Mana Pools heißt der spektakulärste Nationalpark im Norden von Simbabwe. Wer einmal zu Fuß auf Safari gehen will statt mit dem Auto, erlebt entlang des mächtigen Sambesi-Flusses eine ungezähmte Wildnis – und riesige Dickhäuter mit einer besonderen Begabung.
Nur die Ruhe! Das befiehlt kühl der Verstand. Es klappt aber leider nicht: Das Herz klopft ziemlich aufgeregt in der Brust. Denn der Riese kommt immer näher. Behutsam setzt der Elefant einen Fuß vor den anderen, langsam aber zielstrebig. Er stoppt nur wenige Meter vor den Touristen, die hinter einem Baumstamm in Deckung gegangen sind. Dann schüttelt er den Kopf, so dass die mächtigen Ohren schlackern und puderfeiner Staub zur kleinen Besuchergruppe herüberweht.
„Wie geht’s Dir, alter Junge? Wo bist Du die ganze Zeit gewesen? Ich hab’ Dich lange nicht gesehen“, hört man Stretch Ferreira sagen. Der Elefantenbulle steht still, lauscht – und scheint zu erkennen, wer der hochgewachsene Mann mit dem wild wuchernden Bart ist, der da gerade so vertraut mit ihm spricht. In diesem plaudernden Tonfall würde Stretch Ferreira wohl nicht nur einen tierischen, sondern auch einen menschlichen Freund begrüßen, dem er sechs Monate lang nicht begegnet ist. Die Pisten im Mana-Pools-Nationalpark sind in der Regenzeit von November bis April nicht befahrbar, weswegen die lokalen Safari-Guides und ihre Gäste aus aller Welt immer erst Anfang Mai zurückkommen in das Schutzgebiet am mächtigen Sambesi-Fluss. „Wir kennen uns seit bald 40 Jahren“, wird der erfahrene Safari-Guide später über den Elefantenbullen erzählen. „Und jedes Mal zu Beginn der Safarisaison freue ich mich, wenn ich ihn wiedersehe.“

Entlang des Sambesi, der im Nordwesten Sambias entspringt und nach mehr als 2.500 Kilometern in Mosambik in den Indischen Ozean mündet, zeigt sich Simbabwe von seiner wildesten Seite. Flussabwärts von der Gischt der Victoriafälle liegt Mana Pools. Seit 1984 zählt das Schutzgebiet zum Unesco-Welterbe, ist aber weit weniger bekannt als Südafrikas Kruger-Park. Doch unter Afrikakennern gilt der Park als Geheimtipp für spektakuläre Tierbeobachtungen.
Los geht es zu Sonnenaufgang. Es ist nicht nur verdammt früh, sondern auch verdammt frisch. Doch was sagen hier die Schlaumeier? „You snooze, you lose“: Wer morgens zu lange im Bett trödelt, verpasst die schönsten Safari-Momente. Diese Blöße will sich an diesem besonderen Ort niemand geben. Noch mit ein paar Körnern Schlaf in den Augen und eingehüllt in Wolldecken, die gegen den Fahrtwind schützen, sitzen wir um sechs Uhr auf dem Geländewagen. Los geht’s!
Paviane wärmen sich an einem Flecken goldenen Lichts, das durch die Äste des Uferwalds filtert. Mana Pools wird gerühmt für ikonische Elefantenbullen, für riesige Büffelherden und für die große Zahl an Wildhunden, die hier noch den Platz zum Jagen haben, der anderswo in Afrika längst durch Zäune begrenzt ist. Doch eigentlich ist die Landschaft schon Grund genug, in den entlegenen Norden von Simbabwe zu reisen, wo der mächtige Sambesi die Grenze zu Sambia bildet.
Früher, als der mäandernde Fluss noch nicht durch den stromaufwärts liegenden Kariba-Stausee gezähmt war, überschwemmte er noch regelmäßig das breite Tal zwischen den bewaldeten Steilhängen des Zambezi Escarpments. Aus jener Zeit stammen die vier langgezogenen Seen, die selbst im Winter nicht austrocknen. Blaue Seerosen bedecken das Wasser, durch das eine tierische Fähre pflügt: Ein Graureiher nutzt den zerfurchten Buckel eines Flusspferd-Bullens als Ausblick.

Auch Elands, Impalas, Kudus, Wasserböcke und Zebras tummeln sich hier. Denn auf dem fruchtbaren Boden wachsen uralte Anabäume, die ihre Hülsenfrüchte genau dann abwerfen, wenn es im Busch sonst kaum noch etwas zu fressen gibt. Andere, weit mächtigere Tiere haben keine Geduld: Sie wollen nicht warten und betätigen sich als Akrobaten, um an das nahrhafte Futter zu kommen.
Der Land Cruiser kommt an einer Landzunge zum Stehen, von der aus man das Ufer des Sambesi gut absuchen kann. Auf einer der Inseln beäugt uns eine Herde Büffel, sonst scheint sich nichts zu regen. In der Ferne, auf einer etwas tiefer liegenden Ebene, steht nur ein großer grauer Klotz. Vielleicht ein Termitenhügel? Direkt am Fluss?! Guide Kingsley Chinemushonga, der für African Bush Camps arbeitet, schaut durchs Fernglas. Dann lächelt er, fährt fünf Minuten, stellt das Auto ab. Und sagt: „Lasst uns hingehen.“

Zu Fuß unterwegs zu sein statt mit dem Geländewagen: In vielen afrikanischen Nationalparks ist das verboten. Anders in Simbabwe. Aufwändig ausgebildet und für einen unvorhergesehenen Notfall auch bewaffnet, führen hier Guides bei Walking Safaris durch den Busch. Niemand bei Verstand würde zwar durch meterhohes Gras stapfen, doch die lichten Wälder von Mana Pools sind zum Anschleichen perfekt geeignet. Vorneweg der Guide, hinterher im Gänsemarsch die Gäste: So erlebt man den Busch hautnah mit Nervenkitzel.
Der Elefant stellt sich auf die Hinterbeine
Denn wir haben eine Privataudienz bei Boswell. Der ist gerade einmal 40 Jahre alt und damit noch längst nicht ausgewachsen – wenn alles klappt, wird man ihn hier noch zwei Jahrzehnte lang bewundern können. Schon jetzt hat Boswell die größten und schönsten Stoßzähne weit und breit. Ein Sender hängt ihm um den Hals, damit Wissenschaftler seine Wanderungen dokumentieren können und er so besser geschützt ist vor Wilderern, die es auf Elfenbein abgesehen haben. Denn der Gigant ist einer der ikonischen Elefantenbullen von Mana Pools.
Boswell ist Publikum gewöhnt und weiß anscheinend inzwischen, dass klickende Kameras und der Geruch verschwitzter Touristen für ihn keine Gefahr bedeuten. In der Brunftzeit, wenn die Hormone seinen Instinkt verwirren, müsste man viel Abstand halten, doch heute zeigt er sich entspannt. Wir postieren uns hinter einem umgestürzten Baumstamm, zehn Meter entfernt. Das erweist sich ein paar Minuten später als der perfekte Logenplatz für eine zirkusreife Vorstellung.
Der Dickhäuter schnuppert mit seiner Rüsselspitze am Stamm eines Anabaums. Immer weiter nach oben wandert sein sensibles Multifunktionsgerät, doch die eiweißreichen Früchte wachsen unerreichbar hoch. Andere Elefanten würden da aufgeben oder im Zorn versuchen, den ganzen Baum umzuwerfen. Nicht jedoch Boswell: Der ist einer der wenigen Bullen von Mana Pools, die eine besondere Technik entwickelt haben, um an ihre Leibspeise zu kommen.
Vorsichtig prüft der Gigant, ob der Boden glitschig ist oder fest genug. Er spannt die Muskeln an, gibt sich einen Ruck, streckt sich – und steht plötzlich nur noch auf seinen Hinterbeinen. Es ist ein Balanceakt nicht ohne Risiko: Schnell wird der Rüssel ausgefahren, ein Ast umschlungen und heruntergerissen. Es hagelt reife Früchte, die sich ringeln wie die Haut eines geschälten Apfels. Sie müssen eine Delikatesse sein: Boswell pickt sie einzeln auf und nimmt sich alle Zeit der Welt. Elefanten als Akrobaten: So etwas gibt’s eben nur in Mana Pools.

Dass man neben jüngeren Kollegen auch den Haudegen Stretch Ferreira findet, ist ein Beweis, dass Mana noch urwüchsig und unverfälscht ist. Der Guide ist eine lebende Legende, weil er Gäste näher als andere an Löwen und Wildhunde heranführt. Statt sich mit Ende 60 zur Ruhe zu setzen, geht er immer noch Tag für Tag auf die Pirsch. Er ist es, der den Elefanten ihre Namen gegeben hat. Da gibt es neben dem gigantischen Boswell (benannt nach einem Zirkus) noch Fred Astaire (weil er manchmal steppt wie der legendäre Tänzer), Old Vic (mit V-förmigem Schlitz im Ohr) – und auch The Donald (weil dieser Elefantenbulle manchmal aggressiv reagiert wie der amerikanische Präsident).
Die Sterne leuchten heller als sonstwo
Nicht nur der Mana-Pools-Nationalpark zählt zum Unesco-Welterbe, sondern auch angrenzende Gebiete. Unkontrollierte Trophäenjagd und Wilderei haben den Tierbestand dort allerdings in Gefahr gebracht. Das hat inzwischen in der Sapi-Konzession ein Ende: Das 118.000 Hektar große Areal mit seinem 36 Kilometer langen Sambesi-Ufer liegt östlich des Nationalparks und wurde von Great Plains Conservation nun wieder in ein echtes Schutzgebiet verwandelt. Hier kann man per Auto und zu Fuß, aber auch per Kanu unterwegs sein.
Besondere Erlebnisse gibt es aber auch im Park selbst. Das „John’s Camp“ von Robin Pope Safaris hat abseits der üblichen Zelte ein Star Bed in den Busch gestellt. So heißt die einsame Plattform, auf der am Abend nur Paraffinlampen Licht spenden. Wenn man diese nach dem Abendessen löscht, leuchtet das Kreuz des Südens heller als je zuvor, und die Milchstraße spannt sich als funkelnde Edelsteinkollektion quer über den Horizont. Da darf man schon zu träumen beginnen, bevor man einschläft – und sich für den nächsten Morgen einen weiteren „elefantastischen“ Moment wünschen.