Köln macht es, Mannheim, Berlin und viele weitere Kommunen: Städte bauen Wärmepumpen an ihren Flüssen, die dem Wasser Wärme zum Heizen entziehen. Klimafreundlich und nachhaltig. Beispiel Warendorf.
In der schmuck restaurierten Warendorfer Altstadt haben Bauarbeiter die Straßen zwischen den historischen Hausfassaden aufgerissen. Sie verlegen ein Gewirr schwarzer und grauer Rohre, die ab 2027 Fernwärme in die Altstadthäuser bringen werden. Die Wärme liefert die Ems, die an der Altstadt vorbeifließt.
„Erst reißen sie alles auf, machen es dann wieder zu und buddeln die Straße ein paar Monate später wieder auf“, schimpft Renate Zweipfennig über die Dauer-Baustelle vor ihrem Sanitätshaus in der Altstadt. Weil die Parkplätze fehlten, komme die Post nur noch einmal pro Woche und viele Kunden gar nicht mehr.
„Wir hätten die Straßen sowieso neu machen müssen“, relativiert Stadtwerke-Geschäftsführer Ulrich K. Butterschlot den Ärger. Die Baustellen wären sowieso gekommen. Deshalb habe die Stadt die Gelegenheit genutzt und im Zuge der Sanierung gleich die Fernwärmeleitungen verlegt. Sie führen zu einer Wiese am Rand der Altstadt direkt an der Ems. Dort verkündet ein großes Schild das Vorhaben des 38.000-Einwohner-Städtchens: Warendorf baut eine Flusswärmepumpe.
Die funktioniert wie eine normale Wärmepumpe, die sich vermehrt Menschen an ihre Einfamilienhäuser stellen, nur dass die Wärme hier nicht der Luft, sondern dem Flusswasser entzogen wird. Über Wärmetauscher gelangt diese in einen weiteren Wasserkreislauf und wird so zu den Häusern transportiert. Betrieben wird die Anlage mit Strom aus Solar- und Windenergie.
Investition zwischen 40 und 50 Millionen lohnt sich
Ohne Zuschüsse, unter anderem vom Bund, hätte die Stadt das an die 50 Millionen Euro teure Projekt nicht stemmen können. Im November 2023 entschied das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage von CDU und CSU, dass die damalige Ampel-Regierung 60 Milliarden Euro aus dem Klimatransformationsfonds nicht ausgeben darf. Danach war lange nicht klar, ob die Stadt das nötige Geld vom Bund bekommt. „Da haben wir ein Jahr gebraucht, vielleicht sogar verloren“, berichtet Stadtwerke-Geschäftsführer Butterschlot.
Als Kaufmann sei er darauf bedacht, dass sich das Projekt für die Stadtwerke und die späteren Nutzer rechnet. Butterschlot weiß, dass die Einnahmen aus dem Gasverkauf versiegen werden, wenn immer mehr Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen ihre Gas-Anschlüsse zugunsten klimafreundlicher Heizmethoden wie Wärmepumpen abmelden. Deshalb suchen die Stadtwerke neue Geschäftsfelder wie den direkten Verkauf von Wärme, die sie an der Ems selbst herstellen. Für die Bürgerinnen und Bürger soll die Fernwärme aus dem Fluss nicht teurer werden als Öl oder Gas.
Auch den Naturschutz hätten die Stadtwerke von Anfang an berücksichtigt. „Die Ems wird direkt an der Wärmepumpe höchstens um ein halbes Grad wärmer“, verspricht Butterschlot. Wenige Meter flussabwärts sei das nicht mehr messbar.Auch für Fische und andere Lebewesen im Wasser sieht der Stadtwerke-Geschäftsführer keine Gefahr. Warendorf hat das Glück, dass ein Wehr die Ems an der Altstadt ohnehin schon staut. So brauche man keine Ansaugvorrichtung für die Wärmepumpe. Die Fische können ungehindert an der Entnahmestelle vorbeischwimmen.
Abkühlung für aufgeheizte Flüsse
Dass die Wärme vor allem im Winter benötigt wird, haben die Planer in Warendorf berücksichtigt. Die Flusswärmepumpe lasse sich ab einer Wassertemperatur von vier Grad wirtschaftlich betreiben. Kälter war die Ems nach Angaben der Stadtwerke in den vergangenen fünf Jahren nur an 16 Tagen.
Das Potenzial für Wärme aus dem Wasser ist mehreren Untersuchungen zufolge groß. Viele Städte planen solche Projekte oder setzen sie bereits um. Köln baut die größte Flusswärmepumpe Europas, die ab 2027 „bis zu 50.000“ Wohnungen heizen soll. Mannheim hat seine Anlage schon 2023 in Betrieb genommen. Sie beliefert nach Angaben des dortigen Energieversorgers MVV 3.500 Haushalte mit Fernwärme aus dem Rhein.
Anfang des Jahres veröffentlichte die Forschungsstelle für Energiewirtschaft FfE in München eine Studie zum Potenzial von Flusswärmepumpen in Bayern. Demnach könnten diese über das Jahr gerechnet 95 Prozent des Wärmebedarfs im Freistaat decken. Dazu würden sie die Flüsse, an denen sie gebaut werden, um höchstens zwei Grad abkühlen.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Technische Universität (TU) Braunschweig mit ihrem Projekt Hydro2Heat: Beinahe zwei Drittel der 80 untersuchten Städte könnten ihren Raumwärmebedarf zur Hälfte aus angrenzenden Flüssen decken, 41 sogar zu mehr als 100 Prozent“, schreibt die TU. Allein in Niedersachsen liege „das Potenzial für Wärme aus Fließgewässern bei 100 bis 110 Terawattstunden“, mehr als tatsächlich benötigt werde. Ökologische Bedenken sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht. Im Gegenteil. Seit 1950 seien die Gewässer in Deutschland um zwei bis vier Grad wärmer geworden. Eine Abkühlung könne daher die Wasserqualität verbessern.
Gas und Öl zu billig
Die Probleme liegen woanders: Angesichts von billigem Öl und Gas war die Wärme aus den Flüssen vor allem wegen der hohen Investitionskosten bisher zu teuer. Außerdem eignen sich längst nicht alle möglichen Standorte für den Bau von Flusswärmepumpen. In dicht bebauten Städten fehlt oft der nötige Platz.
Gewässer-Fachleute des Bund für Umwelt und Naturschutz BUND und anderer Naturschutzverbände beobachten die Pläne wohlwollend skeptisch. „Eingriffe in Gewässer müsse man möglichst vermeiden“, sagt BUND-Gewässer-Fachmann Sascha Meier. Nach der europaweit geltenden Wasserrahmen-Richtlinie müsse jederzeit „sichergestellt sein, dass sich der Gewässerzustand im Fluss nicht verschlechtert“. Doch auch der BUND sei nicht gegen Flusswärmepumpen. Man müsse jedoch die Bedingungen vor Ort genau prüfen: der Durchfluss des Gewässers, Uferbefassungen und mehr. Außerdem sollten die Planerinnen und Planer immer den ganzen Fluss im Blick haben: „Ich kann nicht in der einen Kommune und an der nächsten Kommune überall eine Wärmepumpe installieren und dann habe ich einen summierten Gesamteffekt, der den Fluss schädigt.“
Kein Widerstand in Warendorf
Dass es in Warendorf „keinen Widerstand gegen das Projekt“ gab, verdanke man dem Stadtwerke-Geschäftsführer Butterschlot zufolge „der Kommunikation“. Die Stadt habe die Betroffenen rechtzeitig und umfassend informiert. „Wir waren, bevor wir den finalen Beschluss hatten, in allen Stadtteilen, wo wir Fernwärmeausbau vorhaben, haben mit den Leuten gesprochen, haben uns dort auf eine Bratwurst mit denen getroffen oder beim Kaltgetränk.“ So seien Zweifel ausgeräumt worden.
Auch Renate Zweipfennig, die sich über die Baustelle ärgert, hat nichts gegen die Flusswärmepumpe. „Ich habe ja keine Ahnung davon, aber der Gedanke ist ja ziemlich grün. Finde ich ja gut.“