Ein Schlaganfall ist ein schlagartig auftretender Ausfall von Gehirnfunktionen. Prof. Dr. Peter Kraft, Chefarzt der Neurologie des Klinikums Main-Spessart, klärt über die verschiedenen Arten von Schlaganfällen, Anzeichen, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten auf.
Herr Prof. Dr. Kraft, wie entsteht ein Schlaganfall?
Ein Schlaganfall entsteht durch eine Durchblutungsstörung des Gehirns.
Welche Arten von Schlaganfällen gibt es und worin bestehen die Unterschiede?
Grob kann man zwei Arten von Schlaganfällen – auch Apoplex; englisch: stroke – unterscheiden. Beim ischämischen Schlaganfall (Hirninfarkt) kommt es durch den Verschluss einer hirnversorgenden Arterie zu einer Minderdurchblutung des Gehirns. Ein hämorrhagischer Schlaganfall (Hirnblutung) entsteht durch den Einriss eines Blutgefäßes. Wichtig ist, dass diese beiden Schlaganfallformen klinisch – das heißt rein durch die Symptomatik – nicht sicher voneinander zu unterscheiden sind. Man braucht daher zwingend eine Schnittbildgebung des Kopfes, um die genaue Art des Schlaganfalls zu ermitteln.
Der Begriff der transitorisch ischämischen Attacke (TIA) beschreibt eine vorübergehende Durchblutungsstörung des Gehirns durch eine Minderdurchblutung, gewissermaßen der Vorläufer eines manifesten ischämischen Schlaganfalls. Klinisch ist eine TIA dadurch definiert, dass sich die Schlaganfall-Symptomatik innerhalb von 24 Stunden komplett zurückbildet.
Was sind die Unterschiede zwischen leichtem und schwerem Apoplex?
Dies ist anhand der Symptomatik zu differenzieren. Bei einem schweren Schlaganfall liegt eine ausgeprägte Symptomatik zum Beispiel mit Bewusstseinsstörung und hochgradiger Lähmung vor. Ein schwerer Schlaganfall tritt gehäuft bei einem Verschluss einer großen Hirnarterie auf. Bei einem leichten Schlaganfall kommt es dementsprechend nur zu einer geringeren neurologischen Ausfallsymptomatik wie zum Beispiel einer leichten Lähmung oder Sensibilitätsstörung.
Welche Anzeichen gibt es?
Da eine Durchblutungsstörung des Gehirns in den meisten Fällen einseitig auftritt, findet man typischerweise eine gekreuzte Halbseiten-Symptomatik – zum Beispiel Durchblutungsstörung der rechten Hirnhälfte, Lähmung der linken Körperseite. Wichtig ist, dass ein Schlaganfall in aller Regel plötzlich („schlagartig") beginnt. Eine neurologische Ausfallsymptomatik, die sich über einen längeren Zeitraum hinweg entwickelt, entspricht mit großer Wahrscheinlichkeit keinem Schlaganfall. Die Symptomatik bei einer Durchblutungsstörung des Gehirns kann sehr vielseitig sein, je nachdem, welches Hirngebiet betroffen ist. Häufig, aber längst nicht immer, findet man eine Halbseiten-Lähmung mit Gefühlsstörung. Andere mögliche Symptome sind eine Sprech- oder Sprachstörung, Schluckstörung, Doppelbilder, eine motorische Ungeschicklichkeit oder eine sogenannte Hemianopsie, das heißt ein Gesichtsfeldausfall zu einer Seite. Bei einer Durchblutungsstörung im Bereich des Hirnstamms kann es auch zu einer Bewusstseinsstörung bis hin zum Koma und zu einer Störung des Atemzentrums kommen.
Wie kann man einen Schlaganfall sicher diagnostizieren?
Zunächst handelt es sich um eine klinische Diagnose, die zu stellen ist, wenn plötzlich eine schlaganfall-typische Symptomatik auftritt. Wie schon erwähnt, wird man dann in der Klinik eine Schnittbildgebung des Kopfes durchführen, um zwischen einer Hirnblutung und einem ischämischen Schlaganfall differenzieren zu können. Während eine Blutung auch bei kurzdauernder Symptomatik sowohl mit der Computertomografie (CT) als auch mit der Kernspintomografie (MRT) mit hoher Sensitivität darstellbar ist, gelingt die Darstellung eines ischämischen Schlaganfalls gerade mit der CT, teilweise aber auch in der MRT, häufig erst mit einer gewissen Latenz. Bei manchen Patienten lässt sich trotz eindeutiger klinischer Schlaganfall-Symptomatik auch zu einem späteren Zeitpunkt in der Bildgebung kein Schlaganfall nachweisen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Dauer der Durchblutungsstörung nur relativ kurz war, das heißt wenn eine TIA (transitorisch ischämische Attacke) vorlag.
In Studien konnten Veränderungen verschiedener Blut-Parameter im Rahmen eines Schlaganfalles gemessen werden. Dies erlaubt jedoch keine zuverlässige diagnostische Abgrenzung gegenüber anderen Erkrankungen und spielt in der klinischen Routine keine Rolle.
Wie werden die Betroffenen im Krankenhaus behandelt?
Zunächst ist es wichtig, dass jeder Patient mit Schlaganfall-Verdacht schnellstmöglich in die nächstgelegene Klinik mit Stroke Unit gebracht wird. Jede Minute, die verstreicht, „kostet" Nervenzellen, sodass der Faktor Zeit bei der prähospitalen Versorgung wie auch in der Klinik selbst eine maßgebliche Rolle spielt. Nach neurologischer Untersuchung zur Objektivierung der Ausfallsymptomatik wird unmittelbar eine Schnittbildgebung des Kopfes ergänzt, in der Regel aufgrund der breiten Verfügbarkeit und der kurzen Untersuchungszeit eine Computertomografie. Essenziell ist es zudem, den Status der hirnversorgenden Arterien zu erfassen.
Wie geht es danach weiter?
Bei Vorliegen eines ischämischen Schlaganfalls besteht die Therapie der Wahl in einer Rekanalisation der verschlossenen Hirnarterie. Hierzu bestehen zwei Möglichkeiten: zum einen eine intravenöse Thrombolyse, das heißt eine Infusion zur Gerinnselauflösung, zum anderen – bei Vorliegen eines großen intrakraniellen Gefäßverschlusses – eine mechanische Thrombektomie, das heißt eine mechanische Eröffnung der verschlossenen Arterie mit einem Gefäß-Katheter, ähnlich der Therapie beim Herzinfarkt. Häufig werden beide Verfahren miteinander kombiniert. Bei Vorliegen einer Hirnblutung beschränkt sich die Therapie in den meisten Fällen im Wesentlichen darauf, eine Nachblutung zu verhindern. Hierfür wichtige Faktoren sind Blutdrucksenkung und Wiederherstellung der Blutgerinnung bei vorhergehender Einnahme gerinnungshemmender Substanzen. Bei sogenannten aneurysmatischen Subarachnoidalblutungen muss ein Verschluss des Aneurysmas durch eine neurochirurgische Operation (Clipping) oder ein neuroradiologisch-interventionelles Vorgehen (Coiling) erfolgen.
Klinik mit Stroke Unit ansteuern
Was genau ist die eben genannte Stroke Unit?
Dabei handelt es sich um eine Spezial-Station, ähnlich einer Intermediate Care Station, das heißt mit dauerhafter Monitorüberwachung. Weitere Kennzeichen einer Stroke Unit sind ein optimierter Personalschlüssel sowie ein multidisziplinärer Ansatz, bestehend aus täglicher Therapie, genauer gesagt aus Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, gegebenenfalls auch aus psychologischer Betreuung. Bereits auf der Stroke Unit wird die anschließende Rehabilitationsbehandlung geplant. Schwer betroffene Schlaganfall-Patienten müssen – zum Beispiel bei Beatmungspflichtigkeit – gegebenenfalls auch intensivmedizinisch betreut werden.
Welche Ursachen haben Schlaganfälle?
Letztlich sind die wesentlichen Risikofaktoren für die Entstehung eines Schlaganfalls mit denen eines Herzinfarktes identisch. Es handelt sich um Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörung mit Cholesterinerhöhung, Rauchen, Übergewicht, Bewegungsarmut. Durch diese Faktoren kommt es zu arteriosklerotischen Veränderungen der hirnversorgenden Arterien, wodurch direkt ischämische Schlaganfälle ausgelöst werden können. Insbesondere bei häufig gleichzeitig vorliegenden Herzerkrankungen kommt es zum Auftreten eines sogenannten Vorhofflimmerns, einer bestimmten Herzrhythmusstörung, die ihrerseits das Schlaganfallrisiko verfünffacht.
Wie häufig ist ein Schlaganfall und wie viele Fälle verlaufen tödlich?
Jährlich ereignen sich deutschlandweit zwischen 250.000 und 300.000 Schlaganfälle. Die Mortalität nimmt mit dem Alter zu und variiert in Studien deutlich zwischen den untersuchten Ländern. Man kann grob sagen, dass in industrialisierten Ländern innerhalb eines Jahres nach einem Schlaganfall etwa 25 Prozent der Patienten versterben, häufig auch an anderen kardiovaskulären Erkrankungen. Die Mortalität sank in Industriestaaten in den letzten 20 Jahren dank verbesserter Therapiemöglichkeiten.
Auch die Schlaganfallinzidenz – das heißt das Auftreten neuer Schlaganfälle pro Zeiteinheit – ist stark altersabhängig. Weltweit gesehen ist eine Zunahme, deutschlandweit ein Rückgang zu verzeichnen. Das Lebenszeitrisiko in Deutschland, einen Schlaganfall zu bekommen, liegt etwa zwischen 20 und 25 Prozent.
Ist es möglich Schlaganfällen vorzubeugen?
Ja, auf jeden Fall! Das ist genau das, was den Patienten und der Allgemeinbevölkerung immer wieder vermittelt werden muss. Durch gesunde Lebensweise und optimale Behandlung beziehungsweise Beseitigung der oben genannten Risikofaktoren ließen sich prinzipiell die allermeisten Schlaganfälle verhindern.
Patienten, die bereits eine TIA oder einen ischämischen Schlaganfall erlitten haben, benötigen zudem eine „Blutverdünnung" mit einer sogenannten antithrombotischen Substanz (zum Beispiel Acetylsalicylsäure), um weitere Ereignisse zu verhindern. Bei Vorliegen eines Vorhofflimmerns benötigt man eine „stärkere Blutverdünnung". Früher gab man standardmäßig Marcumar, heute stehen neuere Medikamente mit besserer Nutzen-Risiko-Relation zur Verfügung. Weiterhin wird bei TIA und ischämischem Schlaganfall regelmäßig ein cholesterinsenkendes Medikament empfohlen, um weitere Durchblutungsstörungen des Gehirns zu verhindern.
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede?
Obwohl der Durchschnitt der altersadjustierten Schlaganfallinzidenz in Deutschland für Männer höher ist als für Frauen, erleiden absolut gesehen mehr Frauen einen Schlaganfall als Männer. Dies liegt an der höheren Lebenserwartung von Frauen und daran, dass das Schlaganfallrisiko im Alter signifikant ansteigt. Damit assoziiert ist eine schlechtere funktionelle Prognose nach Schlaganfall bei Frauen.
Neue Therapie-Optionen
Wie geht es nach einem leichten Schlaganfall für Patienten weiter? Wie nach einem schweren?
Nach einer TIA (transitorisch ischämische Attacke) kann üblicherweise aus dem Krankenhaus eine Entlassung nach Hause erfolgen. Im Falle persistierender (andauernder) neurologischer Symptome wird in der Regel eine Rehabilitationsbehandlung angestrebt. Wichtig ist, dass bei weiterer Persistenz von Ausfallsymptomen auch nach der Rehabilitationsbehandlung eine therapeutische Beübung im ambulanten Umfeld etabliert wird.
Mit welchen Themen beschäftigt sich die Forschung in den letzten Jahren? Gibt es hier neue Erkenntnisse?
Die präklinische und klinische Forschung im Bereich des Schlaganfalls ist sehr aktiv. So konnten in den letzten Jahren mehrere neuartige Therapieoptionen etabliert werden, beispielsweise neuartige „blutverdünnende" Medikamente oder die oben erwähnte mechanische Thrombektomie.