Charly Hübner hat einen Film über „Element of Crime“ gedreht. Er kommt am 1. Oktober ins Kino. Ein Gespräch mit ihm sowie Sänger und Komponist Sven Regener.
Herr Hübner, ganz am Anfang des Films sagen Sie: „Ich stand mal auf einem Feldweg in meiner Heimat und hatte echte Teenagernot. Da ertönte aus meinem Walkman eine Stimme, die genau das sang, was ich fühlte: „Life is a pain in the ass“. Das war schlau und änderte alles, denn mir wurde klar: Wenn man so auf die Welt gucken kann, dann kommt man vielleicht doch mit ihr zurecht.“ Wie sind Sie und die Band, die diesen Satz in ihrer „Ballad of Jimmy & Johnny“ singt, denn für einen Dokumentarfilm zusammengekommen?
Charly Hübner: Ich kriegte im Frühjahr 2021 einen Anruf von der Managerin von „Element of Crime“, Charlotte Goltermann. Sie fragte, ob ich mir vorstellen kann, die Band mit der Kamera für eine Kino-Doku auf einer Berlin-Tour zu begleiten. Und ich habe gesagt: „Ja.“ „Bist Du Dir sicher?“ „Ja!“ „Gut, dann melde ich mich später nochmal. Ich bespreche das mit der Band.“ Dann kriegte ich kurze Zeit später nochmal einen Anruf: „Die Band findet das okay.“ Dann war erstmal Ruhe, weil dann war ja Corona. Aber in dieser norddeutschen Knappheit war das Ding klar.
Sven Regener: Unsere Managerin war der Meinung, dass es unbedingt mal einen Film über die Band geben muss. Wir waren uns nicht so sicher, weil Jakob, Richard und ich natürlich Angst davor hatten – so wie Tiere vorm Tierfilm. So: Oh, das kann auch ins Auge gehen. Was ist, wenn uns der Film dann nicht gefällt? Was ist, wenn wir einfach Scheiße sind – kann ja auch sein. Vielleicht sind wir ja doof in dem Film und kommen wie Doofies rüber. Kann alles passieren. Muss nicht mal böse gemeint sein. Weil wir als Band nur mit Musik etwas können. Alles andere können wir nicht. Wir können so einen Film auch gar nicht bewerten, schon gar keinen über uns selbst, weil wir da den Abstand gar nicht haben. Deshalb hatten wir etwas Angst davor. Aber weil Charly das macht, fanden wir das gut. Da haben wir Vertrauen. Und man muss ja Vertrauen mitbringen, weil man Objekt ist in diesem Film.
Ihr wolltet den Film also gar nicht machen?
Regener: Nein, das war Charlotte Goltermann, die war der Meinung, dass es jetzt endlich einen Film geben muss über die Band. Es kann nicht sein, dass es so einen Film nicht gibt. So wie Filme über Bob Dylan oder sowas. Sie hat das dann durchgepeitscht, ist auch Co-Produzentin. Und wir immer so: „Och, meinst Du echt?“ Aber Charly kannten wir, weil er ein Interview mit uns gemacht hatte fürs Diffus-Magazin. Da hat er mehr geredet als wir und angefangen, uns die Band zu erklären.
Das war das Interview 2019 im Kino International. Da hat Charly Euch mit einer mexikanischen Mariachi-Band verglichen.
Regener: Genau, das war ein sehr exaltierter Vergleich. Er hat da was gesagt von auf Booten spielen in Mexico City. Wir so: „What?!?“ Das war ganz toll, weil wir wussten, dass er eine ganz eigene Sicht auf die Band hat. Eine Sicht, die nicht unsere sein muss, die wir aber faszinierend finden. Und das ist eigentlich das, wovon man träumt: Wenn schon ein Film über uns, dann einer, der uns selbst überrascht. Den man sich anschaut und plötzlich das eigene Tun mit anderen Augen sieht. Und nicht: Wir bestellen etwas und dann wird da ein Werbefilm gemacht.
Hübner: Für mich war klar: Der Film kann nur eine Hommage werden. Das sieht man heute auch so selten, weil alle immer diese ausgleichenden journalistischen Berichte von Bands machen. Ich habe gesagt: Nein, das muss eine Hommage sein. Das würde ich als Fan auch sehen wollen. Ich will das, was ich gut finde, ausgeweidet sehen.
Es ist ja auch ein Tour-Film. Ihr habt fünf Konzerte in Berlin gespielt. Hattet Ihr keine Angst, dass Eure Musik in so einem Film anders klingt?
Regener: Das war einfach. Wir haben gesagt: Den musikalischen Teil, also die Live-Musik, produzieren wir. Wir kümmern uns darum, wie das aufgenommen wird und mischen das auch ab, wie wenn wir eine Live-Platte produzieren. Und diese Aufnahmen können dann für den Film benutzt werden. Wir haben keine künstlichen Zusatzstoffe genommen, also etwa Hall von anderswo.
Und die Bilder? Charly Hübner hat viele Eurer Archivaufnahmen genutzt, aber auch Filmmaterial vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb).
Regener: Wir waren alle drei sehr geflasht, Jakob, Richard und ich, als wir die endgültige Schnittfassung gesehen haben. Ich habe stellenweise Tränen gehabt. Diese alten Sachen zusammen mit der Musik, das ist gefühlsmäßig sehr stark. Das ist ja das eigene Leben, auf so eine exzentrische Weise, ein bisschen wirr und durcheinander. Und trotzdem ergibt das ein Bild. Wir hatten eine Zwischenversion gesehen. Da waren viele sprechende Köpfe. Das mochte ich nicht so sehr. Ich will mich da nicht so viel sehen, wie ich da unrasiert einen erzähle. Das muss ja auch nicht sein: Der dicke alte Mann erzählt einen vom Krieg. Und dann ist das plötzlich so charmant geworden, weil das mit diesen Bildern zusammenkommt. Ich habe das nicht mehr persönlich genommen und fand mich plötzlich in dem Typen gar nicht mehr wieder, weil ich das alles mit Charlys Augen sehen konnte. Das ist wirklich sein Film. Wir waren ja nur Objekte und sehen uns dann selbst wie Fremde und kriegen einen ganz anderen Zugang zu unserer eigenen Geschichte.
„Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ – stand der Titel von Anfang an fest?
Hübner: Charlotte und ich haben darüber gesprochen, wie wir das nennen können. Das war der zweite Vorschlag. Und das fand ich genau richtig, denn das alte West-Berlin war dunkel und kalt. Das alte Ost-Berlin war dunkel und kalt. Das 90er-Jahre-Berlin war auf einmal hell und bunt durch diese ganze Rave-Geschichte. Aber ich habe als Student im Wedding gewohnt, da war es auch manchmal dunkel und kalt. Diese Agenten-Stadt, diese kalte Front-Stadt. Da steckt ganz viel drin, was hinter dieser Band steht, gerade zur Gründerzeit 1985. Als Mecklenburger Junge hatte ich überhaupt kein Bild von West-Berlin, weil es ja auch nicht diese Foto-Flut gab. Für mich gab es nur Klänge. Und da tauchten irgendwann Element of Crime, die Rainbirds, die Ärzte auf. Ich hatte nur diese Klänge und das Bild irgendeiner Mauer. Ich wusste als Mecklenburger Waldjunge nicht einmal, wie diese Mauer aussieht. Die habe ich erst 1989 im Frühjahr das erste Mal gesehen. Das ist halt interessant: Dass du es trotzdem schaffst, da in dieser kalten Frontstadt eine Band zu gründen, die dir das Herz, die Seele und den Geist erwärmt und erweitert. Und wenn es dunkel und kalt wird in Berlin, musst du Element of Crime hören.
Seid Ihr mit dem Film zufrieden? War die Angst unbegründet, das Vertrauen gerechtfertigt?
Regener: Ich preise den Film gerne, weil ich ihn selbst nicht gemacht habe. Sonst wäre es ja Scheiß-Eigenlob. Ich finde, dass diese Liebe zur Musik und zu dem, was so eine Band tut, spürbar ist. Das finde ich schon bemerkenswert. Der Film ist für mich ein echter Balsam, weil das ja nicht immer so ist. Kunst hat es ja nicht immer leicht auf der Welt. Sie muss sich oft rechtfertigen, ob sie nicht für was anderes noch gut ist. Was soll das? Kann man damit Geld verdienen? Warum ist das nicht politischer? Wo man dann sagt: Nein, wir sind dafür zuständig, die Leute zu trösten und sie mit ihrem Leben zu versöhnen. Das ist ja keine kleine Aufgabe. Das ist ja kein Scheiß. Denn selbst wenn man alles andere abzieht, bleibt immer noch die Frage: Was soll das alles? Und da kommen wir ins Spiel. Und das ist das, was wir immer wieder gemacht haben. Und deshalb ist der Titel des Films auch richtig.