Die Modebranche gehört zu den großen Umweltsündern. Inzwischen gibt es viele kleine Start-ups, die sich mit Nischenprojekten etablieren und Kollektionen aus Recylingmaterialien auf den Markt bringen.
Knöpfe aus Kokosnussschalen, Jacken aus ausrangierten Kuscheldecken, Bettwäsche aus Vorhangstoffen und vieles mehr finden Interessierte beim Start-up Moot. Der Begriff ist die Abkürzung für „Made out of trash“, zu Deutsch „aus Müll hergestellt“. Damit ist das Ziel der beiden Gründer Michael Pfeifer und Nils Neubauer klar gesteckt: Sie wollen unterschiedlichste Materialien wiederverwenden und aus ihnen richtig schicke Kleidung machen, die nicht nur klimafreundlich ist, sondern auch bezahlbar. So gibt es die Bettwäsche schon für knapp 50 Euro, eine hochwertige Winterjacke schlägt mit 289 Euro zu Buche. Gegründet wurde Moot im Jahr 2020 mit einem einfachen Anliegen: „Es sollte ganz normal sein, dass wir durch die Straßen laufen und ein Shirt aus Bettwäsche tragen“, erzählt Pfeifer in einem Interview mit „manager-magazin.de“.
T-Shirt aus Bettwäsche
Das Prinzip ist einfach: Textilmüll ankaufen, neue Kleidung daraus herstellen. Bislang hat das geklappt, mehr als 1.000 Stücke wandern monatlich über eine der zwei Berliner Ladentheken des Labels oder gehen via Online-Einkauf auf die Reise direkt zum Kunden nach Hause. Da ist noch Potenzial nach oben. Vielleicht mit Katjes? Der Hersteller für süße Leckereien setzt neuerdings auf Kosmetiktaschen. Warum, erklärt der kreative Moot-Gründer wie folgt: „Wir haben eine sehr große Menge an Verpackungsmaterial von Katjes erhalten und daraus Kosmetiktaschen produziert.“ Die Kosmetiktaschen wiederum vertreibt der Süßwarenhersteller dann selbst. Das steigert nicht nur das eigene Portfolio, es macht auch Moot bekannter in der Szene. Und das ist gewollt, denn hier ruhen sich die Gründer nicht auf der eigenen Modelinie aus. Sie wollen mehr erreichen und sehen sich deshalb gezielt branchenübergreifend um, um Innovationen und Lösungen für den steigenden Verpackungsmüll anbieten zu können. Sie beraten große Unternehmen in Sachen Kreislaufwirtschaft, nehmen „schwierig zu recycelten Müll“ an und fertigen daraus neue Kollektionen. Die gehen zurück zum Unternehmen, das diese dann vertreibt. Eine Win-win-Situation, wenngleich keine einfache, denn Pfeifer gibt zu, dass hier Upcycling-Expertise gefragt ist: „Produkte umzufunktionieren ist gar nicht so einfach, da gehören Erfahrung und Know-how dazu. Vor allem die kompletten Wertschöpfungsketten, die man zu diesem Zweck aufbauen muss, sind nicht leicht replizierbar.“ Da ist es umso schwieriger, „die strengen Vorgaben der Regierung in Sachen Müllreduzierung zu erfüllen.“
Laut einer Studie von McKinsey aus dem Jahr 2022 fallen europaweit jedes Jahr 7,5 Millionen Tonnen textile Abfälle an. Nicht einmal ein Prozent dieser Menge bekommt ein zweites Leben und wird zu neuer Kleidung. Dabei wäre das Potenzial da. Prognosen der Unternehmensberatung gehen von etwa 15.000 neuen Arbeitsplätzen aus, die durch eine gelungene Kreislaufwirtschaft entstehen könnten. Und das bereits in den kommenden zehn Jahren. Der Markt würde dabei ein Volumen von bis zu acht Milliarden Euro erreichen. Noch ist die Modeindustrie davon weit entfernt. Sie verursacht aktuell rund zehn Prozent aller CO2-Emissionen – und das weltweit! Selbst der See- und Luftverkehr zusammen können diesen Wert unterbieten. Der Grund für diese Zahl ist in der Produktion der Kleidungsstücke zu finden. Neben dem Anbau verursacht auch die Verarbeitung insbesondere das Färben der Stoffe einen so hohen Wert. Mittlerweile hat die Europäische Kommission das Problem erkannt und versucht, mit strengeren Ökodesign-Regeln gegen die Klimaverschmutzung vorzugehen. Langfristig soll damit der Fast-Fashion-Industrie der Hahn zugedreht werden.
Das gelingt inzwischen auch von allein, denn mehr und mehr Label gehen bewusst nachhaltigere Wege. Sie wenden sich gegen die Verschwendung von Ressourcen und produzieren „Abfall-Mode“. Wie Tega Akinola mit ihrem gleichnamigen Label. Durch Zufall fand sie beim Ausmisten ihres alten Kinderzimmers kaputte Kabel und entschloss sich kurzerhand dazu, daraus Pumps zu machen, wie sie in einem Interview in der „Zeit“ verrät. In den sozialen Netzwerken kam die Idee so gut an, dass sie aus Kabeln inzwischen nicht nur Schuhe, sondern auch Hüte fertigt. Aus alten Fleecejacken schneidert sie Handtaschen und vertreibt sie über ihren Online-Shop. Dabei steht der Klimaschutz gar nicht ganz oben auf der Agenda, wie sie verrät: „Es geht mir nicht darum, nachhaltig zu sein, aber es freut mich, wenn Leute anders über Mode denken.“ Anders denkt auch Odély Teboul über den Müll oder vielmehr den Umgang damit. Was mit einem Kleid aus alten Handschuhen begann, hat sich zu einer kompletten Kollektion gemausert. Und die bietet einiges, unter anderem Hosen und Korsagen, verschönert mit den Bügeln alter Brillen. Das ist aufwendig, aber ebenso einzigartig. Wichtig ist der Designerin mit ihrem Label „Lou de Bètoly“, dass ihre Mode nicht praktisch oder schnell verfügbar ist, sondern viel länger getragen werden kann aus Liebe zum Handwerk. Sie betrachtet Müll als Herausforderung, braucht es doch einen besonderen Schaffensgeist, um daraus Kleidung zu kreieren. „Die Kunst ist das Design, also die Sachen so umzugestalten, dass man nicht unbedingt sieht, was es ursprünglich war“, bestätigt Safak Yüreklik. Sie hat sich ebenfalls dem Müll verschrieben, nutzt zum Beispiel Shampooflaschen, Kronkorken oder die Verpackungen von Katzenfutter. Daraus entstehen Haarspangen, Taschen und Schmuck. Die Ideen scheinen der Altlandsbergerin dabei nicht auszugehen, das Material offensichtlich auch nicht. Alle kreativen Werke sind über ihr Label „Die dritte Hand“ zu beziehen. Sie werden auf Märkten oder über das Internet angeboten. Und täglich kommen neue dazu.
Schmuck aus Bieretiketten
So wie Caroline Orth, eine studierte Modedesignerin am Royal College of Art, die heute in Kopenhagen lebt. Sie fertigt Schmuck aus Kaugummipapieren, Zigarettenstummeln und Bieretiketten. Mithilfe von Epoxidharz schafft sie Erinnerungen aus konserviertem Abfall.
Natürlich retten ausgewählte Ringe und Ketten nicht den Planeten, sie zeigen aber zumindest, was kreativer Schaffensgeist bewirken kann. Was im Kleinen gelingt, das muss das Große noch schaffen. Recycling sollte deshalb immer industriell gedacht sein, Upcycling allein kann die Emissionen nicht runterschrauben. Trotzdem ist Mode aus Müll ein sinnvolles Konzept und eines, das nachahmenswert ist. Schwer macht es der Materialmix der meisten Modestücke. Selbst bei dominierenden Naturfasern sind meist Chemiefasern beigemischt, damit das Ganze robuster und haltbarer wird. Was für den Nutzer praktisch und komfortabel ist, stellt die Industrie vor ein riesiges Problem. Eine Trennung ist nach wie vor kompliziert und aufwendig. Bleibt also im Moment nur das Upcycling. Die Idee tragen Internet-Plattformen wie „Handmadekultur“. Trotzdem bezweifelt selbst die Geschäftsführerin Dörte Brilling, dass das Prinzip aktuell massentauglich ist. Noch immer sei es schlicht günstiger, neu zu kaufen statt zu reparieren, wenngleich es durchaus eine steigende Nachfrage von Menschen gäbe, die Wert auf Nachhaltigkeit legen. Damit das Thema also bei der breiten Masse ankommt, braucht es mehr als enthusiastische Miniprojekte. Es muss ein Ruck durch eine Branche gehen, die immer noch vor allem von den bekannten Labels lebt. Da machen die Moot-Gründer einen guten Anfang, bilden Kooperationen und stellen sich gleichzeitig der Verpflichtung, zumindest einige Tonnen Müll zu recyceln.