Sie war gefeierte Künstlerin, Mutter für zwölf adoptierte Kinder und unerschütterliche Kämpferin gegen Rassismus und für die Bürgerrechte – mit einer facettenreichen Ausstellung feiert die Neue Nationalgalerie die Ikone Josephine Baker.
Es war ein Foto, das 1968 die Welt erschütterte. Auf der Stufe vor einer verschlossenen Tür sitzt Josephine Baker, ohne jeden Glanz und Glamour früherer Zeiten, die Augen versteckt hinter einer schwarzen Sonnenbrille, den einst so bewunderten Körper bedeckt mit einer karierten Wolldecke. Während einer Tournee war ihr Anwesen, so heißt es, zu einem Siebtel seines Wertes zwangsversteigert worden, um aus dem Erlös die Forderungen der Gläubiger zu bedienen. Seit Jahren schon litt sie unter Geldsorgen, sie, die Geld wenig schätzte und großzügig verschwenderisch für das ausgab, was ihr wichtig schien: den Unterhalt, die Erziehung und Ausbildung ihrer „Regenbogen-Familie“. Zwölf Kleinkinder hatte sie, die selbst Kinderlose, von ihren globalen Gastspielen mitgebracht und adoptiert, Waisen aller Nationen, Ethnien und Religionen. Einen Ort der Gleichheit und Brüderlichkeit wollte sie ihnen schaffen und damit beweisen, dass Menschen unterschiedlichster Herkunft sehr wohl friedlich zusammenleben können. Dazu hatte sie mit den nicht unbeträchtlichen Einnahmen ihrer weltweiten Auftritte Schloss Les Milandes in der Dordogne erst gemietet, dann gekauft. Es wurde zum Treff vieler Prominenter, die Josephine Bakers soziales Engagement schätzten. Feste gab es dort, Kunstereignisse, Konferenzen zu Antirassismus und Multikulturalität, auch das umliegende Dorf wurde einbezogen. Eine wunderbare Idee, ein edles Ideal – das jedoch Unsummen verschlang.
Bakers Anwesen als Ort der Gleichheit
Der Antrieb dazu stammt vielleicht aus ihrer Kindheit. Josephine Baker wird 1906 in Saint Louis, Missouri, in ärmliche Verhältnisse hineingeboren. Die Mutter ist Amateurtänzerin und Wäscherin, der Vater, ein jüdischer Schlagzeuger, lässt die Familie bald im Stich. Die Rassendiskriminierung wütet, nicht nur in den Südstaaten. Ein Pogrom, das die Elfjährige miterlebt, prägt sie. Mit 13 wird sie mit einem viel älteren Mann verheiratet, vier weitere Ehen folgen. Ihr ausgeprägtes Talent für Tanz, Gesang und Komik bestätigt sich in ersten kleinen Engagements, schließlich auch als Chorus-Girl am Broadway im ersten „all-black-musical“: „Shuffle Along“. Der damals populäre deutsche Schriftsteller Karl Gustav Vollmoeller vermittelt sie von New York aus nach Berlin und, wichtiger, nach Paris. Dort, im Théâtre des Champs-Élysées, hat sie im Oktober 1925 in „La Revue Nègre“ Premiere – eine Weltkarriere startet. Sie tanzt unnachahmlich Charleston und Jazz, augenrollend, busenfrei und kniewackelnd, mit dem berühmten Bananengürtel als sparsamem Requisit und mit überschäumendem Temperament, das die Zuschauer verblüfft und verzaubert.
Auftritte in allen großen Pariser Revue-Tempeln und Plattenaufnahmen als Sängerin folgen, der Film vereinnahmt sie. Die Crème der Pariser Kunstszene feiert sie begeistert. Nach der zuvor umjubelten „Serpentinentänzerin“ Loïe Fuller und der 1927 tragisch verunglückten „Modernen“ Isadora Duncan ist sie die dritte Frau aus Übersee, die Paris in Taumel versetzt, allerdings die erste Schwarze. Doch die Welt ist noch nicht bereit für erfolgreiche schwarze Künstler. Bei Gastspielen in ganz Europa, Nordafrika und Südamerika sind ihre Shows ausverkauft, jedoch von Protesten und Boykottversuchen begleitet. In Amsterdam etwa bricht bei ihrer triumphalen Ankunft der Verkehr zusammen, in Stockholm besucht auch die Königsfamilie ihre Show. Argentiniens Präsident will die Auftritte verbieten – dennoch absolviert sie dort und in Uruguay während dreier Monate rund 200 Shows, zwei täglich.
Als die Nazis Paris erobern, erhält Josephine Baker Auftrittsverbot. Sie bleibt trotzdem, schließt sich im Komitee Freies Frankreich dem Widerstand an, gehört zur Résistance, schmuggelt nicht ohne Risiko geheime Informationen ins Ausland, geschrieben mit unsichtbarer Tinte auf ihre Partituren. Als Truppenunterhalterin für die amerikanischen Streitkräfte fährt sie 1941 ins frankophone Afrika, besteht auch unter den Soldaten auf Aufhebung der Rassentrennung im Publikum, was sie später, 1951, bei einem Gastspiel in Miami Beach, ebenfalls durchsetzt. Nach dem Krieg spinnt sie ihre Karriere fort, engagiert sich vehement gegen Rassismus, redet 1963 neben Martin Luther King beim legendären „Marsch auf Washington“, wirkt in internationalen Komitees für Gleichberechtigung und Menschlichkeit. Längst hat sie für ihre Verdienste um Frankreich die Ehrenbürgerschaft und hohe Auszeichnungen erhalten, zeigt sich häufig stolz in ihrer ordengeschmückten Militäruniform.
Geldprobleme zwingen sie nach dem wiederholt verkündeten Bühnenabschied immer wieder zu Auftritten, so auch 1968 im Friedrichstadt-Palast Berlin. Dennoch kann sie Schloss und Familie nicht halten. Im April 1975 erlebt zu ihrem 50-jährigen Bühnenjubiläum im Pariser Bobino „Joséphine“ eine glanzvolle Premiere, eine Show, die in 33 Nummern Rückschau auf Stationen ihrer Karriere hält. Im Glitzerkleid mit Schleppe und Kopfschmuck schreitet der Star zwischen Herren im weißen Frack die Revuetreppe herunter, gibt nach der Show noch ein Interview. Wenige Tage danach stirbt die Baker an einem Schlaganfall und wird in Monaco, wohin sie von Les Milandes mit ihrer Familie umgezogen ist, beigesetzt. Auf Veranlassung von Präsident Macron erhält sie 2021 als erste Schwarze ein Ehrengrab im Pariser Panthéon, Frankreichs Ruhmeshalle und Grabstätte Prominenter wie Napoléon. Als „schwarze Venus“, Publikumsgöttin und unermüdliche Kämpferin für die Rechte von People of Colour bleibt sie unvergessen.
Kurz vor ihrem 50. Todestag ehrt die Neue Nationalgalerie in Berlin sie nun detailreich und kompakt mit der Ausstellung „Josephine Baker. Icon in Motion“. Harry Belafontes „Banana Boat Song“ empfängt hier die Besucher, ehe sie frontal auf eine der vielen fotografischen Großaufnahmen stoßen: Josephine in motion, bekleidet mit eben jenem berühmten Bananengürtel. Die Zusammenschau zeichnet ihr Leben nicht chronologisch nach, sondern gliedert sich mit einer Fülle an teils originalem Material in einzelne Kapitel, die neben der künstlerischen Arbeit ihre Bedeutung als öffentliche Person im sozialen Einsatz darstellen.
Triumphe und Niederlagen
Man durchwandert beim Rundgang Etappen einer unvergleichlichen Laufbahn, reich an Triumphen, Siegen und Niederlagen, das Leben einer wagemutigen Streiterin. Monitore zeigen Ausschnitte aus Filmen und Shows. Man liest beispielsweise, dass Max Reinhardt sie in Folge der Resonanz auf das Berliner Gastspiel von „La Revue Nègre“ an sein Theater holen will, Vollmoeller sie in einer Fotoserie porträtiert, der umtriebige Publizist Harry Graf Kessler eigens für sie das Libretto für ein Ballett nach Motiven aus dem „Hohelied Salomo“ entwirft, das jedoch nie aufgeführt wird. In den USA wäre sie erstickt, wird Josephine Baker selbst zitiert und auch mit dem bitteren Kommentar, als „black girl“ ohne Geld gebe es lediglich drei Wege aus der Armut: als Dienstmädchen, Prostituierte oder Tänzerin.
Immer wieder flaniert man an wandhohen und kleineren fotografischen Reproduktionen vorbei, die Josephine Baker im vollen Ornat des Revuestars zeigen: ganz in ihrem Element in extravaganten Roben aus der Hand namhafter Couturiers, mit üppig ausladendem Kopfputz und mit bezauberndem Lächeln. Oder in knappen Pants, mit spiegelglatt pomadisiertem Haar, kess ein Lockenkringel auf der Stirn, das Gesicht eine bewusst kecke Grimasse. Das ist nur die eine, die mondäne Josephine Baker. Die andere Seite zeigt sie 1940 vor Truppen in Paris, 1943 in Damaskus, wo sie in schlichter Montur für das Rote Kreuz singt, oder wie sie 1946 in London mit Soldaten strahlend das Ende des Weltkriegs feiert. Man sieht sie, müde und mit dicker Brille, bei weltweiten Vorträgen gegen Diskriminierung, etwa auf der 1. Anti-Rassismus-Konferenz, die sie 1957 auf Les Milandes beherbergt, oder auf der Konferenz beim Weltfestival of Black Arts in Dakar, in Havanna und Rio de Janeiro oder auch im Militärdress beim „Marsch auf Washington“.
Inspiration für zahlreiche Künstler
Viele bedeutende Künstler ihrer Ära ließen sich von ihr zu Werken inspirieren: René Allegret dreht mit ihr, Wolff von Gudenberg fotografiert sie mit Maiskolbenröckchen, Matisse, Le Corbusier und Paul Klee werden durch sie zu Darstellungen schwarzer Kunst angeregt. Der US-amerikanische Bildhauer Alexander Calder modelliert sie als filigrane Drahtskulptur in Gestalt eines Mobiles, obwohl er sie nie hat tanzen sehen. Auch Gegenwartskünstler wie Simone Leigh und Jean-Ulrick Désert sind in der Schau mit Arbeiten vertreten, die Josephine Bakers Einfluss und Anziehungskraft bis in die heutige Zeit nachweisen. Davon zeugen ebenso eine Fülle von Dokumenten in Vitrinen. Bücher über sie sind darunter, Ausgaben ihrer Memoiren-Bände und ihre großformatige Schrift „Die Regenbogenkinder“, Kesslers Szenario für sein geplantes Ballett, Postkarten, Werbematerial, ihr Visumantrag für Algerien, ein exquisites Programmheft für die Folies Bergère mit „La Baker“ als Stern. Und man sieht die Partitur von 1931 für eines ihrer berühmtesten Chansons: „J’ai deux amours“. Ich habe zwei Lieben, meine Heimat und Paris, singt sie darin. Dass es in jener Heimat eine inzwischen ausgefranste FBI-Akte – zu besichtigen als Kopie – über sie gibt und dass sie 1951/52 vom FBI des Kommunismus angeklagt werden würde, konnte sie damals allerdings noch nicht ahnen.