Die Bildung einer neuen Bundesregierung steht unter enormem Druck. Die Politik der Regierung Trump fordert schnelle und entschlossene Reaktionen der Europäer. Die wiederum erwarten dabei eine starke Rolle der Bundesrepublik. Martin Schulz, Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, fordert: Den Kampf sollten wir annehmen.
Herr Schulz, die Partner der wahrscheinlich neuen Koalition haben bereits in den ersten Verhandlungstagen weitreichende Vereinbarungen über große Finanzpakete getroffen. Ein richtiger Weg?
Eindeutig. Ich glaube, dass die neue Bundesregierung möglichst zügig gegründet werden sollte, nicht Hals über Kopf, sondern auf der Grundlage von seriösen Vereinbarungen, die auch halten. Aber das in der schnellstmöglichen Zeit. Denn, das kann man sehen: Die Bundesrepublik Deutschland muss in der Europäischen Union eine Führungsrolle übernehmen. Dazu ist sie ohne mittel- und langfristig mit Mandat ausgestattete Regierung nicht in der Lage.
Die Regierungsbildung steht unter einem enormen äußeren Druck durch die Entwicklungen, die unter anderem von der neuen US-Administration ausgehen. Mit welchen Folgen?
Ich glaube, man muss nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika unter der Führung dieses Präsidenten kein Partner der Europäer mehr sein wollen. Die USA betrachten Europa als gegnerisches Gebiet und die europäischen Staaten als lästige Kostgänger – so ungefähr muss man das wohl beschreiben. Dem gegenüber muss Europa Selbstbewusstsein an den Tag legen. Die 450 Millionen Menschen auf diesem Kontinent stellen, auch wenn wir nicht alle reich sind, die reichste Region der Welt mit dem größten Kaufkraftvolumen dar. Wir brauchen uns vor den Vereinigten Staaten von Amerika nicht zu verstecken, ganz im Gegenteil.
Wie kann das gehen?
Ich mache das an einem Beispiel klar: Die Regierung der Vereinigten Staaten hat verlautbart, dass sie von den US-Universitäten erwartet, dass die Forschung die politischen Linien des Präsidenten vertritt. Aber Forscherinnen und Forscher sind frei; sie lassen sich Forschung nicht verbieten oder Wordings vorschreiben. Mein Vorschlag: Öffnen wir in Europa unsere Universitäten für sie und zeigen so, dass wir Wissenschaft und freies Denken schätzen.
Europa selbstbewusst – das ist ja kein neues Thema. Sie haben selbst lange Erfahrung damit, das zusammenzubringen, auch damit, Quertreiber unter einen Hut zu bekommen. Aber jetzt ist sogar das Vereinigte Königreich wieder mit an Bord. Eine neue Ära?
Großbritannien hat eine Labour-Regierung. Die Labour-Party ist in der internationalen Zusammenarbeit immer eine bedeutende Kraft gewesen und ist es, wie man sieht, auch jetzt. Wir können nur froh sein, dass sich Großbritannien zu der gemeinsamen europäischen Idee bekennt, und die ist ja nichts anderes als die Verteidigung der Demokratie auf der Grundlage von Respekt, Toleranz und Würde. Deshalb die Antwort auf Ihre Frage: Ja. Und wir sollten uns darüber freuen.
Nach dem Auftritt von Vizepräsident Vance in München: Stehen wir vor einem Kulturkampf?
Nein, wir stehen nicht davor, wir sind mittendrin. Es ist offensichtlich, dass diese Regierung von Herrn Trump ein autoritäres Regime errichten will, in dem Meinungsfreiheit das ist, was die Herren Trump, Vance und Musk bestimmen. Das ist übrigens auch in Russland so. Dort ist Demokratie das, was Herr Putin dafür erklärt. Bei uns ist Demokratie, dass in der Tat jeder seine Meinung frei sagen kann, jeder frei ist und seinen Lebensentwurf so verwirklichen kann, wie er will – solange er damit nicht die Freiheit der anderen einschränkt. Bei uns kann ein Vorsitzender einer rechtsradikalen Partei sagen, die nationalsozialistische Zwangsherrschaft sei ein „Vogelschiss der Geschichte“. Wir haben Meinungsfreiheit. Aber Herr Vance hat erklärt, es gäbe Zensur, weil wir Neonazisprüche gesellschaftlich ächten, während die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die Unterdrückung gegnerischer Meinungen aktiv praktiziert. Das ist ein Kulturkampf, und den sollten wir annehmen.
Diesen Kulturkampf gibt es auch innerhalb der EU. Das Treffen rechtspopulistischer und rechtsradikaler Parteien kürzlich in Madrid war doch eine klare Kampfansage.
Ja klar, aber das ist nicht neu. Wir müssen uns über eines im Klaren sein: Wenn wir unsere Kraft in Europa, insbesondere unsere ökonomische Kraft, kombinieren mit einem politischen Willen, nämlich dem Willen, die Demokratie als Grundlage unserer Gesellschaft zu verteidigen, und das mit den Mitteln der Ökonomie – dann machen wir einen Schritt der Vernunft. Das geht aber nur in Einigkeit. China hat 1,4 Milliarden Einwohner, Indien auch. Die USA sind mit ihren 350 Millionen Einwohnern kleiner als wir, aber in ihrer militärischen Macht ungeheuer stark. Wer Europa verteidigen will, muss nicht den Nationalstaat überwinden, aber den Nationalismus. Europa ist eine Versammlung vieler kleiner Staaten. Die überwiegende Zahl der Mitgliedsstaaten sind kleine Länder. Wenn in denen jetzt Extremisten erklären, wir machen das ohne Europa, wir können das selbst besser, so wie etwa der Herr Kickl in Österreich, kann man sich nur wundern. Diese Leute, die aus populistischen, nationalistischen und rassistischen Gründen erzählen, Europa ist schlecht und national ist besser, verraten die Interessen der nächsten Generation. Wenn wir uns in Europa nicht zusammenschließen, wird das Schicksal unserer Kinder in Peking und Washington entschieden, aber nicht mehr bei uns. Deshalb ist das Gebot der Stunde: Europa.
Dabei gibt es eine enorme Erwartungshaltung an Deutschland. Aber können wir der auch gerecht werden?
Durch das immense Sondervermögen für Infrastruktur und die Entkoppelung des Verteidigungshaushalts von der Schuldenbremse wird es jetzt einen enormen Schritt nach vorne geben. Und das, obwohl Friedrich Merz beides mit harschen Worten im Wahlkampf rundheraus abgelehnt hat. Einige Kommentatoren haben geschrieben: Merz hat das Volk im Wahlkampf wider besseres Wissen getäuscht. Aber es ist jetzt gut so, dass er in diesem wichtigen Punkt das SPD-Programm übernimmt und dass die Sozialdemokratie diese Koalition, wenn sie zustande kommt, maßgeblich beeinflussen wird. Für eine Koalition ist allerdings auch entscheidend, dass Herr Merz sich, wenn man seine Ausraster im Wahlkampf betrachtet, im Umgang mit einem möglichen Koalitionspartner wieder kontrolliert und zivilisiert verhält. Respekt ist keine Einbahnstraße.
Nun hat die SPD aber eine harte Niederlage einstecken müssen, die die Partei verarbeiten muss. Wie kann das gelingen?
Das war eine dramatische Niederlage. Die SPD hat einen hohen Preis bezahlt für ihren Versuch, in der Ampel-Koalition zwischen den beiden anderen Parteien zu vermitteln und Brücken zu bauen. Es ist ein harter Schlag, aber die SPD ist eine sturmerprobte Partei, die immer wieder aufsteht. Die Leute sind kampfeswillig, das sieht man. 20 Prozent für die AfD sind mehr als ein Alarmsignal für unsere Republik. Jetzt müssen die Demokratinnen und Demokraten zeigen, dass sie die großen Probleme gemeinsam lösen können. Ich hoffe, dass die Union gelernt hat: Wo immer die Konservativen den Rechtsextremisten die Hand gereicht haben, haben die Rechtsextremisten die Konservativen zerstört. Brandmauer ist kein Begriff zum Schutz der CDU, sondern zum Schutz der Demokratie.