Am 29. Mai 1953 gelang dem Neuseeländer Edmund Hillary und dem nepalesisch-indischen Angehörigen des Sherpa-Volkes Tenzing Norgay die Erstbesteigung des höchsten Berges der Erde. Seinen Namen verdankt der Mount Everest aber einem britischen Vermessungsingenieur.
Für die stolzen Bürger des British Empire war es kaum erträglich, dass die Erforschung der beiden letzten noch unentdeckten weißen Flecken des Globus nicht einem der ihren gelungen war. Immerhin hatten sie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und besonders nach dem siegreichen Ersten Weltkrieg den Höhepunkt ihrer Weltmachtstellung erreicht – ein Viertel der Landmasse der Erde. Dank Roald Amundsen wurde 1911 die Flagge Norwegens auf dem Südpol gehisst, die US-Amerikaner James Cook und Robert Edwin Peary beanspruchten unabhängig voneinander das Erreichen des Nordpols in den Jahren 1908 beziehungsweise 1909 für sich.
Nun gab es auf der Erde nur noch eine einzige Destination, deren Erkundung eine annähernd prestigeträchtige Aufgabe darstellte: der Mount Everest, dessen Gipfel noch nie ein Mensch betreten hatte. Benannt ist er übrigens nach dem britischen Vermessungsingenieur George Everest. Am 1. März 1856 verkündeten britische Vermesser, dass der Berg mit rund 8.840 Metern der höchste der Erde sei. Obwohl die Briten ihre Vermessungsarbeiten aus großer Entfernung vornahmen, da ihnen kein Zugang nach Nepal oder Tibet gestattet war, waren die Ergebnisse ihrer Arbeiten doch ungewöhnlich exakt. Sie kamen dem 2020 neu ermittelten Höhenwert des Mount Everest von rund 8.849 Metern ziemlich nahe. Zudem konnten die Briten die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts weitverbreitete Annahme, dass die südamerikanischen Anden der weltweit höchste Gebirgszug sein sollten, damit korrigieren.
Praktischerweise lag das noch weithin unerforschte Himalaya-Gebirge quasi vor der britischen Haustür, da Indien damals Kronkolonie des Empires war. Daher war es nur logisch, dass die Briten die erstmalige Bezwingung des von ihnen zum „Dritten Pol“ deklarierten Gipfels der Welt als Ehrensache ansahen. Nach langwierigen Verhandlungen gab der tibetische Dalai Lama schließlich Londoner Regierungsvertretern die Erlaubnis, dass ein britisches Expeditionskorps in das seit 1913 unabhängige Staatswesen einreisen durfte, um die Ersteigung des Mount Everest von der Nordseite aus in Angriff nehmen zu können. Ein Aufstieg von der Südseite aus blieb wegen der unduldsamen Haltung des Königreichs Nepal weiter ausgeschlossen.
Mallorys Leiche 1999 entdeckt
Der britische Forscher und Bergsteiger Alexander Mitchell Kellas, der als erster Kletterexperte die Meinung vertrat, dass extrem fitte Gipfelstürmer das Haupt der Welt künftig sogar ohne Sauerstoffmasken erklimmen könnten, erhob 1916 den erfolgreichen Wettlauf zum Mount Everest zu einer geradezu nationalen Angelegenheit: „Wir haben beide Pole verpasst, nachdem wir 300 Jahre lang die Meere beherrscht hatten, und wir werden ganz sicher nicht die Chance verstreichen lassen, das Gebiet rund um den Mount Everest zu erkunden, nachdem wir 160 Jahre lang die dominierende Macht in Indien waren.“
Gleich dreimal unternahmen britische Bergsteiger Anfang der 1920er-Jahre einen Anlauf zum Gipfelsturm, wobei 1921, 1922 und 1924 jeweils George Mallory, einer der besten Kletterer seiner Zeit, an vorderster Stelle mit dabei war. Am 4. Juni 1924 schaffte es ein Team-Kollege von Mallory bis zur damaligen Rekordhöhe von rund 8.600 Metern.
Vier Tage später brachen dann Mallory und sein Kletterpartner Andrew Irvine zu einem weiteren Versuch aus einem 8.168 Meter hoch gelegenen Lager auf. Gegen 12.50 Uhr wurden sie noch von einem Teammitglied beim Überwinden eines verschneiten Grats unterhalb einer großen Felsstufe gesichtet. Danach verlor sich jede Spur von ihnen. Bis heute ist ungeklärt, ob die beiden Bergsteiger womöglich den Gipfel des Mount Everest als erste Menschen betraten. 1999 wurde die durch die Eiseskälte bestens konservierte Leiche von Mallory in einer Höhe von 8.100 Metern gefunden. Die Suche nach einer Kamera, deren Bilder einen fotografischen Beweis für eine mögliche Erstbesteigung hätten liefern können, blieb jedoch erfolglos. In den 1930er-Jahren, zwischen 1933 und 1938, mussten weitere britische Bergsteigerteams frustriert die Heimreise nach gescheiterten Attacken auf den Mount Everest antreten.
In den folgenden Jahren tat sich wenig in Sachen Gipfelsturm. Das sollte sich erst Anfang der 1950er-Jahre wieder ändern. Zum einen waren den Briten mit den Schweizern ernsthafte Konkurrenz erwachsen, zum anderen mussten sich beide Kletternationen auf ein völlig neues Terrain einstellen. Nach der Eroberung Tibets durch China war die Besteigung des Mount Everest von der Nordseite aus nicht mehr möglich, dafür erlaubte das Königreich Nepal nun ausgewählten Expeditionen den Zugang von der Südseite, wobei es allerdings keinerlei Erfahrungen bezüglich bestmöglicher Routen gab. 1952 wäre aus britischer Sicht fast der Worst Case eingetreten, weil gleich zwei Schweizer Expeditionen dem Gipfel der Welt ziemlich nahekamen. Beide Male hatte sich der nepalesisch-indische Angehörige des lokalen Sherpa-Volkes Tenzing Norgay an der Seite des Schweizer Kletterers Raymond Lambert hervorgetan. Dank seiner Teilnahme an diversen früheren Everest-Besteigungsversuchen hatte sich Norgay vom einfachen Lastenträger zum erfahrenen Bergsteiger entwickelt. Das Duo schaffte es bei seinem ersten Aufstieg bis auf rund 8.600 Meter, beim zweiten Versuch reichte es zwar nur bis zu einer Höhe von 8.100 Metern, aber dafür konnten sie genau die Route erkunden, die schließlich den Briten ein Jahr später den lange ersehnten Erfolg brachte.
Der Druck auf die Briten war also enorm. Zwar hatten sie für 1953 von Nepal das Expeditions-Exklusivrecht erhalten, wussten aber, dass 1954 wieder die Schweiz an der Reihe sein würde. Aus britischer Sicht musste also das Unternehmen des Jahres 1953 unbedingt klappen: die insgesamt neunte offizielle britische Mission gen Mount Everest.
Entsprechend wurde die Expedition generalstabsmäßig und mit größtem Aufwand unter Leitung des Offiziers John Hunt geplant. Natürlich sollten möglichst nur Briten dem Team angehören oder zumindest einem zum britischen Commonwealth zählenden Staat entstammen. Wie der neuseeländische Bienenzüchter und erfahrene Kletterer Edmund Hillary, ein Hüne von 1,92 Metern. Zur Vorbereitung wurde ein Trainingslager in Wales bezogen, wo den Teammitgliedern an den Hängen des Snowdon der letzte Feinschliff verpasst und der Umgang mit der Sauerstoffausrüstung ausgiebig geübt wurde. Im März 1953 fand sich das Team in der britischen Botschaft in Kathmandu ein. Man durfte keine Zeit mehr verlieren, da der jährlich Ende Mai einsetzende Monsun gefährliche Auswirkungen auf die klimatischen Bedingungen rund um das Gipfelmassiv haben würde.
Team A musste den Versuch abbrechen
Also setzten sich am 10. und 11. März 1953 zwei Marschkolonnen mit insgesamt 350 Trägern und 13 Tonnen Ausrüstung von Kathmandu aus Richtung Mount Everest in Bewegung. Nachdem das Team eine knapp dreiwöchige Höhenakklimatisierung absolviert hatte, wurde das Basislager am 22. April 1953 in einer Höhe von 5.400 Metern und am 7. Mai 1953 das vorgeschobene Basislager in einer Höhe von 6.400 Metern errichtet. Bis zum 28. Mai 1953 sollten weitere insgesamt neun Lager eingerichtet werden – je höher, desto provisorischer.
Oberst Hunt hatte sich für eine Strategie mit zwei Teams entschieden. Team A mit den beiden britischen Bergsteigern Tom Bourdillon (28) und Charles Evans (34) sollte am 26. Mai 1953 aus Lager VIII am Südsattel des Berges in 7.900 Metern in einer Art Schnellschuss-Versuch den Angriff auf den Gipfel unternehmen. Für den ziemlich wahrscheinlichen Fall ihres Scheiterns hatte Hunt in Team B die bestmögliche Besetzung in der Hinterhand. Wobei Team B mit Edmund Hillary und Tenzing Norgay, der die Route ja schon durch die Schweizer Expedition des Vorjahres bestens kannte, den Vorteil hatte, die ultimative Attacke vom noch anzulegenden Lager IX in 8.500 Metern beginnen zu können. Team A schaffte es bis zum Südgipfel des Mount Everest in 8.751 Metern Höhe, der Hauptgipfel war somit nur noch 100 Höhenmeter und 350 Meter Luftlinie entfernt. Weil Evans aber wegen eines Ventilversagens Probleme mit seiner Sauerstoffzufuhr hatte, musste Team A den Rückweg antreten.
Um 11.30 Uhr auf dem Gipfel angekommen
Nun schlug die Stunde von Team B mit dem konditionsstarken Hillary und dem erfahrenen Norgay. Am 28. Mai 1953 brachte das Duo mit Unterstützung dreier Helfer das Material zum Lager IX hinauf, das eigentlich nur aus einer mit Pickeln ins Eis gehackten Plattform bestand, auf der gerade einmal notdürftig ein Zelt befestigt werden konnte, in dem die beiden Kletterer die Nacht vor dem Gipfelsturm verbringen sollten. Für die Übernachtung hatte man eigens eine zusätzliche Sauerstoffflasche nach oben geschleppt, die sich aber nur mittels eines nicht mehr auffindbaren Adapters hätte öffnen lassen. Den beiden Kletterern blieb nichts anderes übrig, als die vorgesehene Sauerstoffzufuhr von vier Litern pro Minute um einen Liter zu reduzieren. Glücklicherweise fanden sie am Folgetag beim Aufstieg zum Gipfel noch von Team A zurückgelassene Sauerstoffflaschen.
Nach einer kurzen, eisigen, sturmumtosten Nacht, bei der sie befürchten mussten, mitsamt ihres Zeltes in die Tiefe gerissen zu werden, nahmen die beiden Bergsteiger gegen 4 Uhr früh ein schnelles Frühstück aus Sardinenbiskuits samt Zitronenlimonade ein. Der Aufbruch verzögerte sich dennoch bis 6.30 Uhr, weil sie zunächst einmal die steinhart gefrorenen Stiefel, die Hillary dummerweise über Nacht ausgezogen hatte, über einem Gaskocher weich kneten mussten. Danach gab es kaum mehr ernsthafte Probleme. Sie mussten zwar eine mühsame Strecke mit sogenanntem Bruchharsch durchqueren, bei dem tiefer Pulverschnee von einer gefrorenen Schneedecke überkrustet war. Doch schon gegen 9 Uhr erreichten sie den Südgipfel. Danach mussten sie einen wellenförmig gezackten Schneegrat überwinden.
Das letzte Hindernis war eine mehrere Meter vertikal nach oben reichende Felsstufe, die später „Hillary Step“ benannt wurde und die der Neuseeländer dank seiner ins Eis gerammten Steigeisen bezwingen konnte.
Um 11.30 Uhr umarmten sich Hillary und Norgay glücklich auf dem Gipfel der Erde. Zur Dokumentation schoss Hillary mehrere Fotos von Norgay, wobei das Bild des ehemaligen Lastenträgers mit dem erhobenen Eispickel, an dem Fahnen der Uno, Großbritanniens, Nepals und Indiens flatterten, bald um die Welt ging. Nach einer Viertelstunde auf dem Gipfel machten sich die beiden Kletterer zum Abstieg bereit. Die Nachricht von der Erstbesteigung des Mount Everest traf am 2. Juni 1953 in London ein, also genau an jenem Tag, an dem Elizabeth II. zur britischen Königin gekrönt wurde.
Der riesige Jubel der Massen in den Straßen rund um die Themse galt damit nicht nur der Queen, sondern auch den beiden Berghelden. Die Spekulationen darüber, wer von den beiden Kletterern den ersten Schritt aufs Dach der Welt gemacht hatte, beendete Norgay in seiner Biografie „Tiger of the Snows“ mit der Zuweisung an seinen Partner, der von der Queen für seine Leistung, die als Sternstunde des Alpinismus gilt, in den Ritterstand erhoben wurde.