Wenn Nervenwasser in Gehirn und Rückenmark nicht mehr zirkulieren kann, kommt es zum Stau in den Hirnwasserkammern – ein Hydrocephalus liegt vor. Ein Überblick über Symptome, Formen, Therapien und Ursachen der neurophysiologischen Störung.

Das Gehirn ist das wichtigste Organ, deshalb muss es geschützt sein. Der Liquor, auch Nervenwasser genannt, puffert unser Gehirn gegen mechanische Scherkräfte ab. Durch den Auftrieb verliert das Hirngewebe an Gewicht. Außerdem versorgt der Liquor die Nervenzellen mit Nährstoffen wie Zucker, Laktat und Proteinen und lässt neurotoxische Substanzen abfließen. „Normalerweise wird im Gehirn konstant Liquor produziert und resorbiert. Pro Stunde sind das beim Erwachsenen 20 Millimeter an Liquor, doch der muss gewissermaßen auch wieder resorbiert, also von dem Gewebe aufgesaugt werden“, erklärt Dr. Anna-Gila Karbe, die tätig ist als Oberärztin an der Berliner Charité in der Klinik für Neurochirurgie mit dem angeschlossenen Arbeitsbereich pädiatrische Neurochirurgie. Das Nervenwasser gelangt aus dem inneren Liquorraum über verschiedene Wege in den das Gehirn umgebenden äußeren Liquorraum. Aufgenommen wird das Nervenwasser im äußeren Liquorraum durch sogenannte Arachnoidalzotten, von wo es weiterfließt in die Venen des Schädels und in den Bereich des Rückenmarkskanals.
Wenn jedoch der Fluss des Liquors gestört ist, kommt es zu einer Stauung von Hirnwasser in den Ventrikeln, sprich den Hirnwasserkammern – dann spricht man von einem Hydrocephalus. „Wir Ärztinnen und Ärzte sehen dann in den MRT-Bildern die erweiterten Hirnwasserkammern“, sagt die Neurochirurgin. In der Folge des aufgestauten, nicht mehr abfließenden Hirnwassers entsteht ein Druck, wodurch sich die Kammern nach außen ausweiten und Hirngewebe verdrängt wird. Daneben gilt als diagnostischer Standard eine Liquordruckmessung und ein damit verbundener Liquorablass. „Durch den Liquorablass soll getestet werden, ob Patienten davon profitieren und sich ihre Beschwerden bessern“, sagt Anna-Gila Karbe.
Kopfschmerzen, Gedächtnisstörungen
Betroffene im Erwachsenenalter können unter Kopfschmerzen, Gedächtnis- und Sehstörungen und in akuteren Verläufen auch einer Bewusstseinsminderung leiden. „Das Problem dabei ist, dass auch Nervenwasser in den Perineuralscheiden fließt. Wenn es sich aufstaut, kann das auf den Sehnerv drücken“, sagt Dr. Anna-Gila Karbe. Auch chronische Formen von Hydrocephalus können auftreten. Anders als bei akuten Symptomen, entwickeln sich hingegen jene bei der chronischen Form langsamer. Die davon Betroffenen können unter demenzartigen Beschwerden, Schwierigkeiten beim Gehen und Harninkontinenz leiden.

Generell unterscheidet die Neurochirurgie zwischen dem angeborenen und erworbenen Hydrocephalus. Erstgenannter ist häufig bei Kindern anzutreffen und mit syndromalen Erkrankungen assoziiert. Hierzulande ist etwa eines von 1.000 Kindern vom angeborenen Hydrocephalus betroffen. Hinzu kommt, dass viele Kinder nach einer Hirnhautentzündung einen Hydrocephalus entwickeln. „Oft äußern sich in diesem Zusammenhang Symptome wie Kopfschmerzen. Die Kinder sind meist antriebsgemindert und schlapp. Auch können die Kinder eine geminderte Intelligenz und Entwicklungsverzögerungen haben“, erklärt die Medizinerin. Über den angeborenen Hydrocephalus bei Kindern weiß man mittlerweile, dass eventuell auch ein Gendefekt ursächlich dafür verantwortlich sein kann. „Wir sehen einen pränatalen Hydrocephalus ungefähr bei jeder 2.000. Schwangerschaft. Wir nehmen an, dass 40 Prozent der Hydrocephalus-Fälle auf eine genetische Ursache zurückgehen“, sagt Anna-Gila Karbe. Mehr als 100 Gene seien bekannt, die mit der Entwicklung eines Hydrocephalus in Verbindung gebracht werden.
Das Gros der angeborenen Hydrocephalus-Fälle ist jedoch bedingt durch Tumore, spezielle Fehlbildungen, Gefäßmalformationen oder Neuralrohrdefekte. Dazu kommen Einflüsse in der Schwangerschaft wie Alkohol, Medikamente, Strahlenexposition, Blutungen oder Infektionen. Ein weitaus geringerer Teil der angeborenen Fälle tritt in Kombination mit anderen angeborenen Anomalien oder Auffälligkeiten auf. Von einem erworbenen Hydrocephalus können sowohl Kinder als auch Erwachsene betroffen sein. „Kinder können auch Blutungen und Entzündungen haben, die später als Komplikation einen Hydrocephalus entwickeln.“
Verschiedene Formen des Hydrocephalus
Die Hydrocephalus-Expertin verweist auf eine im vorigen Jahr publizierte groß angelegte Studie aus Finnland, bei der man von 1.522 Patientinnen und Patienten mit der Form des erworbenen Normaldruckhydrocephalus (NPH) eine aufwendige Genomsequenzierung vornahm. Das Ergebnis: Die finnischen Forschenden stießen auf sechs veränderte Gene, die mit einem NPH assoziiert werden. „Die Hypothesen zur Entstehung eines Normaldruckhydrocephalus sind sehr verschieden und bisher nicht ausreichend geklärt. Hier soll zum Beispiel das glymphatische System (darüber wird der vorrangig nächtliche Abfalltransport aus dem Hirngewebe sowie der Transport von Immunzellen über ein hirneigenes Lymphsystem gewährleistet, Anm. d. Red.), Arteriosklerose und das obstruktive Schlafapnoesystem eine Rolle spielen“, sagt die Ärztin. Insofern liefere das Konzept eines genetischen Hydrocephalus zusätzliche interessante Aspekte.
Um die neurologische Störung noch genauer zu verstehen, ist eine weitere Unterscheidung notwendig: Wenn ein obstruktiver, nicht-kommunizierender Hydrocephalus diagnostiziert wurde, kann in der Regel der Liquor nicht ungehindert abfließen. „Einen solchen Befund sehen wir im MRT. Das kann ein Tumor, eine Blutung oder eine Aquäduktstenose, also eine Verengung des schmalen Gangs zwischen der dritten und vierten Hirnkammer, sein“, erläutert Anna-Gila Karbe. Eine weitere Form ist der kommunizierende Hydrocephalus, der durch keinen klaren Befund des gestörten Liquorflusses gekennzeichnet ist. Durch spezielle Messungen kann jedoch ein erhöhter Druck im Liquor und möglicherweise ein veränderter Liquor selbst festgestellt werden. „Das ist der Fall beim idiopathischen Normaldruckhydrocephalus, nach intrakraniellen Blutungen, schweren Schädel-Hirn-Traumata und Hirnhautentzündungen“, sagt die Fachärztin.
Sofern ein klarer Befund vorliegt, kann ein obstruktiver, also abfluss-gestörter Hydrocephalus meist an dem verursachenden Befund operiert und der Liquorabfluss wieder hergestellt werden. Neben diesen offen operativen Methoden kann auch durch eine Endoskopie eine andere Abflussform geschaffen werden. „Dabei pikst man ein Loch in den Boden des dritten Ventrikels und schafft so, den Fluss des Liquors umzukehren“, sagt Anna-Gila Karbe.

Menschen ab dem 60. Lebensjahr erkranken klassischerweise am NPH, was von Hydrocephalusformen bei Kindern und jüngeren Erwachsenen zu unterscheiden ist. „Die Symptome sind ähnlich wie beim kommunizierenden Hydrocephalus und Verschlusshydrocephalus, aber letzterer tritt plötzlich und akut auf, wohingegen sich die Symptome beim kommunizierenden Hydrocephalus langsamer aufbauen“, sagt Anna-Gila Karbe. Heißt: In jedem Alter können die zwei anderen Formen, also kommunizierender Hydrocephalus und Verschlusshydrocephalus auftreten, der NPH ist dagegen eine Krankheit des fortgeschrittenen Alters.
Um abzuklären, ob sich der Verdacht auf einen Hydrocephalus erhärtet, sollte in jedem Fall eine MRT erfolgen. „Für den Fall, dass kein Verschlusshydrocephalus vorliegt, ist die Therapie der Wahl die Implantation eines ventrikulo-peritonealen Shunts oder eines ventrikulo-atrialen Shunts“, sagt die Expertin. Während bei erstgenannter Methode ein Katheter die Hirnwasserkammer mit der Bauchhöhle verbindet, schafft die zuletzt genannte eine Verbindung zwischen Hirnwasserkammer mit dem Vorhof des Herzens. Doch ebenjene werde seltener vorgenommen, da sie durchaus mit Komplikationen verbunden sei. „Wir sehen, dass die Entwicklung auch zu lumbo-peritonealen Shunts geht. Das sind letztlich Katheter, die den Liquorfluss zwischen dem Nervenwassersystem des unteren Rückenmarks zur Bauchhöhle ableiten sollen“, sagt Anna-Gila Karbe. Sollte ein Patient nicht für eine Shunt-Operation infrage kommen, könne man mit einer seriellen Lumbalpunktion den Liquor immer wieder ablassen. „Manche Menschen wünschen kein Implantat, dann ist das eine Option“, erklärt Anna-Gila Karbe.
Shunt-Implantation ist sehr effektiv
Auch kann eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein. Aber: Diese Therapie ist weniger effektiv als ein Shunt und kann eher bei spezielleren Hydrocephalus-Formen angewandt werden. „Bei einem Normaldruckhydrocephalus empfehlen wir nicht unbedingt eine medikamentöse Therapie mit Carboanhydrase-Hemmern“, sagt die Spezialistin. Zum Beispiel soll die Einnahme von Acetazolamid die Liquorproduktion hemmen.
Unterm Strich lässt sich festhalten, dass jede Form des Hydrocephalus mit einer Shunt-Implantation effektiv und nahezu komplikationsfrei behandelt werden kann. „Die Shunt-Systeme sind heutzutage gut kontrolliert. Die zum Einsatz kommenden Katheter werden unter der Haut durchgeführt und reichen normalerweise bis zum Bauch. Über Ventile kann die Drainage des Shunts justiert werden“, sagt die Medizinerin. So könne die Drainage individuell an die Patientin und den Patienten angepasst werden. „Zusätzlich verfügen diese Ventilsysteme über eine Gravitationseinheit, die verhindert, dass abhängig von der Lagerung mehr oder weniger Liquor abfließt“, sagt Anna-Gila Karbe. Denn im Stehen ist der Nervenwasserfluss über den Shunt, der Schwerkraft folgend, höher als im Liegen. „Das wollen wir natürlich nicht, wenn ein Patient durch zu viel Liquorverlust Beschwerden haben kann“, führt sie aus.

Wie sieht genau die Kontrolle der Shunts aus? „Bei unkompliziertem Verlauf nach einer Shunt-Operation empfehlen wir, dass man nach vier bis sechs Wochen das System ambulant oder stationär kontrollieren lässt“, sagt Anna-Gila Karbe. Danach reicht in der Regel eine Kontrolle einmal pro Jahr. „Wenn ein Patient über Beschwerden klagt, werden die Kontrollen entsprechend angepasst.“
Klar ist: Das Krankheitsbild des Hydrocephalus ist sehr vielseitig und hochkomplex. In der Arbeit von Neurochirurginnen und Neurochirurgen nimmt es großen Raum ein. „Daher sind wir natürlich sehr daran interessiert, die Ursachen und Einflüsse zu verstehen und die Behandlung unserer Patientinnen und Patienten in diesem Feld so weit es geht zu entwickeln und zu verbessern“, sagt die Neurochirurgin von der Charité. Wünschenswert wäre aus ihrer Sicht, wenn in Zukunft noch weitere medikamentöse Behandlungsoptionen entwickelt werden könnten. Des Weiteren wäre zu begrüßen, wenn Neurochirurgen schon vor der Geburt auf die Entstehung eines Hydrocephalus Einfluss nehmen könnten, sagt Anna-Gila Karbe. Doch die Forschung geht auch auf anderer Ebene weiter. „Es wird auch viel Forschung betrieben, um die aktuellen Shunt-Systeme zum Beispiel mit integrierten Sensoren zu verbessern und individuellere Einstellungen zu ermöglichen, oder die Katheter resistenter gegen Ansiedlungen von Bakterien zu gestalten und damit Infektionen zu verhindern.“ Zu tun bleibt also noch sehr viel, um die Versorgung der Betroffenen zu optimieren.