aus?
Das Oktoberfest ist ja seit vielen Jahren ein Magnet für Gäste aus aller Welt und wird nicht nur gerne international in größerem Stil nachgeahmt. Auch privat feiern viele inzwischen gerne ein Oktoberfest zu Geburtstagen, als Sommerfest – auch Hochzeiten in Tracht beschränken sich nicht nur auf Einheimische. Die Tracht – sei es auch teils eine „schwierige Interpretation“ dieser – hat ein bisschen die Welt erobert zusammen mit der bayerischen Gemütlichkeit und natürlich mit dem bayerischen Bier. In meinen Augen eine schöne Hommage an Bayern.
Ihre Dirndl grenzen sich etwas von klassischer Tracht ab. Inwiefern?
Ich muss schon gestehen, dass ich ja, als ich anfing, wenig Ahnung von Tracht hatte, mich deren Schönheit aber beeindruckt hat und ich sie zwar auf meine Weise interpretiert habe, aber immer mit großem Respekt vor der Tradition. Unsere Trachten waren, dank meiner Mutter, von Anfang an sehr couturig und aufwendig verarbeitet, aus edlen Materialien und einzeln angefertigt auf Maß. Es entstand dadurch ein eigener, individueller Stil – sehr von der internationalen Mode inspiriert.
Auch die perfekten Passformen glichen zwar in ihrer äußeren Form ganz und gar der wirklichen Tracht, hatten aber von vornherein ihre modischen Kniffe, die es den Damen ein wenig bequemer machten.
Immer wieder hat sich herausgestellt, dass viele Damen wahrlich vor der ganz traditionellen Tracht solchen Respekt haben, dass sie sich eher an unsere etwas modischere Variante herantrauen und sich leichter damit identifizieren können.
Welche Farben, Muster, Motive und Stoffe erwarten uns diesen Herbst bei Dirndln?
Ich muss gestehen, dass ich doch immer meinen sehr eigenen Stil inklusive Farben, Stoffe sowie Details vertrete. Jeder Stoff, jeder Miederhaken, jede Stickerei wird von mir entworfen und in kleinen Manufakturen in sehr kleinen Metragen (Stoffmengen, Anm. d. Red.) hergestellt.
Natürlich wird man von den allgemeinen Modefarben inspiriert, aber Tracht steht doch auch sehr für sich.
So ein richtiger Trend setzt sich eigentlich durch die Kunden durch – das Ergebnis zeigt sich auf der Wiesn. Genauso was Materialien angeht.
Für welche prominenten Frauen haben Sie dieses Jahr Couture-Dirndl designt?
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich dieses Jahr extrem selektiv Aufträge angenommen habe, was an logistischen Umstellungen und an der Verlagerung des Ateliers hier an den Tegernsee liegt. Die etwas alltäglicher tragbare Tracht, die man auch wunderbar außerhalb Bayerns tragen kann, ist ein wichtiger Bestandteil meiner Kollektion geworden, seitdem ich mit meinem Mann ein eigenes Geschäft am Tegernsee habe.
Dieses Jahr habe ich deshalb wirklich nur Trachten für meine langjährigen Stammkundinnen gefertigt, die als Geschäftsfrauen immer einige Kleider für ihre repräsentativen Events benötigen.
Was erwartet uns bei Ihren aktuellen Dirndlkollektionen?
Wie meine Kundinnen es gerne mit einem Augenzwinkern bezeichnen: „der Schuss Lola“, den die eine üppiger, die andere etwas zurückhaltender zelebrieren möchte.
Welche Elemente muss ein Dirndl für Sie unbedingt haben?
Es muss immer perfekt sitzen, für mich zugleich Eleganz und Leichtigkeit ausstrahlen, was bei gekonnter Umsetzung sowohl das einfachste als auch ein sehr glamouröses Dirndl kann. Vor allem aber muss es eine perfekte Harmonie mit der Dame, die es trägt, ergeben.
Welche Dirndltrends gefallen Ihnen nicht und warum?
Eigentlich habe ich Verständnis für alle Trends, sogar für die Gäste aus aller Welt, für die alle Dirndl irgendwie erst mal gleich aussehen, die aber auch eines tragen möchten, natürlich auch die Männer in Lederhosen etc. Diese Gäste geben viel Geld für ihren Besuch hier aus, und man sollte Verständnis zeigen, da sie ja – auch in einem „Billigdirndl“ – eigentlich nur so feiern möchten wie wir. Nur die wahren Faschingskostümdirndl mit Zopfperücken sind eine Unverschämtheit.
Ich habe mich ganz ehrlich selten mit Trends identifiziert, diese wenn auf meine Weise umgesetzt. Diese Schwemme an vergleichbaren Stilen, egal ob in Tracht oder Mode, ist mir nicht ganz verständlich und naheliegend.
Was sind No-Gos, wenn man Dirndl trägt – was sollte man beachten?
Passform, Passform, Passform. Nicht zu kurz, nicht zu üppig ausgeschnitten, Schürze weder zu kurz noch zu lang.
Welche Accessoires ergänzen ein Dirndl perfekt?
Das ist sehr individuell und kommt auf die Trägerin an. Bei einem schlichteren Dirndl passt sicher etwas mehr Styling. Allgemein mag ich keine dahingeschneckelten Trachtenfrisuren, die an manchen Frauen so fremd aussehen. Sich besonders schön machen für die Wiesn gerne, aber es sollte nicht aufgesetzt anders wirken. Auch an Accessoires passt auf der Wiesn oft moderner Schmuck, genauso aktuell angesagte Taschen und Schuhe. Bestickte Strümpfe – weder zu grob, noch zu fein – mag ich persönlich zur Tracht sehr gerne.
Farbakzente durch Accessoires können besonders wirken, zu sehr farblich abgestimmt finde ich nicht so wichtig.
Welche Schuharten passen gut zum Dirndl?
Ich mag in jedem Fall immer aktuell moderne Schuhe zu den Kleidern. Lieber nicht zu hoch. Stiefelchen können super zum Dirndl aussehen. Auch Pumps natürlich, aber da sollte man schon wissen, wohin es geht und ob man nicht besser ein bissl trittsicherer unterwegs ist.
Wie müssen die Dirndl sein, die Sie selbst tragen – bevorzugen Sie eine bestimmte Länge, Farben et cetera?
Am liebsten möchte ich natürlich immer meine neuesten Entwürfe tragen. Auch neue Schnittformen und Materialien trage ich immer erst selbst Probe. Momentan tendiere ich zur Länge kniebedeckt oder auch bis Mitte Wade.
In den letzten Jahren mag ich eigentlich sehr gerne Dirndlkleider, also mit Ärmelchen. Je nachdem wie sie gearbeitet sind, kann man diese auch mal als trachtiges Kleid – ohne Schürze –, mit Gürtelchen tragen.
Tragen Sie auf der Wiesn unterschiedliche Dirndl und Accessoires?
Ja, das liegt natürlich ein bisschen in der Natur der Sache bei einer Herstellerin. Es macht mir natürlich auch Freude, unterschiedliche Styles auszuführen.
Aber – auch wenn viele lachen – bin ich immer die Letzte, die neue Dirndl bekommt, teils klappt dies auch nicht zum Anstich. Kunden gehen vor und die Schneiderei ist eben sehr ausgelastet. Gerade in dieser Hochphase, die im April/Mai beginnt und tatsächlich bis nach der Wiesn andauert, habe ich selbst das Gefühl, zur Hochform in meinen Entwürfen aufzulaufen und viel Freude an dem, was so Individuelles entsteht.
Warum haben Sie die Münchner Innenstadt eigentlich verlassen?
Wir hatten schon des Öfteren daran gedacht, ein bissl raus aus der Stadt zu ziehen. Während der Pandemie konkretisierten sich diese Gedanken, vielleicht weil gezwungenermaßen etwas innegehalten hat, sich dadurch auch teils Neues entwickeln konnte. Natürlich fiel auch vorerst ein großer Teil der Arbeit weg, Trachtenhersteller ohne Wiesn – das macht es einem nicht einfach. Wobei ich ja das Glück habe, auch meine Casualkollektion seit über 16 Jahren bei HSE zu verkaufen und Teleshopping konnte auch in der Pandemie weiterlaufen. Dass wir dann den Tegernsee als neue Heimat ausgesucht haben, überrascht mich eigentlich immer noch, denn nie hätte ich geahnt, dass ich ein ganzes Stück aus der Stadt heraus so happy sein könnte. Tägliches Pendeln in die Stadt fällt durch die Verlagerung des Geschäfts nach Rottach-Egern natürlich aus.
Was erwartet die Besucher in Ihrem Geschäft am Tegernsee?
Natürlich entstehen auch hier die Herzstücke meiner Kollektionen – unsere maßgefertigten Couture-Dirndl. Doch letztendlich macht es mir auch viel Freude, leicht trachtige Prêt-à-porter-Kollektionen anzubieten – Styles, die nicht nur in den hiesigen Regionen getragen werden können. Somit also auch mein Anliegen zu intensivieren, die Tracht vielseitiger, modischer, lebendiger in die Welt hinauszutragen. Ich biete hier Jacken, Röcke, Blusen, Tücher, bestickte Shirts und Sweats an, sogar ein paar Homeaccessoires. Eine kleine, trachtig angehauchte Lola Paltinger-Welt sozusagen.
Ist in Ihrem Geschäft etwas anders als in Ihrem früheren Atelier in München?
Ja, denn das Sortiment ist um einiges ergänzt, was auch preislich etwas kommoder ist als die Dirndl, wohlbemerkt aber dennoch in sehr kleinen Stückzahlen und nur hier erhältlich. Mein Atelier in München war ja doch sehr auf die Dirndlanfertigungen spezialisiert, wobei Stammkundinnen sich durchaus auch Trachtenensembles und Abendkleider anfertigen ließen.
Wofür ist Ihr Mann zuständig, wie sieht die Aufgabenverteilung aus?
Mein Mann macht die Herrenlinie, wobei wir zwei ganz unterschiedliche Firmen sind. Seit zehn Jahren sind Frederic Meisner und mein Mann, Andreas Meister, Kompagnons für das Herrenlabel Frederic Meisner, München. Das gleichnamige Geschäft in der Rumfordstraße in München führt Frederic Meisner selbst, sodass wir hier in Rottach gemeinsam unser Geschäft führen können. Inzwischen hilft auch mein 17-jähriger Sohn ab und an mit.
Welche Dirndl aus Ihren Kollektionen und welche Unikate sind bis heute Ihre Favoriten?
Das einzige Dirndl, welches ich immer aufgehoben habe, ist mein allererstes, das ich mit meiner Mama entworfen und umgesetzt habe – mein Glücksdirndl.
Aber oft geht es mir tatsächlich so, dass mich frühere Fotos meiner Trachten wieder neu inspirieren. Genauso wenn ich meine Stoffe und Stickereien in den Händen halte. Natürlich liebe ich das Aktuelle, aber manches, was man im Laufe der inzwischen 25 Jahre entworfen hat, sollte irgendwie wieder neu interpretiert werden. Manches aber auch besser nicht.
Wie sieht Ihr „Glücksdirndl“ aus?
Damals haben meine Mutter und ich Dirndl aus Kimonoseiden gemacht. Ein goldenes Mieder mit eingewebten japanischen Elementen. Dazu passend der Rock in Rot mit Goldelementen, Akzente in einem Smaragdgrün und eine zartgrüne Organzabluse und -schürze dazu. Nina Ruge trug es damals für ein Shooting in der Bunten.
Was waren für Sie die absoluten Highlights in Ihrer Karriere?
Puh – also das erste war schonmal, dass ich immer dachte, ich falle eher durch mit meiner Abschlusskollektion auf der ESMOD, und stattdessen wurde diese ausgezeichnet. Das hat mir sehr viel Mut gemacht. Auch die Selbstständigkeit wäre ich wohl sonst nicht angegangen.
Es ist mir eine Ehre, schon für so viele spezielle, prominente Damen gearbeitet zu haben, genauso wie viele besondere Projekte und Kooperationen in all den Jahren.
Vieles entwickelte sich zufällig, oft anders, als man es sich vorstellte. Natürlich hat auch einfach München einen großen Teil dazu beigetragen.
Wenn Sie einer neuen Bekanntschaft von Ihrem Beruf erzählen: Welche Storys sind dann stets dabei?
Oh je, wissen Sie – genau wenn ich so etwas gefragt werde, fällt mir spontan gar nichts ein und ein paar Tage oder Wochen später, in irgendeiner Situation, denke ich – Mensch, das müsste man eigentlich aufschreiben …