Wie genau wird in der Werbung kommuniziert? Welche Kommunikationsstrategien sind wirkungsvoll? Und was macht gute Werbung aus? Diese Fragen und viele mehr hat uns Medienwissenschaftler Dr. Christof Barth von der Universität Trier beantwortet, wo er zu den Themen soziale Medien, Werbung, Storytelling und multimodale Kommunikation lehrt und forscht.

Herr Dr. Barth, wie wird in der Werbung kommuniziert?
In der Werbeindustrie wurde vor über 120 Jahren die AIDA-Formel entwickelt, die vier zentrale Aufgaben beschreibt. Werbungkommunikation versucht zuallererst, auf sich aufmerksam zu machen (A, attention/Aufmerksamkeit), denn alle nachfolgenden Schritte setzen Aufmerksamkeit voraus. Anschließend wird versucht, Interesse für das beworbene Produkt zu wecken (I, interest/Interesse), um darauf aufbauend den Kunden zu überzeugen, dass er oder sie das Produkt haben will (D, desire/Begehren) und kauft (A, action/Handeln).
Werbung arbeitet mit allen im jeweiligen Medium verfügbaren Zeichenebenen (beispielsweise Bilder, Töne, Farbe) und Stilmitteln. Werbung arbeitet viel mit visuellen Mitteln, weil sie vom Menschen schneller erfasst werden und Emotionen besser transportieren können. Visuelles wird weniger vergessen – und darum geht es ja bei der Werbung: in den Kopf der Menschen zu gelangen und dort zu bleiben.
In den letzten Jahrzehnten haben sich viele verschiedene Werbeformen entwickelt: Anzeigen in gedruckten Medien und Online-Medien, Spots im Fernsehen und Radio, Plakate an der Straße, Schilder, Werbung per Brief, aber auch Produktplatzierungen in Spielfilmen.
Muss alles explizit ausgesprochen werden oder funktioniert das auch mit non-verbaler Kommunikation?
Werbung setzt oft auf menschliche Schwächen und arbeitet viel mit Assoziationen. Auch das geht mit visuellen Mitteln einfacher. Wir wollen alle schön, erfolgreich und beliebt sein. Werbung suggeriert, dass das mit Produkt X viel einfacher ist. Werbung zeigt in der Regel glückliche Menschen, die nur ein Problem haben, das aber mit Produkt X gelöst wird. Wir verbinden die positiven Eigenschaften der gezeigten Personen, Promis oder Landschaften und übertragen diese positive Bewertung auf das Produkt. Es funktionieren aber auch Strategien, die uns immer wieder mit denselben Werbespots bombardieren.
Sind emotionale Kommunikationsstrategien am wirkungsvollsten bei Werbung?
Wie wirkungsvoll Werbung ist, hängt weniger von einer bestimmten Werbestrategie ab, sondern liegt an einer besonders guten Passung zwischen Produkt, Werbestrategie und Zielgruppe. Bei Parfüm sind Emotionen sicher wichtig, bei Alltagswerkzeug wie Schraubendrehern weniger. Viele Kampagnen versuchen, mit Humor Aufmerksamkeit zu erregen. Diese Strategie hat mehr Risiken, weil Menschen unterschiedlich auf Humor reagieren. Hier besteht eine größere Gefahr der Polarisierung, also dass manche Menschen die Werbung anspricht und andere dafür abstößt. Funktioniert der Humor hingegen, schaut man die Werbung eher und auch eher erneut.
Hat sich die Kommunikation, seitdem es Werbung gibt, verändert?
So wie sich unsere Gesellschaft verändert, verändert sich auch Werbung. Oft wirkt schon zehn Jahre alte Werbung antiquiert. Werbespots aus den 1950er-Jahren würden heute überhaupt nicht mehr funktionieren. Damals wurden vorwiegend die Marke und wichtige Produkteigenschaften einfach genannt, heute geht es auch um ein Lebensgefühl, das mit den beworbenen Produkten assoziiert werden soll. Und so wie sich die Zusammensetzung unserer Gesellschaft verändert hat, vielfältiger geworden ist, ist auch Werbung vielfältiger geworden. Hinsichtlich der Werbeformen, den angesprochenen Zielgruppen, hinsichtlich der Personen, die darin vorkommen und hinsichtlich der Rollen, die diese Personen einnehmen. Heute steht in Werbespots der Familienvater auch mal in der Küche und die Frau entscheidet, welches Auto gekauft wird.
Die Vielfalt führt aber auch dazu, dass sich Werbung ausdifferenziert – also für verschiedene Gruppen jeweils eigene Werbekampagnen geplant werden.
Was macht gute Werbung aus?
Eine gute Idee und gute Passung von Werbung zu Produkt. So erregt man Aufmerksamkeit ohne zu polarisieren. Oft wird die Storytelling-Strategie angewendet, bei der kleine Geschichten erzählt werden, die gut im Kopf bleiben.
Können Sie Beispiele für Werbung nennen, bei denen das Storytelling besonders gut gelungen ist?

Ein einprägsames Beispiel ist ein Spot, den Edeka zu Weihnachten 2015 produziert hat. In dem Spot inszeniert ein alter Mann seinen Tod, um die über die Welt verstreute Familie zu Weihnachten zu sich nach Hause einzuladen. Zuvor hatte er immer vertröstende Absagen erhalten, aber zur „Beerdigung“ kamen alle. Bekannt ist auch der Duracell-Hase, an dessen Beispiel gezeigt wird, welche Batterien länger halten. Eingeführt wurde der Hase 1973, und er wird immer noch als Maskottchen geführt.
Haben Sie ein, zwei Lieblingswerbespots oder -anzeigen?
Faszinierend finde ich einfache Werbung, zum Beispiel eine weiße Doppelseite nur mit dem Wort schreIBMaschinen als Werbung für IBM-Kugelkopfschreibmaschinen, oder ein Spot, der einen Bleistift auf dem Tisch von der Seite zeigt, langsam darauf zufährt, wortreich erklärt, was man mit diesem „Werkzeug“ machen kann – Dichten, Symphonien schreiben, Wissenschaft betreiben –, nur um am Ende das hinter dem Bleistift liegende neue flache Apple IPad hervorzuholen, das man vorher nicht sehen konnte. Echter Überraschungseffekt.
Haben Sie Beispiele für schlechte Werbung?
Immer wieder gehen Kampagnen schief. Sexistische oder rassistische Werbung ist oft auch schlechte Werbung. Im Spot eines Autoherstellers wurde ein schwarzer Mann durchs Bild geschnippst – der Spot wurde nach heftigem Protest zurückgezogen. Ein weiterer Autohersteller warb mit einem kleinen Mädchen im Kleid in lasziver Pose vor dem Autokühler, geschälte Banane in der Hand mit dem Slogan „Lets your heart beat faster – in every aspect“, wo man nicht wusste, ob jetzt das Auto oder das Kind die Herzen höherschlagen lassen sollte. Weiteres Beispiel: Rheinland-Pfalz wollte „Rolph“ als Nahverkehrsdachmarke einführen. Das ging schief, nun wird eine neue Marke entwickelt.
Warum wird Musik so oft in Werbespots verwendet – wie kann man mithilfe von Musik Produkte besser verkaufen?
Musik transportiert Emotionen sehr gut und kann dadurch die affektive Wirkung von Werbung sehr gut unterstützen. Mit einem Wechsel der Musikfarbe kann man Vorher-Nachher-Darstellungen optimal unterstützen.
In manchen Werbespots wirkt die Musik viel zu laut, hektisch, eher aufdringlich – schreckt das potenzielle Interessenten am Produkt nicht eher ab?
Das ist eine Frage der Zielgruppe. Klar, Ältere werden mit Rapmusik unterlegte Spots nicht mögen, für Jüngere sind solche Spots cool. Und umgekehrt animiert Mozart vielleicht Ältere, dafür die Jüngeren nicht. Darüber hinaus kann es auch Aufgabe der Musik sein, sich Aufmerksamkeit für den Werbebeitrag zu sichern. Da können Aufdringlichkeit und Lautstärke helfen.
Wird in anderen Ländern anders in Werbung kommuniziert, auf andere Dinge Wert gelegt?
Jedes Land hat eigene Gesetze, die Werbung regulieren. In den USA darf beispielsweise weniger nackte Haut gezeigt werden als in Europa. Die Briten arbeiten in ihrer Werbung viel öfter mit dunklem Humor, der in Deutschland nicht so gut ankommt – oder nur bei bestimmten Zielgruppen. In Asien haben wir andere Umgangsformen zwischen Menschen, aber auch zwischen Generationen, und darauf nimmt Werbung natürlich Rücksicht.
Wie viele Lügen und Manipulation stecken in Werbung?
Lügen im engeren Sinne finden sich in Werbung nicht so häufig. Hier setzen Gesetze Grenzen. Aber natürlich versuchen alle, ihre Produkte in ein gutes Licht zu stellen und Schwächen nicht anzusprechen. Es ist daher immer gut, Werbung kritisch zu hinterfragen und selbst zu prüfen, ob das Produkt auch bei den in der Werbung nicht angesprochenen Eigenschaften den eigenen Vorstellungen entspricht, bevor man kauft.
Wie viel englische Sprache ist hierzulande mittlerweile bei Werbung vertretbar? Und denken Sie, dass englische Begriffe zunehmen werden?
Werbung reagiert sensibel auf Entwicklungen in der Gesellschaft und greift sie auf. Reden wir in der Gesellschaft selbst öfter und mehr Englisch, spiegelt sich das auch in der Werbung. Die Jüngeren verwenden viel mehr englische Begriffe in ihrer Kommunikation als die Generationen davor. Werbung, die sich an junge Menschen richtet, greift das schon auf.
Werden Frauen bei Werbung anders beziehungsweise auf anderen Ebenen angesprochen als Männer?
Wir wissen alle, dass Männer und Frauen unterschiedliche Interessen haben und auf Reize verschieden reagieren. Männer sehen gerne Action, Frauen eher Emotionen. Werbung reagiert darauf und versucht, ihre Kampagnen je nach Zielgruppe entsprechend zu gestalten. So kann man – vereinfacht gesagt und etwas stereotypisiert – bei Autowerbung die an Männer adressierte technische Besonderheit in den Vordergrund stellen, die an Frauen adressierte, dass man sich darin wohlfühlt und dass es besonders preiswert ist. Weiterer Klassiker: Werbung, die mit sexuellen, meist weiblichen Reizen arbeitet und damit oft nur ein Geschlecht erreicht.
Werden Jüngere anders angesprochen als Ältere?
Verschiedene Generationen sind unterschiedlich aufgewachsen, haben jeweils andere Erfahrungen gemacht und haben entsprechend ihrer Lebensphase andere Erwartungen und Bedürfnisse. Auch hier reagiert Werbung und adressiert bei Jüngeren eher mit Spaß, Action, Musik und schnellen Schnitten in den Videos, während Werbung für ältere Generationen ruhiger ist und andere Werte in den Vordergrund stellt.
Wie unterscheidet sich die Kommunikation bei Werbung auf Social Media von klassischer Werbung?
Werbung kann besser an bestimmte Zielgruppen ausgespielt werden, also etwa – auf die USA bezogen – alle als Republikaner registrierten Menschen über 60, die in einem bestimmten Vorort wohnen oder Menschen, die zuvor bei Google nach einem bestimmten Produkt gesucht haben. Werbung in sozialen Medien bietet aber auch mehr Interaktionspotenzial. Ich kann durch einen Klick oder eine Berührung auf dem Smartphone sofort zum Shop und das Produkt gleich kaufen. Die Wirkung von Werbung lässt sich so auch direkter messen.

Welche neuen Kommunikationsarten kamen in den vergangenen Jahren bei Werbung auf?
Dass sich mit den sozialen Medien, Youtube, Facebook, Instagram & Co. Werbung in verschiedener Hinsicht verändert hat, habe ich gerade dargestellt. Neu etabliert haben sich auch sogenannte Influencer und Influencerinnen, die Videos oder andere Inhalte erstellen, in denen Produkte vorgestellt oder „getestet“ werden. Häufig werden diese Videos an attraktiven Orten gedreht. Hier wird vor allem versucht, eine soziale Bindung zum Einzelnen und eine Vertrauensbasis herzustellen, als ob es eine gute Freundin oder ein guter Freund sei. Die Wirkung entsteht dann genau darüber: „Wenn die das gut findet, muss es gut sein.“
Was denken Sie, wie sich Werbung bezüglich der Kommunikation in der Zukunft verändern wird und wie sich die Plattformen und Medien für Werbung verändern werden?
Prognosen sind hier schwierig. Die Situation kann sich innerhalb weniger Jahre stark verändern – siehe den Aufstieg von Tiktok und den Fall von X (ehemals Twitter). Wenn sich die Plattformen ungestört weiterentwickeln dürfen, werden wir immer mehr personalisierte Werbestrategien sehen, die eigene Vorlieben, Bewegungsprofile, zuvor gekaufte Produkte und politische Einstellungen und Werte auswerten und ausnutzen, um eine möglichst wirksame Werbebotschaft zu erstellen. Werden sie stärker reguliert, dürfte diese Entwicklung nicht so deutlich sein. Eine zweite Entwicklung sehe ich durch künstliche Intelligenz. KI-generierte Bilder werden schon jetzt häufig in Werbung verwendet und werden künftig noch öfter eingesetzt werden – auch weil sie viel billiger herzustellen sind als Fotos. Sie ermöglichen in Kombination mit den personalisierten Werbestrategien die Herstellung individualisierter Bilder oder Werbespots: Die Produkte werden mir dann von Personen präsentiert, die genau meinen Schönheitsvorstellungen entsprechen und die Produktvorteile herausstellen, die mir selbst wichtig sind. Widerstehen und kritisch hinterfragen wird dann immer schwieriger.