Die Bundeswehr braucht mehr Personal. Das ist einigermaßen unstrittig. Gestritten wird aber darüber, ob das über Freiwilligkeit oder Pflicht erfolgen soll. Die gesellschaftliche Diskussion zeigt, dass dahinter noch viele weitere Fragen stehen.
Seit Wochen wird munter diskutiert, obwohl es lange so aussah, als wäre eigentlich alles klar. Die Bundeswehr braucht deutlich mehr Personal, und weil das nicht so einfach von heute auf morgen geht, hatte Bundesverteidigungsminister Pistorius ein Konzept vorgelegt. Es hätte also losgehen können mit den ersten Schritten, nämlich Erfassung und Personalaufbau mit Freiwilligen, zunächst ohne Pflicht. Bekanntlich hat das der Union nicht gereicht. Und plötzlich war der Vorschlag zu einem Losverfahren in der Welt.
Inzwischen hat der Bundestag den ursprünglichen Entwurf des Verteidigungsministers in der ersten Lesung beraten, was bedeutet, dass nun in den Ausschussberatungen munter weiter diskutiert wird, welche Änderungen am vorgeschlagenen Gesetz noch vorgenommen werden sollen. Also alles im Moment im parlamentarischen Verfahren, und noch offen.
Grundsätzlich bereit: Freiwillig
Gleichzeitig hat auch die gesellschaftliche Diskussion nicht nur Fahrt aufgenommen, sondern sich auch deutlich verbreitert. Das Thema bewegt, weil es um grundsätzliche Fragen geht, von der möglichen unmittelbaren persönlichen Betroffenheit bis zu geopolitischen (Macht-)Fragen um Krieg und Frieden – und all die grundsätzlichen, aber auch ganz pragmatischen Konsequenzen. Das spiegeln auch die vielen Veranstaltungen wider, die es in diesen Tagen und Wochen dazu gibt – von den unterschiedlichsten Veranstaltern. Parteien, Stiftungen und Institutionen, auch im Saarland, nehmen sich des Themas an – und alle Veranstaltungen sind zumeist mehr als nur gut besucht.
Erst recht, wenn wie bei einer Veranstaltung der Grünen Jugend im Saarland vor allem junge Menschen angesprochen werden sollen. Eben jene, über die zwar gerade im Zusammenhang mit der Diskussion um die Wehrpflicht viel geredet wird, mit denen aber in der ersten Phase erstaunlich wenig gesprochen wurde. Wie übrigens mit anderen von möglichen Konsequenzen Betroffenen auch eher wenig gesprochen wurde.
Bei der Grünen Jugend saßen sie nun zusammen: ein Jugendoffizier der Bundeswehr, eine Vertreterin der Freiwilligen Dienste im Saarland und die Grünen-Bundestagsabgeordnete Jeanne Dillschneider, die gleich erklärte, sie wolle vor allem in erster Linie zuhören (was sie auch in den zwei Stunden Diskussion weitgehend tat). Dazu ein Publikum, das von Schülerinnen und Schülern bis zu Veteranen der Friedensbewegung reichte und vielen, die sichtlich an einer ernsten Diskussion statt an plakativen Reden interessiert waren.
Was sich inhaltlich als Tenor durch fast alle Diskussionsbeiträge durchgezogen hat, ist eine grundsätzliche Bereitschaft zu einem gesellschaftlichen Engagement, auch um damit etwas zu dem beizutragen, was in der Regel unter dem Schlagwort „Resilienz“ zusammengefasst wird. Aber: freiwillig!
Was im Wesentlichen der Position der Grünen-Abgeordneten Dillschneider, die im Übrigen auch Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestags ist, entspricht: „Wir wollen zunächst alle Möglichkeiten der Freiwilligkeit nutzen.“ Wobei sie realistischerweise als persönliche Einschätzung ergänzt, dass es wohl auf Sicht auch zu „verpflichtenden Elementen“ kommen werde. „Aber erst einmal freiwillig.“
Abgesehen davon, dass eine Wehrpflicht derzeit allein aufgrund der Strukturen gar nicht umsetzbar wäre, sieht auch Hauptmann Stefano Canfora, Jugendoffizier der Bundeswehr, entscheidende Vorteile, „wenn junge Menschen eine Wahl haben.“ Schließlich lebe auch die Bundeswehr von der Motivation.
Dass es eine große Bereitschaft zu einem gesellschaftlichen Engagement in den unterschiedlichsten Bereichen gibt, unterstreicht auch Annika Schäfer, stellvertretende Leiterin der Freiwilligendienste im Saarland beim Wohlfahrtsverband „Der Paritätische“. Jedenfalls gebe es mehr Interessierte als Plätze. Natürlich plädiert auch sie „für Freiwilligkeit, gegen Pflicht“, bekräftigt aber auch die Forderung, dass die Rahmenbedingungen der Freiwilligendienste verbessert werden müssen.
Dass sich hinter der Diskussion noch viele andere Fragen auftun, macht eine 15-jährige Schülerin deutlich, indem sie ihre Zwiespältigkeit schildert: Zur Bundeswehr wolle sie zwar nicht, aber andererseits könne es in einer Gesellschaft, für die Gleichberechtigung einen großen Stellenwert hat, nicht sein, dass so etwas wie eine Wehrpflicht nur für Männer gelte (wie es derzeit die Regelung im Grundgesetz vorsieht).
Grundsätzliches und Praktisches
Natürlich flammte auch immer wieder die Diskussion um die aktuelle Situation auf. Schließlich ist die Bedrohungslage spätestens seit dem Angriffskrieg Russlands letztlich ein wesentlicher Auslöser für die Debatte. An diesem Punkt war es dann doch nicht mehr so weit her mit großer Einigkeit. Wobei Hauptmann Stefano Canfora einen klaren Punkt machte, als er erklärte, warum er den Dienst in der Bundeswehr mache: „Damit es das hier gibt, dass so etwas möglich ist“, womit er nicht nur die Diskussion des Abends unmittelbar meinte, sondern grundsätzlich eine offene Gesellschaft, mit vielen Meinungen, die frei geäußert werden dürfen, ohne mit Konsequenzen wie in anderen Systemen rechnen zu müssen.
Dass sich die Weltlage dramatisch verändert, sieht auch Frank Wagner, Generalsekretär der CDU im Saarland. Er vertrat auf einer Podiumsdiskussion der Union-Stiftung die Auffassung, dass das „Ausprobieren“ unterschiedlicher Modelle, also grundsätzliche Wehrerfassung per Fragebogen, Losverfahren, Bedarfswehrpflicht, allgemeine Wehrpflicht, in der aktuellen Situation zu viel Zeit koste.
Wer sich freiwillig melde, solle seiner Meinung nach deutliche finanzielle und qualifikatorische Anreize erhalten in Form von besserer Besoldung, Führerschein oder Weiterbildungen. Wagner bezweifelt jedoch, dass diese ausreichen werden, um die benötigten Zahlen zu erreichen. Er setzt sich daher für eine allgemeine Wehrpflicht ein, also die Rückkehr zu Einberufung, Musterung und Tauglichkeitsprüfung aller wehrfähigen Männer – nicht verpflichtend für Frauen, wie Wagner betont. Für ein Gesellschaftsjahr, wie von den Grünen vorgeschlagen, sieht Wagner derzeit keine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, die bei einer völligen Neugestaltung des Systems vonnöten wäre.
Mit Wagner auf dem Podium der CDU-nahen Union-Stiftung saß Christian Seel, Oberst der Reserve und Beauftragter des Saarlandes für zivilmilitärische Zusammenarbeit. Er plädierte für eine deutliche Stärkung der verfassungsrechtlichen Grundlage, da die Wehrpflicht ein erheblicher Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen sei. Seel warnte davor, das Sozialsystem Deutschlands mithilfe eines Wehrersatzdienstes, also des Zivildienstes, reformieren zu wollen – bei verpflichtendem Dienst müsse es eine solche Option wieder geben. Auch sprach er sich zunächst für eine verpflichtende Musterung für alle aus, um das grundsätzliche Potenzial zu erfassen, aber für einen freiwilligen Dienst. Wenn dieser nachweislich nicht ausreiche, um die erforderliche Truppenstärke von 260.000 Menschen zu erreichen, solle man über eine Wehrpflicht nachdenken. Das Losverfahren sei für ihn nur eine „Ultima Ratio“, die letzte Option, um die Truppenstärke doch noch zu erreichen – für Verweigerer des Loses brauche es dann auch einen Ersatzdienst.
Der Widerspruch aus dem Publikum kam prompt – von einem Reservisten. Der schloss eine Wehrpflicht und ein Losverfahren aus, das senke die Moral des Ausgelosten und damit auch die der Truppe. Auch eine überbordende Bürokratie behindere die notwendige Modernisierung. Andere Zuschauerinnen und Zuschauer argumentierten, Geld könne man statt in die Verwaltung und Organisation der Wehrpflicht in eine besser ausgestattete Berufsarmee stecken. Technologische Möglichkeiten sollten in den Vordergrund gerückt werden. Themen wie Digitalisierung, Drohnen und KI bestimmten ohnehin bereits den aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine.