Nachdem der Bund die Länder mit dem Infektionsschutz düpiert hat, soll es jetzt mit dem dritten Entlastungspaket anders laufen: Die Länder fordern Nachbesserungen – vor allem in der Frage der Finanzierung.
Also unter Angela Merkel gab es so was nicht", entfährt es einer entnervten SPD-Ministerpräsidentin in einem unbeobachtet geglaubten Augenblick bei der vergangenen Sitzung des Bundesrates. Der Ärger unter den Ländern ist groß. Zum einen, weil sie Ende September unter enormem Zeitdruck die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes „abnicken mussten", wie es Michael Kretschmer (CDU) formuliert. Dabei hat der Bundesrat seine Zustimmung davon abhängig gemacht, dass der Bund das Gesetz für Schülerinnen und Schüler wieder entschärft: Das Freitesten bei einer Corona-Infektion und bei einem Corona-Verdacht soll demnach entfallen.
Was alle Länderchefs, egal ob SPD, Union, Grüne oder Linke, verärgert, ist der Umgang der Ampelregierung mit ihnen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) macht als erster Landeschef öffentlich seinem Ärger Luft: „Da werden Gesetze im Bundestag eingespeist, dann dem Bundesrat zur Zustimmung zugeleitet, nach dem Motto ‚friss Vogel oder stirb‘. Der Bund redet mit uns Ländern überhaupt nicht mehr", so der scheidende Bundesratspräsident gegenüber FORUM.
Doch in den kommenden Wochen geht es für die Länder nicht mehr um das Infektionsschutzgesetz, sondern im dritten Entlastungspaket um sehr viel Geld – das die Länder nicht haben. Die erneute Staatshilfe für untere und mittlere Einkommensgruppen umfasst 65 Milliarden Euro und wird, so Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), ohne neue Schulden des Bundes finanziert. Damit dies funktioniert, müssen dann auch die Länder einen Teil übernehmen. Die Länderchefs schütteln da nur kollektiv den Kopf.
„Notlage" soll Schuldenbremse aushebeln
Der Plan: Über die Hälfte des dritten Entlastungspakets, das mehr als 65 Milliarden Euro umfasst, soll aus den Landeshaushalten und von Kommunen finanziert werden. Die Bundesregierung übernimmt laut ihrer Planung lediglich 32 Milliarden Euro. „Auch hier wurden die Länder von der Bundesregierung überhaupt nicht dazu befragt, sondern das Entlastungspaket wurde uns vorgesetzt, und wir sollen das jetzt umsetzen, ohne das uns irgendjemand sagt, wie wir das überhaupt finanzieren sollen", so der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Sein Brandenburger SPD-Amtskollege Dietmar Woidke fordert nun den Bund auf, erneut eine nationale Notlage auszurufen, damit die Länder Kredite über die gesetzlich verordnete Schuldenbremse hinaus aufnehmen können.
Für die CDU-regierten Länder ein politisches No-Go, dass diese sich mehr verschulden, damit die Bundesregierung ihr Entlastungspaket ohne neue Schulden stemmen kann. Auch das Wohngeld sorgt für Ärger, davon sind wiederum die Landeshaushalte betroffen. Der staatliche Zuschuss zur Miete wird nicht nur erhöht, sondern der Kreis der Wohngeldberechtigten wird erheblich ausgeweitet. Wohngeld wird den Ländern und auszahlenden Kommunen zur Hälfte vom Bund erstattet. Die reguläre Wohngeld-Erhöhung zu Beginn des kommenden Jahres hatten die Finanzminister der Länder in ihren Haushalten eingeplant. Aber nicht, dass sich der Kreis der Wohngeldbezieher innerhalb weniger Wochen, je nach Region, verdoppeln könnte.
Selbst einem Kanzlergetreuen wie Stephan Weil geht die Sozialpolitik auf Kosten der Länder mittlerweile zu weit. Der niedersächsische SPD-Ministerpräsident, der gerade mitten im Landtagswahlkampf steht, fordert nun unter anderem vom Bund auch finanzielle Hilfen für die Aufnahme und Unterbringung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen. „Das können die Länder nicht länger allein stemmen, wir brauchen hier dringend Unterstützung aus Berlin. Wir sind schon lange an den Grenzen unserer Möglichkeiten", so Weil gegenüber FORUM. Auch hier schlägt für die Länder wieder ein Effekt zu Buche, den die Bundesregierung ausgelöst hat. Seit dem 1. Juni können Geflüchtete aus der Ukraine Hartz IV beantragen, damit sie auf diese Weise schneller in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden können. Die Antragsteller mit Bewilligung unterliegen dann aber nicht mehr dem Asylbewerberleistungsgesetz, was mit dem Bund verrechnet wird, sondern dem Sozialgesetzbuch II. Hier erstattet zwar der Bund den Ländern die Aufwendungen, aber eben nicht zu 100 Prozent, sodass nun auch die Länder finanziell mehr gefordert sind. Ein weiterer Punkt, der kontrovers mit dem Bund diskutiert wird.
Länder klagen über neue finanzielle Belastungen
Diese Streitigkeiten sind aufgrund ihrer fiskalischen Komplexität medial weniger interessant. Wesentlich griffiger auch für die breite Öffentlichkeit ist da eher die Debatte um das 9-Euro-Ticket, das nun nicht mehr neun Euro kosten soll. Hier sehen die Länderchefs, insbesondere die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD), dringenden Handlungsbedarf und sparen nicht mit Kritik an Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Denn die Kosten für ein Nachfolgeticket, das 49 oder 69 Euro kosten soll, belaufen sich bundesweit auf geschätzte drei Milliarden Euro. Diese sollen sich Bund und Länder erneut je zur Hälfte teilen. Doch in Anbetracht der anstehenden übrigen finanziellen Mehrbelastungen für die Länder und Kommunen in den kommenden Monaten dürfte für eine bundesweite ÖPNV-Karte in den Landeshaushalten wenig bis gar kein Spielraum sein. Eine Einigung über die Kostenverteilung unter den Ländern bis Ende Oktober, so die Vorgabe des Bundes, gilt daher derzeit kaum als wahrscheinlich. Allein das finanziell klamme Bremen müsste nach Angaben des Bremer Bürgermeisters und Senats-Präsidenten Andreas Bovenschulte (SPD) in der „Welt am Sonntag" 300 Millionen Euro für alle Entlastungspakete zusammen lockermachen.
Die Bund-Länder-Finanzkontroverse über das dritte Entlastungspaket wird sich in den kommenden Wochen daher verschärfen – und dies unter weiter ungünstigen wirtschaftlichen Gesamtbedingungen. Zwar konnten sich Bund und Länder 2021 über gestiegene Steuereinnahmen freuen. Die führenden Wirtschaftsinstitute gehen jedoch von einer Rezession bereits im vierten Quartal dieses Jahres aus. Gerade in Handwerk und Mittelstand drohen Insolvenzen aufgrund der hohen Energiekosten. Das „Brot- und Buttergeschäft von Kommunen und Gemeinden, ihre größte Einnahmequelle, die Gewerbe- beziehungsweise Umsatzsteuereinahmen, drohen wegzubrechen", so Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Wirtschaftsinstituts im FORUM-Gespräch. Wegbrechende Steuereinnahmen der Kommunen bedeuten, dass die jeweiligen Landesregierungen wiederum mit Geld beispringen müssten. Mit Geld, das auch sie noch nicht haben. Darum fordern die Ministerpräsidenten nun auch ein Entlastungspaket durch den Bund für das Gewerbe, zum Beispiel durch eine Deckelung der Preise für Strom und Gas, damit nicht auch noch der größte kommunale Steuer-Einnahmeposten im eigenen Bundesland wegbricht. Bundeswirtschaftsminister Habeck (Bündnis90/Die Grünen) hatte bereits einen Strompreisdeckel bis Ende des Jahres angekündigt. Doch die Zeit dafür wird knapp.