Die Energiewende in Deutschland braucht einen Perspektivwechsel. Neben den Einsparpotenzialen plädieren Forscher auch dafür, das Thema Suffizienz, sprich Verzicht, in den Fokus zu nehmen.
Verfehlte Klimaziele, komplizierte Förderkulisse, Detailverliebtheit, ausufernde Bürokratie und mangelnde Suffizienz – die Energiewende in Deutschland kommt nur schleppend daher. Kann Deutschland nicht „einfach“ so wie viele andere Länder? Dabei haben wir in unserem Land viele gute Ideen und Ansätze zur Energie- und Ressourceneffizienz, eine zwar unübersichtliche, aber gut ausgestattete Förderlandschaft, jede Menge Erfahrung aus erfolgreich umgesetzten Projekten, das Wissen um die Dringlichkeit der Energiewende und Fachleute, die wissen, wie es geht.
Wo es hakt und klemmt und was man besser machen könnte, darüber diskutierten rund 140 Fachleute aus Politik, Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft auf dem 10. Saarländischen Energiekongress der IZES gGmbH Mitte September im Saarbrücker Schloss unter dem sehr weit gefassten Titel „Energieeinsparung und Ressourceneffizienz in Industrie, Energie- und Bauwirtschaft“.
Mehr Transparenz und mehr Tempo
Mehr Transparenz, mehr Tempo, mehr Vereinfachung könnte man beispielsweise dem Parforce-Ritt durch den Förderdschungel des aus Berlin angereisten Dr. Ron Lipka vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz entgegensetzen. EEW, BIK, KSV, EDL-G, EnEfG, GEG – Abkürzungen, die für die EU, den Bund und das Land stehen. Alle wollen informieren und fördern – das dürfte einen kleinen oder mittleren energieintensiven Betrieb eher leicht überfordern als nützen. „Ohne externe Hilfe geht da nichts, um an lukrative finanzielle Unterstützung des Staates fristgerecht und fehlerfrei ranzukommen“, mahnt Bastian Meinig vom Consulter Ayming. Inzwischen tummeln sich auf dem Markt internationale Consulting-Unternehmen, die sich auf Fördermittelberatung für Unternehmen spezialisiert und daraus ein neues Geschäftsfeld entwickelt haben. Dann sind da noch Akteure wie das Saar-Lor-Lux-Umweltzentrum, die mit viel Herzblut ein eigenes E-Tool für klein- und mittelständische Unternehmen entwickelt haben, die energieeffizienter werden möchten.
Dass in Gebäuden jede Menge Energieeffizienz-Potenziale stecken, ist bekannt: Laut Deutscher Energieagentur (Dena) wurden 63 Prozent der Gebäude in Deutschland vor der ersten Wärmeverordnung von 1977 gebaut. Sie verbrauchen fünfmal so viel Energie wie Gebäude, die nach 2001 und damit nach der letzten Energieeinsparverordnung errichtet wurden. Allein im Saarland sind gut drei Viertel der über 520.000 Wohn- und Nichtwohn-Gebäude vor 1977 errichtet worden, ein unvorstellbarer energetischer Sanierungsstau, der dringend aufgelöst werden müsste. Und wie reagiert die Politik? „Von einst 5.000 Vorschriften, Verordnungen und Richtlinien vor 20 Jahren sind wir inzwischen bei rund 12.000 angelangt“, erklärt Ulrich Thalhofer von der AGV Bau Saar, dem Verband der saarländischen Bauwirtschaft. Da mag die Vorfreude bei potenziellen Bauherren und Sanierern eher begrenzt bleiben. Erschwerend hinzu kommt der eklatante Fachkräftemangel im Handwerk, sodass viele gut gemeinte Bau- und Sanierungsprojekte zeitnah gar nicht umgesetzt werden können.
An Ideen, Energie effizient einzusetzen oder sie durch intelligente Techniken zurückzugewinnen, mangelt es in Deutschland nicht. Etwa durch den Einsatz smarter Materialien, um hocheffizient zu kühlen und zu heizen oder die Antriebe für die druckluftfreie Produktion energieeffizient zu gestalten, wie Dr. Sophie Nalbach von der ZeMA gGmbH aus Saarbrücken sie präsentierte. Forschung par excellence, aber eben derzeit noch ohne greifbare Kunden. Ein bisschen besser sieht das beim sehr anwendungsorientierten Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik in Dresden aus. Der Effizienzbeitrag zur Energiewende von reibungs- und verschleißarmen Elementen, zum Beispiel im Maschinenbau, ist nach Angaben von Dr. Volker Weihnacht durchaus praxiserprobt, kommt aber ohne Fördermittel leider nicht aus. Weihnacht forscht im Bereich der Tribologie, der Energieverluste durch Reibung. Aber so lange Unternehmen wie die Bahn, die sicherlich über eine Menge „Reibungsverluste“ verfügt, nicht mitmachen, bleibt die Tribologie wohl eher ein sehr spezielles Nischenthema.
Praxiserprobter klingen die Energieeffizienz-Netzwerke, die das Know-how und die Erfahrungen bei Energie- und Ressourceneinsparung in Unternehmen bündeln. Jörg Schmitt von Purem Technology (Eberspächer) ist überzeugt, dass ein offener und fairer Austausch im Netzwerk neue Impulse und Ideen freisetzen kann, Energieeinsparungen im Unternehmen zu erzielen.
Energieeffizienz-Potenziale zu heben steht auch bei den Energieversorgern selbst sehr stark im Fokus. So hat die Energis-Netzgesellschaft in einem groß angelegten bundesweiten Forschungsprojekt mit konkreten Beispielen in Perl und Freisen untersucht, welche Möglichkeiten ein Netzbetreiber hat, die Stromnetze durch intelligente Automatisierungen und Echtzeitinformationen transparenter und energieeffizienter zu gestalten. Das habe zwar zu brauchbaren Ergebnissen geführt, die heute auch angewendet werden, betont Benedikt Kessler von der Netzgesellschaft, aber er empfiehlt gleichzeitig den Blick über den Tellerrand zu unseren französischen Nachbarn. Dort wird nicht alles bis ins letzte Detail untersucht und ausgetüftelt. In Frankreich gibt es zum Beispiel für Haushaltskunden jeden Tag zwei vom Netzbetreiber Enedis festgelegte Zeiträume, insgesamt acht Stunden, in denen der Lieferant den Strom günstiger anbietet. Die zuvor bekannt gegebenen Zeiträume können sich um ein paar Minuten verschieben und sich jedes Jahr nach Vorankündigung auch verändern. Mit relativ einfachen Mitteln werden somit für alle Haushalte Anreize geschaffen, Stromverbräuche zu verlagern und so den Netzzustand kalkulierbarer zu machen. Die längst bei Haushalten eingebauten smarten Zähler machen das Abrechnen und Auslesen digital möglich, während in Deutschland bei Smart Metern immer noch über den richtigen Weg diskutiert wird, vor allem wegen des Datenschutzes.
Verzicht als Zugewinn
Die Deutschen gelten als detailverliebt und müssen nun in kurzer Zeit unter schwierigen Bedingungen mit wenig Erfahrung den komplexen Netzausbau sicher hinbekommen. Die große Nord-Süd-Stromverbindung SuedLink sollte schon 2022 fertiggestellt sein, um den grünen Strom aus dem Norden in den Süden zu transportieren. Der Startschuss zum Bau fiel aber erst Anfang September 2023. Deutschland und einfach, das passt irgendwie nicht so richtig zusammen.
Deshalb fordern einige Fachleute ein Umdenken. Wie etwa Prof. Dr. Ingo Uhlig von der Universität Halle-Magdeburg, der sich mit den Auswirkungen der historischen Energiewenden wie des Umstiegs auf die Dampfkraft oder der beginnenden Elektrifizierung beschäftigt hat.´„Die heutige Energiewende unterscheidet sich darin, dass wir Menschen die Auswirkungen dieser Transformation in der Praxis nicht spüren wollen. Wir müssen das Thema Suffizienz, sprich Verzicht, als Zugewinn empfinden.“
Doch Verzichten wird in unserer Gesellschaft als Verbot und als negativ wahrgenommen, was zusätzlich durch die unterschiedliche Wahrnehmung und Interpretation der politischen Parteien befeuert wird. Das Thema Suffizienz werde leider von der Politik vernachlässigt, beklagt auch Prof. Frank Baur vom IZES. Suffizienz, das bedeutet ein Umdenken, ein nachhaltiges und nicht nur auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaften. Konkrete Möglichkeiten: weniger Wohnraum für den Einzelnen, wie es Dr. Andrea Amri-Henkel und Yue Zheng vom IZES untersucht haben. Das heißt im Umkehrschluss auch weniger Ressourcen- und Energieverbrauch, weniger Energiekosten für den Einzelnen, besserer Klimaschutz oder eine bessere Kreislaufwirtschaft mit dem Fokus auf Wiedereinsatz von Materialien.
Weniger ist mehr, lautet das Motto oder das neue Narrativ – ein neues Mindset, eben kein Topdown-Prozess, sondern vielmehr eine moderierende Rolle des Staates und ein besseres Zusammenspiel aller Akteure.