Der Sport ist ein anderer, die Probleme sind gleich: Frauen im Snooker erhalten weniger Preisgeld und stehen weniger im Fokus als die Männer. Doch in der technisch anspruchsvollen Billardvariante ist einiges am Wachsen.

Am Ende hüpft Bai Yulu stolz und gelöst quer durch die Arena – denn die junge Chinesin hat gerade etwas Historisches geschafft. Erneut. Die 21-jährige Snookerspielerin aus der Stadt Weinan – unweit der Metropole Xi’an, wo es auch die Terrakotta-Armee zu besichtigen gibt – geht siegreich aus einem Weltranglisten-Match hervor, das im TV übertragen wird. Sie besiegte beim Turnier „Shoot Out“ Anfang Dezember den Waliser Jamie Clarke mit 47:36. Das Ergebnis fällt zwar nur knapp aus, doch das ist neben der sichtbaren Nervosität sicherlich auch dem besonderen Charakter des Turniers zuzuschreiben, bei dem es wie beim Blitzschach vor allem um Schnelligkeit und weniger um technische Finesse geht.
Versteherin des feinen Handwerks
Dass Bai Yulu jedoch auch das feine Handwerk mehr als versteht, zeigte sie nur wenige Tage vorher bei der „UK Championship“ in York. Dort schaffte sie es als erste Frau seit 1999, bei einem Weltranglistenturnier zwei Matches nacheinander zu gewinnen – und nicht nur das: Auch aus ihrem dritten Spiel ging sie als Siegerin hervor. Dabei lag sie in zwei Matches zurück und stand jeweils kurz vor dem Aus. Doch mit spektakulären langen Bällen, 16 Breaks mit je mehr als 50 Punkten und sehr viel Nervenstärke drehte sie die Partie jeweils. Im Interview danach sagte sie: „Ich war sehr nervös, und ich dachte nicht, dass ich gewinnen könnte, aber ich habe es ganz gut gemacht.“ Eine Runde später scheidet sie jedoch gegen Jack Lisowski aus. Der Engländer ist Wettkampfatmosphäre gewohnt, gehört an guten Tagen zur erweiterten Weltspitze und entpuppt sich dann doch als eine Nummer zu groß für Bai Yulu.
Mit ihren Auftritten beim „Shoot Out“ live auf Eurosport, den drei Matches bei der „UK Championship“, die im Stream bei Discovery+ zu sehen waren, und ihrer 128 bei der Qualifikation im Dezember zu den German Masters im Berliner Tempodrom – dem zweithöchsten Break einer Frau bei einem Ranglistenturnier –, sowie ihrer kraftvollen Körpersprache und ihrer sympathischen Art sorgt sie jedenfalls für viel Aufmerksamkeit für Frauen im Snooker. Die zierliche Spielerin sicherte sich durch den Gewinn der Weltmeisterschaft der Frauen im vergangenen Jahr zudem den Start auf der Profi-Main-Tour.
Die Profi-Tour ist so gestaltet, dass sie prinzipiell auch Frauen offensteht, bis zur Saison 2020/21 gelang es jedoch keiner Spielerin, sich zu qualifizieren. Daher wurden im Laufe der Zeit Turniere speziell für Frauen ausgetragen, seit 1976 unter anderem die „World Women’s Snooker Championship“, also die WM für Frauen, die Teil der World Women’s Snooker (WWS) Tour ist – seit 2021 ist dies eine Qualifikationsstrecke für die Main Tour, offiziell World Snooker Tour (WST). Am Ende jeder Saison werden die Tourkarten – die dann für zwei Jahre gelten – sowohl an die Gewinnerin der Snooker-Weltmeisterschaft der Frauen als auch an die bestplatzierte Spielerin der Damenrangliste ausgegeben, die noch nicht auf der Tour ist. Wenn die Weltmeisterin der Frauen bereits auf der Tour ist, wird diese Karte an die nächsthöhere Spielerin ausgegeben, die nicht auf der Tour ist.

So wurde es zumindest geschafft, dass seit der Saison 2022/23 mindestens vier Frauen auf der Tour spielen. Derzeit sind dies neben Bai Yulu (Platz 113 auf der Weltrangliste) noch die beiden Thailänderinnen Mink Nutcharut (118.) und Baipat Siripaporn (125.) sowie die Engländerin Reanne Evans auf Rang 117. Den Profistatus haben die ersten 64 der Weltrangliste inne. Die Rangliste ist nach den Preisgeldern gestaffelt, die in einem Jahr erspielt werden. Auf der offiziellen Seite wst.tv ist von den vier Frauen Bai Yulu mit 10.000 Pfund in Front. Einen Platz vor ihr steht mit 11.600 Pfund der 34-jährige englisch-pakistanische Ex-Profi Farakh Ajaib – den sie bei der „UK Championship“ in ihrem ersten Match besiegt hatte. Zu der Thematik äußerte sich Jimmy White – der größte Snookerspieler, der niemals Weltmeister wurde – bei Eurosport. Es gebe viele Turniere in Großbritannien oder auch China. Aber „man müsste auch mal ein bisschen mehr Preisgeld investieren“, sagt der Grandseigneur. Mehr Geld also, um Frauen im Snooker einen finanziell sicheren Boden zu geben.
Junge Sportlerinnen mit großen Chancen
Während Nutcharut und Siripaporn mit jeweils 25 noch recht jung sind und hoffentlich noch viele Erfolge feiern, wird Reanne Evans im Oktober 40 und dürfte sich somit auf der Zielgeraden ihrer Karriere befinden. Außerdem leidet sie zeitweise an Tremoren, was bei dem Präzisionssport Snooker natürlich alles andere als hilfreich ist. Doch ihrem Status als Legende tut dies keinen Abbruch. Sie ist zwölffache Weltmeisterin, gewann einst 90 Spiele in Folge und wurde 2022 als erste Frau – gemeinsam mit Allison Fisher – in die Snooker Hall of Fame aufgenommen.
Vielleicht noch viel wichtiger: Reanne Evans ist sichtbar. Mit viel Charme und noch mehr Kompetenz ist sie seit einigen Jahren TV-Expertin bei Eurosport. Dort analysiert sie neben männlichen Granden wie Alan McManus oder Ronnie O’Sullivan die gerade gesehenen Begegnungen der zumeist männlichen Sportkollegen; deutlich seltener sind Frauen an TV-Tischen zu sehen. „Wir sind es nicht gewohnt, auf diesem Niveau zu spielen“, sagte sie bei Eurosport daher auch kritisierend und fügte hinzu: „Je mehr Matches wir bekommen, je mehr Turniere wir bekommen, desto höher wird der Standard werden.“ Das habe sich in den vergangenen Jahren ohnehin schon massiv entwickelt.
Wie niedrig die Latte einst lag, ist wohl auch daran abzulesen, dass Reanne Evans einen ihrer Serien-WM-Titel erspielte, als sie hochschwanger war. Daher findet sie Vergleiche zwischen den etablierten Männerrunden und den aufstrebenden Snooker-Frauen unfair – und belastend. „Du hast viel Druck auf der Schulter. Du spielst nicht nur für Dich. Du spielst für alle Frauen, die Snooker spielen“, sagte sie bei Eurosport. Der Snookerverband, die World Professional Billiards and Snooker Association (WPBSA), öffnete die Tour 1990 für alle über 16 Jahre. Sechs Frauen waren seinerzeit am Start: Stacey Hillyard, Allison Fisher, Ann-Marie Farren, Georgina Aplin, Karen Corr und Maureen McCarthy – ihnen gegenüber standen 443 Männer.
Stacey Hillyard war in der Saison 1991/92 in acht Matches siegreich, wie das deutschsprachige Portal snookerpro.de aufzählt. Sie war es auch, die sich bei den „Dubai Duty Free Classics“ 1991 mit drei Siegen als erste Frau für die Endrunde eines Profi-Turniers qualifizierte. Es gibt auch einige weitere große Erfolge. Reanne Evans besiegte 2013 den Thailänder Thepchaiya Un-Nooh (aktuell Nummer 42) beim Turnier „Wuxi Classic“ und erreichte als erste Frau die Endrunde eines Ranglistenturniers. Die 34-jährige Chinesin Ng On Yee setzte sich bei den „British Open“ 2022 mit 4–3 gegen Ex-Weltmeister und Publikumsliebling Ken Doherty durch. Bai Yulu wiederum gewann 2023 den „Russian International Cup“ gegen ausschließlich männliche Gegner und erspielte sich dabei wiederum eine Reihe von hohen Breaks – ein Zeichen von spielerischer Qualität.

Eigene Profitour der Frauen?
Kommentare wie „Die spielen doch viel schlechter als Männer“, die man so auch vor allem aus dem Frauen-Fußball kennt, sind also eher Zeichen von uninformierter Frauenfeindlichkeit als von fachlicher Kompetenz. Ein bisschen von oben herab schaute auch einst Ronnie O’Sullivan auf das Thema. Er ist mit seinen bald 50 Jahren der unangefochtene Star des Sports, ein Genie am Tisch zu seinen Hochzeiten – vor allem in späteren Jahren aber auch immer wieder ein altkluger Kommentator zu allen möglichen Themen. So sagte er in der Eurosport-Serie „Voice Notes“ ziemlich gönnerhaft zu den Frauen: „Ihr solltet nicht Woche für Woche bei den Männern mitspielen müssen.“ Er würde sich gerne für eine eigene Profitour für Frauen einsetzen, wenn er Zeit habe – vielleicht ja nach seinem Karriereende.
Auf der anderen Seite schafft es ein weltbekannter Sportler wie Ronnie O’Sullivan mit seinen kontroversen Aussagen auch immer, Aufmerksamkeit nicht nur auf sich, sondern eben auch auf bestimmte Themen zu lenken. Insofern kann auch hier eine fruchtbare Debatte um Gönnerhaftigkeiten und Abhängigkeiten auf der einen Seite sowie Unabhängigkeiten und neue Talente auf der anderen entstehen. Außerdem analysiert O’Sullivan schon seit vielen Jahren gemeinsam mit Reanne Evans als Eurosport-Experten diverse Spiele. Und auch beim World Mixed Double trat er an ihrer Seite an, gemeinsam schafften sie es von vier Teams aber lediglich auf den dritten Platz.
Der Verband World Women’s Snooker organisiert bereits zahlreiche Turniere in vielen Orten der Welt, um Frauen in seinem Sport sichtbarer zu machen und Wettkampfatmosphäre zu schaffen. In eigenen Worten heißt das: „WWS zielt mit seiner Entwicklungstour darauf ab, die Beteiligung von Frauen und Mädchen am Sport zu erhöhen, für Neulinge in diesem Sport zugänglich zu bleiben und gleichzeitig Elite-Talenten einen Weg zu bieten, auf der gemischtgeschlechtlichen professionellen World Snooker Tour und in hochkarätigen Amateurwettbewerben anzutreten.“

Einige der Turniere und Begegnungen ließ der Verband auf seiner Facebookseite live übertragen. Traurig war es dabei zu sehen, dass die Clubs, in denen die Frauen gegeneinander antraten, den Charme von abgeranzten Freizeitsportstätten hatten. Außerdem wurde nur mit einer Kamera aufgezeichnet, was natürlich eine gewisse Statik mit sich bringt. Abgesehen davon, dass Snooker in vielen Ländern – außer in Großbritannien und China – eher eine Randsportart ist, die ohnehin weniger populär ist, dürften die Probleme für Frauen im Sport die gleichen sein wie in vielen anderen Arten: wenig Sichtbarkeit, kein großer Personenkult, weniger Prämien, Vorurteile.
Diana Schuler, beste deutsche Snookerspielerin und eine Direktorin der WWS probiert es daher mit Fakten und guter Laune. In einem Post auf dem X-Kanal von World Women’s Snooker sagte sie: „Es ist kein Altherrensport mehr wie früher. Er macht Spaß, er ist jung und er ist weiblich, nicht nur männlich. Und wir haben die Tour von 60 Spielerinnen auf 170 auf der Rangliste erhöht, aus 26 verschiedenen Ländern. Wir möchten die nächste Generation dazu inspirieren, den Queue anzupacken.“
Die sozialen Kanäle sowie die Internetseite von World Women’s Snooker sind stets aktuell und gepflegt. Ein Blick lohnt sich also in jedem Fall.