Die Reform ist noch nicht wirksam und es treten bereits Probleme auf. So wie bei den Ersthelfern im Rettungswagen der Berliner Feuerwehr, die nicht wissen, welche Notaufnahme für ihre Patienten zuständig ist.
Schichtübergabe in der Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, Samstagmorgen um sechs Uhr. Die diensthabende Chefärztin macht mit ihrem Vorgänger aus der Nacht die Übergabe. Schnell gehen sie die aktuellen Akutfälle auf der Station durch. An diesem Samstagmorgen ist die Lage übersichtlich. Nach dem Schichtwechsel schaut die Chefärztin jedoch nicht sofort in die Aufnahme, sondern überprüft den Dienstplan. Wer ist vom übrigen Personal verfügbar, wie viele Krankmeldungen gibt es? Es ist kein Geheimnis, dass auch an den Berliner Kliniken Personalnot herrscht, und dennoch müssen die eingelieferten Patienten versorgt werden. Für Ärzte und Pflegepersonal ist das immer eine Herausforderung, denn viele Fälle in der Notaufnahme sind keine akuten Notfälle und könnten eigentlich bei ihrem Hausarzt vorstellig werden. Doch bekanntermaßen arbeitet der am Samstag nicht, also führt der Weg in die Klinik. Ein weiteres bekanntes Phänomen ist, dass Patienten bei länger bekannten gesundheitlichen Problemen keinen Termin bei ihrem Arzt bekommen und dann erst in die Klinik gehen, wenn es gar nicht mehr anders geht. Das liegt zum Teil auch daran, dass viele Hausärzte aus Altersgründen aufhören und keine Nachfolger finden. Somit müssen die Kliniken diese Aufgaben automatisch übernehmen, ohne jedoch mehr Personal dafür zu erhalten.
Zur gleichen Zeit, als die Chefärztin ihren Dienst übernimmt, beginnt auch der Dienst für die Mannschaft eines Notarztwagens der Berliner Feuerwehr. Ein Rettungssanitäter, der den Wagen fährt, und ein angehender Arzt an seiner Seite sind seit einigen Jahren im Einsatz auf „der Rettung“ und kennen ihr Geschäft nur allzu gut. Doch auch für sie hat sich in letzter Zeit einiges verändert. „Früher war klar, dass wir automatisch die nächstgelegene Notaufnahme anfahren, um die Patienten so schnell wie möglich stationär zu versorgen. Doch das hat sich in den letzten Jahren ein wenig geändert“, erzählt der Rettungssanitäter, der am Steuer des Notarztwagens sitzt. „Mein Kollege übernimmt im Ernstfall die Erstversorgung hinten im Wagen, gibt mir dann durch, was vorliegt, und ich muss dann erst einmal schauen, wer in der nächstliegenden Klinik überhaupt freie Kapazitäten in der Notaufnahme hat und vor allem, ob die entsprechenden Fachärzte verfügbar sind.“ Der Enddreißiger möchte seinen Namen nicht nennen, und auch Fotos sind nicht erwünscht. Die Klinikbetreiber, aber auch die Berliner Feuerwehr, sind mittlerweile sehr penibel. Offiziell wird der Datenschutz ins Feld geführt, aber die hohe Sensibilität hängt auch ein wenig mit der anhaltenden Debatte um die Krankenhausreform zusammen.
Bis zur Einlieferung vergehen 40 Minuten
An diesem Samstagmorgen geht gegen halb sieben der erste Notruf über die 112 ein. Die Leitstelle meldet einen 81-jährigen Mann, der nicht mehr schlucken kann und bereits seit zwei Tagen dementsprechend auch nicht mehr trinken konnte. Der Patient ist dehydriert, sein Kreislauf ist zusammengebrochen. Innerhalb von zwei Minuten nach Eingang des Notrufs steht der Rettungswagen vor der Tür und die Erstversorgung ist gesichert. Doch nun beginnt das eigentliche Drama für die Retter: wohin mit dem Patienten? Aus der am nächsten gelegenen Notaufnahme in Berlin Steglitz-Zehlendorf erfährt das Team, dass ein HNO-Kollege derzeit nicht zur Verfügung steht und weitere fachmännische Hilfe nicht geleistet werden kann. Jetzt beginnt das Telefonieren mit den anderen Notaufnahmen. Da der Patient im Rettungswagen „stabil“ gehalten werden kann, bleibt noch genügend Zeit, eine entsprechende Klinik zu finden, die einen Hals-Nasen-Ohrenarzt in der Notaufnahme hat, der tatsächlich helfen kann. Doch von der Alarmierung bis zur stationären Übergabe in der Klinik sind am Ende fast 40 Minuten vergangen. „Da hilft es wirklich nicht, wenn wir als Feuerwehr innerhalb von zwei Minuten vor Ort sind, wenn ich dann 20 Minuten am Telefon brauche, um herauszufinden, wohin wir den Notfall abliefern können, damit er überhaupt vernünftig versorgt werden kann.“
Auch die diensthabende Chefärztin in der nächstgelegenen Klinik kennt das Problem. Doch in dem Moment, in dem der Patient aus dem Rettungswagen übernommen wird, trägt sie die Verantwortung. Wenn sie im Vorfeld weiß, dass sie eine umfassende fachliche Behandlung nicht garantieren kann, werden solche Fälle abgelehnt und an andere Kliniken verwiesen. „Das ist derzeit der Zustand bei der Notfallversorgung und zwar vor der angedachten Klinikreform. Ich möchte wissen, wie das dann werden soll, wenn wir nur noch spezialisierte Krankenhäuser haben. Dann sitze ich hier in meinem Rettungswagen und telefoniere erst einmal eine Weile, um herauszufinden, wohin wir müssen.“ Der Rettungssanitäter hegt keine Illusionen, auch wenn die Klinikreform kommt, wird es für die Patienten nicht viel besser. „Hier in Berlin mag das noch funktionieren. Dann fahre ich mal sechs Kilometer anstelle von zwei. Aber auf dem Land sind es dann nicht mehr zehn, sondern 80 Kilometer, und das kann für einen Notfallpatienten tatsächlich tödlich sein.“ Doch einer der Chefstrategen der Klinikreform widerspricht. „Die Wege für die Notfallrettung, auch in den ländlichen Räumen, werden nicht unbedingt länger werden. Und die dann gezielten Behandlungen werden dazu führen, dass mehr Menschenleben gerettet werden können.“ Prof. Jochen Schmitt von der Uni-Klinik Dresden ist überzeugt von seinem Konzept. Allerdings hat er als Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung für Gesundheit und Pflege noch nie „auf Schicht“ in einem Rettungswagen gesessen oder den Alltag auf einer Notaufnahmestation eines Krankenhauses kennengelernt. Von Hause aus ist er Dermatologe.