Schwächer, langsamer, mit anhaltenden Hitzewellen und Starkregen? Wie sich Jetstreams und Klimawandel wechselseitig beeinflussen, steht im Brennpunkt von Klimamodellen zur Atmosphärendynamik.
Verheißungsvoll klangen einst die sorgenbefreienden Geschichten von Jetstreams, weil sie als die stärksten natürlich auftretenden Winde in deren Gesamtsystem galten: Diese schmalen Starkwindbänder sollten „schlechtes“ Wetter schnell wegpusten. Bereits 1939 benannte der deutsche Meteorologe und Hochschullehrer Heinrich Seilkopf das atmosphärische Phänomen als „Jetstream“, was eingedeutscht „Strahlstrom“ heißt. Seilkopf berücksichtigte den Jetstream, wenn er See- und Flugwetter, unter anderem für den Deutschen Wetterdienst, analysierte.
Die Menschen vertrauten seither über viele Jahrzehnte auf die Höhenwinde, die durch ihre dynamische Ansiedlung zwischen oberer Troposphäre, also der untersten Schicht der Erdatmosphäre, und Tropopause, der Grenze zur Stratosphäre, Superkräfte entwickelten. Denn in der Troposphäre, die fast alles Wasser unserer Atmosphäre trägt, passiert unser Wettergeschehen. Bei einem Tempo von bis zu 500 Kilometern pro Stunde konnten Jetstreams früher heftige, also sehr nasse, trockene, kalte oder heiße Wetterlagen so zuverlässig, wie sich die Erde um ihre eigene Achse dreht, vertreiben. Und alles schien wieder gut zu sein.
So taugte der Jetstream einst auch perfekt für den Wetter-Party-Talk des Jetsets, der von einem angesagten Ort der Welt zum nächsten zog. Als Fliegen für weniger Reiche noch unerschwinglich war. Die eiligen Lebensgenießer freuten sich über mächtige Windstrom-Bänder, die sich die großen Flugzeuge bei ihrer Rückkehr aus den USA mit einem Schlenker über Kanada bewusst in den Rücken holten, um Stunden schneller in Europa zu landen.
Wissenschaftliche Daten nicht ganz klar
Es war einmal: Die Starkwindbänder scheinen sich in der Gegenwart abzuschwächen und zu stehenden Wetterlagen zu führen. So heißt es in manchen Wetterberichten. Regengebiete ziehen langsamer als früher von West nach Ost ab. Ungünstig, da es infolge des Klimawandels sowieso schon auch hierzulande häufiger zu Dürren (wegen der generell höheren Temperaturen) und Überschwemmungen (durch den höheren Wassergehalt einer wärmeren Atmosphäre) kommt. Problematisch sogar, weil unsere verdichteten Wohngebiete, versiegelten Wege und nur begrenzt belastbaren Kanalisationen so viel Wasser nicht aufnehmen können.
Erderwärmung, Klimawandel: Die Reihung scheint klar und ist es bei einem derart variablen Phänomen wie dem Jetstream doch nicht. Sagen Klimaforscher, von denen die Mehrheit aus Daten, die für die Jetstreams erst seit rund 40 Jahren erhoben werden, noch keine Gewissheit und Kontinuität ableitet. Zumal bislang nur manche Studien eine erhöhte Variabilität des Jetstreams finden. Und doch beobachten Forscher technisch basierte und wissenschaftlich fundierte Zusammenhänge in einer Veränderung des Klimas, die sich aus häufiger werdenden Wetterereignissen ergeben. Klimawandel und Jetstream könnten sich demnach wechselseitig beeinflussen und voneinander abhängen. Weitere Gewissheiten sollen in Zukunft etwa interaktive Datenbeobachtungen sowie verbesserte Klimamodelle bringen.
Eine Verschiebung schreitet voran
„Um die Komplexität von Atmosphärenströmungen wie den Jetstreams besser zu verstehen und nach und nach zu entschlüsseln, stellen moderne Beobachtungstechniken und Computersimulationen die wichtigsten Hilfsmittel dar, die wir in der Forschung nutzen“, sagt Thomas Birner und bezeichnet beispielsweise Messungen von Satelliten als „unerlässlich“. Der Physiker ist Professor für Theoretische Meteorologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und forscht zu atmosphärischen Phänomenen im Übergangsbereich von Wetter und Klima.
„Moderne Beobachtungstechniken und Computersimulationen haben beispielsweise gezeigt, dass eine durch die arktische Verstärkung hervorgerufene Abschwächung der Jetstreams im Sommer existiert und weiter voranschreitet. Ebenso, dass sich die subtropischen Jetstreams durch die gesteigerte Erwärmung der tropischen Atmosphäre verstärken und anheben“, sagt der Wetter- und Klima-Experte. Bei der „arktischen Verstärkung“ handelt es sich um eine zunehmende Erwärmung der Erdoberfläche über der Arktis.
Birner brennt für sein Thema. Der Physiker hält neben seinen regulären Vorlesungen zu den Grundlagen der Atmosphären- und Klimadynamik regelmäßig öffentliche Vorträge über Klimaphysik und Klimawandel. Er engagiert sich im Projekt „Klimawandel: verstehen und handeln“, das an der Ludwig-Maximilians-Universität initiiert wurde und aktuell mit Schulen und engagierten Lehrerinnen und Lehrern weiterentwickelt wird.
Als „Jetstreams“ definieren Meteorologen globale Windbänder in der Atmosphäre in etwa zehn bis zwölf Kilometern Höhe. Das heißt, sie sind dort zu Hause, wo die meisten Flugzeuge fliegen. Ihre typischen Windgeschwindigkeiten reichen von 150 bis 300 Kilometer pro Stunde, wobei sie im Winter schneller unterwegs sind als im Sommer.
Die vorherrschende Strömung der Jetstreams ist von West nach Ost, wobei die Strömung zusätzlich in Form von großräumigen Wellen nach Nord und Süd ausgelenkt wird. Das liegt daran, dass sich unter ihr die Erde weiterdreht. Die Corioliskraft, die aufgrund der Erdrotation wirkt, lenkt diese Winde ebenso ab, wie das Gebirgszüge auf der Erde tun. „Diese Auslenkungen der Jetstreams, man spricht auch von Mäandrierung, sind mitentscheidend für das Wettergeschehen in unseren Breiten, da sie mit der Ausbildung der typischen Hoch- und Tiefdruckgebiete zusammenhängen, die in unseren Breiten oft das Wetter bestimmen“, erklärt der Münchener Professor. „Herrscht Hochdruckwetterlage, können im Sommer Hitzewellen und im Winter Kälteeinbrüche stattfinden. Bei Tiefdruckwetterlage gibt es meist Niederschlag, teils auch heftig, je nach Jahreszeit und sonstigen Bedingungen, entweder als Regen oder Schnee.“
Auf der Nordhalbkugel strömt die Luft im Uhrzeigersinn um solch ein Hochdruckgebiet, gegen den Uhrzeigersinn kreist sie um ein Tiefdruckgebiet. Auf der Südhalbkugel ist es umgekehrt.
Birner unterscheidet generell zwischen verschiedenen Jetstreams: Zum Beispiel einen in mittleren und polaren Breiten, gelegen zwischen 45 und 60 Grad Breite, sowie einen in subtropischen Breiten, zu finden bei etwa 30 bis 40 Grad Breite. Bei ihrer Positionierung kommt es auf die Jahreszeit an: Im Sommer befinden sich die Jetstreams bei höheren Breiten als im Winter. Von Belang ist auch ein polarer Jetstream im Winterhalbjahr in den oberen Atmosphärenschichten, der den sogenannten stratosphärischen Polarwirbel ausmacht und gewisse Fernwirkungen auf unser Wetter ausüben kann.
Beim Klimawandel geht es viel um Kohlendioxid. Bei den Starkwindbändern, die unser Wetter bestimmen, auch. Professor Birner leitet eine Gruppe, die eine Reihe von dynamischen Phänomenen des gekoppelten Systems Troposphäre und Stratosphäre (die zweite, wärmere Etage der Erdatmosphäre) erforscht. Der Atmosphären-Experte erläutert, dass generell durch die Zunahme von CO2 eine Verschiebung der Jetstreams Richtung Pol erwartet und zum Teil auch schon beobachtet werde. Dies beträfe vor allem die Südhalbkugel im Sommer. Dort sei der Effekt durch den Abbau von Ozon verstärkt worden.
Einfluss auf Wettervorhersage
Der Forscher hat eine optimistisch sowie eine bedenklich stimmende Nachricht: „Da der durch FCKW hervorgerufene Ozonabbau durch internationale Abkommen gestoppt wurde und wir inzwischen in eine Phase der Erholung des Ozonlochs eingetreten sind, sollte diese Verschiebung des Jetstreams auf der Südhalbkugel in den nächsten Jahrzehnten schwächer werden. Allerdings gehen wir von einer fortschreitenden Verschiebung Richtung Pol durch CO2-Zunahme weiterhin aus.“
Auf der Nordhalbkugel sorge – wie erwähnt – die sogenannte „arktische Verstärkung“, also die verstärkte Erwärmung der Erdoberfläche über der Arktis, zudem für eine Abschwächung des Jetstreams. Das wurde bisher vor allem im Sommer beobachtet. Dem Forscher zufolge gibt es dazu einige Studien, die besagen, dass dadurch die Auslenkungen, die sogenannte „Mäandrierung“, verstärkt würden. So könnten sich Wetterlagen intensivieren. Beispielsweise stehende Hochdruck-Wetterlagen, die im Sommer Hitzewellen verursachen. „Hier ist sich die Fachwelt jedoch bislang uneinig, ob diese Verstärkung der Mäandrierung tatsächlich stattfindet und inwiefern sie im Zusammenhang mit dem Klimawandel steht“, betont der Klima- und Wetter-Experte. „Das heißt, hier gibt es nach wie vor Forschungsbedarf.“
Weil so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt, verstärken und verschieben sich die Jetstreams in subtropischen Breiten nach oben. „Das liegt daran, dass sich die Atmosphäre in den Tropen in etwa fünf bis zehn Kilometern Höhe mehr erwärmt als anderswo“, erklärt Birner den Zusammenhang zwischen tropischer Erwärmung und subtropischer Jetstream-Verschiebung und -Verstärkung.
Und jetzt zum Wetter. Das interessiert Landwirte wie Lebenskünstler seit jeher gleichermaßen. Je zuverlässiger Wettervorhersagen sind, die sich auf mehrere Wochen beziehen, desto besser können Menschen planen. In einer kürzlich im Fachmagazin „Communications Earth & Environment“ erschienenen Studie gehen LMU-Meteorologinnen und -Meteorologen auf einen derartigen Planbarkeits-Aspekt des stratosphärischen Einflusses auf langfristige Wettervorhersagen ein. Dieser hängt mit der Veränderung des nordatlantischen Jetstreams zusammen: Auf schwache stratosphärische Polarwirbel folge über Nordeuropa in der Regel eine Phase geringerer Unsicherheit bei den Wettervorhersagen für etwa drei bis fünf Wochen. „Wir führen diese verringerte Vorhersageunsicherheit auf die Südverschiebung des nordatlantischen Jetstreams zurück“, sagt Jonas Späth, Doktorand von Professor Birner am Meteorologischen Institut der LMU und Erstautor der neuen Studie.
Weil sich die Zugbahnen der Winterstürme, die in dieser Jahreszeit die Hauptquelle der Vorhersageunsicherheit sind, nach Süden verlagern, nimmt die Unsicherheit der Vorhersagen ab. Das liegt daran, dass die Stürme über Nordeuropa wegen der Jetstream-Verlagerung weniger aktiv sind. Dafür werden die Vorhersagen zum Wetter über Südeuropa unsicherer.