Das Superwahljahr 2026 wirft seinen Schatten bereits in diesem Herbst voraus. Fünf Landtagswahlen stehen an, und ein Ministerpräsident kann es kaum erwarten: Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Kein Wunder, denn er hat seinen Wahlkampfschlager gefunden.
Es ist ein unwirtlicher Ort, die innerstädtische Brache zwischen einem der am dichtesten befahrenen Autobahnkreuze Deutschlands und einem riesigen Bahngelände, auf denen die ICE, IC und S-Bahnen vorbeirauschen. Flankiert von der Restruine einer ehemaligen Autobahnbrücke am Berliner Funkturm beginnt die Berliner CDU ihren Wahlkampfauftakt für die Abgeordnetenhauswahlen.
Die sind zwar erst am 20. September 2026, aber der Berliner CDU-Chef und Regierende Bürgermeister Kai Wegner fängt schon mal lieber an diesem sonnigen Mittag Mitte Oktober damit an. Spatenstich für den Wiederaufbau der abgerissenen Ringbahnbrücke, einem zentralen Teilstück der Berliner Stadtautobahn A 100. Diese und die etwa tausend Meter entfernte Westendbrücke mussten im April ad hoc wegen akuter Einsturzgefährdung abgerissen werden.
„Das ist das neue Berliner Tempo“
Wenn man so will, war der Abriss der beiden Tragwerke der erste Streich des CDU-Regierenden für den absehbaren Wahlkampf. Die beiden Brücken der Hauptverkehrsader der Berliner Stadtautobahn wurden innerhalb von zwei Wochen im Eiltempo abgerissen. Jetzt folgt der nächste Wegner-Rekord: In nicht mal fünf Monaten Spatenstich für den Wiederaufbau der beiden Brücken – und der 53-jährige Wegner will auch hier gleich mal klotzen. In 22 Monaten, also im August 2027, soll dieses Teilstück der Stadtautobahn wiedereröffnet werden. Kai, der Baumeister.
„Das ist das neue Berliner Tempo, an dem sich dann hoffentlich alle in Deutschland ein Beispiel nehmen können“, frohlockt Wegner gut gelaunt beim Spatenstich. Eine Anekdote am Rande: Kai Wegner ist auf dem Weg zum Spatenstich trotz Blaulicht im Verkehr mit seinem Dienstwagen stecken geblieben und kam mit 20 Minuten Verspätung.
Nun aber kommt der ohnehin ambitionierte Zeitplan für den Wiederaufbau der Autobahnbrücken, der laut FORUM-Information weit enger gestrickt ist, als offiziell verkündet. Die beiden Haupttragbauwerke, also die eigentlichen Brückenelemente, sollen bereits ein Jahr zuvor, Ende August nächsten Jahres, eingehoben werden – damit also circa drei Wochen vor der anstehenden Abgeordnetenhauswahl. So ist Wahlkampf, wenn denn alles bei den Bauleuten am Kreuz Funkturm im anvisierten Zeitplan bleibt.
Damit hat die CDU ihr Thema für die Abgeordnetenhauswahl gefunden, wie übrigens schon bei der Wiederholungswahl. Auch da lagen Kai Wegner und seiner Spree-CDU die Autofahrer ganz besonders am Herzen. Nach dem Wahlsieg der Berliner CDU im Februar 2023 in der nun amtierenden Landesregierung zusammen mit der SPD wurden gleich mal reihenweise die Tempo-30-Zonen wieder aufgehoben, Fahrradstraßen oder Pop-up-Radwege, die noch in Planung waren, wieder gestrichen. Bereits fertige und noch nicht freigegebene wurden wieder für den Autoverkehr freigegeben.
Nun also der mögliche CDU-Coup mit der Wiederherstellung der A 100 zu einer halbwegs funktionierenden Stadtautobahn als Wahlkampfschlager. Das Thema „Sperrung Autobahnkreuz Funkturm“ wird den Berliner Christdemokraten dabei garantiert nicht verloren gehen. Jeden Tag sind in den kommenden knapp zwei Jahren weiterhin Hunderttausende Autofahrer, aber auch genauso viele Anwohner im Umfeld der A 100 von dem daraus resultierenden Verkehrschaos auf den umliegenden Straßen betroffen.
Und CDU-Spitzenkandidat Wegner legt bei jeder sich bietenden Gelegenheit noch einmal nach: Der Weiterbau der Stadtautobahn an deren derzeitigem Ende im Osten der Stadt in Treptow. „Der 17. Bauabschnitt muss kommen, wollen wir einen funktionierenden Innenstadtverkehr in Berlin. Wir wollen den Verkehr aus den Kiezen rausholen“, gibt sich der Regierende Bürgermeister kämpferisch in Sachen intakter Innenstadtverkehr durch Autobahnbau.
Von seinem SPD-Koalitionspartner ist dazu derzeit wenig zu hören, was nicht wirklich verwundert. Die stellvertretende Bürgermeisterin und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) versuchte zu Beginn des Stadtautobahn-Desasters und dessen Bewältigung mit ihrem Rathaus-Chef Wegner noch mitzuhalten. Doch ihr Elan ist geschwunden, nachdem sie von ihren sozialdemokratischen Genossen an der Spree parteiintern kurzerhand kaltgestellt wurde.
Giffey, direkte Vorgängerin Wegners im Amt, wird im kommenden Jahr nicht erneut die SPD-Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl sein. „Damit konzentriere ich mich jetzt ganz auf mein Amt als Wirtschaftssenatorin“, fasst es Giffey gegenüber FORUM kurz und bündig zusammen.
Neue Kandidaten bei Grünen und Linken
Der neue SPD-Spitzenkandidat heißt Steffen Krach! Den meisten Berlinern ein völlig Unbekannter, der aber zumindest in der SPD an der Spree bestens vernetzt ist und immerhin seinen politischen Dienst schon mal als Wissenschaftsstaatssekretär in Berlin versehen hat. Derzeit ist Steffen Krach Präsident der Region Hannover, hat drei Kinder und sich in seinem neuen Haus in der Region eingerichtet.
Er soll nun den Wahlkampf für die Sozialdemokraten in Berlin von der niedersächsischen Landeshauptstadt aus schmeißen. Aber vielleicht wird Krach nun in den kommenden zehn Monaten von seinem Dienst als Regionspräsident Hannover freigestellt, um in der Bundeshauptstadt Wahlkampf zu machen. Ein spannendes politisches Experiment: Diesmal versucht es die SPD mit einem neuen Gesicht, das niemand kennt.
Ob die Sozialdemokraten damit allerdings noch mal die 18,4 Prozent vom Februar 2023 bei der Wiederholungswahl erreichen, darf bezweifelt werden. In den Umfragen liegen sie in diesem Herbst bei um die 13 Prozent.
Auch die in der letzten Umfrage erheblich verbesserte Linke setzt auf eine eher unbekannte Kandidatin: Elif Eralp. Die stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes wohnt immerhin mittlerweile in der Bundeshauptstadt und sitzt obendrein seit 2021 im Abgeordnetenhaus. Die 44-Jährige setzt voll auf linke Themen, allen voran Enteignung der Wohnungsbaukonzerne oder Stopp von Abschiebungen.
Laut einer Umfrage vom September könnte Elif Eralp tatsächlich Regierende Bürgermeisterin eines rot-grün-roten Senats werden, dieses Bündnis hätte derzeit eine hauchdünne Mehrheit. Die Linke kommt derzeit auf 16 Prozent in den Umfragen.
Die Grünen schicken ihren Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Werner Graf, ins Rennen, er hat ebenfalls erst seit 2021 ein Mandat. Graf gilt als überzeugter Linker und dürfte zumindest dem grünen Wähler-Kernklientel namentlich bekannt sein. Immerhin war er vor knapp zehn Jahren mal Co-Vorsitzender des Landesverbands.
Doch auch die Grünen in der Hauptstadt leiden derzeit unter dem Bundestrend ihrer Partei und liegen in den letzten Umfragen bei um die 13 bis 15 Prozent. Also im direkten Kopf-an-Kopf-Rennen um das Amt des Regierenden Bürgermeisters im kommenden Jahr ebenfalls mehr als wacklige Chancen.
Problem für SPD, Grüne und Linke im anstehenden Wahlkampf: Thematisch sind sie alle extrem dicht beieinander und werden es schwer haben, sich untereinander abgrenzen zu können.
Für den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und seine CDU eine Idealvoraussetzung, wenn ihr auserkorener Wahlkampfschlager „funktionierende Stadt“ am Beispiel Straßenverkehr denn so klappt wie geplant. Die Zeichen stehen nicht schlecht – bis zur Wahl werden die Berliner noch viel im Stau stehen und darüber nachdenken können, warum das so ist.