Viele Wälder sind vom Aussterben bedroht, nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Um diesen Prozess umzukehren, braucht es Ideen und nachhaltige Ansätze, besonders in der Modeindustrie.

Der Erhalt unserer Wälder zählt zu den effizientesten Maßnahmen, um den Klimawandel aufzuhalten. Etwa 30 Prozent der gesamten Erdoberfläche sind mit Bäumen bedeckt. Sie bilden den größten Speicher für Kohlendioxid überhaupt. Damit wieder mehr Leben in den Wald kommt, haben sich nicht nur Umweltaktivisten, sondern auch Forscher und Designer aufgemacht, nachhaltiger zu arbeiten und sinnstiftender mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Viele davon gelten als Abfallprodukte oder schöne Hingucker, dabei können Moose, Pilze, Baumrinde und Co. so viel mehr sein. Und sie liegen direkt vor der Haustür, brauchen als Rohprodukt keine weiten Wege zurückzulegen und lassen sich zu unglaublich vielen schönen Kleidungsstücken und Accessoires weiterverarbeiten.
Pilze

Pilzleder gilt als einer der neueren Trends in der Kleidungsindustrie. Dabei ist die Entdeckung dieser Verwendungsmöglichkeit für den Bewohner des dunklen Waldbodens schon sehr alt. Traditionell wurde der Zunderschwamm in frühen Jahren zur Herstellung von Kleidung, zum Wundheilen und Feuermachen verwendet. Er ist mehrjährig, hat eine Konsolenform und wächst an Birken und Buchen. Bei der Suche ist es wichtig, dass die Exemplare möglichst groß ausgewachsen sind. Aus ihnen wird die Tramaschicht herausgeschnitten und dann geklopft, bis diese etwa die doppelte Größe erreicht hat. Anschließend sollte die Schicht gut austrocknen. Danach kam in der Vergangenheit Knochenleim zum Einsatz, um daraus Kleidungsstücke zusammenzufügen. In Rumänien gibt es diese Methode auch heute noch. Hierzulande wird der Knochenleim inzwischen durch Wasser, Mineralien und Zucker ersetzt. Bereits im Jahr 2014 startete die Entwicklung von Myzel, einem Wurzelgeflecht aus Pilzen. Aniela Hoitink arbeitete gemeinsam mit einem Professor und anderen Künstlern und Designern an der Universität in Utrecht an der Herstellung eines veganen Lederersatzes. Schon zwei Jahre später kreierte sie ihr erstes Kleid aus Mycotex, dem Pilzleder. Damit ihre Mode in größeren Produktionschargen auf den Markt kommen kann, gehen die Forscher nicht mehr in den Wald zum Pilzesammeln. Sie nutzen Farmen. Die Biomasse wird aus großen Fermentern gewonnen. Nach etwa einer Woche ist das Pilzmyzel fertig, die Grundlage für Mycotex. Das entsteht in der Mischung aus anderen Geheimmaterialien. Die Fertigung der Kleidungsstücke funktioniert nahtfrei mithilfe von Neffa, einer Firma, die sich auf den Druck von 3D-Modellen spezialisiert hat. Sind die Stücke fertig, müssen sie lediglich trocknen, schon gehen sie in den Verkauf. Und weil das so schnell und einfach funktioniert, ist dieses Druckverfahren längst als echte Alternative zu Nadel und Faden in vielen Designstudios angekommen, wenngleich sich noch nicht jedes die teuren Drucker leisten möchte. Im Jahr 2021 veröffentlichte Accenture eine Studie mit dem beeindruckenden Ergebnis, dass Mycotex bis 2030 etwa 430.000 klassisch gefertigte Jacken einsparen könnte. Und damit einen riesigen Berg Müll, denn Pilzleder ist natürlich kompostierbar. Inzwischen dürfen viele Label das einzigartige Material verwenden, sofern sie sich an die Markenschutzrechte halten. Damit kommt dieses Industriestück zwar nicht mehr direkt aus dem Wald, doch seinen Ursprung findet es dort im Kleinen und blickt auf eine sehr lange Tradition zurück.

Tannenharz
Das „Gold des Waldes“ ist bei Menschen schon seit Jahrhunderten beliebt und erfreut sich vielfältiger Einsatzbereiche. Es dienst als Heilmittel, kann aber auch zur Herstellung von Schmuck verwendet werden. Dabei steckt der dekorative Anteil schon von allein im Baumstamm, in Form von Bernstein und der ist beliebt. Dabei handelt es sich um von der Luft verschlossenes Harz, welches deshalb nach und nach versteinerte. Dieser Vorgang kann Millionen Jahre zurückliegen. Wer solange nicht warten möchte, der nutzt frisches Harz und gießt sich daraus seinen Schmuck einfach selbst. Da es transparent wird, lässt es sich vielfältig einsetzen. Es kann Schmucksteine, Edelsteine und Edelmetalle wunderbar aufhübschen und schützt sie gleichzeitig. Die gleiche Aufgabe hat Harz auch am Baum. Blutet dieser und entwickelt eine Wunde, kommt die klebrige Substanz zum Einsatz und verschließt sie wieder. Dadurch gelangen weder Pilze noch Bakterien an den Baum. Auch vor Fressfeinden und Parasiten bleibt er geschützt. Neben dem Harz im Baumharz gehören Terpentin und ätherisches Öl zu den Inhaltsstoffen dieses natürlichen Schutzschildes. Letzterem verdankt der „Kleber“ seinen intensiven Duft. Grundsätzlich ist das Harz von Nadelbäumen besser für die Weiterverarbeitung geeignet, da es eine festere Konsistenz aufweist als das von Laubbäumen. Sammeln lässt es sich leicht überall im Wald, allerdings ist darauf zu achten, die Masse oberflächlich zu entnehmen und auch nur in überschaubarer Menge. Sonst öffnet sich die Wunde wieder. Ideal ist es, zum Absammeln auf gefällte Bäume zurückzugreifen. Die benötigen ihren natürlichen Schutzschild nicht mehr. Da das Ganze eine sehr klebrige Angelegenheit ist, sind Handschuhe, Schaber und Gefäße ratsam. Zu kaufen gibt es Bernsteinschmuck und solchen aus kunstvoll gegossenem neueren Tannenharz bei jedem gut aufgestellten Juwelier und natürlich über das Internet, zum Beispiel über etsy.com. Wer mag, der kann sich auch eigenhändig Formen fertigen und selbst gemachten Schmuck herstellen. Tropft etwas davon auf den Boden, ist das kein Problem, dann halten die Schuhe besser. Es gibt inzwischen erste Versuche, das Harz in abgeänderter Form zum Kleben von Schuhsohlen zu verwenden. Es ist günstiger, klebt hervorragend und muss nicht aufwendig chemisch hergestellt werden. Im Haushalt ist es also ratsam, ein Gläschen mit Tannenharz bereitzustellen. Bei den bekannten großen Labeln steckt diese Methode im wahrsten Sinne des Wortes noch in den Kinderschuhen.
Baumrinde

Die Rinde des Baumes gilt in der holzverarbeitenden Industrie als Reststoff. Dieser wird meist verbrannt oder zu Briketts weiterverarbeitet. Dadurch gelangen hohe Mengen von klimaschädlichem CO2 in die Atmosphäre. 60 Millionen Tonnen Baumrinde gelten weltweit als ungenutzt. Damit sich das ändert, hat sich vor einigen Jahren ein Team am Max-Planck-Institut in Potsdam aufgemacht, die vielen positiven Eigenschaften dieses Biomaterials aufzuzeigen und es zugänglicher zu machen für viele Industriezweige, einschließlich dem der Mode. Und das sehr erfolgreich, denn im Wissensjahr 2020/21 konnte die Forscherin Charlett Wenig gemeinsam mit der Mode- und Materialdesignerin Johanna Hehemeyer-Cürten und ihrem „The Bark Project“ sogar einen begehrten Preis einheimsen. Den erhielt sie in der Kategorie „Visions“ im Zuge eines Ideenwettbewerbs zum 20-jährigen Bestehen der Jungen Akademie. Sie durfte sich über Platz zwei freuen und bekam ein Preisgeld von rund 2.000 Euro. Inhalt des Projekts war die Verwendung von Baumrinde als Fasern und Farbstoff für nachhaltige Textilien. Die Basis dieser Entwicklung war die Tatsache, dass jeder Baum, egal ob Kiefer, Eiche oder Apfel zu 20 Prozent aus Rinde besteht. Diese schützt ihn vor äußeren Einflüssen, kontrolliert seinen Wasserhaushalt und speichert Nährstoffe. Außerdem wächst sie ständig nach. Optimale Voraussetzungen also, um sie weiterzuverarbeiten. Hier bietet sich eine vielfältige Anwendung an, der strukturellen und chemischen Zusammensetzung der Rinde sei Dank! Deshalb ließen sich unter anderem Fasern daraus weben. Bei Birkenrinde sei es zudem möglich, aufgrund ihres Gehalts des Extrastoffes Tannin Ascheglasuren und Farbstoffe herzustellen. Sogar ganz ohne aufwendige Beizprozesse. Um die Rinde zu retten, starteten die Forscherinnen ihre Arbeit aber nicht im Labor, sondern im Sägewerk. Sie schälten mithilfe von Brecheisen und Holzkeilen zunächst die äußere Hülle vom Stamm ab. Das erklärt Wenig in einem Interview wie folgt: „Ein bisschen, wie man eine Apfelsine schält. Der Kraftakt daran ist, dass die Rinde ja voller Wasser ist, die hat ja ganz schön Gewicht. Das Längste, was wir geschält haben, waren elf Meter am Stück. Das ist also richtig ein schwerer Teppich.“ Optimal gelingt die Gewinnung im späten Frühjahr. Schwierig ist es, den „Teppich“ an einem Stück zu halten. Für gewöhnlich bröselt getrocknete Rinde nämlich einfach in sich zusammen. Damit das nicht passiert, hat die studierte Industrie- und Produktdesignerin ein Verfahren entwickelt, welches sie flexibel hält. Dazu wird die Kiefernrinde zwei Tage lang in eine Lösung aus Wasser und Glycerin eingelegt. Danach fühlt sie sich weich und biegsam an. Bislang eignet sich für diesen Vorgang allerdings ausschließlich Kiefernrinde, denn alle Arten haben unterschiedliche Strukturen. Bis heute ist zwar in etwa entschlüsselt, was so eine Baumrinde alles enthält, und doch bleibt vieles immer noch unentdeckt. Was man dank Forschungsprojekten wie dem obigen inzwischen weiß, ist, dass sich Eichenrinde vielfältig einsetzen lässt, unter anderem zur Herstellung von Böden, Tischen und Keramik, aber auch als Stofffaser, aus der Jacken und Shorts gefertigt werden. Robinienrinde kommt bei der Herstellung von Schuhsohlen, Gürteln und Taschen zum Einsatz. Hochwertige Astor Gürtel von Watson & Wolfe zum Beispiel bestehen aus der Rinde von Eichen. Auch Morgen Leather führt eine Kollektion aus Rindengürteln und -taschen. Vor zwei Jahren zeigte die Haute-Couture-Marke Balmain auf der Fashionweek gleich eine ganze Linie von Kleidern und Accessoires aus Eichenrinde, Zweigen und sonstigen Naturmaterialien. Eine Inspiration, die zum Umdenken einlädt.

Moos
Ein innovativer und natürlicher Weg, die Natur in die Mode zu integrieren, bietet Moos. Getrocknet und haltbar gemacht dient es zum Beispiel dazu, einzigartige Haptiken auf Stoffen zu kreieren. So lassen sich Jacken, Mützen und Kleider individuell und nachhaltig aufhübschen. Daneben haben die Kleidungsstücke einen positiven Einfluss auf das Klima. Ein gutes Beispiel ist die Weste „Melting Spheres“ von Raphaela Küper. Die Studentin am Institute of Biomimicry for Interior Innovations im niederländischen Venlo entwickelte ein spezielles Design, das eine einzigartige Verbindung zwischen der Mode- und Pflanzenwelt schaffen sollte. Nach dem Motto „Flora meets Fashion“ besteht die Weste aus Tillandsie, Moos und Kokos. Die Moose können den Feinstaub in der Luft reduzieren, überleben unter schlechtesten Bedingungen und verfügen über sehr flache Wurzeln. Das macht sie ideal zur Verarbeitung. Tillandsie kann ebenso gut quasi ohne Boden überleben und ist genauso anspruchslos wie Moos. Eingesetzt auf einen Kokosgrund und dann zusammengefügt aus vielen Einzelteilen entsteht aus beiden Waldbewohnern eine schicke Weste. Wird die nicht mehr gebraucht, landet sie einfach auf dem Kompost. Wer dazu noch die passenden Accessoires sucht, der findet sie zum Beispiel bei MadamLili. Hier entdecken Kunden laut der Webseite des Labels „ein ungewöhnliches, aber modernes Ohrringkonzept, das konserviertes, echtes grünes Moos in einer Glaskugel einschließt.“ Die Ohrringe bestehen aus zwei mundgeblasenen Kugeln, die das Moos umschließen und mit hochwertigen 925er Sterling Silberhaken am Ohr ihren Platz finden. Auch als Broschen oder Kettenanhänger ist der grüne Waldbewuchs eine schöne Zierde. Der Vorteil an echtem Waldmoos ist der, dass es absolut widerstandsfähig ist und zahlreich am Waldboden und auf Bäumen wächst. Dadurch ist es einfach zu ernten und flexibel einsetzbar. Dabei zeigt Moos viele Farbfacetten von tiefem Grün bis zu Braun- und Rottönen. Das bringt wunderschöne Einzelstücke hervor, die auch nach Jahren noch ein Hingucker bleiben – ganz ohne aufwendige chemische Prozesse oder teure Beigaben.