Das Geschäft im Direktvertrieb hat sich seit Corona verändert. Michael Winter, Geschäftsführer von Prowin, hat sich und sein Team darauf eingestellt. Die Verkaufsparty aber soll als Kerngeschäft bleiben.
Herr Winter, wie haben Sie die vergangenen vier Jahre erlebt?
Die letzten vier Jahre waren für mich die bisher spannendsten Jahre bei Prowin. Es ist viel passiert durch die Pandemie 2020. Wir haben aber alle gut reagiert, weil dies das stärkste Wachstumsjahr in unserer Geschichte war: 70 Millionen Umsatzplus on top ist eine ganze Menge, dazu haben wir 50 neue Mitarbeiter 2020 und 2021 fest eingestellt. Wir sind stolz drauf, dass wir die schwierigen Jahre mit einer starken Mannschaft bewältigt haben. Unsere Anpassungen zum Wohle des Geschäfts sind nicht mehr wegzudenken, beispielsweise im digitalen Bereich. Diesbezüglich entwickeln wir uns stetig weiter und lernen dazu, welche Herausforderungen dies auch mit sich bringt, und sprechen auch mit unseren Vertriebspartnern darüber in sehr engem Austausch. In unserem Geschäft ist die Home-Party trotzdem der Kernpunkt, wie auch der persönliche Austausch. Die Vertriebspartner:innen stehen im Vordergrund und mit unseren digitalen Mitteln wollen wir ihnen helfen, ihren Job zu machen. Es wird weiterhin keinen klassischen Onlineshop geben. Die Digitalisierung und die Online-Partys haben dazu geführt, dass unsere Vertriebspartner:innen ihren Wirkungskreis deutlich vergrößern konnten. Das wäre ohne diesen Digitalisierungsschub in dieser Form nicht so gelungen, bin ich mir sicher.
Warum ist die Organisation nun anders?
Es ist ein organischer Prozess. In einigen Regionen hatten wir mehr Umsatzwachstum als in anderen, beispielsweise in den neuen Bundesländern. Im Direktvertrieb muss man vor Ort sein, um ein starkes Wachstum zu generieren. Deshalb sind wir auf gute Vertriebspartner angewiesen, die Kontakte aufbauen und intensivieren. So arbeiten Menschen aus unterschiedlichen Regionen zusammen, über Bundesland- und Regionalgrenzen hinweg. Unsere Vertriebspartner bauen sich so ihre eigenen Standorte und Strukturen auf. Natürlich hat sich auch intern bei uns einiges geändert, denn die Jahre haben gezeigt, dass auch intern Ressourcen anders verteilt sein müssen. Wir produzieren unsere Magazine selbst, unsere Videos, daher wollen wir auch unsere digitalen Ansprüche intern lösen, z. B. mit der Entwicklung einer eigenen Messenger-App. Dabei geht es um die Frage, welche Systeme unsere Vertriebspartner am besten unterstützen, welche Systeme am besten Online-Partys unterstützen. Diese Zusammenarbeit war sehr fruchtbar.
Welche Vorteile hat die Digitalisierung für den Betrieb, welche Nachteile?
Uns geht es darum, unsere Vertriebspartner zu entlasten. Wir wollen ihnen nicht ihre berufliche Grundlage wegnehmen und unsere Produkte ohne ihre Beratungsdienstleistung bestellbar machen. Der Servicegedanke gegenüber den Vertriebspartner:innen steht im Vordergrund, außerdem der Servicegedanke des Vertriebspartners an den Kunden. Dieser Service läuft auf unterschiedlichen Ebenen ab. Wir stellen die technischen Mittel, das Anmeldeprozedere für Vertriebspartner:innen, die Online-Akademie für Vertriebspartner:innen, eine Schulungsplattform, die bis heute genutzt wird. Unsere Logistik gehört dazu, sodass Vertriebspartner ihre Produkte regional per Frachtkonzept verteilen können, auch für Kleinbesteller und Nachbesteller, die sich ihre Produkte schicken lassen können. Das ist ein Mehrwert auch für den Kunden, der schneller an seine Produkte kommt, der Kontakt zum Vertriebspartner bleibt trotzdem erhalten. Dazu gehören auch die interaktiven Kataloge mit Direktverlinkungen zu Datenblättern. Die Home-Party aber bleibt wichtig, weil es die Kontaktplattform ist, die auch für neue Vertriebspartner:innen sorgt.
Die Bedürfnisse der Kunden haben sich seit Corona geändert, das Interesse am Onlinegeschäft ist gewachsen. Gefährdet dies ihr Geschäftsmodell?
Nein. Das Partygeschäft wird nicht darunter leiden. Aber der Erstkontakt mit dem Kunden ist digitaler geworden, der Kunde ist insgesamt ein bisschen vorsichtiger geworden. Er informiert sich vorher schon online über die Produkte und das Unternehmen. Dafür produzieren wir auch z. B. sehr viele Anwendungsvideos, die man den Kunden zuschicken kann, per WhatsApp oder Social Media-Kanäle. Im direkten Austausch kann das Interesse geweckt werden, der nächste Schritt ist die Party. Die kann auch online stattfinden, über Zoom oder unseren eigenen Messenger. Dieser kann mehr als Zoom, beispielsweise Kategorien erstellen, die später wie in einer Kapitelübersicht abgerufen werden können. Zusätzlich zum Partygeschäft bieten wir Aktionen für bestehende Endkunden an, die ebenfalls online darüber informiert werden können. All das ersetzt aber niemals das Dienstleistungserlebnis einer Party. Dort können wir direkt im Haus zeigen, wie unsere Produkte funktionieren.
Dämpfte die Inflation die Kauflaune?
Natürlich hat die Gesamtlage auch Einfluss auf unser Geschäft. Wir bieten ein Produktangebot mit hohem Qualitätsniveau und wir haben ein Preisgefüge, in dem auch die Serviceleistung unserer Vertriebspartner:innen einkalkuliert ist. Somit bewegen wir uns nicht im Billigsegement, aber die Verbraucher:innen schätzen die hohe Produkt- und Service-Qualität und honorieren unsere ökologischen Produkt- und Unternehmenszertifzierungen. Die Kund:innen sind unserer Beobachtung nach zwar kostenbewusster, sind aber noch sensibler hinsichtlich Qualität, Nutzen und ökologischen Kriterien. Und hier punkten wir.
Was macht Prowin anders als Wettbewerber? Direktvertrieb ist ein Geschäft, das in manchen Sparten an Zuspruch verliert, Wettbewerber sind in der Insolvenz.
Ich glaube, es liegt daran, dass manche eine Abkürzung nehmen wollen, und zwar am Vertriebspartner vorbei. Auch, indem ich einen Onlineshop aufmache, ein Ladenlokal. Es gibt Ausnahmen, Schutzgebiete für Vertriebspartner, die einen Anteil aus dem Ladenverkauf bekommen. Aber diese Abkürzungen nehmen wir nicht. Das ist für mich ein Faktor, warum wir weiter erfolgreich sind. Manche Wettbewerber haben kommuniziert, dass es an einer anderen, neuen Kundengeneration liegt. Diese Meinung teile ich nicht. Sie haben es nur nicht geschafft, sich auf die neuen Kunden einzustellen. Das bedeutet, dass diese neue Kundengeneration für digitale Wege, Kontakte und Erfahrungen affiner ist, auch die neue Vertriebspartnergeneration. Manche von ihnen sind heute froh über das direkte Partygeschäft jenseits des Bildschirms. Aber wir zwingen es niemandem auf. Das Erlebnis beim Einkauf, das Betreutwerden von einer Fachkraft, die diese Serviceleistung für den Kunden kostenlos und zu Hause anbietet, dies bietet kaum eine andere Branche – allenfalls hochpreisige Spezialgeschäfte wie Modeboutiquen. Hier dürfen alle mehr voneinander erwarten– wir von den Vertriebspartner:innen, diese wiederum von ihrer Marge. Denn diese liegt höher als im Branchenschnitt. Wir starten bei 30 Prozent und enden bei 60 Prozent, und nicht, wie in der Branche üblich, bei 45. Und natürlich dürfen in diesem Segment auch die Kunden mehr von den Vertriebspartnern und den Produkten erwarten.
Entwickelt Prowin selbst Produkte?
Wir arbeiten mit vielen Herstellern, die für uns produzieren, entwickeln aber zusammen mit den Produzenten neue Produkte. Dazu haben wir mittlerweile ein großes Knowhow im Haus, wir beschäftigen 15 Mitarbeiter:innen in unserem Produktmanagement, darunter etwa Chemiker, Kosmetik-, Nahrungs- und Faserexperten. Hinter jeder Produktentwicklung steckt ein Prozess von bis zu mehreren Jahren. Die Erfahrungen unserer Vertriebspartner:innen und Kund:innen fließen hier mit ein.
Ihr Bruder Sascha hat sich aus der Geschäftsführung zurückgezogen. Warum?
Wir waren einst fünf Geschäftsführer in unserem Familienunternehmen: Meine Eltern sind mittlerweile im Aufsichtsrat, mein Vater und mein Onkel, vormals Geschäftsführer, bleiben meine wichtigsten Berater im Unternehmen. Mein Bruder möchte sich stärker auf seine Familie, auf seine Frau und seinen Sohn konzentrieren. Das war ihm als Geschäftsführer kaum möglich, es ist eben ein intensives Geschäft mit hoher Taktung. Seine Entscheidung war kein Schnellschuss, sondern langfristig geplant. Er kümmert sich nun um sein eigenes Unternehmen Petrolheads, das auch mit Prowin verbunden ist. Den Umbau der Prowin-Geschäftsführung auf mich als alleinigen Geschäftsführer haben wir Schritt für Schritt vorgenommen.
Was bedeutet das für Ihren Geschäftsalltag?
Ich muss anders organisieren, mich noch stärker auf die Organisationsstruktur verlassen können und dabei die Balance nicht vernachlässigen: Ich bin viel für den Vertrieb unterwegs, muss aber schauen, dass auch im Betrieb alles läuft. Da kann ich mich aber auf viele gute Führungskräfte und Mitarbeiter im Unternehmen verlassen. Das braucht alles seine Zeit, die Wege sind teils neu, aber jeder weiß das und das fühlt sich für mich gut an. Es ist ein Veränderungsprozess an vielen Stellen. Und trotz der Größe unseres Unternehmens versuche ich, mit möglichst vielen Mitarbeitern in Kontakt zu sein, Ideen aufzugreifen und mitzuentwickeln.
Schaffen Sie es überhaupt noch auf Ihre Reisen?
Ja, es ist meine Art, meinen Akku aufzuladen. Das brauche ich. Aber auch die Reisen verändern sich. Die Expeditionen zusammen mit der Prowin Stiftung professionalisieren sich, wir entwickeln zunehmend selbst Projekte, begleiten diese auch filmisch. Zweimal im Jahr bin ich international dafür unterwegs, denn das Thema Umwelt, Nachhaltigkeit liegt mir persönlich am Herzen. Das genieße ich. Auch zusammen mit Vertriebspartner:innen, die mich auf Expeditionen begleiten und hautnah erleben, was wir dort mit diesen Projekten bewirken können. In Uganda haben wir 2023 beispielsweise die Gorillaforscherin Martha Robbins besucht, die am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie forscht, und haben uns deren Forschungen und ihre Arbeit mit Nationalpark-Rangern anschauen dürfen. Der Nationalpark wird immer weiter abgeholzt. Also haben wir angefangen, Bäume zu pflanzen, und der lokalen Community geholfen, Alternativen für ihr Feuerholz zu finden. Dabei fanden wir heraus, dass viele Kinder nicht zur Schule gehen können, weil sie acht Stunden brauchen, um Wasser für ihre Familien zu holen. Also haben wir ein Wassergravitationssystem entwickelt, dass die Wasserbeschaffungszeit auf fünf Minuten reduziert, und unterstützen den Bau einer Schule. Wir helfen aber nicht nur im Ausland, sondern auch hier im Umkreis, indem wir entsprechende Projekte im sozialen und ökologischen Bereich fördern. Über unser Unternehmen fördern wir beispielsweise den Jugendsport, in verschiedenen Sportarten. Das ist sehr schön, weil es an vielen Stellen hilft, nicht nur uns für unser Marketing, sondern vor allem den lokalen Vereinen, den Jugendlichen, den Eltern.
Ein Blick in die Zukunft: Wie sehen die Ziele in den kommenden fünf Jahren aus?
Vor zwei Jahren haben wir angestoßen, unser Produktportfolio zu erweitern. In der Tendenz werden immer stärker Wellness- und Kosmetikartikel nachgefragt, wir gewinnen immer mehr Vertriebspartner:innen, die ausschließlich in der Wellness-Sparte unterwegs sind. Deshalb geben wir diesen Produkten nun mehr Raum und wollen diese Marken verstärkt präsentieren. 2030 wollen wir in dieser Sparte Marktführer unter den Direktvertrieben in Deutschland sein.