Die Grünen sind wieder auf der Suche nach sich selbst. Verluste an Union und Linke zeigen das Dilemma, in das sich die Partei in den vergangenen Jahren manövriert hat.

Die Stimmung ist ausgesprochen gut auf dem Länderrat („kleiner Parteitag“) sechs Wochen nach der Bundestagswahl, trotz enttäuschendem Ergebnis der Grünen beim Urnengang. Die Partei mit ihrem Kanzlerkandidaten Robert Habeck landete mit 11,6 Prozent der Stimmen in der Opposition. Der Verlust von gut drei Prozentpunkten war schmerzhaft, trotzdem kamen die Grünen damit noch eher glimpflich weg, im Vergleich zu den beiden anderen früheren „Ampel“-Partnern.
Die Partei muss sich nun in der Opposition neu finden.
Selbstbewusst in die Opposition
Normalerweise wird vor Beginn von solchen Parteizusammenkünften noch intensiv gekungelt, es stehen die Grüppchen von linkem und rechtem Flügel zusammen und baldowern noch schnell was aus. Das ist bei jeder Partei so, nur an diesem Sonntagvormittag bei den Grünen eben nicht. Ausgerechnet bei ihnen, die selbst in ihrer Hochzeit vor vier Jahren und Umfragewerten um die 25 Prozent noch die Muße hatten, auf dem damaligen Parteitag noch mal richtig zu streiten.
Es könnte eine besondere Form der Verarbeitung des ersten Schockzustandes sein: Wahl verloren, Regierungsbeteiligung dahin und aus Trotz weiterhin gut drauf.
Ganz offensichtlich sind die Grünen noch gar nicht so richtig in der Opposition angekommen. Noch haben sie ja vier zumindest geschäftsführende Bundesminister, eine Staatsministerin, und dann haben sie in den letzten Wochen de facto bei entscheidenden Weichenstellungen mitregiert. Für ihre Zustimmung zu den Sondervermögen für Infrastruktur und die Bundeswehr und die dafür notwendige Grundgesetzänderung haben sie einiges herausgehandelt. Hier ist ihnen gelungen, wovon sie in den alten Ampeltagen nicht mal gewagt hätten zu träumen: 100 Milliarden Euro für einen Klimafonds.
Und die Ur-Idee zu den 500 Milliarden Euro Sondervermögen für Infrastruktur stammt vom baldigen Ex-Wirtschaftsminister und gescheiterten Kanzlerkandidaten Robert Habeck. Als er das in der heißen Wahlkampf-Endphase vorgeschlagen hatte, wurde er ausgelacht und an die Satireshows von ARD und ZDF durchgereicht. Jetzt ist es Realität, die 500 Milliarden für Infrastruktur stehen bereit. Auf dem parlamentarischen Weg dahin hatten die Grünen schlicht keine Zeit, sich mental auf Opposition einzustellen. Union und SPD gaben ihnen aus „staatspolitischer Verantwortung“ keine Chance dazu.
Ein gewisser Phantomschmerz ist zumindest bei Grünen Co-Chef Felix Banaszak dann doch zu merken. Auf die Frage, welche Rolle denn Robert Habeck zukünftig in der Partei spielen wird, redet Banaszak ein wenig drum herum. Wichtiger Impulsgeber solle er sein. Dann bricht es aus ihm heraus: „Also wir suchen jetzt keinen neuen Superstar.“
Noch müssen sie den auch nicht suchen, noch ist Habeck ja da für die Partei, für die Bundestagsfraktion. Unklar ist seine Zukunft, wenn es dann tatsächlich eine neue Regierung gibt. Habeck will darüber nachdenken, das Ergebnis der „inneren Einkehr“ dann zum gegebenen Zeitpunkt mitteilen. Die Partei rätselt unterdessen, wer seine Position bei den Grünen einnehmen könnte. Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck erst als Parteivorsitzende, dann als Wahlkampfduo hatten die Grünen vor knapp vier Jahren erstmals etwas zugelassen, was 30 Jahre lang mehr als verpönt war, nämlich die absolute Personalisierung ihrer politischen Ziele. Bei Annalena Baerbock hat sich mutmaßlich eine Lösung gefunden: Sie gilt als heiße Kandidatin für den Vorsitz der Generalversammlung der Vereinten Nationen.
Katharina Dröge ist zwar nun wahrlich kein neues Gesicht im Berliner Polit-Geschäft. Sie hat sich aber ziemlich klar als eine der Gewinnerinnen nach der Wahl entwickelt. Als Co-Fraktionschefin hat sie mit Nachdruck Union und SPD klargemacht, dass die Grundgesetzänderung unter anderem für das Sondervermögen Infrastruktur mit grüner Unterstützung nicht umsonst zu haben ist. Ergebnis ihres robusten Auftretens sind eben die 100 Milliarden Euro für den Klimafonds.
Ergebnis ist auch: Sie wird in führender Oppositionsrolle wahrgenommen, gleichzeitig aber als jemand, mit dem man verhandeln kann. Das könnte noch sehr entscheidend werden. Denn die künftige Regierung wird bei Abstimmungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich sein wird, auf die Opposition angewiesen sein. Die Grünen werden mit Dröge und der Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann erste Ansprechpartner sein, vor den Linken mit Shootingstar und Co-Fraktionschefin Heidi Reichinnek.
Inhaltlich ist vieles offen, und nach dem kleinen Parteitag wird das auch noch eine Weile so bleiben. Die von Co-Parteichef Felix Banaszak angemahnte Fehleranalyse ist ausgeblieben. Was auch ihn schmerzt: Eine halbe Million der Wähler von 2021 sind zur Union gewandert. Genau das Gegenteil war aber der Plan. Die Grünen wollten CDU-Wähler aus der Merkel-Ära für sich gewinnen.
Der Mitte-orientierte Kurs, der den Grünen auch schon mal den Ruf einer Partei der Besserverdienenden einbrachte, einer neuen FDP oder eine Lehrerpartei zu sein, war aber schon in der Ampel-Zeit intern umstritten. Ein Höhepunkt war Rück- und Austritt der Führungsspitze der Grünen Jugend.
Inhaltlich erheblicher Klärungsbedarf
Ein Stück weit spiegelt auch das Wahlergebnis diese Entwicklung. In diesem Fall das (Überraschungs-)Wahlergebnis der Linken. Zwar haben die Grünen in Richtung Linke nicht so viel verloren wie in Richtung Union, aber die neue, alte Konkurrenz auf der linken Seite ist spürbar, weshalb auch der Co-Parteichef fordert: „Wir müssen in dieser Richtung wieder sichtbarer sein.“

Felix Banaszak ist zwar gerade erst ein halbes Jahr Parteichef, doch das Politsprech eines Spitzenmannes hat er schon gut drauf. Der Nachfrage, ob das einen Linksruck der Grünen impliziert, weicht er aus: Das werde die Zukunft entscheiden. Aber so viel verrät der 35-Jährige schon mal: Der Wahlkampf in Baden-Württemberg im kommenden Jahr wird sich von denen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern unterscheiden.
Ein neuralgischer Punkt der Grünen ist die Schwäche im Osten der Republik. Bei den Landtagswahlen im letzten September sind die Grünen in Brandenburg und Thüringen aus den Landtagen geflogen, in Sachsen schafften sie es mit Ach und Krach und 5,1 Prozent hinein. Die Grünen sind beinahe wieder eine reine Westpartei. Für Co-Parteichef Banaszak scheint die Konsequenz zu sein, in Baden-Württemberg eher eine konservative und im Osten dann eher eine progressiv-linke Ansprache der Wähler zu entwickeln. Auch das eine Lehre, die zumindest auf dem kleinen Parteitag beim Großteil der Delegierten angekommen zu sein scheint.
Die Grünen müssen ihre „Alltagsferne vom Wähler“ überwinden, wie es in einem entsprechenden parteiinternen Positionspapier wörtlich heißt. Ob das zukünftig dann eher links oder doch bürgerlicher sein wird, hängt ganz offensichtlich davon ab, in welchem Bundesland der nächste Wahlkampf ansteht. Bei der Positionsbestimmung der Bundespartei dürfte diese allerdings wenig hilfreich sein.