Vom Stadtflitzer zum Familienauto: Der Smart #1 hat sich in einen kompakten Stromer verwandelt, der viele Extras beinhaltet. Umso überraschender, in welcher Disziplin er abschmiert.
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an einen Smart denken? Bei mir ist es ein Kasten mit Auspuff, der in jede Parklücke passt. Unvergessen auch meine erste Fahrt in einem E-Smart. Es war das Jahr 2011, schon damals gab es eine elektrische Variante des Stadtflitzers. Der Akku reichte nicht mal einen Tag, und neugierige, bisweilen abschätzige Blicke waren mir sicher.
Heute ist all das Geschichte. Der einstige Stadtflitzer hat sich in einen 4,27 Meter langen Kompaktwagen verwandelt, was exakt der Länge eines VW ID.3 entspricht. Hergestellt wird er nicht mehr in Deutschland, sondern im chinesischen Xi’an. Das liegt daran, dass sich Smart seit 2020 nur noch zu 50 Prozent im Besitz von Mercedes-Benz befindet. Die andere Hälfte gehört dem chinesischen Geely-Konzern, der auch bei Volvo und Polestar mitmischt. Nicht mal der Name ist geblieben. Jetzt heißt er Smart #1, gesprochen wie im Englischen „Hashtag One“.
Ob so viel Veränderung gut oder schlecht ist, kommt auf den Blickwinkel an. Zwar gibt es nun noch einen elektrischen Kleinwagen weniger auf dem Markt. Andererseits wächst der Kompaktsektor. Denn auch hier hält sich die Auswahl von Elektrofahrzeugen momentan stark in Grenzen. Die meisten Stromer sind immer noch teure, margenstarke SUV.
Ordentliche Beschleunigung
Das Aussehen meines #1 erinnert an einen Stormtrooper aus „Star Wars“. Die imperialen Sternenkrieger tragen eine glatte, weiße Ausrüstung, an der Wüstensand kleben bleibt. Nicht anders sieht mein ursprünglich weißer Smart nach ein paar Tagen im Rheinland aus, wobei es sich hier um Blüten- und Feinstaub handelt.
Auch innen wirkt es, als hätte der Stormtrooper seinen Helm abgelegt: glatter, weißer, glänzender Kunststoff. In der Mittelkonsole befindet sich ein Staufach mit induktiver Lademöglichkeit fürs Smartphone, USB-Anschlüsse gibt’s zusätzlich. Unter der Armlehne ist ein weiteres Staufach, das über einen integrierten Mini-Kühlschrank verfügt. So bleibt die Cola, die müde Testfahrer wachhält, bis zum späten Abend kühl.
Nach dem Losfahren zieht sich der Himmel zu. Doch wie gehen die Scheibenwischer an? Der sonst übliche rechte Lenkradhebel scheidet aus, denn an ihm lassen sich nur die Gänge einlegen. Fast hätte ich den Blinker bedient, doch dann entdecke ich das integrierte Drehrädchen im linken Hebel. Einen Minuspunkt gibt’s dafür nicht. Es ist zwar ungewohnt, aber keineswegs unpraktisch.
Auch sonst ist mein erster Eindruck positiv. Das chinesisch-deutsche E-Auto rollt leise über die Straße, beschleunigt mit Schmackes in 6,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h und macht insgesamt einen soliden Eindruck. Kein Vergleich zum würfeligen Ur-Smart, der bei jedem Windstoß ins Wackeln kam. Jetzt passt locker eine Kleinfamilie hinein, wenngleich der Kofferraum mit 323 Litern etwas kleiner ausfällt als beim VW ID.3. Um das auszugleichen, lassen sich die Rücksitze nach vorne schieben – eine pfiffige Idee!
Eine zusätzliche Plastikbox unter der Motorhaube („Frunk“) ist zwar ganz nett, aber hier passt gerade mal ein Ladekabel in Größe XXS rein. Oder ein Hundenapf. Apropos Hund: Der #1 ist eines der wenigen E-Autos, das über einen sogenannten Haustiermodus verfügt. Ist dieser aktiviert, läuft die Klimaanlage weiter, nachdem man das Auto verlassen hat. So überhitzt der Hund im Auto nicht.
Informationsflut auf dem Display
Wie die Karosserie ist auch die Anzeige-Phalanx gewachsen: Da wäre zum einen der 12,8 Zoll große Touchscreen in der Mitte, der auch von der Beifahrerseite gut eingesehen werden kann. Direkt überm Lenkrad befindet sich ein kleiner Tacho, der neben der Geschwindigkeit die Rest-Reichweite sowohl in Prozent als auch in Kilometer anzeigt – vorbildlich! Als wäre das nicht genug, leuchtet zusätzlich ein Head-up-Display in der Frontscheibe – zumindest ab der Ausstattungsreihe „Premium“.
Das Startmenü des Hauptbildschirms treibt die Informationsflut auf die Spitze. Von einer animierten Weltkugel ausgehend, lassen sich fast alle Funktionen einstellen, die dieses Auto bereithält. Schon das erfordert Einarbeitungszeit, da es so gut wie keine Knöpfe gibt. Obendrein wacht ein animierter Fuchs am Bildschirmrand – ein bisschen wie früher der nervige Büroklammer-Assistent bei Microsoft Word. Nur dass es beim Smart-Fuchs genau andersherum ist: Der Fuchs macht keinerlei Vorschläge, sondern lungert einfach nur herum. Mal liegt er, mal streckt er sich, mal gähnt er. Ist mein Fahrstil so langweilig?
Das Navi arbeitet schnell und flüssig, es kennt Eigennamen von Geschäften ebenso wie Arztpraxen oder Restaurants. Liegt ein Ziel außerhalb der Akku-Reichweite, plant es Ladestopps ein. Leider ist die Planung keineswegs so listig, wie man es von einem Fuchs erwarten würde: viel zu viele Ladestopps an willkürlich wirkenden Ladestationen. Unterwegs fehlt dann auch noch die wichtigste Info: Die Kilometer bis zum Ziel werden nur sporadisch eingeblendet.
Einziger Ausweg: der Sprachbefehl. Meine Frage „Wie lange ist es bis zum Ziel?“ beantwortet der #1 wahrheitsgemäß, sogar unter Einbeziehung eines Staus auf der A1. Sonst hält sich sein Repertoire allerdings in Grenzen. Anders als bei den EQ-Modellen von Mercedes kann der Smart keine Witze erzählen. Zugegeben, im Alltag liegt der Nutzen solcher Extras bei null, aber es wundert mich trotzdem. Schließlich haben die chinesischen Hersteller sonst oft die Nase vorn, wenn es um Software geht.
Probleme mit der Software
Bei anderen Dingen liefert das Navi mehr Informationen, als ein menschliches Hirn verarbeiten kann. Ob Ampel, Spurverengung oder Tempolimit: Ein schier unglaublicher Redeschwall ergießt sich aus den Lautsprechern. Gott sei Dank lässt sich das Navi stummschalten.
Stichwort Akku: Ihn gibt es in zwei verschiedenen Größen. Das Einstiegsmodell (ab 37.490 Euro) kommt auf dem Papier 310 Kilometer weit. Die größere Premium-Variante, die ich teste (44.990 Euro), bietet 440 Kilometer. Bei milden 18 bis 21 Grad während meiner Landstraßen-Partie ist das auch fast möglich. Heißt im Umkehrschluss: Bei kälteren Temperaturen oder einer flotten Autobahnfahrt wären es eher 300 bis 350 Kilometer. Bei der Reichweite liegt der #1 damit im Durchschnitt: Die Kompaktwagen MG4, Opel Astra und Renault Megane kamen im Test auf ähnliche Werte. Nur das Tesla Model 3 und der Kia e-soul konnten noch ein Quäntchen mehr rausschlagen.
Auch die Ladezeit an der Schnellladestation rangiert im Normalfeld: in einer halben Stunde von zehn auf 80 Prozent, so wie die meisten aktuellen E-Autos. In einem Punkt hebt sich der #1 aber doch von den Wettbewerbern ab: Beim langsamen Wechselstromladen, zum Beispiel in Wohngebieten, sind 22 Kilowatt möglich – die meisten Konkurrenten schaffen nur die Hälfte. So ist der Akku nach etwa drei Stunden wieder komplett voll, also zum Beispiel nach einem Kinobesuch oder Stadtbummel. Das ist vor allem für diejenigen wichtig, die zu Hause keine eigene Lademöglichkeit haben.
Zum Schluss noch ein Blick auf die Handy-App. Die soll nicht nur den aktuellen Ladezustand der Batterie anzeigen, sondern auch als „digitaler Schlüssel“ dienen. Hat man den echten Schlüssel vergessen, reicht das Smartphone, um den #1 zu öffnen. Blöd nur, dass es nicht funktioniert. Weder lassen sich die Türen öffnen, noch stimmt der Akku-Zustand. Auf dem Handy verharrt er bei 82 Prozent, obwohl ich ihn in der Realität stetig runterfahre. Die App scheint eingefroren zu sein, wie ein Computerprogramm, das sich aufhängt.
Mein Fazit: Der ehemals kleine Smart ist tatsächlich erwachsen geworden. Aussehen, Platz und Reichweite gehen in Ordnung, manche Details wie der „Armlehnen-Kühlschrank“ oder der Hundemodus machen sogar richtig Spaß. Auch beim Preis muss sich der #1 nicht verstecken. Hier liegt er je nach Variante unter dem VW ID.3 – mit teils besserer Ausstattung wie dem 22-Kilowatt-Ladesystem. Klar ist aber auch: Bei Navi und Handy-App muss der Hersteller nachbessern. Dass ausgerechnet die Software abschmiert, wundert mich am meisten. Der schlaue Fuchs sollte dringend Nachhilfe bekommen. Oder anders gesagt: ein Update.
Transparenz-Hinweis: Der Hersteller hat das Fahrzeug für den Autotest fünf Tage zur Verfügung gestellt. Dies hat keinen Einfluss auf den Inhalt des Berichts.