Der berühmte Operntenor René Kollo feiert seinen 85. Geburtstag. Ein neues Album mit romantischen Liedern zeigt, dass er seine Stimme nach wie vor perfekt beherrscht.
Singen hält jung! In der Bar eines altwürdigen Hotels am Berliner Kurfürstendamm treffen wir einen geistreichen, schlagfertigen 84-Jährigen. „Mir geht es wunderbar. Ich bin gesund“, unterstreicht René Kollo, der gerade ein Glas Weißwein getrunken hat und sich nun einen Espresso bestellt.
Am 20. November hat Kollo seinen 85. Geburtstag gefeiert. Schon jetzt ist er eine lebende Legende: Kein anderer deutscher Tenor hatte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine vergleichbar internationale Ausstrahlung. Kollo gilt als herausragender Wagner-Tenor, war aber auch oft im Fernsehen zu erleben und machte so das breite Publikum mit klassischer Musik vertraut. Oper, Operette und Schlager lagen ihm gleichermaßen am Herzen.
Die Neigung zur leichten Muse wurde René Kollo gleichsam in die Wiege gelegt: Er kam 1937 in Berlin zur Welt, wo schon Großvater Walter Kollo und Vater Willi Kollo als Operettenkomponisten die Bedürfnisse des amüsierwilligen Publikums befriedigten.
Noch immer hat der Sänger, der überwiegend auf Mallorca lebt, einen „Koffer in Berlin“, nämlich ein Haus im grünen Stadtteil Zehlendorf. „Ich bin Berliner, na klar. So eine Stadt prägt“, stellt Kollo fest, der ab und zu auch mal ins Berlinern verfällt.
Elfmal sang er den „Siegfried“ in Bayreuth
Anfangs wollte Kollo Schauspieler werden und trat in Jazzkneipen auf. Um sein Sprechen auf der Bühne verbessern, nahm er stimmpädagogischen Unterricht bei der Opernsängerin Elsa Varena. „Sie sagte mir sofort: Du musst an die Oper“, erinnert sich Kollo, der nach siebenjährigem Gesangsunterricht prompt an der Braunschweiger Oper engagiert wurde. Drei Jahre später stand er bereits in Bayreuth auf der Bühne.
Kollo gerät ins Schwärmen, wenn er an seine ersten Erlebnisse auf dem Grünen Hügel denkt. „Als ich 1968 nach Bayreuth kam, sah ich noch Inszenierungen von Wieland Wagner. Großartig! Dabei passierte gar nicht viel. Wieland Wagner hat nur mit Farben gespielt.“
Elfmal hat Kollo bei den Bayreuther Festspielen den Siegfried gesungen, fünfmal Parsifal, neunmal Stolzing in den „Meistersingern“, 13-mal Lohengrin, achtmal Tristan. Als bester Wagner-Tenor der Welt wurde er gehandelt. Der „Ring“ mit ihm, inszeniert von Patrice Chéreau, gilt als „Jahrhundert-Ring“.
Heute gerät René Kollo selbst ins Staunen, wenn er auf seine Karriere zurückblickt. „Ich habe eine Epoche mit den größten Dirigier-Genies erlebt“, sagt er. Er denkt da an weltberühmte Maestri wie Georg Solti, Carlos Kleiber, Karl Böhm. Bei ihm daheim füllen die eigenen Aufnahmen ein ganzes Regal. Darunter vier Gesamtaufnahmen von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ und viermal der komplette „Ring des Nibelungen“. In Kollos Memoiren „Mein Leben und die Musik“, die 2016 erschienen, erstreckt sich die Liste seiner Tonaufnahmen über fünf Seiten!
Mit dem Welterfolg hätte es auch schiefgehen können, haute doch Kollo durchaus auf den Tisch, wenn ihm etwas nicht passte. „Ich bin immer meinen Weg gegangen und habe mich nicht um links und rechts gekümmert“, meint er.
Hohe Wogen schlug beispielsweise sein Krach mit Herbert von Karajan, den auch die „Bild“-Zeitung genüsslich ausbreitete. „Wir waren damals beide krank; die Nerven lagen blank“, erinnert er sich; der Auslöser war eine Lappalie. „Mir war klar: Wenn ich mich mit Karajan verkrache, komme ich nie wieder auf irgendeine Opernbühne, weil der Mann einen solchen Einfluss hat.“ Die Sache ging aber gut aus.
René Kollo ist bewusst, dass sich heutige Sänger einen solchen Eigensinn kaum leisten können. „Heute geht es im Musikgeschäft wie in der Bundeswehr zu: Strammstehen und Jasagen“, ist er überzeugt. Er selbst konnte seine künstlerische Entwicklung besonnen aufbauen; ohne drängende Agenturen im Hintergrund. „Ich habe gern mal ein Glas Rotwein getrunken und hatte ein paar Kilo zu viel auf den Rippen. Aber die braucht man auch, wenn man Tristan singt“, erzählt René Kollo. „Die Hauptsache ist, dass man sich tagsüber vor der Vorstellung ausruht und nicht viel redet.“
Mit neuem Album auf Deutschland-Tournee
Heute pflegt René Kollo seine gelassene Lebensweise auf Mallorca. Er blieb hier hängen, als er noch segelte; auf der Suche nach einem preiswerten Winterplatz für sein Boot. Auf der Mittelmeerinsel lebt er in einer Art Wohngemeinschaft zusammen mit seiner Ex-Frau, der französischen Tänzerin Béatrice Bouquet, und deren neuem Partner. Manchmal kommt eines der vier Kinder zu Besuch.
Früher war das 3.000-Quadratmeter-Gartengrundstück René Kollos Refugium, wo er neue Rollen und Stücke einstudierte. Heute lässt er es hier ruhig angehen. Wichtigster Gefährte ist sein „Charakterdackel“ namens Pico. „Ich kann gut mit mir allein sein. Es gibt genug zum Nachdenken“, sagt der Sänger. Vormittags geht Kollo ins Dorf, trinkt einen Kaffee, schaut sich die Leute an. Nachmittags gibt es die ortstypische Siesta. „Ich liege auf der Couch, quer über mir der Dackel; und wir schließen für eine Stunde die Augen.“
Musik hört er nur wenig. Das Gehör funktioniert aber nach wie vor ausgezeichnet. Als während unseres Gesprächs am anderen Ende des Raumes leise die Espresso-Maschine piepst, zuckt er irritiert zusammen.
René Kollo machte seine Karriere in einer Zeit, als das Fernsehen mit seinen abendfüllenden Unterhaltungs-Shows die gesamte Bevölkerung erreichte. „Ich war jede Woche in irgendeiner Show zu Gast“, erinnert sich Kollo. „Noch heute habe ich ein breites Publikum, weil mich viele Menschen vom Bildschirm kennen.“ Heute sei dieser Karriereweg verbaut, da klassische Musik in den Fernsehprogrammen keine Rolle mehr spiele. „Die jungen Sänger kommen gar nicht erst so weit, dass die Leute sie kennenlernen“, stellt Kollo fest.
Vor seiner Opernkarriere hatte sich René Kollo als Schlagersänger einen Namen gemacht. Mit Ricky Nelsons „Hello Mary Lou“, Auftritten in Schlagerfilmen oder beim Eurovision Song Contest. Der leichten Muse huldigte er auch mit dem Album „Meine große Liebe“, das 2020 auf den Markt kam. „Ich habe eine Schlager-Platte gemacht, um zu zeigen, dass ich nach 60 Jahren noch so leicht und locker wie früher singen kann“, erklärt er.
Eigentlich ist es schade, dass dieser große Sänger seine Erfahrungen nicht an den Nachwuchs weitergibt. Kollo hatte nie eine Professur, und nur vereinzelt Privatschüler. „Ich habe einen großen Fehler: Ich habe keine Geduld“, gibt er zu. „Die meisten Schüler würde ich wahrscheinlich sofort aus dem Fenster werfen …“
Im Frühjahr kam nun ein besonderes Album heraus – denn René Kollo hat dabei gemeinsam mit dem Crossover-Tenor Jay Alexander ein Liederalbum aufgenommen: Werke von Schubert, Brahms und Mendelssohn in Arrangements für Streichorchester. Unter dem Motto „Romantische Abendlieder“ präsentiert Kollo hier glanzvolle Kantilenen und eine makellose Aussprache. Und er hat das Auftakt-Stück der neuen Platte ausgesucht: Schuberts „Der Wanderer an den Mond“, das er früher gern bei Liederabenden sang. Pünktlich zur Adventszeit sind René Kollo und Jay Alexander jetzt unterwegs auf einer gemeinsamen Deutschland-Tournee – der Auftakt ist in Frankfurt. Auch in Berlin gibt es ein Konzert – am 7. Dezember in der Kreuzberger Passionskirche am Marheinekeplatz.