Jedes Jahr reist Barak Shacked aus Israel an, um die besonderen Kostüme und die Magie des Karnevals von Venedig mit seiner Kamera einzufangen. Ein Interview über unterschiedliche Kostümarten, die Inszenierung von Szenen und seine Lieblingsfotos.

Lieber Barak, seit wann fotografierst Du beim Karneval von Venedig?
Mein erster Besuch beim Karneval von Venedig war 2016. Zu dieser Zeit hatte ich noch nicht gänzlich verstanden, was der Karneval ist – ich dachte, es wäre vor allem ein festliches Ereignis, bei dem sich die Menschen einfach verkleiden und durch die Straßen ziehen. Meine Frau, ein Freund und ich reisten dorthin, um den Karneval zu erkunden, und auf dem Weg begegneten wir einigen kostümierten Personen in den Straßen und auf den Plätzen. Wir machten einige Fotos hier und dort, während wir die Gassen und Museen erkundeten. An meinem letzten Tag dort begegnete ich einem Fotografen, der mit einer kostümierten Person unterwegs war. Ich fragte, ob ich auch Fotos machen kann und wurde herzlich eingeladen mitzumachen. Später an diesem Tag sah ich einen anderen Fotografen, der allein in einer der Gassen fotografierte. Seine Fotos sahen atemberaubend aus, und als ich fragte, ob ich mitmachen darf, stimmte er zu, wenn wir ihn nicht dabei stören würden. Was als kurzer Stopp begann, wurde zu einem einstündigen Erlebnis der Inszenierung von Szenen und zum Einfangen der Magie des Karnevals. Ich war mir nicht sicher, ob das Teil des offiziellen Karnevals war oder nicht, aber was ich sah, inspirierte mich dazu, zwei Jahre später zurückzukehren und zu versuchen, die Hintergründe des Karnevals von Venedig zu verstehen. Mit der Zeit verlängerte ich meinen Aufenthalt schrittweise. Anfangs war ich nur für ein paar Tage dort, nun bleibe ich fast zwei Wochen, um die gesamte Karnevalszeit abzudecken – ich komme ein bisschen früher an und bleibe etwas länger. Ich genieße jeden Moment, wenn ich Fotos mache. Vor und nach dem Karneval erkunde ich die Stadt zu Fuß, suche nach neuen und interessanten Orten für zukünftige Fotosessions.
Wie sieht Deine tägliche Routine in Venedig aus?

In den ersten Jahren wachte ich bei jedem Sonnenaufgang auf, um die kostümierten Teilnehmer entlang der Uferpromenade am Markusplatz zu fotografieren. In den letzten Jahren mache ich das nur an manchen Vormittagen – je nachdem, ob ich ein Nachtshooting hatte oder lange aufgeblieben bin, um Fotos zu bearbeiten, und ob es die Chance auf einen spektakulären Sonnenaufgang gibt. In den frühen Morgenstunden versammeln sich die kostümierten Figuren in der Nähe der Gondeln, was eine hervorragende Gelegenheit ist, neue Leute kennenzulernen und einzigartige Kostüme zu entdecken. Danach kehre ich für ein Frühstück zurück und mache mich dann auf den Weg zu einer Reihe von Fotoshootings auf der ganzen Insel. Manchmal treffe ich bekannte kostümierte Teilnehmer, und wir erkunden gemeinsam verschiedene Orte. Die Zusammenarbeit mit den kostümierten Personen ist entscheidend, um großartige Bilder aufzunehmen, aber vor allem genieße ich es, die Menschen hinter den Masken kennenzulernen.
Sprachbarrieren können manchmal eine Herausforderung sein. Ich spreche Englisch, aber nicht alle kostümierten Teilnehmer sprechen Englisch, aber wir bewältigen das durch Gestik und Mimik. Den ganzen Tag über schlendere ich durch Venedig auf der Suche nach Masken, die bereit sind, mir etwas Zeit für einzigartige Fotoshootings zu widmen. Ich mache selten Pausen – ich wechsle immer zwischen verschiedenen Orten hin und her und bin auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Da der Karneval nur elf Tage dauert und es so viele Kostüme gibt, versuche ich, so viele Shootings wie möglich unterzubringen. Wenn ich Zeit zum Mittagessen finde, bevorzuge ich es, in den kleinen Gassen hinter dem Markusplatz für ein schnelles Nudelgericht anzuhalten, wo die Restaurants schnell und effizient sind. Ich fotografiere bis zum Sonnenuntergang an verschiedenen Treffpunkten kostümierte Personen. Nach Einbruch der Dunkelheit warte ich, bis sich der Platz leer geräumt hat, und mache mich dann gelegentlich auf den Weg zu nächtlichen Fotosessions mit bekannten Masken oder solchen, die zufällig vorbeikommen und bereit sind, mitzumachen. Es gibt ein paar schöne Orte zum Fotografieren bei Nacht, die ich bevorzuge, die meisten davon sind direkt am Markusplatz.

Wie ist die Atmosphäre in Venedig– verabredest Du Dich dort auch mit Leuten, und haben sich schon Freundschaften entwickelt?
Einer der schönsten Aspekte des Karnevals von Venedig ist das starke Gemeinschaftsgefühl. Fotografen und kostümierte Teilnehmende haben eine positive, einladende Stimmung – alle sind freundlich und enthusiastisch. Die unglaubliche Atmosphäre ist eines der erfreulichsten Dinge dort. Die kostümierten Personen arbeiten gern zusammen, und Fotografen unterstützen sich gegenseitig und heißen auch diejenigen willkommen, die neu sind, so wie mich in meinem ersten Jahr. Im Laufe der Jahre habe ich tolle Freunde aus der ganzen Welt gefunden – aus Frankreich, Deutschland, Estland, Rumänien, Türkei, England, USA und sogar Fotografiegruppen aus Australien. Die Liste ist unendlich. Das ganze Jahr über haben wir gelegentlich Kontakt über Facebook, und einmal im Jahr sehen wir uns in Venedig wieder. Tagsüber fotografieren wir, und an den Abenden treffen wir uns oder gehen essen. Seit den letzten Jahren kenne ich auch die Namen vieler Kostümierter und Fotografen.
Hast Du Dich auch schon mal kostümiert?
Bisher habe ich mich nur einmal verkleidet. Es war kein besonders aufwendiges Kostüm, aber ich bin ein paarmal damit herumgelaufen. Es hat Spaß gemacht, aber ich habe gemerkt, dass ich lieber hinter der Kamera stehe. Doch wer weiß was die Zukunft bringt? Ich kenne mehrere Fotografen, die im Laufe der Jahre zu kostümierten Teilnehmern wurden – es ist auf jeden Fall faszinierend, den Karneval als jemand ganz anderes zu erleben.
Was fasziniert Dich so an Venedig?
Venedig ist voller Symbole, Geheimnisse und Mystik. Die ganze Atmosphäre ist fesselnd – von den engen Gassen bis zu den Kanälen und Brücken. Die gotische Architektur und die einzigartigen Hintergründe kreieren eine faszinierende Kulisse. Egal, wie oft ich die gleichen Orte besuche, ich entdecke immer wieder neue Blickwinkel und Perspektiven. In Kombination mit den faszinierenden Kostümen schaffen diese Elemente atemberaubende Kompositionen. Die sorgfältig gefertigten historischen Kostüme transportieren uns Jahrhunderte zurück zu Szenen üppiger Feste, während Fantasy- und Horror-Kostüme auf surreale, traumhafte Weise durch die Straßen streifen. Es ist wie in einem endlosen Filmset zu sein für mehrere Tage.
An welchen Orten fotografierst Du in Venedig am liebsten und warum?

Ich liebe es, die Brücken Venedigs zu fotografieren, vor allem eine direkt hinter dem Markusplatz, jedoch ist sie oft zu überfüllt mit Menschen. Ich liebe es auch, kostümierte Teilnehmer in Burano abzulichten – die bunten Häuser bieten eine Vielzahl von atemberaubenden Kulissen. Wo ich auch hingehe, suche ich nach einem Hintergrund, der das Kostüm, mit dem ich arbeite, ergänzt, und bin immer auf der Suche nach dem optisch ansprechendsten Rahmen. Ich versuche, Menschenmassen zu vermeiden und bevorzuge kleine Gassen und versteckte Orte, wo wir in Ruhe arbeiten können. Beim Fotografieren in überfüllten Bereichen ist es eine Herausforderung, kreative Aufnahmen zu konzipieren und umzusetzen. Mein bester Rat für alle, die Venedig besuchen: Sucht ruhige Gassen auf, auch in der Nähe belebter Orte – dort findet man unglaubliche Möglichkeiten zum Fotografieren.
Welche Arten von Kostümen magst Du besonders?
Ich liebe alle Kostüme. Wenn wir es unterteilen, bevorzuge ich Kostüme mit Masken im Gesicht gegenüber historischen Kostümen, weil es geheimnisvoller und spezieller wirkt.
Und unter ihnen ist es für mich umso interessanter, je „perfekter“ das Kostüm ist – je mehr besondere Handarbeit darin steckt.
Manchmal gibt es Kostüme mit großen und besonderen Hüten, die funkelnde Teile oder eine echte Skulptur auf dem Kopf beinhalten – die mir wirklich ins Auge fallen, und manchmal reicht schon ein einfacher Hut, der perfekt zum Kostüm passt und es perfekt aussehen lässt.
Bevorzugst Du bestimmte Farben und Accessoires?
Ich habe keine Vorlieben für Farben oder Accessoires – aber es ist sehr wichtig, dass das Kostüm ein schönes Accessoire hat, das sich auf Fotos kombinieren lässt. Kostümen ohne Accessoires fehlt meiner Meinung nach etwas und erfordern mehr Spiel von der Figur, um gut auf das Foto zu passen. Manchmal gibt es bei Kostümen ein so besonderes Accessoire, dass ich dieses auch separat fotografiere.
Welche Fotoshootings waren Deine herausforderndsten und warum?
Die größten Herausforderungen sind Gruppenkostüm-Shootings. Sie erfordern nicht nur fotografische Fähigkeiten, sondern auch eine sorgfältige Inszenierung und die Auswahl eines Ortes, der der Gruppe Platz bietet und gleichzeitig die Harmonie zwischen den Kostümen und dem Hintergrund bewahrt. Die perfekte Location dafür in Venedig zu finden ist nicht immer einfach.
Eine meiner unvergesslichsten Herausforderungen war auch das Fotografieren einer kostümierten Person auf der überfüllten Ponte dell’Accademia bei Sonnenuntergang. Es erforderte viel Geduld, da ich die Leute höflich bitten musste zu warten. Einige halfen sogar dabei, den Verkehr rund um die kostümierte Person stillzulegen, um eine ungestörte Aufnahme zu ermöglichen. Bei einer anderen Gelegenheit warteten wir zehn Minuten auf ein paar Sekunden auf einer menschenleeren Brücke, um das perfekte Bild einzufangen. Die größte Herausforderung ist es, reine touristenfreie Bilder der Kostüme in Venedig einzufangen. Das ist ein fortlaufendes und lohnendes kreatives Unterfangen!
An welche besonderen Momente erinnerst Du Dich über all die Jahre am liebsten zurück?
Eines der Highlights für mich war es, zu exklusiven Treffen eingeladen zu werden, bei denen ich die Menschen hinter den Masken kennengelernt habe. Es ist ein unglaubliches Gefühl zu erkennen, dass ich Teil dieser wunderbaren Gemeinschaft geworden bin. Ein weiteres unvergessliches Erlebnis war die Einladung zu einem Karneval im venezianischen Stil in Frankreich. Es war eine faszinierende Erfahrung und eine der einzigartigsten Möglichkeiten, die ich in der Kostümfotografie hatte. Normalerweise besuche ich die großen, öffentlichen Karnevalevents nicht – sie passen nicht zu meinem Fotografiestil und fühlen sich weniger persönlich an. Für mich liegt die wahre Freude in den persönlichen Interaktionen mit den kostümierten Teilnehmern und anderen Fotografen und nicht darin, große, inszenierte Aufführungen anzuschauen – obwohl sie wunderschön ausgeführt sind.

Wie viele Fotos von kostümierten Menschen hast Du inzwischen?
Ich habe unglaublich viele Bilder. In den ersten Jahren hatte ich eine größere Vielfalt an fotografierten Kostümen, in den letzten Jahren fotografiere ich mehrere Bilder von jedem Kostüm.
Jedes Jahr lichte ich ein paar Hundert Kostüme ab. Insgesamt habe ich jedes Jahr zwischen 6.000 und 15.000 Bilder von Kostümen. Zu den meisten komme ich nicht, aber ich filtere die besten heraus, und sie werden veröffentlicht – etwa 1.000 Bilder pro Jahr.
Hast Du Lieblingsfotos von Dir? Welche sind es und warum?
Die wirkliche Herausforderung ist, dass ich zu viele Lieblingsfotos habe! Ich liebe besonders die Bilder bei denen Leute, wenn sie sie sehen, sagen: „Das kann nicht echt sein!“ und davon ausgehen, dass sie von KI generiert oder stark in Photoshop bearbeitet wurden. Tatsächlich mache ich nur minimale Bearbeitungen – nur grundlegende Anpassungen.
Ein Foto, das für mich besonderen emotionalen Wert hat, zeigt zwei Joker – einer ist mein Sohn und der andere ein Arzt aus Deutschland, der ihn zu seinem Kostüm inspiriert hat. Ich freue mich, dass eines meiner drei Kinder den Karneval wirklich mag und sich mit ihm verbunden fühlt, er war schon zweimal dort. Dieses Jahr konnte er nicht kommen, aber er hat ein neues Kostüm und wir werden einen Weg finden, es in unserer Heimatstadt zu verwenden.
Was waren die wichtigsten Meilensteine in Deiner Karriere als Fotograf?
Einer der Höhepunkte meiner Karriere war die Organisation einer einmaligen Ausstellung im israelischen Parlament Knesset, in der meine Arbeit und die meiner Kollegen gezeigt wurde. Der Fokus lag eher auf Industriefotografie als auf Kostümen.
Mein größtes Erfolgserlebnis habe ich jedoch, wenn kostümierte Teilnehmer meine Fotos als Profilbilder auf Facebook verwenden. Jedes Mal, wenn das passiert, fühlt es sich für mich wie ein neuer Meilenstein an – es zeigt, dass ich es geschafft habe, etwas wirklich Besonderes für sie auf dem Karneval einzufangen.