Dr. Alexander Pack, Mitgründer und einer der Chefs der Tierklinik Elversberg, und Beisitzer im Vorstand der Tierärztekammer, spricht im Interview über das gravierende Problem des tierärztlichen Notdienstes im Saarland, was das für Haustierbesitzer bedeutet, und die Auswirkungen der neuen Gebührenordnung.
Herr Pack, der tierärztliche Notdienst ist im Saarland extrem schlecht aufgestellt. Wo liegt das Problem?
Dass wir zunehmend weniger Bereitschaft bei den Tierärzten haben, diese Zeiten zwischen Ende der Sprechstunde und Beginn der nächsten Sprechstunde abzudecken. Und auch nicht die Zeiten in der Nacht an Wochenenden und Feiertagen.

Warum wollen die meisten Tierärzte das nicht mehr?
Ich glaube, dass sich die gesellschaftliche Einstellung geändert hat. Es möchten nur noch wenige nachts im Notdienst tätig sein und dann am nächsten Tag in der Sprechstunde weiterarbeiten. Dies ist auch ein Phänomen der sogenannten Work-Life-Balance, die eben nicht nur für die Generation Z wichtig ist. Ein Notdienst ist bei den Heilberufen aber verpflichtend vorgeschrieben. Im Bereich der Human- und Zahnmedizin komplett über 365 Tage im Jahr. Bei den Tierärzten nur an Wochenenden und Feiertagen.
Warum gibt es diese Unterschiede?
Das ist, glaube ich, historisch bedingt. Früher waren die Tierärzte Gemischt-Praktiker, es gab keine reinen Pferdepraktiker oder Kleintierpraktiker. Die niedergelassenen Tierärzte haben alle Tierarten behandelt. Es war damals jeder für seine Tierhalter immer erreichbar. Wenn die Kuh gekalbt hat, musste man raus, und wenn dann der Hofhund nachts erkrankte, wurde der natürlich auch behandelt. Offensichtlich bestand damals über die Besetzung eines Notdienstes an Wochenenden und Feiertagen hinaus kein Regelbedarf. Das hat sich aber komplett geändert. Sehr wenige Kollegen, und hier vor allem wieder die, die in Gemischtpraxen arbeiten, sind heute außerhalb der Sprechstunden noch erreichbar.
Wurde das Thema in der Tierärztekammer aufgegriffen?
Wir hatten einen großen Notdienstgipfel, mit sehr großer Beteiligung. Da wurden auch die Bedürfnisse der Kollegen abgefragt. Es gab zu der Zeit eine Notdienstregelung, nach der vier Praxen im Saarland übers Wochenende notdienstbereit waren, und eben hier die Klinik. Es hat sich in den Diskussionen gezeigt, dass die Kollegen überwiegend den Dienst in der Nacht nicht mehr verrichten möchten, weil die Belastung in 24-Stunden- Schichten zu hoch ist. Deswegen wurde in einer Sitzung der Vertreterversammlung der tierärztliche Notdienst am Wochenende auf die Zeit zwischen 8 Uhr und 22 Uhr reduziert. Aber auch nach 22 Uhr werden Tiere krank. Das sind keine Riesenzahlen, es sind aber durchaus Patienten, die behandlungsintensiv sind. Das ist nicht vergleichbar mit der Tagespraxis, wo ich dann mal nur eine Impfung habe, oder Krallen geschnitten werden. Hierdurch kommt es zunehmend zu einem Versorgungsengpass im Nachtnotdienst. Dies ist vor allem darin begründet, dass wir im Saarland aktuell nur noch eine Tierklinik haben, die eben diese Zeiten abdeckt. Wir hatten in den letzten zehn Jahren in Deutschland und besonders stark im Saarland ein Tierklinik-Sterben. Es waren in unserem Bundesland mal sieben, jetzt ist es nur noch eine, hier in Elversberg.
Wie kam es zu diesem Kliniksterben?
Das hängt vor allem mit der Arbeitszeitgesetzgebung zusammen. Früher war es so, dass die Praxisinhaber im Notdienst einfach 24 Stunden gearbeitet haben. Mit der wachsenden Zahl an Patienten konnte das nicht mehr von diesen alleine bewältigt werden. Für angestellte Tierärzte gilt aber das Arbeitszeitgesetz. In der Humanmedizin gibt es hier Ausnahmeregeln, da gibt es die 24-Stunden-Dienste. Das gibt es in der Tiermedizin nicht. Ein 24-Stunden-Notdienst lässt sich also nur aufrechterhalten, wenn ich sehr viel Personal habe, um eine Rotation zu ermöglichen.

Das konnten die anderen Kliniken nicht leisten?
Die konnten oder wollten es nicht, das kann ich nicht beurteilen. Dann kommt noch dazu, dass es bei den Tierärzten auch gerade einen Fachkräftemangel gibt.
Welche Gründe gibt es für diesen Mangel?
Wir bilden hierzulande pro Jahr 900 bis 1.000 neue Tierärzte aus, circa 35 Prozent landen niemals im Beruf. Hier müsste man in der Studienplatzvergabe schon mehr auf die Motivation achten und Studenten mehr nach diesen Kriterien auswählen.
Dieser Arbeitskräftemangel erlaubt natürlich auch nicht, über die Maßen Personal einzustellen, so wie es die niedergelassenen Kollegen brauchen.
Dann waren wir von der Gebührenordnung sehr schlecht gestellt, was sich letztes Jahr ja geändert hat. Nun ist es möglich, bessere Gehälter zu zahlen. Das war dringend notwendig. Auch wenn es die Tierhalter natürlich trifft. Wenn man das Betreiben einer Tierklinik betrachtet darf man nicht vergessen, dass die Zeit zwischen null und sechs Uhr wirtschaftlich nicht rentabel ist. Wir müssen hier einen hohen Aufwand betreiben, um den Notdienst nachts zu gewährleisten. Es arbeiten eine Tierärztin oder ein Tierarzt im Vordergrund, zwei tiermedizinische Fachangestellte, eine studentische Hilfskraft und ein Chirurg in Bereitschaft. Jede Nacht. Das muss finanziert werden. Wenn ich also wirtschaftlich denke, müsste ich um diese Zeit schließen.
Sie nennen als einen Grund das Arbeitszeitgesetz für Tierärzte. Da müsste also der Gesetzgeber etwas ändern.
Ich war mit dem Kammerpräsidenten Dr. Arnold Ludes gemeinsam beim Sozialministerium. Wir haben nachgefragt, ob es Möglichkeiten gibt, im Bereich der Tiermedizin die Arbeitszeitgesetzgebung zu verändern. Da das aber kein Wunsch der Bundesregierung ist, ist da eine Veränderung nicht abzusehen. Wir haben auch keine Tarifpartner in der Tiermedizin, das heißt, wir können das auch nicht tariflich regeln. Es gibt zurzeit noch keine Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervertretung die tariffähig ist.
Und dabei gibt es doch mittlerweile Millionen von Tierhaltern in Deutschland …
… ja, Sie müssen es sich mal für sich als Tierhalter vorstellen. Sie haben nachts einen Notfall und Sie brauchen eine tierärztliche Einrichtung. Die Tierklinik Elversberg ist im Südwesten die einzige Anlaufstelle, die nächsten sind dann in Trier, Frankfurt, Karlsruhe, Ettlingen. Das sind die einzigen Kliniken in fahrbarer Nähe. Es gibt zwar Kliniken, die auch mal Notdienst oder einen 24-Stunden-Dienst anbieten, aber durchgehend ist das nur in diesen Einheiten geregelt.
Dadurch kommen wir hier ständig an die Überlastungs-Grenze. Es passiert häufig, dass wir keine Tiere stationär mehr aufnehmen können. Teilweise können wir auch keine Tiere mehr behandeln. Wir mussten auch schon öfter unsere Notfall-Ambulanz abmelden, weil die Kapazitäten erschöpft waren.
Gibt es denn mit der neuen Gebührenordnung noch mal eine Bewegung in die andere Richtung bei den Tierärzten?
Soweit ich das beurteilen kann, gibt es da momentan kein Interesse. Was könnte die Lösung sein? Wir waren mit dem Vorstand der Tierärztekammer bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) der Humanmedizin, um uns Anregungen zu holen, und haben uns angehört, wie die das Problem gelöst haben. Der Leiter der KV sagte uns damals, die einzige Lösung in der Humanmedizin waren die Bereitschaftspraxen. Diese Praxen sind in den Krankenhäusern ansässig. Dort arbeiten Ärzte, die eine eigene Praxis haben, aber ihren Dienst in der Bereitschaftspraxis ans Krankenhaus angegliedert durchführen. Wenn Sie also als Notfall ins Krankenhaus kommen, dann kann es sein, dass Sie in die Bereitschaftspraxis kommen. Dort wird dann entschieden, ob Sie ins Krankenhaus müssen oder nicht. Das scheint die Situation entspannt zu haben.
Und so etwas bräuchte man in der Tiermedizin auch.

Ich könnte es mir so vorstellen. Wir könnten vielleicht erst mal nur die Zeiten in der Nacht und am Wochenende abdecken. Man könnte eine Bereitschaftspraxis im Saarland gründen, und diese Praxis öffnet immer dann, wenn die anderen Tierarztpraxen schließen. Also zwischen 18 und 8 Uhr morgens. Die Praxis wird übers ganze Jahr wechselnd in Schichten besetzt mit Kollegen, die in dieser Nacht Bereitschaft haben. Das wäre eine moderate Belastung, und man hätte eine durchgehende Versorgung gewährleistet. Wer einen Notfall hat, könnte in die Bereitschaftspraxis gehen, und bei schwerwiegenden Krankheiten überweist die Bereitschaftspraxis in die Klinik.
Klingt gut. Warum wird das nicht gemacht?
Das ist ein extrem hoher Aufwand. Wir müssen erst mal gründen, dann braucht man Räumlichkeiten, dann muss ich schauen, wie ich die Praxis ausstatte und wie abgerechnet wird. Das Ganze ist richtig viel Arbeit. Da gehört eine gewisse unternehmerische Leistung dazu, und eine Kammer ist eben kein Unternehmen. Das müssten schon sehr viele Leute wollen. Und es wollen zu wenige.
Wir in der Klinik sind noch in einer guten Situation. Wir haben aktuell genug Mitarbeiter und Bewerbungen. Zurzeit arbeiten hier 140 Leute, davon 40 Tierärzte. Aber das kann sich ja auch mal ändern. Das ganze Konstrukt dieser Notdienstversorgung im Saarland hängt davon ab, dass die TKE weiterhin eine ausreichende Zahl an Mitarbeitern einstellen kann. Wenn durch verschiedene Umstände Leute ausfallen, könnte es passieren, dass wir keinen Notdienst mehr anbieten können. Und dann gibt es keinen Nachtnotdienst mehr im ganzen Saarland. Es gibt keinen Plan B.
Merken Sie durch die neue Gebührenordnung Veränderungen bei den Tierhaltern in Bezug auf ihre kranken Tiere?
Ja, wir haben leicht rückläufige Patientenzahlen. Nicht erheblich, aber man merkt es. Man merkt, dass manche Tierhalter bei Erkrankungen ihres Haustieres länger warten und mit deutlich kränkeren Tieren in der Klinik vorstellig werden. Und wir stellen fest, dass häufiger Ratenzahlungen nachgefragt werden.
Und Sie bieten das an?
Ja, über Medipay. Dort kann man eine solche Ratenzahlung beantragen und die übernehmen die Abwicklung der Ratenzahlungen. Das geht natürlich nicht bei Tierhaltern, die kein regelmäßiges Einkommen haben, das muss man ehrlich sagen.
Raten Sie jetzt eher zu Krankenversicherungen für Tiere?
Ja, definitiv! Wir sehen auch eine deutliche Zunahme an versicherten Haustieren. Es gibt nur wenige Versicherungen, die sich gut im Markt darstellen, die auch gute Policen anbieten, da muss man sich genau nach den Bedingungen erkundigen.
Sind Tiere kränker heutzutage?

Nein, die Tiere werden einfach älter, weil sie viel besser gehalten werden. Dadurch treten zum Beispiel Tumorerkrankungen häufiger auf. Früher wurden die meisten Hunde gar nicht so alt, dass sie einen Tumor bekommen konnten. Was hingegen zugenommen hat sind Erkrankungen bei „Moderassen“ wie zum Beispiel der Französischen Bulldogge. Diese Hunde haben alleine durch ihre Rasse bedingt häufiger Erkrankungen wie zum Beispiel Bandscheibenvorfälle oder Probleme bei der Atmung. Die Vermehrung von Hunden dieser Rassen ist einfach als Qualzucht zu benennen.
Es wird darüber hinaus heute in der tiermedizinischen Prophylaxe von den Tierhaltern mehr für die eigenen Tiere gemacht, da sie zunehmend als Familienmitglieder angesehen werden. Dieses Kümmern um Tiere, Geld ausgeben, um sie auch gesund zu erhalten, das war früher nicht so verbreitet. Es hätte ja niemand zum Beispiel richtig Geld für die Behandlung eines Meerschweinchens ausgegeben. Das ist heute anders. Zum Beispiel hat sich kürzlich erst eine Kollegin in Neunkirchen in einer Praxis für kleine Heimtiere (Meerschweinchen, Kaninchen et cetera) niedergelassen und bietet tierärztliche Behandlungen auf hohem Niveau ausschließlich für diese Tierarten an. Es geht hierbei nicht um den Anschaffungswert, sondern um die emotionale Bindung und die Beziehung zwischen Tierhalter und Haustier.