Die deutschen Basketballer haben mit Bronze bei der Heim-EM und erfrischenden Auftritten für kurze Zeit große Aufmerksamkeit auf ihren Sport gezogen. Dirk Nowitzki sieht sogar „rosige Zeiten" aufziehen – doch einen Boom wird es wohl nicht geben.

Kabinen-Selfies nach großen Triumphen sind bei Profisport-Mannschaften längst gang und gäbe – doch was in der Umkleide wirklich abgeht, da bekommen die Fans eigentlich nie einen Einblick. Basketballstar Dennis Schröder machte eine Ausnahme: Nach dem Gewinn der Bronzemedaille bei der Heim-Europameisterschaft nahm er seine vielen Follower auf Instagram in einem Live-Video mit zur Kabinen-Party der Nationalspieler. Die Einblicke, die der NBA-Profi dort gewährte, drückten ausgelassene Freude und ein großes Wir-Gefühl aus.
Schröder selbst zeigte sich nach dem 82:69-Sieg im Spiel um Platz drei gegen Polen mit der Bronzemedaille um den Hals, er rief nach „Herbie, Herbie!" Damit war Bundestrainer Gordon Herbert gemeint. Dann feuerte Schröder den Jungstar Franz Wagner an, der aus einer Magnum-Flasche Sekt trank. Im Hintergrund wurden drei Kisten Bier in die Kabine geschleppt. Johannes Thiemann und Andreas Obst, die in der Basketball-Bundesliga mit ihren Vereinen Alba Berlin und Bayern München sonst harte Rivalen sind, spritzten sich spaßeshalber mit Sekt voll. Schröder, der als Kabinen-DJ auch für die Hip-Hop-Musik im Hintergrund verantwortlich war, wollte dann noch ein paar Worte an die Fans richten. Doch nach „Hey Guys" (Hey Leute) brach die Verbindung ab. Vielleicht war es auch besser so.
Dennis Schröder als Kabinen-DJ

Die Nationalmannschaft hatte allen Grund zum Feiern. Die Heim-EM in Köln und Berlin bescherte dem Deutschen Basketball-Bund (DBB) nicht nur die erste internationale Medaille seit 17 Jahren, sondern auch viele Sympathien bei Sportfans, die sich sonst eher weniger mit dem schnellen Spiel zwischen zwei Körben beschäftigen. Selbst die wichtigsten Politiker des Landes wurden zu Basketball-Anhängern. „Ihr seid die Größten", twitterte Bundeskanzler Olaf Scholz überschwänglich und sprach von einem „tollen Turnier" für den Gastgeber. Auch die für den Sport zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser wurde vom „Basketballfest", wie sie die EM nannte, emotional gepackt. Und Fußballprofi Toni Kroos, ein bekennender Basketballfan, bezeichnete den dritten Platz nach der Halbfinal-Enttäuschung als „eine Sensation", auf die die Nationalmannschaft „sehr stolz" sein könne.
Der sportliche Erfolg, die erfreulichen TV-Quoten, die starke Präsenz beim Free-TV-Sender RTL und die spürbare Euphorie, die von den vollen Arenen in Köln und Berlin in die deutschen Wohnzimmer transportiert wurde, werden der Sportart zumindest kurzfristig Auftrieb verleihen. „Dieses Event ist sehr gut gelaufen, die deutsche Mannschaft hat gut performt", sagte Ingo Weiss, Präsident des Deutschen Basketball Bundes (DBB). „In diesem Moment sind wir in einer besseren Position als vor vier Wochen." Er meint damit den immerwährenden Kampf der großen Sportarten um den Platz direkt hinter „König" Fußball, den in der breiten Wahrnehmung zuletzt eher der Handball eingenommen hat. „In Deutschland gibt es eine Regel: Nummer eins, Fußball. Nummer zwei, Fußball. Nummer drei, Fußball. Nummer vier, Fußball", sagte Weiss, der sich deutlich mehr Sport-Vielfalt in der öffentlichen Berichterstattung wünscht.

Zumindest während der EM-Tage räumten die hiesigen Zeitungen dem Team um Superstar Schröder, dem Riesentalent Wagner und den weiteren interessanten Persönlichkeiten wie Maodo Lô und Andreas Obst reichlich Platz für Geschichten ein. Und noch wichtiger: Auch das TV spielte mit. Neben Rechte-Inhaber Magenta Sport übertrug auch RTL dank einer Sublizenz ab dem Viertelfinale die Spiele des DBB-Teams – und das Free-TV-Comeback war ein voller Erfolg. Vor allem der Topwert mit 3,02 Millionen Zuschauern beim verlorenen Halbfinale gegen Spanien konnte sich sehen lassen, die Marktanteile beim jungen Publikum waren konstant hoch. Auch Telekom-Manager Henning Stiegenroth jubelte über „Spitzenquoten von mehr als einer Million Zuschauer". Schlüsselspieler Schröder, der mit seinem spektakulären Spielstil, seinem Anführer-Gen und der extrovertierten Art zum Hype maßgeblich beigetragen hat, fasste es so zusammen: „Wir haben den deutschen Basketball wieder sexy gemacht."
Vorbilder sollen weiter begeistern
Experten warnen aber davor, schon jetzt einen Boom auszurufen. Den hatte man nämlich schon 2005 erwartet, als es zuletzt eine deutsche Medaille gegeben hat. Auch damals gab es einen Superstar, der sogar noch populärer war als Schröder heute: Dirk Nowitzki. Doch auch der spätere NBA-Champion konnte nicht dafür sorgen, dass Basketball in Deutschland einen langfristigen Aufschwung erfuhr. Der DBB will nicht den gleichen Fehler von damals machen und allein darauf hoffen, dass der Boom irgendwann einsetzt. Innerhalb des Verbandes möchte man mit aktiven Maßnahmen an der Basis dafür sorgen, dass die Mitgliederzahlen zumindest leicht steigen und dass die aktuelle Euphoriewelle um die Nationalmannschaft nicht so schnell abebbt.
„Ich hoffe, dass in der nächsten Saison mehr Zuschauer in die Hallen kommen. Das Allerwichtigste ist aber, dass wir es schaffen, die Jugendlichen für Basketball zu begeistern", sagte der Sportliche Leiter Srdjan Klaric vom Bundesligisten EWE Baskets Oldenburg der „Bild". Dafür braucht es Vorbilder – und die gibt es im aktuellen DBB-Team. „Früher hatten wir Boris Becker und Steffi Graf. Deretwegen fingen viele junge Leute mit Tennis an. Oder auch Michael Schumacher, der die ganze Nation für Formel 1 begeistert hat. Ich hoffe, das passiert jetzt auch so mit Basketball", sagt Klaric.

Schröder ist so jemand, der vor allem Kinder und Jugendliche für den Basketball begeistern kann. Zumal der Point Guard zur neuen NBA-Saison zum wohl bekanntesten Club der Welt zurückkehrt: Los Angeles Lakers. Dort wird der gebürtige Braunschweiger wie schon von November 2020 bis August 2021 unter anderem mit Ausnahmekönner LeBron James zusammenspielen. „So verdammt glücklich, dich wieder zurückzuhaben", schrieb James auf seinen sozialen Kanälen in Richtung des Deutschen, der „zum größten Club" zurückkehrt, „um es richtig zu machen". Beim ersten Versuch sei vieles unglücklich gelaufen, nun aber könne er es „nicht erwarten anzufangen".
Brilliert Schröder bei den Lakers ähnlich wie in der Nationalmannschaft, hilft das auch dem deutschen Basketball. Wurde ihm früher der ein oder andere Ego-Auftritt nachgesagt, stellt Schröder mittlerweile alles dem Teamerfolg unter, ohne dabei zu viel seiner individuellen Klasse einzubüßen. Die Kollegen akzeptieren den schillernden Star nicht nur, sie folgen ihm jetzt auch. „Die Leute haben mich die vergangenen sechs, sieben Wochen richtig kennengelernt", sagte Schröder. Er versprach, sich in jedem Sommer das Jersey mit dem Adler auf der Brust überzuziehen: „Ich werde hier so lange bleiben, bis ich nicht mehr laufen kann."
Doch der EM-Kapitän ist längst nicht der einzige Hoffnungsträger. Franz Wagner, der zusammen mit seinem Bruder Moritz in der NBA bei Orlando Magic spielt, wird riesiges Potenzial nachgesagt. Auch bei der EM deutete der 21-Jährige mit einigen Geniestreichen an, dass er der nächste deutsche Superstar in der besten Basketball-Liga der Welt werden könnte. „Als Spieler ist er besser, als ich dachte. Er kann den Status von Dirk Nowitzki erreichen", schwärmte Bundestrainer Herbert: „Er hat sogar schon einen Killer-Instinkt, den Dirk in diesem Alter wohl noch nicht hatte."
„Wir fangen gerade erst an"

Nowitzki selbst glaubt angesichts des reichlich vorhandenen Talents und der Teamchemie im Kader, dass „Basketball-Deutschland rosige Zeiten bevorstehen könnten". Die Leistungsträger seien „alle noch jung, da ist viel drin". Und da kommt sogar noch mehr. Denn mit Maxi Kleber (Dallas Mavericks), Isaiah Hartenstein (New York Knicks), Moritz Wagner (Orlando Magic) und Isaac Bonga (Bayern München) fehlten bei der EM aus verschiedensten Gründen einige Topspieler. Dass das Team, von Allstar-Spieler Schröder angeführt, dennoch bis ins Halbfinale vorgedrungen ist und sich mit Bronze belohnt hat, ist ein positives Zeichen für die Zukunft.
Das nächste große Turnier wird die WM 2023 in Japan, Indonesien und auf den Philippinen im kommenden Sommer sein. Ein Sieg reicht Deutschland in den anstehenden Qualifikationsspielen gegen Finnland (10. November) und in Slowenien (13. November), um das WM-Ticket sicher zu lösen. Das dürfte der Mannschaft auch ohne die NBA-Profis, die dann in Nordamerika wieder auf Korbjagd sind, gelingen. Und im Sommer 2024 steht das olympische Basketball-Turnier in Paris an, wo ebenfalls Ruhm, Ehre und Edelmetall zu gewinnen sind. Bis dahin soll das aktuelle DBB-Team auf dem Höhepunkt angelangt sein. „Wenn man sich die erfolgreichen Nationalteams anschaut, dann waren sie längere Zeit zusammen, bevor sie erfolgreich waren. Wir fangen gerade erst an mit dieser Gruppe", sagte Bundestrainer Herbert. Der Kanadier hatte die Auswahl erst im Vorjahr übernommen.
Für ihn sei es „eine unglaubliche Ehre, dieses Team zu coachen" – seine Kreditkarte vertraut er den Spielern aber lieber nicht an. Schröder hatte ihn nach dem Halbfinal-Einzug scherzhaft darum gebeten, weil Italien-Coach Gianmarco Pozzecco seine Kreditkarte für eine Siegesfeier schließlich auch herausgerückt hatte. „Ich habe sie ihnen nicht gegeben", verriet Herbert lächelnd, „ich bin dreimal geschieden, deshalb hätte meinen Spielern das Limit eh nicht gefallen."
Die deutschen Nationalspieler konnten sich die EM-Party auch so leisten. Sie war auch deshalb so ausgelassen, weil angesichts der mit etlichen Stars besetzten EM nur die wenigsten damit gerechnet hatten. „Was wir da geliefert haben, das hätte keiner gedacht", meinte Schröder. Auch deshalb fand es Wagner „richtig geil, dass wir uns für tolle sechs, sieben Wochen belohnt haben". Was davon in ein paar Jahren bleibt, wird die Zeit zeigen.