Am 4. April vor 100 Jahren gründeten die Kinopioniere Harry, Jack, Samuel und Albert Warner in Burbank die Warner Bros. Pictures. Sie gehören heute zu den fünf größten Filmstudios der USA. Die Geschichte des berühmten Familienunternehmens nahm jedoch in Bremen ihren Anfang.
Als die Jüdin Leah Eichelbaum mit ihren erstgeborenen Söhnen im Oktober 1889 von Bremen aus mit dem Dampfer „Hermann“ nach Baltimore auswandert, blickt sie voller Zuversicht in die Zukunft. Sie und ihr Mann Benjamin Wonskolaser, der bereits ein Jahr zuvor über Hamburg emigriert ist, sprechen nur Jiddisch und sind in Polen in bitterer Armut aufgewachsen. Dort werden Juden verfolgt, ihre Häuser niedergebrannt. Die Kinder sollen es in Amerika einmal besser haben. Dass ihre Söhne Itzhak, Hirsz, Aaron und Szmul sich eines Tages Jack, Harry, Albert und Samuel Warner nennen und die Traumfabrik Hollywood mitbegründen werden, ahnt zu dem Zeitpunkt noch niemand.
Schon als Teenager beweisen die Brüder Geschäftssinn. 1903 ziehen sie mit ihrem Wanderkino durch die Provinzstädte von Ohio und Pennsylvania. Für fünf Cent versprechen sie „kultivierte Unterhaltung für Ladies, Gentlemen und Kinder“. Gezeigt wird unter anderen Edwin S. Porters „The Great Train Robbery“, einer der ersten Stummfilme mit einer Handlung. Das Startkapital für ihre Entertainment-Firma mit dem klangvollen Namen „Duquesne Amusement Supply Company“ stammt aus dem Verkauf von Seife. Der Legende nach ist der Begriff „Seifenoper“ für triviale Fernsehserien auf die Gebrüder Warner zurückzuführen.
Auch der Pfandleiher spielt eine Rolle in dieser exzeptionellen Karriere. Mit den 1.000 Dollar aus dem Verkauf des einzigen Pferdes der Familie und der goldenen Uhr des Vaters kann das Quartett die ersehnte Stummfilmvorführmaschine der Marke Edison erwerben. Dass sie defekt ist, kann ihren Tatendrang nicht stoppen, denn Samuel Warner, der technisch versierteste der Brüder, macht sie schnell wieder flott. „Wenn bewegte Bilder so reizvoll waren, dass ich keines verpassen wollte, dann musste da etwas dran sein“, erinnert sich Jack später an diese Zeit.
Die Pioniere werden 1907 in New Castle/Pennsylvania sesshaft. In einem umgebauten Laden gründen sie einen Filmverleih und das erste von zahlreichen sogenannten Nickelodeon-Theatern namens Cascade Movie Palace. Schon bald sind es deren zwei. Im Bijou Theatre nehmen die Zuschauer auf geliehenen Stühlen eines Beerdigungsinstituts Platz. Samuel bedient allabendlich den Projektor mit Handkurbel, Albert und Harry verkaufen die Tickets. Während des Spulenwechsels singt Jack sogenannte „Illustrated Songs“ zu den Pianoklängen seiner Schwester Rose.
Im Sommer 1911 kehrt Samuel Warner von einem mehrmonatigen Trip nach New York zurück. Im Gepäck die Rechte an dem italienischen Stummfilm „L’Inferno“, einer spektakulären Adaption des Infernos aus Dantes „Göttlicher Komödie“. Mit diesem abendfüllenden Film, verteilt auf fünf Spulen, geht das Familienunternehmen auf Reisen. Während der Spulenwechsel trägt ein Erzähler Dantes berühmtes Werk vor. Die Idee funktioniert, und „L’Inferno“ beschert den Warners ihren ersten Box-Office-Erfolg.
1918 Umzug in ein kleines Nest namens Hollywood
Die Warners verkaufen ihr Unternehmen für 52.000 Dollar (heute umgerechnet etwa 1,4 Millionen Dollar). Samuel und Jack produzieren ab 1914 im boomenden Culver City in Los Angeles County eigene kurze Low-Budget-Western unter dem Logo „Warner Features“. Harry und Albert kümmern sich in New York um deren Finanzierung und den Vertrieb. Am 29. April 1918 kommt mit dem 108 Minuten langen Stummfilm „My Four Years in Germany“ die erste vollwertige Spielfilmproduktion der Warners landesweit in die Kinos. Mit dem antideutschen Propagandastreifen über die Brutalität der Kriegsgefangenenlager in Deutschland gelingt den patriotischen Migrantensöhnen ein erster größerer Erfolg.
Darüber hinaus produzieren sie zahlreiche Low-Budget-Komödien und gewagte Streifen über den Niedergang der Moral. Ihr größter Star ist zwar nur ein deutscher Schäferhund namens Rin Tin Tin, doch der beliebte Vierbeiner bringt die Kassen im Hause Warner zum Klingeln. Rin Tin Tin ist einer von zwei Welpen, die 1918 von einem US-Soldaten in einem Stall in Lothringen gefunden und mit nach Los Angeles gebracht worden waren. Er soll nach 26 erfolgreichen Filmen einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame erhalten.
Von den Millionengewinnen beflügelt, ziehen die Brüder 1918 in ein Nest namens Hollywood um, die kommende Welthauptstadt der Filmindustrie. Unter der Adresse 5842 Sunset Boulevard kaufen sie sich für 25.000 Dollar ein 40.000 Quadratmeter großes Grundstück. Darauf errichten sie 1920 die Warner Bros. West Coast Studios, die Filmgeschichte schreiben sollen. Am 4. April 1923 gründen Unternehmenspräsident Harry, Schatzmeister Albert, Produzent Samuel und Produzent Jack in Burbank schließlich die Warner Brothers Pictures, Inc. Darüber hinaus übernehmen sie für 1,8 Millionen Dollar die renommierte Filmproduktionsfirma „Vitagraph“. Zu ihrem Stall gehören der junge Autor F. Scott Fitzgerald und der Regisseur Ernst Lubitsch. Während der konservative Harry viel Geschick fürs Geschäft beweist, entwickelt der visionäre Samuel sich zu einem Pionier des Tonfilms.
Als das Familienunternehmen in finanzielle Schwierigkeiten gerät, überredet Samuel seine Brüder dazu, in die Entwicklung des Vitaphone-Verfahrens zu investieren, ein Vorläufer des Tonfilms, bei dem mit Schallplatten gearbeitet wird. Dabei werden Musik und Sprache auf Schallplatten aufgenommen und anschließend mit der Handlung auf der Leinwand synchronisiert. Warners „Don Juan“ mit dem Protagonisten John Barrymore ist ein frühes Beispiel für dieses Verfahren und erlebt 1926 einen sensationellen Erfolg in New York. Neben Filmmusik, die von den New Yorker Philharmonikern eingespielt wird, sind auch 325 gesprochene Worte zu hören.
Mit „The Jazz Singer“ produziert Samuel Warner 1927 schließlich den ersten vollwertigen Sprech-Spielfilm in den Warner Bros. West Coast Studios. Unter der Regie von Alan Crosland verkörpert Al Jolson darin den armen jüdischen Sänger Jakie Rabinowitz, der zum Broadway-Star aufsteigt. Durch seine Improvisationskunst ebnet der damals 40-jährige Entertainer dem Tonfilm den Weg. Weil über Warner der Pleitegeier kreist, arbeitet Jolson vorerst ohne Gage. Am Ende macht ihn der Film sogar zum Millionär: „Der Jazzsänger“ hat 422.000 Dollar gekostet, spielt 7,6 Millionen Dollar ein und markiert den Beginn der Tonfilmzeit.
Millionenverdienst mit den Tonfilmen
Die umwerfende Resonanz auf sein Meisterstück erlebt Samuel Warner nicht mehr; 24 Stunden vor der Premiere am 6. Oktober in New York stirbt der geniale Tüftler überraschend an einer Gehirnblutung. Die Premiere muss deshalb ohne die restlichen Warners stattfinden. Heimlicher Star des Abends ist der Filmvorführer, denn er muss Bild und Ton synchronisieren. Die Aufnahmen befinden sich auf 30 verschiedenen Spulen und Schallplatten. Bei der ersten Oscar-verleihung am 16. Mai 1929 wird „Der Jazzsänger“ mit einem Special Award ausgezeichnet. Ungewöhnlich insofern, als darin jüdische Darsteller und farbige Künstler die schwarze Jazzmusik einem großen weißen Publikum nahebringen. Der Streifen gilt heute als eine der ersten filmischen Reflexionen über den Schmelztiegel Amerika.
Durch den enormen finanziellen Erfolg der Tonfilme „Lights of New York“ (1928) und „On with the Show“ (1929; der erste Tonfilm in Farbe) steigt Warner Bros. zu einem der größten und modernsten Studios in Hollywood auf. Für die damals gigantische Summe von 100 Millionen Dollar verleiben Jack, Albert und Harry sich ein Drittel der bedeutenden Produktionsfirma First National ein. Im Paket enthalten ist auch Amerikas größte Kinokette First National Picture.
Als in den 1930er-Jahren die klassische Hollywood-Ära beginnt, sind die Brüder längst zu einem eigenen Machtfaktor geworden. Für „Das Leben des Emile Zola“ mit Paul Muni bekommt das Studio 1937 seinen ersten Oscar. Zum Stall der erklärten Low-Budget-Filmer gehört auch Ronald Reagan. Der ehemalige Sportreporter und spätere US-Präsident erhält eine Anfangsgage von wöchentlich 200 Dollar. Geiz ist aber nicht unbedingt gut fürs Geschäft: Da dem knickrigen Jack Warner die Rechte am Drehbuch zu teuer sind, zieht „Vom Winde verweht“ an den Brüdern vorbei.
In den glorreichen 1940er-Jahren ist Warners Billig-Image endgültig passé und hochbezahlte Stars wie Humphrey Bogart, Ingrid Bergman, James Cagney und Burt Lancaster halten Einzug in die heiligen Hallen im kalifornischen Burbank. Als dort 1942 der spätere Megaerfolg „Casablanca“ gedreht wird, arbeiten 18.500 Angestellte am Erfolg von Warner Bros. Der Börsenwert des Konzerns mit seinen 525 Kinos und 93 Verleihfirmen beträgt 200 Millionen Dollar.
Währenddessen wütet in Europa der Zweite Weltkrieg. Für die meisten Amerikaner ist Hitler von geringer Relevanz. Niemand in den Vereinigten Staaten glaubt ernsthaft an eine Bedrohung. Dennoch betreiben die Juden Harry, Jack und Albert gezielte Anti-Nazi-Propaganda mit patriotischen Streifen wie „Sergeant York“. Zur umjubelten Premiere in New York am 2. Juli 1941 erscheint der halbe Senat aus Washington. Fünf Monate später treten die USA tatsächlich in den Zweiten Weltkrieg ein – und „Sergeant York“ erhält einen Oscar.
Legendär sind die Streitereien und Prozesse, die sich Albert, Harry und vor allem der als Frauenheld verschriene Jack mit ihren Stars liefern. George Raft zum Beispiel hat sein Image als Filmbösewicht komplett verinnerlicht. Er umgibt sich auch im wirklichen Leben mit Gangstern. Rollen, die seinem Image entgegenwirken, lehnt er ab. Das kommt ihn teuer zu stehen, denn der vertraglich an Warner gebundene Schauspieler muss sich regelmäßig bei seinem Chef Jack freikaufen – mit bis zu 10.000 Dollar.
5,2 Milliarden Dollar alleine 2017
Ausgerechnet ein selbstbewusster Kinorebell beendet Mitte der 1950er-Jahre die Autokratie der Brüder. James Dean dreht im Auftrag der Warner-Bros.-Studios die Filme „Jenseits von Eden“, „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ und „Giganten“. Zu diesem Zeitpunkt steckt das Trio mitten in Verkaufsverhandlungen. Anstatt ihre Filme im neuen Medium Fernsehen zu zeigen, geben die Kino-Pioniere Harry und Albert 1956 lieber ihre Aktienmehrheit ab. Harry stirbt friedlich am 25. Juli 1958 und Albert am 26. November 1967.
Jack bleibt bis 1967 im Vorstand der neuen Gesellschaft Warner-Bros.-Seven Arts und sichert sich Filmrechte an Stoffen wie „My Fair Lady“ oder „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Schließlich verkauft er das Studio an die Filmhändler Elliot und Ken Hyman. Insgesamt dauert seine Karriere 45 Jahre an – länger als die eines jeden anderen Hollywoodmoguls. Ihm ist es zu verdanken, dass die Warner-Filme letztlich doch noch gewinnbringend an das Massenmedium Fernsehen veräußert werden.
In der Ära nach Jack jr. – er stirbt am 9. September 1978 – fusioniert das Warner-Studio unter neuer Leitung mit der Firma des Comic-Verlegers Steven Ross („Batman“, „Superman“ „MAD“) und feiert Erfolge mit Filmen wie „Superman II + III“ und „Batman“. 1990 dann die spektakuläre Fusion mit dem Verlagshaus Time: Mit AOL Time Warner tritt der größte Medienkonzern der Welt auf den Plan. Unter anderem treibt er die Entwicklung des neuen Mediums DVD voran. Zu seinen größten Erfolgen zählen „GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“ (1990), „JFK – Tatort Dallas“ (1991) und „Erbarmungslos“ (1992).
1996 fusioniert das Unternehmen mit Ted Turners Broadcasting System Inc. 1999 übernehmen der Vorstandsvorsitzende Barry Mayer und der Unternehmenspräsident Alan Horn das Ruder, verkaufen die Musiksparte Warner Music Group und sorgen dafür, dass die Filme der Warner-Bros.-Entertainment Company heute so erfolgreich sind wie nie zuvor. „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“ etwa knackte 2012 die Marke von einer Milliarde eingespielten US-Dollar. Und 2017 wurde mit 70 produzierten TV-Serien und weltweiten Einnahmen von 5,12 Milliarden Dollar zum erfolgreichsten Jahr für Warner Bros.