In diesem Jahr feiert Salzburg den 150. Geburtstag und 80. Todestag des Theaterimpresarios und Regisseurs Max Reinhardt. Ein Fokus liegt auch auf dessen Rückzugsort bei Salzburg, Schloss Leopoldskron.
Max Goldmann, der am 9. September 1873 als Sohn einer jüdisch-ungarischen Händlerfamilie in Baden bei Wien geboren wurde, war ein schüchterner Junge. Wenn andere Kinder ihre Abenteuer draußen vor der Tür erlebten, fand er sie eher in der Literatur und im Theater, zu denen er schon früh eine große Liebe entwickelte. Hätte den Eltern damals jemand gesagt, dass ihr Sohn eines Tages einer der berühmtesten Schauspieler, Theaterregisseure und Intendanten seiner Zeit werden würde, sie hätten sicher nur müde gelächelt. Doch Max träumte davon, eines Tages selbst auf der Bühne zu stehen, in andere Charaktere zu schlüpfen und zwischen den Zeiten zu wandeln. Für seine Eltern war das alles andere, als was sie sich für die Zukunft ihres Sohnes vorstellten: Der stille, scheue Junge sollte etwas Ordentliches lernen. Max fügte sich, ließ sich für knapp zwei Jahre bei dem Weberei-Fabrikanten Heinrich Teltscher ausbilden, machte dann noch einmal für ein Jahr eine Banklehre, um sich kaufmännisches Denken anzueignen, wie die Eltern es wollten. Erst danach willigten sie ein, dass der Sohn Schauspielunterricht nehmen durfte.
Otto Brahm holte Max Reinhardt nach Berlin
17-jährig stand Max Goldmann das erste Mal auf einer privaten Bühne in Wien, spielte Schwänke und Volksstücke. Das war zwar noch längst nicht die große Erfüllung seines Lebenstraums, aber er gewann an Selbstvertrauen, und er nahm weiter Unterricht bei dem ehemaligen Königlichen Sächsischen Hofschauspieler und Konservatoriums-Professor Emil Bürde. In dieser Zeit wurde aus dem Jungen Max Goldmann der Künstler Max Reinhardt. Unter dem Künstlernamen, dessen Vorbild wahrscheinlich die Hauptfigur Reinhardt Werner aus Theodor Storms Novelle „Immensee“ war, begann die einzigartige Karriere eines Mannes, der Jahre später die Salzburger Festspiele gründen würde.
Doch bis dahin vergingen noch einige harte Lehr- und Wanderjahre. Mit 18 erhielt er ein erstes festes Engagement an einem Wiener Vorstadttheater, mit 20 wechselte er ans neueröffnete Stadttheater Salzburg, in jene Stadt, die für ihn später eine ganz besondere Bedeutung erlangen sollte. 1894 führte ihn sein Weg nach Berlin, wohin ihn der designierte Direktor des Deutschen Theaters, Otto Brahm, holte. Der hatte den jungen Reinhardt auf der Bühne gesehen und bot ihm ein Engagement an. Die Spuren, die er in den nächsten Jahrzehnten hier als Schauspieler, Regisseur und Intendant hinterließ, prägten sein Leben, sind einzigartig und wirken bis heute nach. Von 1902 an, als er in Berlin begann, sich auch als Regisseur einen Namen zu machen und über die Jahre verschiedene eigene Theater gründete, blieb er der Stadt bis 1933 künstlerisch eng verbunden.
Reinhardt wollte aus der Enge kleiner Theaterräume ausbrechen, strebte nach Großrauminszenierungen. Eine solche fand am 1. Dezember 1911 im Berliner Zirkus Schumann mit Hugo von Hofmannsthals „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ ihre Uraufführung. Neun Jahre später war es genau dieses Stück, mit dem er in seiner späteren Wahlheimat Salzburg ein Theater- und Kulturfestival begründete, das auch mehr als 100 Jahre später nichts an internationaler Anziehungskraft verloren hat – wie auch der „Jedermann“, der von Anfang an Jahr für Jahr zu den Höhepunkten der Festspiele gehört.
Schloss Leopoldskron wurde Begegnungsstätte
Lange hatte Max Reinhardt nach einem geeigneten Ort für spartenübergreifende Sommerfestspiele gesucht, erwog zunächst, sie in Zürich, Luzern oder Sils Maria als ein Friedenswerk nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg anzusiedeln. Letztlich fand er diesen Ort in Salzburg, wo er 1918 das am Stadtrand gelegene Schloss Leopoldskron erwarb. Das 1736 an einem Weiher erbaute Schloss mit Blick auf die malerische Kulisse des Untersbergs und umgeben von einem rund sieben Hektar großen Park, war in einem erbarmungswürdigen Zustand. Reinhardt ließ es mit viel Kreativität nach seinen Vorstellungen sanieren und umbauen. Aus der Remise entstand eine große repräsentative Empfangshalle, der imposante Treppenaufgang wurde ebenso erneuert wie der 172 Quadratmeter große Marmorsaal. Das „Venezianische Zimmer“, das Reinhardt als Musiksalon einrichten ließ, wurde mit goldenen Wandpaneelen und Spiegeln ausgestattet, die er auf einer Versteigerung in Berlin erworben hatte. Zu einem kleinen Kunstwerk wurde der „Chinesische Salon“, reich verziert und ausgestattet mit Kunstwerken und Wandmalereien, die der Theater-Impresario dafür aus China importieren ließ.
Als der Hausherr ein Foto der Klosterbibliothek St. Gallen sah, verliebte er sich schlagartig in sie und beauftragte eine Firma, die Bibliothek für sein Schloss nach diesem Vorbild anfertigen zu lassen. Rund 23.000 Bände aus Kunst, Literatur und anderen Bereichen trug Reinhardt über die Jahre dort zusammen und richtete sich in einem kleinen Nebenraum sein Arbeitszimmer mit fantastischem Blick über den Weiher auf die Bergkulisse des Untersbergs ein.
Eine besondere Bedeutung bekam der „Rote Salon“. Hier begründete Max Reinhardt gemeinsam mit Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss 1920 die Salzburger Festspiele, die mit der Aufführung des „Jedermann“ von Hofmannsthal im gleichen Jahr am 22. August auf dem Salzburger Domplatz offiziell ihren Anfang nahmen. Das Stück wurde zum Markenzeichen und zum Dauerbrenner bis heute. Reinhardt wollte bei seinen Festspielen – auch im Gegensatz zu den Wagner gewidmeten Bayreuther Festspielen – Schauspiel, Oper, Konzerten an vielen Orten der Stadt eine Bühne geben.
Schloss Leopoldskron entwickelte sich schnell zu einer Begegnungsstätte für Kunst und Künstler aller Art. Theaterproduzenten, Schriftsteller, Komponisten und Schauspieler aus ganz Europa trafen sich häufig und gern hier. Immer wieder nutzte Max Reinhardt das Schloss und die Parkanlagen für seine Theaterinszenierungen. Nicht selten wurde das Anwesen selbst zur Bühne und Schauspieler sowie Zuschauer zogen von einem Raum zum nächsten. 18 Jahre war Leopoldskron Ruhe- und Mittelpunkt seines Lebens.
Dennoch inszenierte er weiterhin in Berlin, hier hielt er sich auch auf, als die Nationalsozialisten im Januar 1933 die Macht ergriffen. Doch am Abend des Reichstagsbrandes verließ er demonstrativ Deutschland. Zwar versuchten die Nazis, Reinhardt durch das Angebot einer „Ehren-Arierschaft“ zu halten – ein Angebot, das für den jüdischen Künstler aber nicht akzeptabel war. Nach seiner Flucht aus Berlin schrieb er an die Regierung in Berlin: „Der Entschluß, mich endgültig vom Deutschen Theater zu lösen, fällt mir naturgemäß nicht leicht. Ich verliere mit diesem Besitz nicht nur die Frucht einer 37-jährigen Tätigkeit, ich verliere vielmehr den Boden, den ich ein Leben lang gebaut habe und in dem ich selbst gewachsen bin. Ich verliere meine Heimat.“ Noch bis 1937 lebte er weiter in Salzburg, emigrierte dann mit seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Helene Thimig, die er im Mai 1935 geheiratet hatte, in die USA. Dort konnte er aber nie richtig Fuß fassen.
Sein Schloss Leopoldskron konfiszierten die Nazis 1938 als „jüdischen Besitz“. Davon erfuhr Reinhardt in New York. Von der Enteignung erschüttert, schrieb er seiner Frau: „Ich habe 18 Jahre in Leopoldskron gelebt, wirklich gelebt, und ich habe es lebendig gemacht. Ich habe jedes Zimmer, jeden Tisch, jeden Sessel, jedes Licht, jedes Bild gelebt. Ich habe gebaut, gezeichnet, geschmückt, gepflanzt und geträumt davon, wenn ich nicht da war. (…) Ich habe alles verloren, was ich hineingetragen habe. Es war der Ertrag meiner Lebensarbeit.“ Und weiter heißt es in dem Brief: „Ich habe den Ruhm dieser Stadt mit den Festspielen in 18 Jahren erneuert und habe in dieser Zeit auch das Schloss für Menschen aus aller Welt erschlossen und zu einem Begriff gemacht. Das Unrecht, mir dafür diesen Besitz zu rauben, ohne den geringsten Rechtstitel, ja sogar ohne jede offizielle Mitteilung, liegt auf der Hand.“
Eine Art intellektueller Marshallplan
Max Reinhardt kehrte nie nach Salzburg zurück, er starb am 31. Oktober 1943 verarmt und seiner künstlerischen Heimat beraubt in einem New Yorker Hotel und wurde auf dem jüdischen Friedhof Westchester Hills Cemetery, 35 Kilometer von New York entfernt, beigesetzt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielten die Erben Max Reinhardts Schloss Leopoldskron zurück und verkauften es 1947 an die Gründer des „Salzburg Global Seminars“, das als eine Art intellektueller Marshall-Plan ins Leben gerufen wurde. So sagte Mitbegründer Dick Campbell: „Wir hoffen, wenigstens ein kleines Zentrum zu schaffen, in dem sich junge Europäer aus allen Ländern und allen politischen Überzeugungen für einen Monat in konkreter Arbeit unter günstigen Lebensbedingungen treffen können, und den Grundstein für ein mögliches dauerhaftes Zentrum der intellektuellen Diskussion in Europa zu legen.“
Seitdem haben über 40.000 „Fellows“ aus über 150 Ländern, aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Justiz und Verwaltung an den Seminaren teilgenommen- im Sinne des gegenseitigen Respekts, des Austauschs, des Miteinanders. Zu den prominenten Gästen zählten unter anderen Kofi Annan, Hillary Clinton oder König Charles III., als er noch Prinz war.
Neben dem Sitz des „Salzburg Global Seminars“ ist Schloss Leopoldskron heute auch ein besonderes – für jedermann buchbares – Seminarhotel, in dem man Max Reinhardt in jedem Raum nahe ist. „Es steckt viel Reinhardt in diesem Schloss“, sagt Hoteldirektorin Karin Pfeifenberger. Der „Rote Salon“, in dem die Salzburger Festspiele ihren Anfang nahmen, wurde anlässlich Reinhardts 150. Geburtstages neu gestaltet. Unter anderem, in dem eine auf dem Dachboden entdeckte Theaterkulisse als Motiv für die Wandbemalung verwendet wurde. So ist der Raum zu einem Gesamtkunstwerk geworden, das den Geist Reinhardts spüren lässt.