Marketingexperte Maximilian Jung ist seit vielen Jahren in der Werbung tätig und arbeitet momentan für ein großes Einzelhandelsunternehmen. Wir blicken mit ihm hinter die Kulissen der Werbung, die wir täglich sehen.
Herr Jung, eine einfache Frage, auf die es vielleicht keine einfache Antwort gibt: Wie macht man gute Werbung?
Das klingt jetzt etwas unromantisch, aber das Handwerk steht immer an erster Stelle. Das ist der Hintergrund. Dieses muss man abrufen können, wenn man es braucht. Das heißt, wenn ich ein Logo zeichnen soll, muss ich natürlich auch die Fähigkeit dazu haben. Dazu gehört aber natürlich auch die nötige Kreativität. Um erfolgreich in der Werbung zu sein, braucht man neben dem Handwerk auch ein Gespür für den Zeitgeist.

Das klingt wirklich etwas unromantisch …
Im realen Leben kommt man als Werbetreibender auch mal an dem Punkt an, an dem das romantische Flair verfliegt, weil man wirklich auch mit Kalkül agieren muss. Und meistens ist der Leistungsdruck sehr hoch. Wir haben eine Aufgabe, ein Ziel, das wir erreichen müssen. Werbung ist eine Form der Sprache und richtet sich immer nach dem Empfänger und nur sekundär nach dem Sender. Also ich sage es mal so: Gute Werbung kann auch hässlich aussehen, wenn das den Sinn erfüllt.
Wie ist das genau gemeint?
Möchte ich zum Beispiel einen Luxusartikel bewerben, dann gibt es verschiedene Darstellungsformen, die dem Empfänger das Gefühl dafür geben, dass es sich hier um einen hochpreisigen Spitzenartikel handelt. Hier ist der künstlerische Aspekt der Optik mehr im Vordergrund. Ein preisgünstiges Produkt würde wahrscheinlich vom Design umgekehrt eher „schnellgemacht“ aussehen, ohne den künstlerischen Aspekt. Die Werbung würde nicht „hübsch“ aussehen. Das hat aber den Hintergedanken: Ich will dem Kunden ein Gefühl mitgeben – nämlich, dass es günstig ist. Gute Werbung ist Werbung, die diese Nachricht klar und sehr deutlich und sehr direkt zum Empfänger bringt.
Das heißt, man darf nicht davon ausgehen, dass Werbung immer schön oder ästhetisch sein muss?
Es gibt Sachen, die für deinen eigenen Geschmack totaler Blödsinn sind. Selbst sie haben aber im Hintergrund meist etwas Schlaues, das funktioniert. Bei Radiowerbung ist es ganz oft so, dass es irgendeinen doof gesungenen Firmennamen gibt, und die Werbung ist so blöd, dass du denkst: „Welcher Idiot macht so etwas?“ Und dann gehst du abends ins Bett und kannst den Firmennamen noch eins zu eins nachsingen. Und in dem Fall ist es dann gute Werbung, weil die Aufgabe des Radiospots erreicht wurde.
Erfahrungsgemäß ist aber nicht jede Werbung so unkonventionell. Woran liegt das?
Wir sind in unserer Gesellschaft auch konditioniert. Wenn ich zum Beispiel Werbung für Milch mache, ist klar, dass ich mit Weiden und hellem, blauem Himmel ankomme. Natürlich muss die Kuh auf die Packung. Von daher ist vieles vorgegeben durch den Konsumenten, weil er schon über Jahre hin konditioniert worden ist. Und dadurch gibt es natürlich für die Werbung zum Teil diese Schiene, in der sie festhängt, weil diese Klischees am schnellsten funktionieren.
Wie ist das in anderen Ländern? Ein Blick über die Grenze zeigt zum Beispiel, dass Werbung in Frankreich durchaus etwas lebendiger ist.
Jedes Land hat so seine bestimmten Vorlieben. Die Franzosen haben auch andere Vorlieben, was Essen angeht oder was Musik angeht im Vergleich zu uns. Natürlich gibt es viele Sachen, bei denen wir uns ähnlich sind, aber es gibt auch Dinge, bei denen es einen anderen kulturellen Background gibt. Und dementsprechend ist natürlich auch die Werbung anders. Frankreich ist natürlich ein bisschen verspielter, aber uns trotzdem noch ähnlich.
Wenn man beispielsweise nach Asien schaut, ist es dort ganz normal, dass man die Kunden überfrachtet. In den Supermärkten dort wird man überfrachtet von einer Masse an überfüllten bunten Schildern, Plakaten, Leuchtreklamen. Manche von denen blinken sogar noch. Würden wir das in Deutschland übernehmen, wären viele Kunden von der Überfrachtung der Sinne überfordert. Dort scheint es aber erfolgreich zu sein. In den USA hat gefühlt jede Autowerkstatt ein eigens gezeichnetes Logo, ein Unikat, während wir in Deutschland fast immer die gleichen Schriftarten bevorzugen.

Auf welchen Wegen erreicht Werbung denn potenzielle Kunden?
Wir reden jetzt über bewusste Werbung. Man kann umgekehrt einfach einen super leckeren Döner machen und niemandem Bescheid sagen. Aber sobald jemand ihn probiert, erzählt er anderen davon und wird so zum Multiplikator. Das wäre ja auch Werbung, wahrscheinlich sogar die günstigste und stärkste. Aber im Prinzip hängt es bei der bewussten Werbung immer vom Produkt ab, das man bewerben will. Es gibt Produkte, die Selbstläufer sind, denen gibt man einen Schubs und dann laufen sie. Es gibt aber zum Beispiel auch Dienstleistungsfirmen, die immer ein sehr hohes Werbebudget anhand ihres Gesamtumsatzes haben, da diese Dienstleistungen natürlich davon leben, Neukundenakquise zu betreiben. Wenn man genug Budget hat, dann ist es natürlich immer leicht, auf den sicheren, konservativen Weg zu gehen, nämlich einfach mit Masse. So kann man gefahrlos immer hantieren, weil man genau weiß, egal wie gut oder schlecht die Werbung ist, sie wird gesehen. Spannend ist es aber, wenn du mit einem kleinen Budget viel erreichen möchtest. Dann brauchst du nämlich eine Idee, die deine Werbung aus der Masse hervorstechen lässt. Du benötigst den kreativen Funken, der es Wert ist, dass Menschen die Aufmerksamkeit schenken.
Wie verhält es sich mit der Aussage: „Auch negative Werbung ist Werbung“? Manche Kampagnen setzen ja gezielt auf Kontroverse.
In diesem Fall muss man die Risiken und die Vorteile abwägen. Oft ist es so, dass ein Shitstorm ein schlechtes Image begünstigt. Das heißt, das kann man nur machen, wenn man sicher ist, dass man danach das Image noch mal hochkriegt. Es gibt aber eine rote Linie, die man nie überschreiten darf. Wenn man einen Shitstorm produziert, um irgendwie Bekanntheit zu erlangen, ist das keine saubere, keine schöne Werbung. Was aber stattdessen immer spannend ist, ist, wenn man Dinge thematisiert, zu denen es unterschiedliche Meinungen gibt, und Stimmen dazu einholt. Man darf auch ruhig mal etwas polarisieren oder anstoßen.
Was ist denn diese rote Linie?
Man sollte niemanden angreifen, beleidigen oder schädigen. Deswegen ist es natürlich für uns auch ganz wichtig, dass man Empathie und Offenheit besitzt, auch auf kleinere Gruppen zu hören. Heute hat jeder zurecht eine Stimme und kann sagen: „Stopp, was ist das für eine Werbung? Die beleidigt mich.“
Nicht jedes beworbene Produkt ist für jeden Kunden gleichermaßen relevant. Wie gezielt wird denn Werbung veröffentlicht, um beim richtigen Empfänger anzukommen?
In der Werbung denken wir auch oft in sogenannten Personas. Die sind erst einmal geschlechtslos und gesichtslos. Das ist eigentlich eine Art Schublade, die man aufmacht. Je nach Persona gibt es verschiedene Wahrscheinlichkeiten. Wenn der Kunde beispielsweise Damenhygiene-Produkte kauft, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er auch Lippenstift kauft oder Crémant trinkt. Das sind Wahrscheinlichkeiten, die oft zutreffen. Dementsprechend wählt man je nach Produkt natürlich auch seine Personas als Zielgruppe aus. Es gibt Personas, die, je nachdem, was das jeweilige Produkt ist, kostenintensiver sind.
Kann man Kundengruppen so leicht verallgemeinern?
Ganz so leicht ist es nicht. Spannend ist da zum Beispiel die Zielgruppe der jungen Erwachsenen. Die restlichen sind schon recht gut erforscht, da weiß man, mit welchem Budget man was erreichen kann, welche Message man braucht. Die jungen Erwachsenen sind eine Zielgruppe, die sehr schwer greifbar ist, weil sie sehr sprunghaft ist. Es kann passieren, dass man, um dort Erfolg zu haben, mehr investieren muss. Es kann aber auch passieren, dass man den Jackpot knackt, wenn ein ganz kleines Budget zum Anstoßen reicht und man auf einmal einen Hype ausgelöst hat. Dann teilen zum Beispiel viele andere Jugendliche deine Nachricht, die du transportieren wolltest, als Multiplikatoren auf ihren eigenen Social-Media-Kanälen.
Apropos Social Media: Welche Kanäle gibt es denn, die in der Werbung bespielt werden?
Also die klassischen Kanäle sind natürlich erst einmal physischer Natur, das heißt Anzeigen, großflächige Formate – also alles, was man irgendwo in der nicht digitalen Welt sieht oder hört. Digital ist natürlich auch mittlerweile ein Riesenthema. Es ist aber auch so, dass diese Goldgräberstimmung, die am Anfang beim Digitalmarketing mit beispielsweise Influencern geherrscht hat, langsam stagniert. Da passiert zwar immer noch sehr viel, aber es passiert nix Neues mehr.
Wie äußert sich das?
Mittlerweile herrscht auch bei Facebook und Co. ein Überangebot an Werbung, sodass auch die Social-Media-Plattformen jetzt eingreifen und Werbung reduzieren oder teurer machen. Wenn der User nur noch Werbung sieht, ist er irgendwann genervt und springt ab. Weil viele mittlerweile einfach blindlings auf Social Media setzen, hat man die Sichtbarkeit, die man vor zehn Jahren auf jeden Fall bekommen hat, nicht mehr.
Wie bleibt man dennoch erfolgreich auf digitalen Kanälen?
Man muss den Kunden gerade bei Digitalwerbung einen Mehrwert bieten. Also einen Grund liefern, warum man sich gerade diese Facebookseite oder diesen Instagram-Account anschauen soll. Wenn es keinen Mehrwert gibt, ist es meistens uninteressant. Der Mehrwert kann auch ganz konservativ einfach nur sein: „Du kriegst die besten Preise, wenn du hier draufklickst.“ Der Mehrwert kann aber auch Unterhaltung sein. Aber auch diese Unterhaltung muss dann wirklich gut sein. Ich glaube, dass das für viele Firmen heute auch eine große Herausforderung darstellt.

Und wo wirbt man stattdessen am besten?
Finde deine Nische! Natürlich geht es heutzutage nicht mehr ohne Digitalmarketing. Aber dadurch, dass sich die digitalen Kanäle so im Fokus befinden, fallen die Preise bei traditionellen Werbemaßnahmen. Zwar werden sicher viele Werbeagenturen eher davon abraten, aber ich finde zum Beispiel die Großflächenplakatierung wieder recht attraktiv. Die kannst du nicht weiterklicken, wenn du an der Ampel stehst. Und wenn du die Zeiträume geschickt buchst, hängt sie weitaus länger, als du dafür bezahlt hast. Da es für die Plakatanbringer oft günstiger ist, bis zur nächsten bezahlten Werbung zu warten, statt deine Werbung direkt nach Ablauf abzuhängen. Für einen intelligenten Marketing-Mix würde ich sie auf jeden Fall mitnehmen, weil man dadurch Sichtbarkeit für wenig Geld bekommt.
Um auf die unromantische Antwort vom Anfang zurückzukommen: Können Sie uns in etwas romantischeren Worten sagen, was der Teil Ihrer Arbeit ist, der auch heute noch Begeisterung in Ihnen weckt?
Ich bin mehr der Kreative als der Zahlenmensch. Auch wenn beides wichtig ist und man oft in sehr wirtschaftlichem Rahmen denken muss, kannst du mit Kreativität, Intelligenz und mutigen Entscheidungen fast jede Art von Nachteil vermindern, ausgleichen oder sogar zu deinem Vorteil nutzen. Eine gute Idee ist immer wertvoller als ein gutes Budget. Das ist es, was mir so viel Spaß an meinem Job macht.