Dass Cannabinoide hilfreiche Heilmittel in der medizinischen Anwendung sein können, konnte eine neue Studie der Universität Jena bestätigen. Alle acht dabei untersuchten Cannabinoide waren deutlich entzündungshemmend, mit dem nicht psychoaktiven Cannabidiol (CBD) als wirksamster Substanz.
Während die von der Bundesregierung gesetzlich auf den Weg gebrachte Legalisierung des privaten Cannabis-Konsums – trotz geringer und kontrollierter Abgabemengen sowie eines abgesenkten Gehalts des psychoaktiven Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) – teilweise noch immer hohe Wellen schlägt, ist der Einsatz von Cannabis-Arzneimitteln als Therapiealternative für Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen im Einzelfall seit 2017 erlaubt. Und häufig ist er für die Betroffenen auch sehr hilfreich. Jüngst hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine neue Studie zu dem Wirkmechanismus bestimmter Inhaltsstoffe der Cannabis-Pflanze bei Entzündungen im menschlichen Organismus gefördert, die unter Federführung von Wissenschaftlern der Universität Jena mit Unterstützung von Kollegen aus Italien, Österreich und den USA durchgeführt und anschließend im Fachmagazin „Cell Chemical Biology“ publiziert wurde.
Seit Jahrtausenden eine Arzneipflanze
Inzwischen konnten bereits 113 Cannabinoide der Hanfpflanze nachgewiesen werden, darunter das allgemein für seine berauschende Wirkung bekannte THC, das in der Medizin, etwa zur Linderung von Schmerzen, bei Muskelkrämpfen, bei Appetitlosigkeit oder gegen Übelkeit eingesetzt werden kann. Auch das bereits 1940 entdeckte Cannabidiol (CBD) – im Wesentlichen ein aus den Drüsen der Pflanzenoberfläche stammendes Harz, das bis zu 40 Prozent des aus der Cannabispflanze erzielbaren Extraktes ausmachen kann – ist heute längst in frei erhältlichen Produkten enthalten. In der ärztlichen Praxis wird es vor allem zur Behandlung von Multipler Sklerose oder bei manchen kindlichen Epilepsie-Erkrankungen genutzt.
Dass Hanf oder Cannabis dank der enthaltenen Cannabinoide, die im menschlichen Körper an spezielle Rezeptoren andocken können, nicht nur als Rausch-, sondern besonders auch als Heil- oder Arzneimittel verwendet werden kann, lässt sich schon über Jahrtausende in diversen Kulturkreisen nachweisen. Im 11. Jahrhundert wurde Cannabis denn auch Bestandteil der Klostermedizin. Die legendäre Äbtissin Hildegard von Bingen (1098–1179) empfahl es beispielsweise als Mittel gegen Übelkeit und Magenschmerzen. Dass Cannabis vor allem schmerzstillend und krampflösend wirken kann, hatte schon der irische Arzt William Brooke (1809–1889) im Jahr 1839 feststellen können. In der modernen Medizin gilt das inzwischen als Gemeinplatz, ergänzt noch um die Erkenntnis, dass Cannabis auch entzündungshemmend wirken kann. „Allerdings war der Grund für die entzündungshemmende Wirkung bislang weitgehend unklar“, so Dr. Paul Milke Jordan von der Universität Jena, der die aktuelle Studie gemeinsam mit Prof. Oliver Werz und dem als Erstautor auftretenden Doktoranden Lukas Peltner verantwortet.
Bei seiner Versuchsanordnung untersuchte das Forscherteam zunächst die Wirkung von acht verschiedenen Cannabinoiden, darunter THC und CBD, auf Immunzellen und die von diesen Zellen produzierten Botenstoffe in Zellkulturen. Das Ergebnis fiel dabei ganz eindeutig aus: Von allen acht untersuchten Cannabinoiden ging eine entzündungshemmende Wirkung aus. „Es zeigte sich“, so Lukas Peltner, „dass sämtliche untersuchten Substanzen die Bildung von entzündungsfördernden Botenstoffen in den Zellen hemmen und zugleich die Bildung von entzündungsauflösenden Botenstoffen verstärken“. Insbesondere das CBD drängte sich dabei als zentrales Element in den Vordergrund, weil seine positive Wirkung mit Abstand am größten war und es schon in vergleichsweise geringen Mengen bestimmte Enzyme entzündungshemmend beeinflussen konnte.
Logischerweise nahmen die Wissenschaftler daher anschließend den Wirkmechanismus von CBD genauer unter die Lupe. Dabei konnte enthüllt werden, dass CBD seine Wirkung nicht über die üblichen Rezeptoren für Cannabinoide entfaltet, sondern stattdessen unabhängige Enzymreaktionen beeinflussen kann. Vor allem kann CBD in Zellen des angeborenen Immunsystems die Bildung von entzündungslösenden Lipidmediatoren (LM), den sogenannten spezialisierten proresolvierenden Mediatoren (SPM), sowie verwandten Enzymen mit wissenschaftlichen Namen wie „15-Lipoxygenase-1“ aktivieren, was die Produktion von entzündungsauflösenden Botenstoffen zur Folge hat. Dadurch kann im weiteren Verlauf die Entzündung zum Abklingen gebracht werden.
Anwendungsgebiete sind vielfältig
„Damit legt CBD in den betroffenen Zellen quasi einen Schalter um, der das Entzündungsgeschehen von der fördernden zur hemmenden Seite lenkt“, so Dr. Jordan. Dadurch unterscheidet sich CBD deutlich von gängigen entzündungshemmenden Medikamenten wie Aspirin, Ibuprofen oder Paracetamol. CBD reduziert nämlich nicht nur die Freisetzung von entzündungsfördernden Botenstoffen, sondern kann auch aktiv die Produktion von regulatorisch wirkenden Substanzen anstoßen. Daher hat CBD eine doppelt entzündungshemmende Wirkung.
Dieser positive Aspekt könnte laut dem Forscherteam auch erklären, warum Cannabinoide wie CBD potenziell auch sehr gut zur Wundheilung und Geweberegeneration beitragen können. Die mithilfe der Zellkulturen gewonnenen Erkenntnisse konnten die Forscher anschließend auch in Tierversuchen mit Mäusen bestätigen.
Laut dem Forscherteam legen ihre Entdeckungen nahe, dass Cannabinoide, insbesondere CBD, ein großes Potenzial für neue Therapieansätze bei entzündlichen Erkrankungen haben dürften. So könnte CBD laut den Wissenschaftlern beispielsweise bei entzündlichen Darmerkrankungen, bei Hautleiden oder sogar als Mittel gegen Alzheimer und andere neurologische Erkrankungen, die im Gehirn mit Entzündungen einhergehen, eingesetzt werden.
Die Forscher wiesen zudem ausdrücklich darauf hin, dass sich aus ihrer Sicht künftige Therapieansätze und die Entwicklung entsprechender Medikamente vor allem auf CBD konzentrieren sollten. Denn CBD hat im Vergleich zu THC – das aufgrund seiner Nebenwirkungen problematisch ist – eine deutlich stärkere entzündungshemmende Wirkung gezeigt. Cannabis-Therapeutika, die ausschließlich CBD enthalten, könnten daher zur Entzündungsbekämpfung die optimale Lösung darstellen.
Langfristig könnten sie damit bereits zugelassene Präparate ablösen, die zwar schon CBD enthalten, „daneben aber auch das psychoaktive THC, das mit einer Vielzahl an Nebenwirkungen einhergehen kann“, so Dr. Jordan.