Trumps Zollpolitik führt zurück in Zeiten vor Adam Smith, ins 17. Jahrhundert des Merkantilismus. Die EU müsse sich unabhängiger von den USA machen, sagt Xenia Matschke, Professorin für internationale Wirtschaftspolitik an der Universität Trier.

Frau Prof. Matschke, die Zölle aus den USA verursachen derzeit Chaos auf dem Weltmarkt. Gab es in der Vergangenheit Situationen, an denen wir uns in der Reaktion darauf orientieren können? Es gab ja ähnliche Schocks in der Finanzkrise 2008, in Großbritannien nach dem Brexit und durch die Pandemie.
Hier sind mindestens zwei verschiedene Weltmärkte zu berücksichtigen. Die Finanzmärkte sind sehr eng miteinander verbunden und können vor allem auch sehr schnell reagieren. Negative Nachrichten, wie eben die Zollankündigungen von Donald Trump am 2. April, führen sehr schnell an den Börsen zu Kursstürzen. Dabei neigen die Börsenkurse zu Überreaktion: Folgen keine weiteren schlechten Nachrichten nach, dann steigen die Kurse auch wieder an, wenn auch normalerweise nicht auf das Ausgangsniveau, wenn die Nachrichten tatsächlich für die weitere Wirtschaftsentwicklung schlecht erscheinen. Es kann aber auch sein, dass auf die ersten schlechten Nachrichten weitere schlechte folgen, die der Markt noch nicht erwartet hatte. Wenn zum Beispiel mehrere wichtige Handelsländer ebenfalls die Zölle als Gegenschlag erhöhen, dann kann es an den Börsen weiter abwärts gehen. Wichtig ist auf jeden Fall: Die Börsen spiegeln normalerweise die Erwartungen der Anleger. Wenn diese den Aussagen von Donald Trump glauben würden, dass demnächst in den USA goldene Zeiten bevorstehen, würde sich dies zumindest an der US-Börse niederschlagen. Zur Zeit scheint aber die Angst vor einer weltweiten Rezession umzugehen.
Der Weltmarkt für Warenhandel dagegen wird erst in den kommenden Monaten die Auswirkungen der Zölle mit voller Wucht zu spüren bekommen, sollten die massiven Zollerhöhungen Bestand haben. Dann ist auf der einen Seite davon auszugehen, dass die Importe in die USA zurückgehen, weil die Zollerhöhungen auf die Preise zumindest teilweise durchschlagen. Völlig unklar ist dagegen, ob das Ziel von Donald Trump durchgesetzt werden kann, die Produktion des verarbeitenden Gewerbes in den USA anzukurbeln. Angesichts der Tatsache, dass die US-Lieferketten je nach Industrie zu großen Teilen im Ausland liegen, sind auch US-Produzenten durch die US-Zölle stark getroffen. Diese Lieferketten kurzfristig völlig auf US-Lieferanten umzustellen, erscheint kaum möglich und würde auch längerfristig zu deutlich höheren Kosten führen.
Aus meiner Sicht ist dieser Schock deutlich massiver als die genannten. Der Brexit-Schock ist deutlich kleiner, allein schon deshalb, weil die Briten eine deutlich kleinere Volkswirtschaft haben. Ganz abgesehen davon haben die Briten schnell neue Freihandelsabkommen verhandelt. Pandemie und Finanzkrise, letztere entstanden durch die Vergabe von faulen Krediten im US-Immobiliensektor, welche um die Welt als AAA-Anlagen verkauft wurden, waren temporäre Schocks. Wie lang und wie schwer der jetzige, willkürlich herbeigeführte handelspolitische Schock dagegen währen wird, kann niemand zur Zeit absehen.
Häufig wird der Smoot-Hawley-Act als historische Referenz bemüht, mit dem die USA in den 1930er-Jahren hohe Zollbarrieren errichteten. Droht uns ein ähnliches Szenario?
Die Smoot-Hawley-Zölle wurden Mitte 1930 eingeführt. Zur Erinnerung: Im Oktober 1929 kam es an der Wall Street zu einem großen Börsencrash, der zu einem Banken-Run führte und viele Firmen in den Ruin trieb. Die Produktion brach ein und Massenarbeitslosigkeit resultierte. Rasch wurde daraus eine Weltwirtschaftskrise, die Deutschland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch destabilisierte, sodass Hitler an die Macht gelangen konnte. Die Smoot-Hawley-Zölle waren keine direkte Reaktion auf diese Weltwirtschaftskrise, lösten sie auch nicht aus, führten aber zu ihrer Verschärfung. Tatsächlich hatte man schon deutlich vor dem Oktober 1929 begonnen, diese Zollerhöhungen zu planen, denn man wollte der Landwirtschaft helfen. Wie heute das verarbeitende Gewerbe, schrumpfte damals die Landwirtschaft in den USA. Das Zollpaket wurde im Repräsentantenhaus von Willis Hawley und im Senat von Reed Smoot eingebracht. In beiden Kammern des Kongresses wurden die Zölle damals, völlig anders als heute, Gut für Gut ausgehandelt. Wenn der eine Abgeordnete Interesse an einem Zoll für Gut X bekundete, sagte der andere Abgeordnete okay, dann möchte ich aber einen Zoll für Gut Y. Heraus kam ein Zollpaket, das auf breiter Front die Zölle stark anhob. Die Handelspartner reagierten mit Gegenzöllen, und in Konsequenz brach der US-Außenhandel wie auch der Welthandel insgesamt stark ein, die Zölle verstärkten die Wirtschaftskrise in den USA wie auch in der Welt. Den Landwirten halfen die höheren Zölle übrigens nicht, allein schon deshalb, weil die landwirtschaftlichen Maschinen zu dieser Zeit großenteils aus dem Ausland eingeführt wurden, also von den Zöllen verteuert wurden, während kaum landwirtschaftliche Produkte importiert wurden. Stattdessen wurden die US-Exporte von den Gegenzöllen getroffen. Der desaströse Effekt der Smoot-Hawley-Zölle führte schließlich dazu, dass 1934 ein neues Gesetz, der Reciprocal Trade Agreements Act, in den USA verabschiedet wurde. Dieses Gesetz legte die Details der Handelspolitik in die Hände der US-Regierung, um das zollerhöhende Gefeilsche im Kongress in Zukunft zu unterbinden.
Diese Änderung hat danach viele Jahrzehnte sehr gut funktioniert, doch jetzt ist die Situation eine sehr andere: Hier ist ein US-Präsident, der quasi ohne Kongress-Beteiligung eine bisher sehr gut laufende Wirtschaft durch die Zölle abrupt abwürgt. Bei Smoot-Hawley kam zuerst der Finanzcrash, bei Trump dagegen wurde der Finanzcrash durch die Zölle willentlich provoziert. Eine durch Zölle verursachte Weltwirtschaftskrise ist durchaus möglich, dagegen sind sich die Experten bei der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre sehr einig, dass die Zölle diese nicht auslösten, sondern sie lediglich verstärkten.
Zollbarrieren verursachen Umlenkeffekte – kann die EU diese nur durch neue Zölle abwehren und wird sie so die Effekte

verschlimmern? Auf Kommissionsebene ist ja bereits die Rede von einer beobachtenden Taskforce.
Sicherlich ist davon auszugehen, dass die US-Zölle für den Rest der Welt erst einmal dazu führen, dass für Güter neue Absatzmärkte gesucht werden müssen. Dies wird die Märkte auf mittlere Zeit destabilisieren, das ist leider so. Auf der anderen Seite ergeben sich dadurch auch Chancen, Güter billiger einzukaufen, als dies vorher der Fall war, auf längere Sicht glaube ich, dass wir robustere Lieferketten erleben werden. Wir sollten die Abhängigkeiten sowohl von China wie auch den USA reduzieren. Dies hat seinen Preis, das ist auch klar, aber anders scheint es nicht zu gehen. Gegenzölle sind aus meiner Sicht nur dann das richtige Mittel, wenn man glaubt, dass Donald Trump dann einlenken wird, weil er den Schaden für die US-Wirtschaft sieht. Aber den Schaden, den er in den USA bereits jetzt anrichtet, scheint er gerade nicht zu sehen, er spricht ja von glorreichen Zeiten, die bevorstehen, man brauche nur etwas Geduld. Daher gehe ich nicht davon aus, dass sich die EU darauf verlassen kann, dass die Zölle wieder zurückgenommen werden, nur weil man Gegenzölle einführt. Für die EU-Firmen sind dagegen Gegenzölle Gift, weil sie die aus den USA bezogenen Güter verteuern und außerdem Trump zu einer weiteren Zolleskalation einladen, siehe gerade die Zollschraube, die sich mit China zu drehen beginnt. Eine gute Idee finde ich, auf weitere Handelsliberalisierungen mit anderen Ländern hinzuarbeiten. Dabei kann man auch den USA, wie bereits geschehen, eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen anbieten. Darauf hat Trump aber bereits, wenig verwunderlich, ablehnend reagiert.
Ob wir eine EU-Taskforce benötigen, weiß ich nicht, weil ich auch nicht genau weiß, was sie genau tun soll. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass die Brüsseler Bürokratie auch so schon im Ruf steht, überbordend zu sein. Insofern sollte man vielleicht auch darüber nachdenken, inwiefern man mit entbürokratisierenden Reformen die EU insgesamt wie auch Deutschland speziell zu einem investitionsfreundlicheren Ort umgestalten kann, was den Firmen zugutekommen würde. Nicht damit gemeint sind natürlich Abbrucharbeiten am Rechtsstaat, wie sie zur Zeit in den USA abzulaufen scheinen.
Die Zölle basieren, so scheint es, rein auf der Sichtweise Trumps auf den Welthandel als Nullsummenspiel mit Gewinnern und Verlierern. Ist diese Sichtweise korrekt?
Ich kenne die Beweggründe des Tuns von Donald Trump nicht, aber es sieht zumindest von außen danach aus, und man kann auch genügend Zitate von ihm finden, die eine solche Sichtweise untermauern. Der Gedanke, dass Handel ein Nullsummenspiel ist, wurde allerdings schon vor mehr als 200 Jahren sehr gründlich widerlegt. Der britische Ökonom David Ricardo hat damals sehr klar argumentiert, dass durch Produktionsspezialisierung zwischen Ländern alle gewinnen können. Handel ist kein Nullsummenspiel. Der Grundgedanke ist einfach: Schon in der mittelalterlichen Stadt, selbst im mittelalterlichen Dorf und noch deutlich früher hat nicht jeder alles gemacht. Da gab es einen Schmied, einen Bäcker, einen Schuster, und das hat dazu geführt, dass mehr für alle vorhanden war, als wenn jeder alles selbst hätte herstellen müssen. Genauso ist es zwischen Ländern. Und das Argument, ein Handelsbilanzdefizit würde signalisieren, dass das Defizit-Land vom Überschuss-Land ausgebeutet wird, zieht überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil liefert das Überschuss-Land an das Defizit-Land Waren, die das Defizit-Land dann konsumiert. Das Überschuss-Land dagegen erhält, grob gesprochen, dafür bedrucktes Papier, Geld. Wieviel Wert das letztlich hat, ist gar nicht klar, es könnte zum Beispiel durch Inflation entwertet werden.
Die Fantasie-Handelsbarrieren, die angeblich andere Länder gegen die USA erheben, wurden übrigens berechnet als US-Handelsbilanzdefizit geteilt durch US-Import pro Land. Dies führte dann dazu, dass in der Berechnung Länder, die kaum etwas aus den USA importieren, als Länder mit 100 Prozent Zoll gegen die USA dargestellt wurden. Der berechnete Zoll ist aber keinesfalls wirklich ein Zoll gegen die USA. Stattdessen kann man ihn unter sehr „heroischen“ Bedingungen als einen US-Zoll interpretieren, der das Handelsbilanzdefizit der USA mit dem betreffenden Land auf Null bringen würde.
Und eine Sache, die auch wichtig ist für den Fall der USA wie allgemein: In der volkswirtschaftlichen Gesamtbilanz der USA besteht stets Ausgleich, so wie das bei jeder Firmenbilanz auch der Fall ist. In der Gesamtbilanz der USA stehen dem Handelsbilanzdefizit bei Waren einmal ein recht großer Handelsbilanzüberschuss bei Dienstleistungen und dann ein großer Kapitalimportüberschuss entgegen. Mit anderen Worten: Wollte Donald Trump den Handelsbilanzüberschuss bei Waren senken, dann müsste er auch in Kauf nehmen, dass der Handelsbilanzüberschuss bei Dienstleistungen wie auch die Investitionen in die USA sinken. Das scheint eher ein Rezept, wie man die führende Wirtschaftsmacht der Welt dauerhaft verzwergen kann, als „MAGA“.

Gefährdet Trump mit diesem Vorgehen den Dollar als Weltleitwährung?
Der Dollar ist eingebrochen, als die neuen Zölle, die in ihrer Höhe wirklich überraschend kamen, verkündet wurden. Das ist ungewöhnlich, normalerweise würde man einen stärkeren Dollar erwarten, wodurch wiederum Exporte der USA für andere Länder teurer würden und Importe für die USA billiger, was zu einer Gegenbewegung zum Wirken des Zolls führen würde. Dass der Dollar stattdessen Wert verloren hat, signalisiert für mich, dass die Märkte erkennen, dass die USA dabei sind, ihre wirtschaftliche Stabilität aufs Spiel zu setzen. Wenn diese Entwicklung sich fortsetzen sollte, dann könnte der Dollar tatsächlich als Leitwährung in Gefahr geraten. Es steht jetzt aber keine alternative Währung im Raum, die dann „die“ Leitwährung werden könnte, weder Yen noch Euro noch Renminbi bieten sich als vollständiger Ersatz an. Ein Mix von konkurrierenden Währungen ohne klare Leitwährung würde wahrscheinlich zu einer weiteren Destabilisierung wie auch Fragmentierung der Märkte führen. Dies eröffnet gewaltige Risiken, aber auch Chancen. Noch ist esaber viel zu früh, um hier Prognosen zu wagen.
Regelbasierter Welthandel unterstützte bisher das deutsche Geschäftsmodell. Welche Konsequenzen müssten Deutschland und die EU nun ziehen?
Deutschland und die EU müssen ihren Handel noch deutlich mehr diversifizieren, als dies bisher der Fall war. Und ich habe den Eindruck, die EU ist gerade dabei, genau das zu tun. Nicht nur die hohe Abhängigkeit von Importen aus China, sondern auch die hohe Abhängigkeit von Exporten in die USA erweisen sich jetzt als nachteilig. Weitere Diversifikation ist nötig, aber auch nicht gratis zu haben. Freihandelsabkommen sind ein Weg dahin, weil die WTO kaum noch funktioniert, seitdem sich quasi der Erfinder des bisherigen regelbasierten Welthandels, die USA, selbst gegen sie gestellt hat. Wahrscheinlich werden wir auch noch mehr daran arbeiten müssen, innerhalb des Binnenmarktes Hemmnisse, die weiter die Mobilität von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit behindern, weiter zu senken, auch wenn verglichen mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1958 schon sehr viel erreicht worden ist. Investitionen in die Infrastruktur erscheinen dringend notwendig. Außerdem tut ein durchdachter Abbau von Überbürokratisierung Not, um die EU und Deutschland sowohl als Investitionsstandort wie auch als Handelspartner attraktiver zu machen.