Deutschlands Wirtschaft hinkt hinterher. Die Parteien legen in ihren Programmen Ideen vor, wie sie dies ändern wollen – etwa mithilfe von Steuersenkungen oder massiven Investitionen.
Deutschland wieder wettbewerbsfähig machen – das ist die zentrale Aufgabe, die die kommende deutsche Regierung vor deutliche Herausforderungen stellt. Wegen des Kriegs in der Ukraine, fehlendem Billiggas aus Russland, des chinesischen Exportüberschusses und den erwartbaren Protektionismus einer kommenden US-Regierung sind die Voraussetzungen für die exportorientiere Bundesrepublik alles andere als einfach. Ein Blick in die Wahlprogramme zeigt, mit welchen Methoden die Parteien dies bewältigen wollen.
Die Christdemokraten gehen mit einer ganzen Palette von Steuererleichterungen in den Wahlkampf. Konkret geht es dabei um Unternehmenssteuersenkungen auf 25 Prozent, derzeit bei liegen sie bei 30 Prozent. Als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt nach den Vereinigten Staaten und China ist die deutsche Steuer damit derzeit deutlich höher als die der USA (21 Prozent) und etwas niedriger als die Japans (ca. 31 Prozent). Wer Überstunden in einem Vollzeitjob leistet, soll diese Zuschläge steuerfrei erhalten. Zudem soll der Solidaritätszuschlag abgeschafft, der Spitzensteuersatz (derzeit bei etwa 66.700 Euro) angehoben und die Mehrwertsteuer in der Gastronomie auf sieben Prozent gesenkt werden – eine Forderung der Gastronomie, die nach der pandemiebedingten Senkung auf sieben diese wieder auf die vorherigen 19 Prozent anheben musste. Auch die Agrardieselsubvention für die Landwirte soll wieder vollumfänglich eingeführt werden, Stromsteuer und die Netzentgelte günstiger für die Verbraucher und damit auch die Industrie werden, finanziert durch die CO2-Steuer. Bleiben sollen die Schuldenbremse und die Versprechen die Steuern nicht zu erhöhen sowie Bürokratie abzubauen.
Insgesamt belasten diese Pläne den deutschen Staat mit knapp 100 Milliarden Euro, so der Volkswirtschaftler Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzt die Zahl auf 89 Milliarden Euro. Eine entsprechende Gegenfinanzierung geschehe durch die erhöhte Arbeitsleistung der Deutschen, Konsumausgaben und das darauffolgende Wirtschaftswachstum, so Generalsekretär Carsten Linnemann im Interview mit dem Sender Phoenix, was wiederum Steuermehreinnahmen produziere, so die Hoffnung. Außerdem sollen Ausgaben gekürzt, das Bürgergeld abgeschafft und stattdessen eine Grundsicherung mit stärkeren Sanktionen eingeführt werden. Die CDU/CSU geht davon aus, dass heute 200.000 mehr Bürgergeldbezieher seit Einführung so schneller die Hunderttausende offenen Stellen in Deutschland besetzen können. Dabei soll unter anderem auch das Wohngeld gedeckelt werden, damit der Staat nicht für hohe Mieten in deutschen Innenstädten aufkommen müsse, so Friedrich Merz.
Das SPD-Programm dreht sich vor allem um eine Fortführung der Agenda aus den vergangenen Jahren, bestehend aus Investitionen in Wirtschaft, Bildung und die marode Infrastruktur. Ein aus Steuer- und Privatinvestitionen geschaffener Deutschlandfonds, ausgestattet mit 100 Milliarden Euro, soll die Infrastruktur modernisieren: Strom- und Wärmenetze, Ladesäulen für E-Autos, Wohnungsbau. Jener Fonds müsse die geltende Schuldenbremse nicht aufweichen, dennoch soll sie reformiert werden, um Investitionen in das Land zu erleichtern, heißt es im Programm. Für die Wirtschaft wären gedeckelte Netzentgelte drin, sie sollen auf drei Cent pro Kilowattstunde sinken. Wenn Unternehmen in neue Geräte investieren, würden ihnen laut SPD zehn Prozent der Anschaffungskosten über Steuern erstattet statt dass sie komplizierte Förderanträge ausfüllen müssen. Der Mindestlohn soll auf 15 Euro steigen, Frauen und Männer per Gesetz den gleichen Lohn bekommen. Adressiert wird auch der seitens der Unternehmen flehentlich geforderte Bürokratieabbau, hier setzen die Sozialdemokraten vor allem auf digitalisierte beschleunigte Verfahren.
Wirtschaftsexperten beziffern die Kosten für dieses Programm auf 30 bis 40 Milliarden Euro. Finanziert werden kann laut dem SPD-Papier dieses Programm durch den Solidaritätszuschlag – anders als bei der CDU/CSU soll dieser bleiben – sowie höhere Steuern für Vermögende. Die Erbschaftssteuer soll stärker bei Millionenbeträgen greifen und die Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkommen, Zinsen und Dividenden künftig über die Einkommenssteuer besteuert werden. Ebenso kann sich die Partei eine erneute Vermögenssteuer vorstellen.
BDI fordert mehr Vertrauen
Auch die Grünen wollen günstigere Energie für die Wirtschaft bereitstellen. Gelingen könne dies mithilfe eines Deutschlandfonds, der als Übergang bis zu einer geplanten Reform der Schuldenbremse Investitionen in Klimaschutz, Infrastruktur und Mobilität stemmen soll. Damit sollen unter anderem die Netzentgelte bezahlt werden, die bislang die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Unternehmen besonders belasten. Die Stromsteuer soll auf das europäische Mindestmaß sinken, energieintensive Betriebe im globalen Wettbewerk durch eine dauerhafte Kompensation gestärkt werden. Eine Investitionsprämie von zehn Prozent der Anschaffungskosten neuer Geräte und Technologien würde, ähnlich wie bei der SPD, laut den Grünen für fünf Jahre befristet mit der Steuerschuld verrechnet – dies soll Investitionen ankurbeln, ein Qualifizierungsgeld die Aus- und Weiterbildung attraktiver machen. Mit einem Mindestlohn von 15 Euro und dem Abbau prekärer Beschäftigung zielt die Partei auch auf stabilere Renten. Die Industrie werde auf ihrem Weg in Richtung Klimaneutralität gestärkt, marktwirtschaftlich durch die CO2-Bepreisung, gezielte Unterstützung bei Investitionen und „unbürokratisches Ordnungsrecht“. Denn auch hier, wie schon bei CDU, SPD und FDP, zählt der Bürokratieabbau zu den recht häufig genutzten Begriffen im Wahlprogramm.
Das IW Köln schätzt die bei den Grünen entstehende Finanzierungslücke auf 48 Milliarden Euro. Finanziert werden könne dies nicht alleine durch Einsparungen, man müsse auch Steuern für Milliardäre erhöhen und die Schuldenbremse reformieren, so Spitzenkandidat Robert Habeck – für die dringend notwendige Modernisierung der überalterten Infrastruktur sollen also Schulden aufgenommen werden.
Die FDP setzt vor allem auf Steuersenkungen und weniger Bürokratie – pro Legislaturperiode plant man so Kosteneinsparungen für die Betriebe von bis zu sechs Milliarden Euro. Die Forderungen der Liberalen ähneln dabei stark jenen der CDU. Auch hier soll die Gastronomie steuerlich entlastet werden, der Grundfreibetrag um mindestens 1000 Euro angehoben, Überstunden bei Vollzeitarbeit steuerlich befreit werden. Die Unternehmenssteuern sieht die FDP bei unter 25 Prozent, der Soli, der noch für etwa zehn Prozent der besonders vermögenden Deutschen gilt, könne abgeschafft werden. Reformen beim Bürgergeld sorgen dafür, dass bei „mangelnder Initiative“ das Geld immer weiter gekürzt wird. Das Zurückfahren staatlicher Subventionen, etwa in den Ausbau der Erneuerbaren, und das Verkaufen von staatlichen Beteiligungen an Betrieben bringe dem Staat Milliarden, die man in die Bildung investieren könne, heißt es. Kostenpunkt der FDP-Ideen laut IW Köln: 138 Milliarden Euro.
Weitere Wahlprogramme sind noch in Vorbereitung, die Linke etwa entscheidet erst Mitte Januar über ihr Programm, ebenso die übrigen Parteien. Klar ist: Koalitionskompromisse werden diese Maximalforderungen verwässern. Es bleiben die Fragen: Wieviel Umverteilung für Bürgerinnen und Bürger ist nötig, wieviel Steuersenkung für Unternehmen möglich? Und woher soll das Geld für wirtschaftliche Stimuli und dringende Infrastrukturinvestitionen kommen?
„Die kommende Bundesregierung sollte eine neue Kultur des Vertrauens in Menschen und Unternehmen schaffen“, sagte Siegfried Russwurm, Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie: Der BDI fordert weniger Bürokratie, geringere Energiekosten, 25 Prozent Unternehmenssteuer, Wegfall des Soli, eine Investitionsprämie und längerfristige Abschreibungen sowie massive öffentliche Investitionen im dreistelligen Milliardenbereich. Je nach Regierungskonstellation könnte die Industrie also einen Großteil ihrer Forderungen im kommenden Frühjahr erfüllt sehen. Ob diese Früchte tragen, hängt aber nicht alleine an der nächsten Bundesregierung.