Die Gesellschaft verändert sich, und damit auch die Aufgaben der Polizei. Das spiegelt sich auch in der Ausbildung am Campus Göttelborn wider. Neue Aufgaben und Anforderungen, ein verändertes Verhältnis zwischen Polizei und Gesellschaft und andere Erwartungen junger Menschen bei der Berufswahl sind eine Herausforderung.
Er ist die Landmarke schlechthin in der Region, der „Weiße Riese“. Seinen Dienst tut er nur noch als Aussichtsplattform mit beeindruckendem Rundumblick. Seine eigentliche Aufgabe hat Europas höchster Förderturm nur gut sechs Jahre erfüllt, dann war Schluss mit der Kohleförderung in Göttelborn. Auf dem ehemaligen Grubengelände ist längst neues Leben entstanden.
Christopher Wolf fühlt sich in diesem Ambiente sichtlich wohl. „Es ist einer der spannendsten Bildungsorte des Saarlandes.“ Seit gut einem halben Jahr, seit März 2024, sitzt er als Rektor der Fachhochschule für Verwaltung des Saarlandes (FHSV) mitten in diesem neuen „Bildungsort“. Hier wird das künftige Fachpersonal für die saarländische Verwaltung ausgebildet – und der Nachwuchs für die saarländische Polizei. Mit über 600 Studierenden ist die FHSV „ein echt relevanter Player in der Bildungslandschaft“, unterstreicht Wolf. Ein Player auf Expansionskurs. „In der Vergangenheit waren wir bei der Polizei vierzügig unterwegs, also vier Kurse mit etwa 100 Studierenden pro Jahrgang, heute sind wir eher fünf- bis sechszügig. Ähnlich ist die Entwicklung für die allgemeine Verwaltung.
Derzeit durchlaufen dort 225 Studierende ihre Ausbildung im Allgemeinen Verwaltungsdienst und 396 Studierende ihre Ausbildung für den saarländischen Polizeidienst. Die Fachhochschule ist 2012 nach Göttelborn gezogen. Ein großer Vorteil, dass nach Jahren mit verteilten Standorten nun alles „an einer Stelle eng verbunden ist“, unterstreicht Nadine Weiler-Kunz, stellvertretende Fachbereichsleiterin für den Fachbereich Polizeivollzugsdienst. Auch die komplette Fortbildung findet hier statt, vom mittleren bis zum höheren Dienst in der Verwaltung, oder auch die Qualifizierungsmaßnahmen für die Kriminalpolizei. Das bringt junge Berufsanfänger und erfahrene Kolleginnen und Kollegen an einem Ort zusammen, eine „unheimlich tolle Kombination“ aus wissenschaftlicher Arbeit und Berufspraxis, findet Wolf.
Nicht nur die Zahl der Studierenden ist gewachsen, auch die Anforderungen sind gestiegen. Für die Polizei macht das Christopher Wolf bildhaft alleine schon an der Ausrüstung fest: „Früher hatte der Schutzmann Schirmmütze, Pistole, Schlagstock und Handschellen. Wenn wir sehen, was wir den Leuten heute mitgeben, wenn die auf die Straße gehen: Pistole, Pfefferspray, kurzer Schlagstock, Handschellen, Kabelbinder, Kamera, Funkgerät, Schutzweste, ist das ein Unterschied.“ Für die Ausbildung heißt das, zu lernen, „das alles abgestuft zu nutzen, in der Situation verhältnismäßig, unter rechtlichen und taktischen Aspekten. Das ist ein echtes Tausend-Teile-Puzzle. Und für dieses Tausend-Teile-Puzzle haben wir drei Jahre Zeit“.
Ein beträchtlicher Teil der Ausbildung der Polizei ist deshalb auch Praxistraining im eigenen Einsatztrainingszentrum. Dort werden beispielsweise Durchsuchungen geübt oder Situationen, wenn bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt die Lage eskaliert. „Zielrichtung ist, dass der Polizeinachwuchs in diesen praktischen Übungsszenarien lernt, mit den zur Verfügung stehenden Führungs- und Einsatzmitteln rechtlich fundiert umzugehen, um so im polizeilichen Alltag handlungssicherer agieren zu können“, erläutert Nadine Weiler-Kunz und ergänzt: „Für diesen verstärkten Praxisbezug haben wir uns auch inhaltlich ein bisschen anders aufgestellt.“
Gerade erst in diesem Jahr wurde das Studium für den gehobenen Polizeivollzugsdienst reformiert. So sind beispielsweise der Umgang mit psychisch kranken Menschen sowie – vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen – die Bereiche Waffenrecht oder Betäubungsmittelrecht (Stichwort Legalisierung von Cannabis) wichtige Lerninhalte an der Polizeischule.
Inhalte der Ausbildung werden ständig angepasst
Für Christopher Wolf hat zum Beispiel die Cannabislegalisierung „zwei Dimensionen“. Da geht es zum einen um den „staatsbürgerlichen Aspekt“. Diese Themen werden in Fächern wie Recht, Politik oder Organisations- und Gesellschaftswissenschaften (OGW) behandelt und sind auch Gegenstand von Prüfungen ist. Das andere ist der „einsatzbezogene, eventuell auch taktische Aspekt“. Was heißt das für den Einsatz, wenn jetzt bei einer Durchsuchung Cannabis gefunden wird? Das sind Beispiele, an denen Studierende sehen, „dass gesellschaftliche Veränderungen dann auch was mit ihrem Berufsalltag zu tun haben“.
Die Ausbildungsinhalte werden mit Blick auf solche Entwicklungen angepasst. „Waffenrecht oder Betäubungsmittelrecht hatten wir bislang als Wahlpflichtfach angeboten. Angesichts der Entwicklungen und der zunehmend höheren Relevanz im polizeilichen Alltag hat uns das nicht mehr gereicht. Wir haben jetzt beide Rechtsbereiche fest in den neuen Studienplan implementiert“, sagt Nadine Weiler-Kunz.
Veränderungen hat es auch für den Beginn und die erste Phase des Studiums gegeben. „Wir brauchen Zeit für den Wechsel aus der Schulbank in das selbst verantwortete duale Studium. Duales Studium heißt, ich verdiene Geld während der Ausbildung, und das ist auch mit Erwartungen verbunden. Es geht also um das Ankommen in dem neuen Setting“, erklärt Wolf. Und es geht auch darum, sich in dieser neuen Rolle zurechtzufinden, ergänzt Weiler-Kunz.
„Der Polizeiberuf ist nicht der Sonntagsabend-Tatort, sondern eine ganz verantwortungsvolle Aufgabe.“ Deshalb gibt es gleich zu Beginn Workshops zum Thema Rollenverständnis, auch unter dem Aspekt: „Ich bin jetzt nicht mehr Schüler, jetzt wird es ernst“. Deshalb wird die Einführungsphase auch in enger Zusammenarbeit mit der Bereitschaftspolizei gestaltet.
„Der erste Schritt in die Organisation ist prägend. Deshalb haben wir die Einführungsphase von vier Wochen auf drei Monate verlängert. Es ist eben nicht wie bei einem Konzern. Wir sind schon eine spezielle Truppe: Wir sind eine Gefahrengemeinschaft. Sie müssen sich später auf ihren Partner zu 100 Prozent verlassen können, wenn Sie draußen in Situationen kommen, bei denen nicht klar ist, ob Sie da noch mal heil rauskommen. Diesen Ernst der Lage zu vermitteln und auf diese entscheidenden Situationen bestmöglich vorzubereiten, ist eine sehr spannende Aufgabe“, so Nadine Weiler-Kunz.
Dass sich das alles in einem Spannungsfeld bewegt, erfahren die angehenden Polizistinnen und Polizisten schon ziemlich früh in der Praxis in den Polizeiinspektionen. „Aus der Praxisphase bekomme ich viele Berichte, wo unsere Anwärter draußen beleidigt werden, von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Ich sehe da – bedauerlicherweise – sehr viel“, weiß Christopher Wolf zu berichten. Aber es gibt eben auch andere Beispiele, in denen sich „sehr viel Respekt“ und eine „große Unterstützung“ ausdrückt – und das nicht nur von offizieller Seite. „Ich nehme von allen wichtigen Playern im Land eine hohe Wertschätzung wahr, die uns hilft, unsere wichtige Aufgabe wahrzunehmen“, unterstreicht Wolf. Gleichzeitig weiß er auch etliche Beispiele zu berichten über spontane Gesten der Unterstützung aus der Bevölkerung.
Studienfach zur Resilienz der Demokratie
Aber es hat sich eben doch einiges verändert im Verhältnis Polizei und Gesellschaft. „Was ich als fundamentale Veränderung wahrnehme, ist die dauerhafte mediale Beobachtung der Polizei. Bei jedem auch noch so kleinen Einsatz müssen die Kolleginnen und Kollegen damit rechnen, dass gefilmt wird, dass Filmmaterial bearbeitet, kommentiert und öffentlich gestellt wird. Es ist völlig in Ordnung, dass Polizei kontrolliert wird, aber diese Mechanismen, die mit einer Riesenreichweite wirken, sind eine große Herausforderung. Darauf versuchen wir unsere Studierenden bestmöglich vorzubereiten“, schildert Wolf.
Weiler-Kunz unterstützt: „Es kann in Einsatzsituationen ein Stressfaktor sein, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, und auch eine Herausforderung, damit professionell umzugehen.“
Wolf sieht zusammenfassend drei Dinge, die sich geändert haben und auf die die Ausbildung eingeht: „Das Mehr an Einsatzmitteln, mit denen der Umgang gelernt werden muss, die mediale Beobachtung, und es gibt das, was wir demokratische Resilienz nennen. Wir brauchen einen Grundkonsens in der Gesellschaft, der uns allen hilft. Aber wenn dieses Grundvertrauen in der Gesellschaft entweder von interessierten Kräften durch Leute, die nicht integriert sind, oder durch Unwissenheit, Faulheit oder fehlende Bildung erodiert, macht das das Spielfeld schwieriger.“ Die Hochschule hat darauf reagiert, indem sie das Thema demokratische Resilienz neu als ein Studienfach in das Curriculum aufgenommen hat, um damit auch auf die gesellschaftlichen Entwicklungen eingehen zu können.
In der politischen Diskussion spielen immer wieder Themen wie die Abbrecherquote oder die (rückläufige) Zahl der Bewerberinnen und Bewerber eine Rolle. Die Antwort von Rektor Wolf: „Ich sehe keine besonderen Ausreißer nach oben oder unten. Die Abbrecherzahlen, die Sie angesprochen haben, sind absolut im bundesweiten Vergleich. Die Bewerberzahlen sind im Wettbewerb, wie wir sie erwarten. Wir sind im Wettbewerb um die besten Köpfe und es wird sportlicher, die zu kriegen. Da bieten wir allerdings auch einiges. Das andere sind die neuen Erwartungen der jüngeren Generation, auf die wir antworten müssen. Ich erlebe schon, dass wir mehr erklären müssen, vor allem das Warum. Das ist aber auch eine Chance.“
Für andere Menschen da sein und Gutes tun
Mit den angesprochenen veränderten Erwartungen der jungen Generation hat auch Nadine Weiler-Kunz ihre Erfahrungen: „Für uns war noch klar: Wenn ich zur Polizei gehe, dann gehe ich in einen gesicherten Beamtenstatus. In den letzten Jahren höre ich immer wieder: ‚Ich mach das jetzt mal – und danach studiere ich vielleicht noch was‘. Die Lebenskonzepte haben sich geändert. Es ist nicht mehr so, dass man Beamter wird, und das eben für immer. Ich habe den Eindruck, dass das Thema (berufliche) Sicherheit nicht mehr so überwiegt, sondern persönliche Zufriedenheit immer mehr in den Vordergrund rückt.“ Und das schlägt sich dann eben auch in der Erfahrung der Polizeiausbildung nieder: „Nach den ersten Monaten und insbesondere nach dem ersten Praktikum ist man dann geerdet, und dann stellt der eine oder andere fest: Der Wechseldienst ist nichts für mich, oder es sind andere Gründe, die an der Berufswahl zweifeln lassen. Es ist nicht mehr der Grundgedanke des Abgesichertseins und einer Jobwahl, die ein Leben lang Bestand hat. Da erleben wir einen Wandel.“
Was sich aber nach ihrer Erfahrung nicht gewandelt hat, ist die Grundeinstellung der jungen Menschen, die eine Polizeiausbildung anstreben. „Motivation ist der Zusammenhalt und für andere Leute da zu sein, also eine Grundhaltung, etwas was Gutes zu tun.“
Die Veränderungen in der Gesellschaft spiegeln sich natürlich auch in der Polizei wider: „Wir werden vielfältiger. Und wir kommen mit so vielen Menschen unterschiedlicher Herkunft in Kontakt, dass es auch wichtig ist, ein Grundverständnis in dieser Vielfalt zu entwickeln und uns sowohl nach innen als auch nach außen mit Respekt zu begegnen.“ Deshalb gehörten auch „interkulturelle Kompetenz gepaart mit demokratischer Resilienz“ zur Ausbildung. Aber auch Besuche gemeinsam mit der Polizeiseelsorge in KZ-Gedenkstätten (Natzweiler-Struthof, Hinzert). „Das soll sensibilisieren – gerade in der aktuellen politischen Lage.“
Vorfälle wie in anderen Bundesländern, Stichwort rechtsextreme Chatgruppen, sind bei der saarländischen Polizei nicht bekannt. „Aber wir sind im Guten wie im Schlechten ein Querschnitt des Saarlandes. Ich kann versichern, dass wir wachsam sind, und wenn sich jemand nicht an die Spielregeln halten würde, würden wir handeln“, betont Wolf.
Der Beruf des Polizisten oder der Polizistin bewegt sich immer in einem gewissen Spannungsfeld. Wolf erlebt die Studierenden auch in dieser Hinsicht als „nicht blauäugig“, im Gegenteil. Eher „im positiven Sinn nachdenklich und sehr fokussiert“ und mit einer „hohen Identifikation“. Deshalb ist ihm – und, wie er sagt, auch den Studierenden – eine bevorstehende Neuerung auch besonders wichtig und bedeutungsvoll: Demnächst werden die Studierenden in Uniform an ihren Vorlesungen teilnehmen können. Das sei „etwas Besonderes“ und drücke auch „das Besondere der Aufgabe“ aus.
Ansonsten mangelt es nicht an Herausforderungen und Aufgaben für die weitere Entwicklung am Campus in Göttelborn. Einsatzlehre, Kriminalistik, Kriminologie, Soziologie, Politik – das ist ohnehin ein breites Feld. Neue Felder kommen dazu, beispielsweise Datenschutz und Cybercrime. „Die Anzahl der Vorschriften und Neuerungen nimmt gefühlt ständig zu – und nirgends fällt etwas weg“, konstatiert Nadine Weiler-Kunz. Zusätzliche Themen wie Informatik, Digitalisierung, „und dann haben wir noch gar nicht über die Campus-Erweiterung gesprochen“, sagt Christopher Wolf. Aber da sei man „in guten Gesprächen“. Platz wäre noch am Fuß des „Weißen Riesen“.