Vor rund 50 Jahren flüchtete er durch einen Bahntunnel aus Ungarn. Heute gehört Leslie Mandoki zu den gefragtesten Musikproduzenten. Der ungarisch-deutsche Musiker komponierte sogar ein Wahlkampflied für Angela Merkel und erfand den Sound für ein Elektroauto.
Eigentlich sind Elektroautos beim Anfahren praktisch geräuschlos. Gut für die Anwohner – aber gefährlich: Ein lautloses Auto wird leicht überhört. Deshalb ist bis zu einer Geschwindigkeit von 20 km/h inzwischen ein künstlich erzeugtes Fahrgeräusch („E-Sound“) Vorschrift. Absolut zu Recht, man orientiert sich im Straßenverkehr viel mehr an Geräuschen, als einem bewusst ist. Über 20 km/h sind die Rollgeräusche des E-Autos ausreichend, um es wahrzunehmen; es erzeugt dann keine Zusatzgeräusche mehr. Nur wie soll so ein E-Auto denn klingen? Tuckernd wie ein Trabbi? Röhrend wie ein Ferrari? Wenn der gerade beseitigte Motorenkrach künstlich wieder aufersteht, dann wäre ja wenig gewonnen.
Wer einen ID.3 fährt, spielt, ohne es zu wissen, bei jeder Fahrt eine Komposition des ungarischen Musikers Leslie Mandoki ab. Andere Autoproduzenten bezeichnen den „Sicherheits-E-Sound“ verächtlich als „Gesetzerfüllungsgeräusch“. Elon Musk würde seinen Tesla-Kunden am liebsten sogar Pups-Fahrgeräusche ermöglichen, was beim Nachwuchs sicher gut ankäme, bei erwachsenen Passanten weniger, während der Renault Zoe einen im Vorbeifahren depressiv anstöhnt. Leslie Mandoka ließ sich vom frühmorgendlichen Vogelgezwitscher zu seinem futuristischen Raumschiff-Sound inspirieren.
Auch ansonsten ist der Musiker vielseitig: Er komponierte etwa Wahlkampfhymnen für Angela Merkel, nachdem die ursprüngliche Idee, „Angie“ von den Rolling Stones zu verwenden, von diesen abgelehnt worden war. Ebenso traf er sich mit Michael Gorbatschov und stand sogar selbst als Landtagsabgeordneter zur Wahl. Dass sich Leslie Mandoki neben der Musik auch für Politik und Gesellschaft engagiert, liegt an seiner außergewöhnlichen Biografie.
Mitte der 1970er-Jahre spielte der damals 20-jährige Drummer und Sänger mit seiner Band „JAM“ in seiner Geburtsstadt Budapest im „Rock Klub“ - der Wiege der intellektuellen studentischen Opposition - für Reisefreiheit und gegen die kommunistische Diktatur mit Zensur und Bespitzelung. In Deutschland galt Ungarn zwar als gemäßigter „Gulaschkommunismus“, für die Betroffenen war das Leben jedoch nicht angenehmer als anderswo im Ostblock. Der Freiheitsdrang war groß, doch der „Prager Frühling“ wurde schon in der Kindheit Mandokis von der UdSSR niedergeschlagen. Kein Land war den Rebellen zu Hilfe gekommen.
Mandoki wurde von den großen britischen progressiven Rock-Bands dieser Zeit musikalisch und textlich beeinflusst: von Jethro Tull, Emerson, Lake & Palmer, den frühen Genesis, Yes oder Supertramp. Doch was er im Prog-Rock vermisste, waren die Virtuosität und die solistische Brillanz der New Yorker Jazz-Rock-Szene. „Ich habe schon damals bei JAM versucht, beides zu fusionieren, also die Wertigkeit des britischen Prog-Rock und des amerikanischen Jazz-Rock miteinander zu verschmelzen“, so Mandoki.
Nachdem Mandoki mit seiner Band wegen regimekritischen Verhaltens Auftrittsverbote erhielt und ihm mitgeteilt wurde, dass er niemals einen Reisepass erhalten würde, entschied er sich 1975 mit einem Mitkämpfer zu einer vier Stunden langen Flucht durch den Karawanken-Tunnel. Wenn Züge kamen, versteckten sie sich in Mauernischen. Er wollte nach Schweden, landete jedoch im Zentrallager für Asylbewerber im bayerischen Zirndorf. Als Mandoki bei der Aufnahme nach seinen Plänen gefragt wurde, gab er zu Protokoll, dass er gemeinsam mit seinen musikalischen Helden Jack Bruce (Cream), Ian Anderson (Jethro Tull) und Al Di Meola musizieren wolle. Dem Beamten fiel es schwer, dies ernst zu nehmen. Doch Leslie Mandoki ging seinen Weg und produzierte unter anderem Lionel Richie, Phil Collins, Jennifer Rush, Joshua Kadison oder die No Angels. Und es sollte zwar noch einige Jahre dauern, doch 1992, nun vor mehr als drei Jahrzehnten, war es dann tatsächlich soweit: Mandoki brachte erstmals Größen des Jazz und Rock für ein gemeinsames Album zusammen. Gründungsmitglieder der „Mandoki Soulmates“: Ian Anderson, Jack Bruce, Al Di Meola sowie David Clayton-Thomas (Blood, Sweat & Tears), Bobby Kimball (Toto), Mike Stern, Anthony Jackson, Bill Evans, Randy und Michael Brecker.
Im Laufe der Jahre kamen viele weitere Musiker dazu wie Chris Thompson (Manfred Mann’s Earth Band), John Helliwell (Supertramp), Nick van Eede (Cutting Crew), Greg Lake (Emerson, Lake & Palmer), Tony Carey (Rainbow), Richard Bona, Cory Henry, Steve Lukather (Toto) oder Chaka Khan als zugegeben einzige Frau. Auch deutsche Musiker wie Peter Maffay, Klaus Doldinger und Till Brönner spielen seit Jahren auf allen Soulmates-Alben und bei Konzerten.
„Wir scheinen unseren Kompass verloren zu haben“
„Mit der Kraft der gemeinsamen dreißig Jahre und der Energie und Verve unserer Teenagerträume werden wir hoffentlich noch viele Konzerte spielen und mit viel Freiraum für Improvisation und virtuose Spielfreude gemeinsam mit unserem Publikum feiern“, so kündigte er im Beisein von Tom Carey und John Helliwell das neue Soulmates-Album „A Memory Of Our Future“ an, das am 10. Mai in Anwesenheit in den Tutzinger Red-Rock-Studios veröffentlicht wurde. Auch technisch ist es ungewöhnlich, weil es komplett analog produziert wurde, „wie ein handgeschriebener Liebesbrief“, so Mandoki, weil analog weicher klinge als digital und die Produktion noch näher an einem Live-Konzert sei als die heutigen digitalen Produktionsweisen.
Die audiophile Analogtechnik soll auch ein Statement sein gegen digitale Plagen wie Fake-Accounts, Social-Media-Empörungswellen, die in ihren Filterblasen Demagogen wählbar machen und Internet-Trolle. Mit zwölf Titeln und rund 80 Minuten füllt es als klassisches Konzeptalbum zwei Langspielplatten, alternativ eine in limitierte Auflage erschienene CD. Auch die Texte enthalten Botschaften: „We stay loud! For freedom and peace!” Die Sehnsucht nach Freiheit, einer Freiheit in Frieden. „Die Träume meiner Generation liegen heute in Trümmern“, sagt Leslie Mandoki. „Dabei hatten wir nach 1989 so wunderbare, historische Chancen, eine achtsame, menschliche Welt für die kommenden Generationen auf den Weg zu bringen. Doch wir haben es vermasselt.“ Mandoki findet, dass getrieben von Egoismus und Gier eine Welt geschaffen wurde, in der Geld beispielsweise beim Spekulieren auf Krisen und Verluste schneller Profit macht, als menschliche Arbeit dazu je imstande wäre. „Ohne Rücksicht darauf, ob ein Mehrwert geschaffen oder zerstört wird. Ohne Rücksicht auf Nachhaltigkeit, Umwelt, Klima und soziales Gleichgewicht in unseren Gesellschaften.“
Nach der Pandemie und mit inzwischen zwei schrecklichen Kriegen in Europa und Nahost glaubt Mandoki, dass wir uns heute in einem Labyrinth multipler Krisen befinden, die an den Grundfesten unserer Zivilisation nagen. „Die Welt mit all unseren bisherigen ‚Normalitäten‘ spielt verrückt und wir scheinen unseren Kompass verloren zu haben.“ Das Album-Cover ziert ein großer schwarzer Schwan, eine Art personifizierter worst-case für unsere bisherige Gesellschaftsordnung. Der Black Swan als Symbol für das Restrisiko unseres Lebens, der Undenkbares zur Realität macht, was für uns bis vor zwei Jahren noch unvorstellbar war. Und die Texte des Albums prangern diese Zustände an.
Dennoch sagt Leslie Mandoki abschließend: „Wir brauchen wieder mehr Mut zur Utopie – für eine gemeinsame Zukunft in einer besseren Welt.“