Loriots Schaffen trotzt den großen Veränderungen in Gesellschaft und Zeitgeist. Hier ein Überblick über sein Fernseh-Gesamtwerk.

Holleri du dödel di diri diri dudl dö.“ „Nein, Hildegard, sagen Sie jetzt nichts!“ Keine Angst, der Autor dieser Zeilen ist weder mit dem Kopf auf die Tastatur gefallen noch am helllichten Arbeitstag sturzbetrunken. Loriot-Kenner wissen sofort, dass es sich hierbei um Auszüge aus den Sketchen „Das Jodeldiplom“ und „Die Nudel“ handelt. Und bei nicht wenigen Menschen reichen schon diese wenigen Worte, um sofort die dazugehörigen Bilder vor dem geistigen Auge auftauchen und ein Lächeln über ihre Gesichter huschen zu lassen.
Die Steinlaus steht im Lexikon
Wer in den 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgewachsen ist und sozialisiert wurde, weiß sofort, wovon die Rede ist. Obwohl die Sendereihe „Loriot“, die 1976 erstmals über den Bildschirm flimmerte, nur sechs Teile hatte, sind viele der damals gezeigten Sketche bis heute Kult. Manches daraus hat sogar Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch gehalten. Der Satz „Früher war mehr Lametta“ von Opa Hoppenstedt aus dem Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“ bringt etwa zum Ausdruck, dass Weihnachten früher gemütlicher, beschaulicher und fröhlicher gewesen sei – oder grundsätzlich früher alles besser war.
Die fiktive „Steinlaus“ (Petrophaga lorioti), ein possierliches kleines Tierchen, dass laut Loriots Parodie des Zoologen und Fernsehmoderators Bernhard Grzimek nur unter dem Mikroskop zu erkennen ist und sich von Beton und Mauerwerk ernährt, brachte es als humoristische Hommage sogar zu einem Eintrag in einem bedeutenden medizinischen Lexikon – und weit darüber hinaus. Der „Pschyrembel“, ein medizinisches Standard-Nachschlagewerk, nahm in seiner 255. Auflage erstmals den Gag der Steinlaus auf und führte diesen noch weiter aus. Als der Eintrag in der 257. Auflage 1994 wieder getilgt wurde, gab es vehemente Proteste – nicht nur der Fachleser. Worauf die Steinlaus abermals Einzug ins Nachschlagewerk hielt und mittlerweile in zahlreichen weiteren Lexika und Publikationen zu finden ist. Der Zoo in Dortmund hat sogar ein Gehege für die fiktive Steinlaus eigerichtet.

Später wurde die Sketch-Reihe anlässlich runder Geburtstage Loriots immer gern wiederholt und mit neuer Rahmenmoderation verknüpft sowie in den späten 90er-Jahren sogar mit älterem Material erweitert und als 14-teilige Serie neu aufgelegt. Ende Oktober 2007 und damit noch zu Lebzeiten Loriots erschien „Die vollständige Fernseh-Edition“ mit allen Sketchen und Cartoons aus 40 Jahren Fernsehschaffen auf sechs DVDs und mit einer Gesamtlänge von 760 Minuten, also mehr als zwölf Stunden Material. Der 100. Geburtstag des großen Meisters ist ein willkommener Anlass, die Sammlung mal aus dem Schrank zu holen und darin zu stöbern.
Für seine Cartoons zeichnete und animierte Loriot seine Figuren nicht nur, er lieh ihnen auch oft seine Stimme. Ein absoluter Klassiker dieser Reihe ist der Sketch „Herren im Bad“: Eine aberwitzige Situation, in der sich zwei einander völlig fremde erwachsene Männer – Herr Dr. Klöbner und Herr Müller-Lüdenscheidt – in einer leeren Hotel-Badewanne gegenübersitzen und ein immer absurder verlaufendes Gespräch führen. Es wird schnell klar, dass Dr. Klöbner sich im Zimmer geirrt hat, er weigert sich aber dennoch, die Wanne zu verlassen. Daraus entspinnt sich ein Streitgespräch, in deren Verlauf Herr Müller-Lüdenscheidt tatsächlich irgendwann Wasser in die Wanne einlässt und die beiden dann darüber streiten, ob eine Badeente mit in die Wanne darf oder nicht und wer länger die Luft anhalten kann, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Die Aussprüche „Aber ich kann länger als Sie“ und „Die Ente bleibt draußen“ aus diesem Sketch sind ebenso zu geflügelten Worten im Alltag geworden wie das oben erwähnte „Früher war mehr Lametta“.
Ein beliebtes, immer wiederkehrendes Motiv in Loriots Werk ist das Zusammenleben von Eheleuten und wie diese mit der Zeit aneinander vorbeireden. Ein besonders gelungenes Beispiel ist der gezeichnete Sketch „Das Frühstücksei“, bei dem der Ehemann sich darüber beschwert, dass sein Frühstücksei hart sei und seine Frau darauf pocht, das Ei so wie immer gekocht zu haben.
Kosakenzipfel – einfach köstlich

Ein noch größeres Vergnügen sind allerdings die gespielten Sketche mit Evelyn Hamann, aber auch mit Heinz Meyer, der die Figur des Vaters der wiederkehrenden Familie Hoppenstedt verkörperte oder den Lotto-Gewinner Erwin Lindemann. Letzterer soll einem Fernsehteam erklären, was er mit seinem Lottogewinn von 500.000 Mark machen möchte. Doch beim Versuch, das Ganze aufzuzeichnen geht allerhand schief und der gute Herr Lindemann wirft immer mehr durcheinander: „Ich heiße … na! … Erwin … ich heiße Erwin und bin Rentner. Und in 66 Jahren fahre ich nach Island … und da mache ich einen Gewinn von 500.000 D-Mark … und im Herbst eröffnet dann der Papst mit meiner Tochter eine Herren-Boutique in Wuppertal.“ Oder so.
Unvergessen auch der Sketch „Der Kosakenzipfel“, bei dem die Ehepaare Hoppenstedt und Pröhl in einem Restaurant das fünfjährige Bestehen ihrer Freundschaft feiern wollen und erstmals zum Du übergehen. Dann entbrennt nach und nach ein Streit über eine freundschaftlich geteilte Nachspeise der beiden Herren, bei dem sich einer übervorteilt wähnt. Das Ganze eskaliert, aus dem Du wird wieder ein Sie und am Schluss werfen sich die Ehegattinnen unflätige Schimpfwörter an den Kopf. Szenen wie aus dem richtigen Leben eben.
Es macht wirklich Spaß, sich nach so langer Zeit wieder einmal quer durch die sechs DVDs zu schauen, denn man entdeckt neben den absoluten Kultklassikern ebenso längst Vergessenes wie manches, das man tatsächlich noch gar nicht gesehen hat und auch nicht aus dem Fernsehen kannte.
Darunter beispielsweise Live-Lesungen von Loriot und Hamann vor Publikum zu DDR-Zeiten im Palast der Republik 1987 in Ostberlin. Oder köstlich auch Loriot im Zusammenspiel mit den Berliner Philharmonikern – wie er beispielweise vermeintlich eine Biene jagt und mit diesen fuchtelnden Bewegungen das Orchester dirigiert oder bei deren Hundertjahrfeier als wirklicher Dirigent auftritt und viele Nieser dirigiert. Zwei Auftritte bei „Stars in der Manege“ gehören ebenso dazu wie einige Episoden mit Wum und Wendelin. Nicht fehlen darf dabei natürlich der Klassiker „Ich wünsch mir ’ne kleine Miezekatze“, der sogar die Charts stürmte.
„Tee-Aitch“ ist das Highlight

Mein ganz persönliches Highlight aber ist die Wiederentdeckung der Fernsehansagerin, grandios gespielt von Evelyn Hamann, die die achte Folge des 16-teiligen englischen Fernsehkrimis „Die zwei Cousinen“ ankündigt und dem Zuschauer eine Zusammenfassung der bisherigen Handlung liefert. Der Text ist gespickt mit Worten, die den englischen th-Laut (das „tee-aitch“) enthalten. Ein Auszug: „Auf dem Landsitz North Cothelstone Hall von Lord und Lady Hesketh-Fortescue befinden sich außer dem jüngsten Sohn Meredith auch die Cousinen Priscilla und Gwyneth Molesworth aus den benachbarten Ortschaften Nether Addlethorpe und Middle Fritham, ferner ein Onkel von Lady Hesketh-Fortescue, der 79-jährige Jasper Fetherston, dessen Besitz Thrumpton Castle zurzeit an Lord Molesworth-Houghton, einen Vetter von Priscilla und Gwyneth Molesworth, vermietet ist.“
Wer wissen möchte, welch grandiose Leistung Evelyn Hamann dabei abgeliefert hat, kann selbst einmal versuchen, jedes „th“ in dieser kleinen Passage mit der perfekten englischen Aussprache des „tee-aitch“ zu lesen. Vor allem die scheinbar unbeabsichtigte englische Aussprache deutscher Begriffe und die Mimik Hamanns sind schlicht genial und machen den Sketch zu meinem persönlichen Highlight. Eine Leistung, die auch Jahrzehnte später noch unerreicht ist.
Wer jetzt nicht warten möchte, bis all die Klassiker und viele weitere mal wieder im Fernsehen wiederholt werden, dem sei „Loriot – Die vollständige Fernseh-Edition“ auf sechs DVDs wirklich ans Herz gelegt. Sie ist nach wie vor im Handel erhältlich und kostet je nach Anbieter zwischen 45 und 55 Euro. Übrigens: In diesem Jahr neu erschienen ist eine neue DVD mit dem Titel „Loriots große Trickfilmrevue“. Darauf enthalten sind 31 ausgewählte Cartoons, die zum Teil erstmals koloriert und in noch nie gesehener Brillanz neu erlebt werden können. Als DVD ist sie ab knapp 15 Euro erhältlich.