Die FDP hat die Ampel verlassen. Geschlossen, so war es jedenfalls der Plan. Verkehrsminister Volker Wissing entschied sich aber dagegen und gab nur einen Tag nach dem angekündigten kollektiven Rückzug seinen Parteiaustritt bekannt.
Er wirkt blass, als Christian Lindner kurz nach dem Statement des Bundeskanzlers vor die Presse tritt. Nur wenig Stunden, nachdem ein Regierungssprecher bestätigt hatte, dass Olaf Scholz (SPD) ihn als Bundesfinanzminister entlassen habe. „Ich hatte dem Kanzler zuvor einen gemeinsamen Weg zu Neuwahlen vorgeschlagen“, sagt Lindner. „Dieses Angebot hat der Bundeskanzler bewusst zurückgewiesen.“ Vorangegangen sei ein Streit, in dem Scholz „ultimativ“ von ihm verlangt habe, „die Schuldenbremse auszusetzen“. „Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte“, sagte Lindner zu seiner letzten Entscheidung als Bundesminister im Kabinett Scholz. Dessen „genau vorbereitetes Statement“ habe zudem gezeigt, dass es Scholz „längst nicht mehr um eine von allen tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition“, sagte Lindner, der von einer „Entlassungsinszenierung“ sprach.
Den hat er nun auch. Denn mit Lindner packten auch die anderen FDP-Minister ihre Köfferchen, wie FDP-Fraktionschef Christian Dürr ankündigte. Dies sei im Koalitionsausschuss angekündigt worden. Doch schon bei dieser Ankündigung soll in den anderen Ampel-Fraktionen klar gewesen sein, dass nicht alle FDP-Minister ihren Platz räumen würden. Dürr jedenfalls gibt an, zu diesem Zeitpunkt nichts vom Alleingang des Verkehrsministers gewusst zu haben, der bereits am Morgen nach dem Ampel-Crash verkündete, im Amt zu bleiben. Der Kanzler habe ihn gefragt, so Volker Wissing, ob er bereit sei, das Amt unter den neuen Bedingungen bis zur geplanten Neuwahl fortzuführen. Er habe darüber nachgedacht und schließlich zugestimmt. Und das nicht ohne Konsequenzen: Statt von den Koalitionspartnern trennte der FDP-Rheinland-Pfalz-Boss sich kurzerhand von seiner eigenen Partei, der er 26 Jahre angehörte. „Ich distanziere mich damit nicht von den Grundwerten meiner Partei und möchte nicht in eine andere Partei eintreten“, begründet der nun parteilose Minister seine Entscheidung, die nach eigener Aussage „seiner Vorstellung von Verantwortung“ gerecht werde. „Ich möchte mir selbst treu bleiben.“ Ein Tiefschlag für Christian Lindner, dessen Verhältnis zum eigenbrötlerischen Wissing ohnehin als angespannt galt.
„Klare Prinzipien und Überzeugungen“
Wissing galt schon zuvor als Freund der Ampel, war in seinem Heimatbundesland ebenfalls Teil einer solchen Konstellation. Eine Einstellung, mit der er wohl nicht nur Parteichef Lindner, sondern auch anderen Parteifreunden auf die Füße trat. Bereits im Januar hatte die FDP zu einer Mitgliederbefragung aufgerufen, in der über den Ampel-Verbleib abgestimmt wurde. Fast die Hälfte der Teilnehmer hatte sich dafür ausgesprochen, das Bündnis aufzukündigen. Schon damals war absehbar: Die Ampel könnte zur Zerreißprobe für die Liberalen werden, die 2021 nach acht Jahren erstmals wieder in Regierungsverantwortung zurückgefunden hatten. Die Entfremdung mit den eigenen Leuten schlich sich bereits damals ein, bestätigen sowohl Fraktionsmitglieder als auch Liberale seines Landesverbandes. Auch in der Regierung galt Wissing nicht als unstrittig. Gerade die Grünen zeigten sich oft genervt von seiner Prinzipientreue. Ganz andere Töne klangen dafür am Donnerstagmittag an. „Mich beeindruckt, dass er das Amtsverständnis, seine innere Haltung jetzt vor die Partei stellt“, lobte Regierungskollege und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Anerkennung, die seine einst engsten Mitarbeiter kaum teilen werden: In einem gemeinsamen Statement verkündeten seine drei Staatssekretäre, sie haben „unverzüglich“ ihre Entlassung beantragt. „Wir haben nach seiner einsamen Entscheidung kein Vertrauen mehr in Volker Wissing“, heißt es weiter.
Kein Vertrauen mehr, dafür aber mehr Verantwortung heißt es für Volker Wissing, der für seinen Bruch mit der FDP nun auch das Justizministerium leiten wird. Für die paar Monate, die ihm dort bleiben werden, gleicht sein Schritt fast schon politischem Selbstmord. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schießt Wissing gar noch gegen seine Ex-Partei. Der Rückzug der FDP sei „albern“ und „respektlos“ den Wählern gegenüber. Kurios: Ausgerechnet Wissing war es, der im ARD „Bericht aus Berlin“ im April betonte, dass eine Aufweichung der Schuldenbremse nicht verhandelbar wäre. Weiter sogar, dass dann „die Koalition sicherlich keine Zukunft“ mehr habe.
Wissing selbst sieht sich als Kämpfer für den Wähler. Die Menschen würden erwarten „dass Probleme angepackt und gelöst werden“, dies sei aus seiner Sicht aber mit der Lindner-geführten FDP nicht mehr möglich, heißt es weiter in der FAZ. Lindner selbst sieht Wissing wohl eher als Überläufer zu einer Gruppe von Verhinderern. Die FDP habe „klare Prinzipien und Überzeugungen, aber zugleich Kompromissbereitschaft bis an den Rand des Sinnvollen und Verantwortbaren“ gezeigt, betont er. „Die Freien Demokraten sind unverändert bereit, Verantwortung für dieses Land zu tragen, und wir werden dafür kämpfen, dies mit einer anderen Regierung im nächsten Jahr auch zu tun.“ Dann allerdings ohne Wissing, solang dessen Parteibuch nicht doch noch die Farbe wechselt.