Dr. Peter Niemann, Facharzt für Innere Medizin, Geriatrie und Integrativmedizin, hat sich unter anderem auf antientzündliche Ernährung spezialisiert. Mit FORUM spricht er über chronische Entzündungen, entzündungsfördernde sowie antientzündliche Lebensmittel und gibt viele Ernährungstipps.

Herr Dr. Niemann, woher können Entzündungen im Körper kommen?
Es gibt interne und externe Faktoren bei der Entstehung von Entzündungen, wobei man bei externen Faktoren physikalische und chemische Faktoren unterscheidet. Interne Faktoren beruhen im Regelfall auf Krankheiten und genetisch bedingten Dysfunktionalitäten, während externe, physikalische Faktoren zum Beispiel extreme Temperaturen, Verletzungen oder Bestrahlungen wie zum Beispiel Radioaktivität, elektromagnetische oder ultraviolette Strahlung sein können. Die größte und wichtigste Gruppe entsteht jedoch meiner Meinung nach heutzutage durch externe, chemische Faktoren, also durch Chemikalien, Pestizide oder Lebensmittelzusätze, um nur einige von vielen zu nennen.
Was genau ist eigentlich eine Entzündung?
Eine Entzündung ist die Reaktion des Körpers auf einen ihn verletzenden Reiz. Hierbei kommt es zu einer Verteidigungsmaßnahme, die sich auf molekularer und zellularer Ebene abspielt, oftmals hochkomplex und den gesamten Körper betreffend. Sie läuft in vier Phasen ab, und das Ziel ist die Reparatur und Wiederherstellung des Körpers in seinen Grundzustand, wobei bei größeren und lang anhaltenden Entzündungsprozessen natürlich dauerhafte Schäden zurückbleiben können. Oftmals ist eine größere Entzündung durch die vier Symptome Schwellung, Rötung, Erwärmung und Schmerzen gekennzeichnet, wie die meisten von uns sicherlich im Rahmen einer Wundheilung oder von Akne selbst erlebt haben. Doch die stille oder unerkannte Entzündung ist viel häufiger und wichtiger. Sie betrifft übrigens auch weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung, ist aber auch viel subtiler. Hier sind oft wenig spezifische Beschwerden wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, diffuse Schmerzen, Leistungs- und Konzentrationsprobleme neben vielem mehr vorhanden.
Was kann man tun, wenn man erhöhte Entzündungswerte im Blut hat – zum Beispiel einen hohen CRP-Wert und erhöhte Leukozyten-Anzahl –, aber die Ursache dafür nicht findet?
Eine Möglichkeit besteht darin, gemeinsam mit seinem Arzt eine gründliche Diagnostik zu machen, also die Ursache der Entzündung zu suchen. Hierbei können Röntgen- oder CT-Bilder, aber auch vielfältige Blutwerte zum Einsatz kommen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den eigenen Lebensstil kritisch zu beleuchten und etwa nach entzündungsfördernden Faktoren zu suchen. Diese sind im Regelfall in der Nahrung oder der Umwelt zu finden. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, einige der mehr als 100 Tipps meines Buches umzusetzen wie beispielsweise Stressabbau, einen verbesserten Schlaf, Erdung, Entgiftung, körperlich aktiver zu sein, Waldbaden oder eben konkrete Änderungen der Ernährung hin zu einer natürlicheren, pflanzenbasierten Ernährung.
Milchprodukte, Fleisch und Zucker werden im Zusammenhang mit Entzündungen oft kritisch betrachtet. Was sind die „Probleme“ dieser Lebensmittel?
Am bedenklichsten in dieser Auflistung sind wohl Zucker und Fleisch. Wobei beim Zucker die Menge das Gift macht, also vor allem dann Probleme auftreten, wenn mehr als zehn Prozent des Tageskalorienbedarfs vom Zucker herrührt. Das sind dann zum Beispiel oft nur ein oder zwei Schokoladenriegel, die schon als entzündungsfördernd gelten. Beim Fleisch ist das Problem etwas vielschichtiger, da es „gutes“ und „schlechtes“ Fleisch gibt, wobei die Qualität vor allem mit der Aufzucht, der Schlachtung und der Haltbarmachung des Fleisches zusammenhängt. „Rotes“ Fleisch wie Rinder- und Schweinefleisch gilt oft als entzündungsfördernder als „weißes“ Hühnerfleisch. Grob gesagt stammt gutes Fleisch aus ökologischem Anbau, das Tier wurde also unter möglichst natürlichen Bedingungen aufgezogen und dann auch geschlachtet, hiernach dann zügig verspeist, es wurden wenig bis keine Konservierungsstoffe hinzugefügt. Doch das macht in unserer Gesellschaft weiterhin weniger als fünf Prozent des gesamten Fleisches aus, denn wer geht schon direkt zum Ökobauern, um sich nach der Schlachtung das Fleisch abzuholen und im Gefrierfach zu lagern? Bei Milchprodukten besteht das Problem ebenfalls in der Haltung der Milchkühe, wie auch den hierbei eingesetzten Chemikalien, Hormonen und Antibiotika, die die Kuh dann in ihre Milch überträgt und die wir aufnehmen. Viele wissen das nicht, aber in Milch werden oft noch Pestizide, Wachstumshormone und andere Gifte nachgewiesen.
Sind Drinks aus Hafer, Mandeln oder Reis gesünder?
Das hängt natürlich von den Zusätzen in den Getränken ab. Handelt es sich um reine Hafermilch, die nur mit Speisesalz ergänzt wurde, wie ich sie etwa in meinem Kaffee trinke, ist diese gut. Kommen aber zum Beispiel in einer gekauften Reismilch „natürliche Aromen“ oder bestimmte Emulgatoren vor, beginnen die Nachteile zu überwiegen und man muss davon ausgehen, dass diese Getränke entzündungsfördernd wirken werden, also weniger gesund sind. Jeder sollte daher beim Einkauf neuer Produkte viel Zeit darauf verwenden, die Zutatenliste genau zu studieren.
Wie wirken Soja-Produkte bei Entzündungen?
Natürliche Sojaprodukte wirken antientzündlich, sind also empfehlenswert. Da Sojaprodukten eine leicht östrogensteigernde Wirkung nachgesagt wird, sollte man sie nicht im Exzess konsumieren, wenn einem als Mann der Testosteronwert wichtig ist oder man unter hormonsensiblen Erkrankungen leidet.
Welche Nahrungsmittel wirken generell antientzündlich?
Die Liste ist sehr lang, aber im Allgemeinen sind Nüsse, (in der Natur gefangener) Fisch, Obst, Gemüse und Gewürze die am stärksten antientzündlich wirkenden Nahrungsmittel. Bei den ersten beiden kommen die positiven Effekte vor allem von den gesundheitsförderlichen Omega-3-Fettsäuren, bei den anderen drei von den vielen Antioxidantien.

Worauf sollte man bei der Ernährung insbesondere achten, wenn man eine Autoimmunerkrankung wie zum Beispiel Multiple Sklerose, Morbus Crohn oder Hashimoto-Thyreoiditis hat?
Es gibt keine Krankheit, die gut ist, aber Sie zählen gerade mit Multipler Sklerose und Morbus Crohn zwei sehr lebenseinschränkende Erkrankungen auf, wobei sich auch Hashimoto-Thyreoiditis bei manchen sehr negativ auswirken kann. In diesen Fällen ist eine antientzündliche Ernährung dringend geboten. Alle drei Erkrankungen sind in einem hohen Maß mit Entzündungsprozessen vergesellschaftet. Das wiederum macht sie gut therapierbar, sowohl mit Medikamenten, aber gerade auch mit Anti-Entzündungs-Strategien. In solchen Situationen empfehle ich die Umstellung auf eine pflanzenbasierte Kost mit Omega-3-reichen Lebensmitteln wie Fisch und Nüssen. Unbedingt sollte man auf Fertigprodukte verzichten und jede Mahlzeit im Idealfall selbst zubereiten. Weiterhin sind Bioprodukte wichtig, diese vor dem Verzehr auch gründlich waschen. Durch eine Ernährungsumstellung haben sich diese Erkrankungen schon bei vielen Menschen deutlich verbessert.
Autoimmunerkrankungen nehmen immer weiter zu – was sind die Gründe hierfür?
Die Zunahme liegt bei manchen Erkrankungen bei zum Teil mehr als zehn Prozent pro Jahr, das stimmt. Interessant ist ein historischer Blick: Als es zur Vereinigung der BRD und DDR kam, stellten Wissenschaftler fest, dass die Menschen in der DDR bei vielen Autoimmunerkrankungen nur halb so häufig betroffen waren wie die Westdeutschen. Noch interessanter ist aber, dass diese Raten sich im Laufe der Zeit anglichen, die Menschen aus der DDR sozusagen aufholten. An diesem und anderen Beispielen erkennt man, dass es also etwas mit der Umwelt, vor allem aber der Ernährung zu tun haben muss, und in der Tat gibt es mittlerweile überzeugende Untersuchungen, die auf Chemikalien, Pestizide und Lebensmittelzusätze als zumindest mitursächlich hinweisen. Natürlich ist die Entstehung im Einzelfall viel komplexer und beinhaltet oftmals neben einer falschen Ernährung auch Infektionskrankheiten, bestimmte Vitamin- oder Spurenelementmangel, psychische Faktoren, Umweltverschmutzung und vieles mehr, aber die Ernährung spielt eine wichtige Rolle.
Gibt es Erkrankungen, die fast nur in industrialisierten Ländern vorkommen? Wie ist das zu erklären?
Ja, es gibt bestimmte Krankheiten, die in industrialisierten Ländern viel häufiger vorkommen und damit auch bei uns. Dazu gehören die schon genannten Autoimmunerkrankungen, aber auch Krebsleiden und kardiovaskuläre Erkrankungen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt. Die Erklärung hierfür? Nicht so sehr ein längeres Leben, sondern die vielen Umwelt- und Nahrungsmittelchemikalien, der hohe psychische Druck, das unnatürliche Leben, die Umweltverschmutzung – all das bedingt Entzündungen, die maßgeblich bei den genannten Erkrankungen sind.
Was sollte bei Herz-Erkrankungen auf dem Speiseplan stehen?
Viel Gemüse und Obst, Nüsse und Fisch. Dafür sollte man zuckerhaltige Getränke wie Cola oder Limonade meiden und auch fettiges Essen.
Wie sollte die Ernährung bei Krebserkrankungen aussehen?
Dieses Thema ist sehr komplex, weil es einige Krebserkrankungen gibt, die sich mit bestimmten Nahrungsmitteln nicht vertragen, wie zum Beispiel Brustkrebs und Sojaprodukte – wobei die Datenlage etwas widersprüchlich ist – und gesalzenes und eingelegtes Gemüse bei Darm- und Magenkrebs. Aber im Allgemeinen gelten Gemüse und Obst, wie bei den anderen Erkrankungen auch, als besonders positiv.
Gibt es auch Lebensmittel, die eine gesunde Psyche unterstützen? Und worauf sollte man hier verzichten?
Hier gilt, dass sich vor allem Lebensmittel, die nicht allzu kaloriendicht sind und eine besonders hohe Dichte an Antioxidantien aufweisen, positiv auswirken. Das sind, um bei großen Lebensmittelgruppen zu bleiben, Gemüse, Gewürze, Tee und Kaffee, wobei bei den koffeinhaltigen Getränken gilt, dass manche Menschen koffeinsensibel sind und sich bei diesen dann Unruhe- und Angstgefühle steigern können. In meinem Kochbuch habe ich eine Liste der besonders antioxidantienreichen Gemüse- und Obstarten aufgezählt wie zum Beispiel Acerolabeeren oder Açaí, und diese Nahrungsmittel stehen an erster Stelle bei der Besserung psychischer Beschwerden.
Welche Lebensmittel und Stoffe stärken das Immunsystem besonders gut?
Lebensmittel, die besonders reichhaltig an Vitamin C sind, stehen an erster Stelle. Das sind Zitrusfrüchte, aber auch Kiwi, gelbe und rote Paprika, Spinat, Brokkoli und Rosenkohl.

Haben Sie bei Patienten schon Krankheiten nur durch die passende Ernährung geheilt?
Mir fallen verschiedene Beispiele ein. Die erste Person hatte seit 15 Jahren die Diagnose Diabetes und musste sich täglich Insulin spritzen. Als sie dann von Cola light – was ja zuckerfrei ist, aber wegen der Zusatzstoffe entzündungsfördernd wirkt – und täglichem Fleischkonsum auf Kaffee mit Reismilch und nur noch eine wöchentliche Fleischmahlzeit umstellte, verlor sie in nur wenigen Monaten zehn Kilogramm Gewicht und brauchte bald weder Insulin noch Tabletten – sie hatte den Diabetes mellitus Typ 2 selbst geheilt! Und das andere Beispiel war ebenfalls denkbar einfach in der Heilung: Ein recht ausgedehntes Hautleiden (asteatotisches Ekzem) ging in nur einer Woche weg, als die Person auf Milchprodukte verzichtete und auf Hafermilch umstellte. Ich könnte viele weitere Beispiele nennen, aber hier war es oft ein Wechselspiel aus Ernährungsumstellung, Veränderungen im Alltag und Wegen des Stressabbaus.
Obst und Gemüse sind mit Pestiziden belastet, in Butter und Schokolade findet sich Mineralöl, Reis enthält oft Spuren von Arsen. Wie und wo kann man heute noch gesund einkaufen?
Als erste Faustregel gilt, dass Bioprodukte immer zu bevorzugen sind, wo möglich. Weiterhin gilt, dass regionaler Anbau dem globalisierten vorzuziehen ist. Zusätzlich muss jeder von uns die Zutatenliste durchschauen. Produkte aus dem deutschsprachigen und skandinavischen Raum sind oft zu bevorzugen, weil hier strengere Umwelt- und Lebensmittelgesetze gelten. Ich selbst kaufe am liebsten auf Bauernmärkten und in Bioläden ein und verbringe viel Zeit beim Studieren eines Produktes, wenn es neu für mich ist, um sicherzugehen, dass es meiner Familie und mir nicht schadet.