Auf Spiele im Amateurbereich zu wetten ist verboten – zumindest in Deutschland. Kriminelle Machenschaften werden jedoch dadurch nicht verhindert: Dubiose Datenscouts beliefern Anbieter im Ausland. Es ist Vorsicht geboten – gibt aber auch Hoffnung.
Im Hamburger Stadion Hoheluft spielte sich Anfang September eine Szene ab, die weit mehr Aufmerksamkeit erregte als das eigentliche Spielgeschehen auf dem Platz. Die Begegnung zwischen dem Oberliga-Team Victoria Hamburg und dem punktlosen Schlusslicht WTSV Concordia war sportlich unbedeutend, doch der Auftritt eines Datenscouts brachte die Verantwortlichen in Aufruhr. Ein Tag vor dem Spiel hatten sie eine E-Mail erhalten, die sie informierte, dass ein solcher Scout im Stadion anwesend sein könnte, um Daten an ausländische Wettanbieter zu übermitteln. Diese Scouts sammeln während des Spiels Informationen wie Ballbesitz, Fouls oder Platzverweise und übermitteln diese in Echtzeit an Wettanbieter, die diese für Live-Wetten nutzen – so beschrieb es der „Spiegel“, der eine große Recherche zu diesem Thema durchführen.
Vorfall offenbarte größeres Problem
Pünktlich zum Spielbeginn um 18 Uhr positionierten sich die Verantwortlichen von Victoria Hamburg und einige Späher im Stadion, um den verdächtigen Datenscout aufzuspüren. Um 18:36 Uhr, knapp eine halbe Stunde nach Spielbeginn, hatten sie einen Mann entdeckt, der ununterbrochen auf seinem Smartphone tippte. Nach einer kurzen Konfrontation stellte sich heraus, dass es sich um Ermin M., einen in Berlin gemeldeten Mann aus Aserbaidschan, handelte. Er wurde des Stadions verwiesen, und das Spiel konnte ohne weitere Störungen fortgesetzt werden. Doch der Vorfall hat ein viel größeres Problem offengelegt, das weit über den Amateurfußball hinausgeht.
In Deutschland sind Wetten auf Amateurspiele zwar laut Glücksspielstaatsvertrag verboten, um Manipulationen vorzubeugen, da gerade in diesen Ligen für relativ wenig Geld Einfluss auf den Spielausgang genommen werden kann. Dennoch bieten ausländische Wettanbieter weiterhin Wetten auf solche Partien an, oft sogar ohne Lizenz. Sobald ein deutsches Amateurspiel auf diesen internationalen Wettplattformen auftaucht, steht der Verdacht im Raum, dass es Manipulationsversuche geben könnte.
Dieser Verdacht erhärtete sich auch in einem weiteren Fall, diesmal in der Oberliga Baden-Württemberg, wo der FSV Bissingen betroffen war. Vorstand Manfred Bleile erhielt mittwochmorgens eine ähnliche E-Mail, die ihn auf die Anwesenheit eines Datenscouts hinwies. Noch während des Spiels gegen den SV Oberachern, das um 19 Uhr begann, erreichte ihn ein Screenshot, der zeigte, dass auf das Spiel live gewettet werden konnte. „Binnen kurzer Zeit hatte ich den Mann mit Headset erkannt“, berichtet Bleile. Der Verdächtige, ein Deutscher Ende 50, versuchte sich zunächst herauszureden und behauptete, er sammele lediglich privat Statistiken. Er zeigte sogar Akkreditierungen für andere Oberligavereine vor. Doch nach direkter Ansprache gab er zu, die Daten weiterzugeben.
Im Gegensatz zum Hamburger Vorfall blieb der Scout jedoch im Stadion, musste aber sein Smartphone abgeben, das „alle paar Sekunden klingelte und neue Nachrichten anzeigte“, so Bleile. Interessanterweise verschwand das Spiel kurz darauf aus dem Live-Wettangebot der Plattformen, da ohne Echtzeitdaten keine Wetten mehr möglich waren. Bleile ist rückblickend noch immer erschüttert über den Vorfall: „Ich war mit der Situation ein wenig überfordert. Morgens Mail, abends Zugriff“, sagt er lachend, obwohl ihm kaum nach Lachen zumute ist. Beim nächsten Mal, so sagt er, wird er allerdings härter durchgreifen: „Rausschmiss, Polizei rufen, Stadionverbot. Diese Leute machen unseren Sport kaputt.“
Abgegebenes Smartphone
Auch in Rheinland-Pfalz, bei einer Oberliga-Partie zwischen den Sportfreunden Eisbachtal und dem FV Eppelborn, ereignete sich ein ähnlicher Vorfall. Hier wurden die Verantwortlichen ebenfalls vorab informiert, dass sich ein Datenscout im Stadion befinden könnte. Nach kurzer Suche wurde der Verdächtige entdeckt und des Stadions verwiesen. Auch in diesem Fall verschwand das Spiel kurz darauf aus den Live-Wetten. Der Tippgeber hinter diesen und weiteren Vorfällen in den letzten Wochen war stets derselbe: Thomas Melchior.
Melchior kennt das System von innen, denn er war selbst süchtig nach Sportwetten. Er häufte Schulden in Höhe von 800.000 Euro an und landete 2019 wegen Betrugs im Gefängnis. Heute klärt er über die Mechanismen des Systems auf: „Um ein Spiel als Live-Wette anbieten zu können, wird der Datenscout benötigt. Er sammelt die Informationen in Echtzeit und gibt sie an einen Zwischenanbieter weiter, der diese an die Wettfirmen verkauft.“ Dabei handelt es sich um detaillierte Informationen wie Ballbesitz, Torschüsse oder Platzverweise, die es den Wettanbietern ermöglichen, dynamische Wetten anzubieten.
Laut Melchior sind diese Live-Wetten besonders problematisch. „Diese Live-Wetten sind meiner Erfahrung nach der zentrale Faktor bei der Entstehung von Spielsucht, zum anderen bieten Live-Wetten eine sehr große Angriffsfläche für das Thema Spielmanipulation“, erklärt er. In der Praxis gibt es zwei Möglichkeiten der Datenübermittlung: Entweder werden die Informationen über eine spezielle Software direkt ins Smartphone eingegeben oder sie werden telefonisch per Headset durchgegeben, wobei oft eine Fremdsprache verwendet wird.
Manipulationen finden oft bei scheinbar banalen Spielsituationen statt. „Wenn es nach 89 Minuten 5:0 steht, dann fällt ein 6:0 oder 5:1 nicht weiter auf. Wenn ich jedoch weiß, dass noch ein Tor fällt, weil ich einen Abwehrspieler oder den Schiedsrichter bestochen habe, dann kann ich mit dieser Information richtig Geld verdienen“, erläutert Melchior. Solche Manipulationen geschehen meist unauffällig. Niedrige Einsätze bei vielen Anbietern verhindern, dass diese Wetten auf den Radaren der Buchmacher auffallen: „Bei einer Quote von 10:1 für ein spätes Tor, sind je 100 Euro Einsatz bei zehn verschiedenen Anbietern ein satter Gewinn.“ Durch die Verteilung der Einsätze fallen diese Manipulationen meist nicht auf.
Es ist für deutsche Spieler erschreckend einfach, auf diese Partien zu wetten. Zwei Klicks im Netz genügen, um bei einem ausländischen Anbieter Wetten auf deutsche Amateurspiele zu platzieren. Oft sind es Anbieter ohne Lizenz, die beispielsweise Partien des SV Heimstetten aus Bayern oder aus der Oberliga Baden-Württemberg listen. Auch Mannschaften wie Viktoria Herxheim oder die Sportfreunde Eisbachtal in Rheinland-Pfalz tauchen regelmäßig auf diesen Plattformen auf. Besonders häufig betroffen ist Hamburg, wo Datenscouts immer wieder bei Spielen des Altona 93, Niendorfer TSV oder SC Victoria gesichtet werden. Auch Spiele der U19-Teams des Hamburger SV und des FC St. Pauli, sowie der Zweitligafrauen des HSV waren bereits betroffen.
Wetteinsätze dürfen gewisse Summe nicht übersteigen
Dass Hamburgs Amateurfußball so häufig im Fokus steht, überrascht Kenner der Szene nicht. „Für 1.000 Euro kann man im Hamburger Fußball bei Spielern und Schiedsrichtern viel bewegen“, erklärte ein Insider, der anonym bleiben möchte, der „Hamburger Morgenpost“. Recherchen der „Lokal-Zeitung“ haben ergeben, dass es Hinweise auf Manipulationen bei mindestens 17 Amateurpartien in Deutschland gibt. Diese Partien betreffen nicht nur die Oberligen, sondern auch die Dritte Liga und einige Regionalligen. Über verschlüsselte Messengerdienste im Darknet sollen Manipulationsinformationen an ausgewählte Nutzer verkauft worden sein. Dabei wurden strikte Regeln eingehalten: Die Wetteinsätze durften eine bestimmte Summe nicht übersteigen, um keinen Verdacht zu erregen.
Ein besonders brisanter Fall ereignete sich in der Regionalliga Südwest im Oktober vergangenen Jahres. Beim Spiel zwischen dem FSV Frankfurt und der TSV Steinbach Haiger setzten auffällig viele Wettende auf eine Führung der Gäste zur Halbzeit. Tatsächlich führte Steinbach nach zwei individuellen Fehlern der Frankfurter zur Halbzeit mit 2:0. Maximilian Ziegler-Freisinger, Geschäftsführer der Regionalliga Südwest GmbH, berichtet: „Der Fall liegt weiterhin bei der Staatsanwaltschaft. Erst wenn das Strafrechtliche beendet ist, können wir verbandsrechtlich ermitteln.“ Ihm ist bewusst, dass Wetten auf den Sport einen erheblichen Einfluss nehmen können. „Ich halte Vorträge im Rahmen von Regionalligatagungen, bis rein in die Oberligen. Wir sind sensibilisiert für das Thema.“ Es gibt klare Vorgaben: Spielern der Regionalligen und Oberligen ist es untersagt, auf ihre eigenen Partien zu wetten. Doch das allein reicht nicht, wie Ziegler-Freisinger betont: „Die Clubs müssen mit geschärften Sinnen an diese Thematik herangehen.“
Ein internationales Wettverbot auf Amateurspiele wäre eine Lösung, doch Experten wie Melchior halten dies für unrealistisch. Stattdessen plädiert er für eine einfachere, aber effektive Maßnahme: „Datenscouts entdecken und dank des Hausrechts des Stadions verweisen.“ Dadurch würde die Grundlage für Manipulationen entzogen, denn ohne Echtzeitdaten könnten keine Live-Wetten angeboten werden. Ansonsten könnte das Problem weiter eskalieren und den Amateurfußball nachhaltig schädigen.