Nach 23 Jahren sitzt die Saar-CDU zum ersten Mal nicht in der Regierung. Wie sie damit zurechtkommen kann und was die restliche Opposition im und außerhalb des Landtages macht, weiß Professor Uwe Jun von der Universität Trier.
Herr Jun, wie schätzen Sie die bisherige Arbeit der SPD-Regierung im Saarland ein?
Ich glaube, es ist selbst für ein Zwischenfazit noch viel zu früh. Die Regierung Rehlinger ist ja nun erst seit wenigen Monaten im Amt. Sie hat es nicht ganz leicht, weil die finanziellen Bedingungen nach wie vor das Regieren einschränken und nun eine wichtige Strukturentscheidung eines großen Automobilbauers das Saarland stark getroffen hat. Aber mit dem Transformationsfonds liegt eine Antwort vor, die die industrielle Transformation des Landes voranbringen und insbesondere die Abhängigkeiten von der Automobilindustrie verringern sowie zu einer klimafreundlicheren Produktion beitragen soll. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung Rehlinger.
Mit diesen Schwierigkeiten dürften sich einige Anknüpfungspunkte für die Opposition bieten. Werden diese bislang genutzt?
Erst muss man sagen, dass wir zwei Formen der Opposition im Saarland haben: Die parlamentarische Opposition bestehend aus der CDU und der AfD und die außerparlamentarische Opposition, bestehend aus allen anderen Parteien. Die parlamentarische Opposition hat immerhin die Bühne des Landtags, die sie nutzen kann, um hier Kritik und Kontrolle auszuüben. Da sind einzelne Ansätze erkennbar. Die CDU war jahrzehntelang führende Regierungspartei. Sie hat immer den Ministerpräsidenten oder die Ministerpräsidentin gestellt und das merkt man auch noch jetzt: Sie ist noch dabei, sich einzufinden in die neue Rolle und dazu muss man ihr Zeit geben.
Worauf sollte die CDU achten, um dieser neuen Rolle gerecht zu werden?
Zum einen muss man natürlich fragen: Wie und wie effizient kontrolliert sie? Wie gestaltet sich ihre parlamentarische Arbeit? Welche eigenen Vorschläge macht sie zur Lösung der Probleme? Wie konstruktiv versucht sie sich einzubringen? Und zum anderen muss man auch schauen, dass sie Aufmerksamkeit gewinnen muss außerhalb des Parlaments. Wie es ihr also gelingt, auch auf Wählerinnen- und Wählerseite hier ihre Politikinhalte darzustellen, entsprechend für sich und ihre Politikinhalte zu werben.
Kann man dabei etwas von der Bundespartei lernen, die in Umfragen deutlich besser dasteht?
Mit Friedrich Merz hat die CDU einen Bundesvorsitzenden, der starke mediale Präsenz ausübt und auch im Parlament mit gekonnter Rhetorik versucht, die Rolle des Oppositionsführers auszufüllen. Aber es ist für die Bundespartei in der Opposition leichter, Fuß zu fassen und Aufmerksamkeit zu erzeugen als für eine Landtagsopposition, die eher im Schatten steht und weniger mediale Aufmerksamkeit bekommt. Sicherlich kann man daraus lernen, dass mit Friedrich Merz ein angriffslustiger Oppositionsführer im Parlament bereitsteht und dass man das auch im Saarland noch stärker umsetzen könnte. Die Opposition müsste ihre Rolle entsprechend mit Angriffslust ausüben, aber auch gleichzeitig mit eigenen Vorschlägen die Regierungsarbeit begleiten.
Apropos Bedeutung des Oppositionsführers: Ist Stephan Toscani der richtige Mann, um die Saar-CDU in dieser Zeit anzuführen?
Stefan Toscani muss sich sicherlich bewähren, und es ist keine einfache Aufgabe diese neue Rolle anzunehmen, denn er war ja lange Zeit Landtagspräsident, vorher Minister. Das heißt, er hatte ein exekutives Amt, dann ein führendes parlamentarisches Amt, was beides weniger auf Opposition, sondern auf politische Führung beziehungsweise Repräsentation angelegt war. Ob er jetzt als Oppositionschef der CDU tatsächlich die Rolle so ausfüllen kann, wie sich das viele in der CDU erhoffen, werden erst die nächsten Monate und Jahre zeigen.
Die AfD ist auch Teil der parlamentarischen Opposition. Schätzen Sie ihre bisherige Leistung als konstruktive Oppositionsarbeit ein, die einen Mehrwert für die parlamentarische Debatte bringt?
Die Saar-AfD ist innerlich sehr stark gespalten und zerstritten. Sie tut sich deswegen schwer mit einer konstruktiven Oppositionsarbeit, weil man Abgeordnete hat, die wenig miteinander kooperieren, und weil es zwischen den Strömungen innerhalb der AfD erhebliche Spannungen gibt. Dennoch ist der Versuch ihr nicht abzusprechen, das ein oder andere auch im Parlament anzusprechen. Aber die strukturellen Kontroversen innerhalb der Partei machen es ihr schwer eine effiziente Oppositionsarbeit auszuüben. Sie deckt weiterhin bestimmte politische Positionen ab. Ob das aber wirklich einen Mehrwert für die parlamentarische Demokratie im Saarland darstellt, müsste sie noch stärker beweisen.
Sind die Zerstrittenheit der AfD und ihre parlamentarische Performance für ihre Wählerinnen und Wähler überhaupt relevant?
Wir erleben schon seit längerer Zeit, dass bei vielen AfD-Wählerinnen und -Wählern der Zustand der Partei keine große Rolle spielt. Stattdessen sind es Wählerinnen und Wähler, die entweder ihre Protesthaltung zum Ausdruck bringen oder die sich bei bestimmten Themen bei den anderen Parteien nicht aufgeboben fühlen und da am ehesten eine Gemeinsamkeit mit der AfD sehen. Daher ist der Zustand der Partei – wir können das ja auch auf Bundesebene oder in vielen anderen Bundesländern beobachten – kein zentraler Faktor für die AfD-Wählerinnen und -Wähler.
Nun zur außerparlamentarischen Opposition: Welche Möglichkeiten der Oppositionsarbeit haben die Parteien außerhalb des Parlamentes?
Ihnen bleibt im Wesentlichen sich mediale Aufmerksamkeit zu verschaffen, sowohl in den etablierten Massenmedien wie auch in den sozialen Netzwerken. Darüber hinaus sind öffentlichkeitswirksame Aktionen auf der Straße zu nennen. Nun müssen sich allerdings die außerparlamentarischen Gruppierungen erst noch finden, wie etwa Bunt.Saar oder aufgrund der innerparteilichen Kontroversen der Vergangenheit neu aufstellen. Das betrifft die Grünen, das betrifft die Linke, die beide stark geschüttelt waren von innerparteilichen Kontroversen und deren neue Führungspersönlichkeiten auch wenig bekannt sind. Da gilt es jetzt, diese Führungspersönlichkeiten bekannter zu machen und für ihre Themen außerhalb des Parlaments Aufmerksamkeit zu schaffen.
Sie haben gerade die Situation der Grünen und Linken angesprochen. Wie schätzen Sie die Lage der beiden Parteien ein? Gibt es für sie Hoffnung, sich zu erholen?
Für die Grünen ist das Wichtigste erst mal, sich insoweit zu konsolidieren, dass die Partei die Streitigkeiten hinter sich lässt. Das Zweitwichtigste wäre, wieder mehr öffentlich positiv konnotierte Aufmerksamkeit zu gewinnen, und an dritter Stelle steht die Herausforderung neue Mitglieder und eine größere soziale Verankerung im Saarland zu finden. Das sind die drei Schritte, die im Saarland jetzt für die Grünen als Nächstes folgen könnten.
Ja, die Linke hat viele Probleme. Sie hat nicht nur – mit Oskar Lafontaine – ihre wichtigste Führungspersönlichkeit im Saarland verloren, sondern kann sich auch nicht so richtig verständigen, mit welcher Programmatik und mit welcher Person sie nach vorne kommen will. Dann kommt auch noch der Gegenwind vom Bund dazu. Während die Grünen immerhin im Bund recht stark sind, befinden sich die Linken auch dort in einer Existenznot. Wenn ich das beides zusammennehme, dann habe es die Saar-Linken sicherlich sehr schwer.
Also spielt die Bundespartei für die Neuaufstellung der kleineren Parteien eine große Rolle?
Es ist viel leichter mit einer konsolidierten Bundespartei zu kooperieren, weil die Wähler eben die Partei als Ganzes wahrnehmen. Sie sind zwar durchaus in der Lage zwischen landespolitischen und bundespolitischen Erwägungen zu trennen, aber wenn die Bundespartei sich in einem schlechten Zustand befindet – und das können wir bei der Linken derzeit fraglos feststellen –, dann überlagert dieses Phänomen die Parteiarbeit, und es fällt den Landesverbänden schwer sich von der Bundespartei abzugrenzen, um ein positives Bild für die Wähler zu erzeugen.
Wie steht es um die FDP, die letzte Bundestagspartei der außerparlamentarischen Opposition?
Die FDP hat es aufgrund sozialstruktureller Gegebenheiten im Saarland immer schon schwer gehabt. Sie ist deswegen ja primär in der außerparlamentarischen Opposition und war in den letzten Jahrzehnten eher selten im Landtag vertreten. Sie hat auch damit zu kämpfen, dass sie im Bund eine Regierungspartei ist, die im Moment bei den Wählerinnen und Wählern nicht sehr populär ist. Die Saar-FDP hat als weiteres Problem, dass sie wenig Aufmerksamkeit findet, denn ihre Führungspersönlichkeiten, mit Ausnahme, des Bundestagsabgeordneten (Oliver Luksic, Anm. d. Red.), sind im Saarland wenig bekannt. Zudem ist sie mitgliederschwach. Unter diesen schwierigen Voraussetzungen daran zu arbeiten, dass man in gut vier Jahren mal wieder in den Landtag einzieht, ist für die Partei keine leichte Aufgabe.
Was ist noch zentral für den Erfolg oder Misserfolg der Opposition bei den nächsten Wahlen?
Dazu ist zu sagen, dass in der Landespolitik die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten eine große Rolle spielen, denn oftmals sind sie die einzigen Landespolitiker beziehungsweise -politikerinnen, denen der Wähler größere Aufmerksamkeit schenkt oder überhaupt kennt. Insofern ist im Parteienwettbewerb der Länder der Erfolg der Opposition wesentlich abhängig von der Popularität des jeweiligen Ministerpräsidenten oder der Ministerpräsidentin. Für das Saarland bedeutet dies, dass die Erfolgschancen der Opposition auch im Kontext der Frage beurteilt werden müssen, wie die Wähler Frau Rehlinger und ihre Arbeit letztlich bewerten. Bei allen Landtagswahlen in den letzten Jahren war dies zu beobachten. Schauen Sie dieses Jahr etwa nach Schleswig-Holstein oder Niedersachsen: Es waren die Kandidaten, die letztlich einen wesentlichen Ausschlag zugunsten der führenden Regierungspartei gegeben haben. Umgekehrt ist es im Saarland Tobias Hans nicht gelungen, das Image des populären Landesvaters zu generieren.